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[Vorwort] Ohne Fußball wär’n wir gar nicht hier

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Der Fußball hat uns geprägt. Geplante Weltrevolutionen und tatsächliche Familienfeiern mussten leider ohne uns auskommen, weil sie am Wochenende mit wichtigeren Dingen konkurrierten. In den zurückliegenden drei Jahrzehnten haben wir Tausende Spiele verfolgt, in großen und kleinen Stadien, auf übergroßen und viel zu winzigen Fernsehern, am Radio und im Videotext. Von viel zu vielen dieser Spiele sind uns noch viel zu viele Bilder präsent, wichtige Tore und vergebene Großchancen, wunderbare Fangesänge und debile Kommentare, ehrliche und inhaltlose Aussagen von Spielern und Trainern. Obwohl wir selbst vom fußballerischen Talent weitgehend verschont wurden, hat uns dieser Ballsport mit all seinen Randerscheinungen gefesselt.

Jetzt, wo wir mittlerweile älter sind als alle Spieler auf dem Platz, zu denen man einst mit dem um Unterschriften bettelnden Sammelbildalbum in der vor Aufregung zitternden Hand hochblickte, sind wir mit einem Fußball konfrontiert, der in den vergangenen Jahren deutlich dynamischer, transparenter, präsenter und komfortabler geworden ist. Der Fußball ist mittlerweile nicht nur beim FC Barcelona schneller und taktisch variabler. Selbst von Zweitligaspielen gibt es ausführliche Statistiken über Laufwege und Zweikampfverhalten der Spieler. Fast täglich kann man eine Fußballpartie sehen, vor Ort oder im Fernsehen, im Internet sind die Ligen der Welt nur einen Mausklick entfernt. Man kann sich online über Taktiktrends in Südamerika informieren, aber auch über die Befindlichkeiten der Ultra-Szene eines handelsüblichen Drittligisten. Die High-Tech-Stadien präsentieren sich familienfreundlicher als die Stahlrohrkonstruktionen der achtziger Jahre.

Doch trotz all dieser Veränderungen ist das Unbehagen darüber gewachsen, dass der Fußball in der jüngeren Vergangenheit einen Teil seiner Seele verloren hat. Oder weniger pathetisch formuliert: dass der Fußball mit seinen Begleiterscheinungen langweiliger und farbloser geworden ist. In Zeiten, in denen Retortenklubs sich zwar Erfolg, aber keinen Charme kaufen können. In denen in austauschbaren Wohlfühlarenen der inszenierte Stimmungsterror manchen Zuschauern schon vor dem Anpfiff den letzten Nerv raubt. In denen Spieler und Trainer ewig gleiche nichtssagende Antworten auf oft auch nicht unbedingt fantasievolle Fragen geben. In denen das öffentlich-rechtliche Fußballvermarktungsprogramm Berichte über die Schattenseiten des Spiels gepflegt ins nächtliche Niemandsland verlegt. In denen manche Vereine mehr Geld und Energie in Marketingkampagnen stecken als in die eigene Mannschaft.

Wir bekennen: Wir sind Fußballfans in der Midlife-Crisis. Sätze wie „Fußball ist unser Leben“ kommen uns einfach nicht mehr über die Lippen, weil im Alter die Selbstachtung mit den grauen Haaren um die Wette wächst. Der heilige Ernst, mit dem wir noch vor 15 Jahren abendelang über die Kleinkriege in unseren Fanszenen diskutierten, ist uns abhanden gekommen. Dennoch juckt es uns nach wie vor in den Füßen, wenn am abendlichen Horizont ein illuminierter Flutlichtmast zu sehen ist. Und weil so ein Kribbeln nur aufhört, wenn man dem Drang nachgibt, leben wir auch heute noch jeden Tag mit der überbewertetsten Nebensache der Welt.

In diesem Spannungsfeld zwischen Faszination, Abhängigkeit und Ermüdung haben wir Sach- und Lachgeschichten aus der Fußballwelt zusammengetragen. Es sind Geschichten aus unterschiedlichen Zeiten und Perspektiven. Es geht um Erweckungs- und Erschreckenserlebnisse, um Auswärtstouren in den Osten und Stadiondialoge in Ostwestfalen, um den verzweifelten Umgang mit Devotionalien und fußballsüchtigen Kindern, den Einfluss von Fernsehsendern und Ultras. Aber auch um sportliche Selbstertüchtigung, demente Stadionordner und die wichtigste Sendung der Welt. Nicht die „Sportschau“, sondern die „Simpsons“. Dabei gehen wir der ganz und gar ernsthaften Frage nach, ob man vielleicht gerade dann Fußballfan ist, wenn einen die banalen Aussagen der Stars und die künstlichen Aufregungen der Medien nur noch zu Tode langweilen.

Kurzum: Gründe genug, um ein Buch zu schreiben, das das Lebensgefühl derer widerspiegelt, die zu alt sind, um noch Ultra zu sein. Und zu jung, um nicht sofort zur Fernbedienung zu greifen, wenn uns Jessica Kastrop und Franz Beckenbauer eine Welt erklären, die wir besser kennen als sie.

Ohne Fußball wär'n wir gar nicht hier

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