Читать книгу Ohne Fußball wär'n wir gar nicht hier - Christoph Ruf - Страница 9

[Christoph Ruf] Poldi pour Poldi Industriebosse, Berufs-Tussen und der Exkanzler: In manchen Fußballstadien trifft sich alle zwei Wochen das Elend dieser Welt.

Оглавление

Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Schon gar nicht im Fußball, der ja mit dem richtigen Leben sowieso nicht sonderlich viel zu tun hat. Aber das ist auch nicht weiter tragisch. Wie alle wirklich wichtigen Dinge im Leben genügt auch der Fußball sich selbst. L’art pour l’art. Poldi pour Poldi. Das hat so schon alles seine Richtigkeit.

90 Minuten, ein gepflegtes Gespräch mit einem der anderen Irren im Block oder das viel zitierte Bier. All das macht Fußball zu einer wunderbaren Veranstaltung. Genau wie die Tatsache, dass ein Fußballspiel im Stadion zu den ganz wenigen Dingen gehört, die ich auch furchtbar gerne alleine genieße. Wenn man mich lässt, bin ich dann nach Abpfiff fast so entspannt, als hätte ich ein paar Tage Strandurlaub hinter mir. Das Hirn funktioniert wieder ein bisschen besser und ein paar nette Beobachtungen sind auch dazugekommen. Wer braucht schon Yoga, um mal so richtig runterzukommen? Ich brauche nicht mal Jogi. Kleeblatt Fürth, Darmstadt 98 oder der VfB Gaggenau tun’s auch.

Und weil das alles so ist, wie es ist, und alles so schön einfach sein könnte mit uns und dieser ungeheuer praktischen Sportart, ist es ein umso größerer Graus, mitansehen zu müssen, wie viele Menschen einen Gutteil ihrer wenigen Energie darauf verwenden, so zu tun, als interessiere sie der Fußball auch nur annähernd so stark wie ihre eigene Affektiertheit. Würde es sich bei dem, was aus der Peripherie des Fußballs herausgewachsen ist, nur um ein Trittbrett handeln es wäre gar nicht der Rede wert. Doch die Sache ist ernster, wie ein Blick auf die Haupttribüne eines x-beliebigen Bundesligastadions verrät. In Kaiserslautern, Wolfsburg oder Freiburg mag es angesichts der notorischen Prominentenarmut ein wenig erträglicher sein. Doch andernorts, wo die Promidichte so hoch ist wie die Gewinnspanne der Koks-Dealer wirkt der Fußball wie ein Magnet auf all die gelangweilten Blitzlicht-Groupies aus Glitter-Town.

Hier finden sich all die Industriebosse, Berufs-Tussen und Serienstars auf den Tribünen, die man in höchster Panik wegzappt, wenn sie einem abends aus dem Fernsehapparat entgegengrinsen. All die Stoibers, Hundts, Ferresse und Markworts. Und der Schlimmste von allen: Der Exkanzler, der schon Schals von Hannover 96, Energie Cottbus, Dortmund UND Schalke trug und stolz auf die Freundschaft zu einem Mann ist, der jüngst als lupenreiner Wahlfälscher mit 99-Prozent-Ergebnissen in Altersheimen und psychiatrischen Kliniken überführt wurde.

Sie alle finden es toll in der AWD- oder Allianz-Arena, wo sie die Leute treffen, auf deren Fincas sich so schön Urlaub machen lässt. Jeden Sommer treffen sich Großburgwedel und Starnberg auf Mallorca. Es sei den Spaniern gegönnt, dass sie irgendwann wieder zurückkommen. Für uns hat das allerdings den Nachteil, dass sich dann die Haupttribünen wieder mit unangenehmem Volk füllen.

In München ist die Pressetribüne oberhalb der teureren Plätze. Viele der Leute, die darunter sitzen, interessiert bei einem Fußballspiel offenbar vieles nur nicht das Fußballspiel. Da ist ein Getratsche und Gerenne, ein Sich-Unterhalten und Geschminke, als würde in der Brache von München-Fröttmaning gerade mindestens „Sex and the city“ gedreht. Dabei spielt nur Bayern gegen Kaiserslautern. Und so gleichgültig einem Holger Badstuber oder Florian Dick auch sein mögen plötzlich ist man großmütig bereit, sie zu denen zu zählen, die wegen der Sache da sind, um die es eigentlich gehen sollte. So sehr sich Uli Hoeneß und die Ultras von der Schickeria auch bekabbeln mögen in dem, was sie am Fußball ablehnen, sind sie sich wahrscheinlich ähnlicher, als beiden Parteien lieb ist.

Vielleicht könnte man mit Gelassenheit über sie hinwegsehen, über all die Lackaffen, die eine halbe Stunde nach Anpfiff zu ihrem Platz schlendern, mit hohlem Blick aufs Spielfeld und mit geierartigem auf die Sitzreihen der anderen Wichtigen schauen. Es gibt Menschen, die wirken sympathischer, wenn sie fluchen als andere, wenn sie lächeln. Zum-Fußball-zu-spät-Kommer lächeln immer. Wirklich widerwärtig macht die Szenerie allerdings nicht deren Blasiertheit. Widerwärtig ist die proletarische Attitüde, die in Deutschland nichts so sehr zu verleihen scheint wie der Nachweis eines Lieblingsvereins. Fußball passt deshalb bestens in die Karriereplanung all der Windbeutel, die jede Aussage auf ihre Massenkompatibilität ausrichten. Brav bekennen sie dann ihre Liebe zur Currywurst. Und die Stimmung auf den Stehrängen finden sie auch prima. Vorausgesetzt, die Personenschützer finden den Weg zur Tiefgarage, der den Dienstwagen vom Pöbel abschirmt.

Doch das Trittbrett ist damit noch längst nicht voll. Da wäre ja noch die Werbewirtschaft, deren kreative Köpfe sich offenbar auch gerne auf VIP-Tribünen herumtreiben. Und wenn es nur der VIP-Bereich von Bayern Alzenau ist.

Ein x-beliebiger Werbekatalog, herausgezogen aus der sonntäglichen Gratiszeitung. Bei Edeka, erfahre ich, wird gegrillt. Das Schweinehalsstek mit Senf- und Paprika-Marinade heißt heuer „Gelbe“ und „Rote Karte“, der „magere Schweinerücken wellenförmig aufgespießt und grillfertig mariniert“ wurde „La Ola-Welle“ getauft, die „Rouladen“ aus dem Schweinerücken heißen wie denn auch sonst? „Eckfahne“. Für wie blöd halten die Werbefuzzis die Leute denn? Oder gibt es wirklich jemanden, der an der Fleischtheke „100 Gramm Salami und drei Eckfahnen“ bestellt, „die Eckfahnen aber mit viel Füllung“?

Und dann wäre da noch das Feuilleton. Diese Republik scheint ein Bedürfnis nach Überhöhung zu haben. Aber muss es immer der Fußball sein, der es befriedigt? Vor Kurzem lief eine Sendung, die sich darüber Gedanken machte, dass es die Bundesrepublik Deutschland nun schon seit mehr als 60 Jahren gibt. Was denn den Passanten so zum Thema Bundesrepublik einfalle, wollte man wissen. Ein Rentner pries die Schönheiten der Landschaft, eine ältere Dame erwähnte den erfreulichen Umstand, dass nun schon seit 60 Jahren Frieden herrsche. Und dann kam sie, die Schülergruppe, die „WM 2006 Sommermärchen“ in die Kamera schrie. Wenn Menschen beim Gedanken an das Land, in dem sie wohnen, nicht an Goethe, Beethoven oder Roland Pofalla denken sondern an ein Fußballturnier im eigenen Lande, sollte der Bildungsbürger unbedingt einen gesonderten Gesprächskreis einrichten.

Doch die Sache ist noch viel ernster, wie Bahnreisende jedes Wochenende feststellen können: Da fahren Tausende Rostocker an einem Sonntag nach Freiburg, sonderzugweise Kölner nach Berlin und Münchner nach Bremen, riskieren dabei ernsthafte Probleme mit dem Schuldenberater und existenzielle mit dem Lebenspartner. Und das alles nur, um live dabei zu sein, wenn eine uninspirierte, unfähige und zu aller Niedertracht entschlossene Trümmertruppe 0:4 verliert. Nur weil man diese Ansammlung von Nichtsnutzen an einem ganz schlechten Tag mitten in der Pubertät zu seiner Lieblingsmannschaft erkoren hat. Man kann lange darüber diskutieren, ob die großen Religionsstifter immer so segensreich wirkten. Der Identitätsstifter Fußball tut es jedenfalls nicht.

Dabei reden wir zunächst einmal gar nicht von Menschen wie dem bemitleidenswerten Mann im viel zu engen FC-Köln-Fantrikot, der da in einem „Tagesthemen“-Beitrag neben seiner angehenden Gattin saß und frohgemut zu Protokoll gab, seine Holde wisse, dass er zunächst seinen Verein liebe und sie erst danach komme. Die Frau sah das offenbar umgekehrt genau so und nickte freudig. Auch so können also glückliche Beziehungen gedeihen.

Verlassen wir also die Welt der Mühseligen und Beladenen und wenden uns den Millionen Menschen zu, für die Fußball einfach nur so wichtig ist, dass sie manchmal Dinge tun, wegen derer sie ihre Frauen oder Männer verspotten, die aber ansonsten halbwegs resozialisierbar sind.

Wenden wir uns den Menschen zu, die nur mit deutlich beschwingterem Gang durch die Straßen gehen, wenn ihre Mannschaft gewonnen hat. Die plötzlich einmal ihren nervigen Chef vergessen oder vor lauter Freude beschließen, ihrem Kind mal wieder etwas Schönes mitzubringen. Nur weil eine Mannschaft in Rot gegen eine in Blau gewonnen hat. Oder umgekehrt.

Warum rennen Menschen von Panik getrieben aus Konferenzen heraus, weil sie das Ergebnis ihres Klubs erfahren wollen? Warum bettelte und barmte ein Freund seit dem 15. Spieltag, sein Verein möge nach dem 34. Spieltag nicht in die Relegation müssen? Weil er damals im November erfuhr, dass er um den 1. Juni, der Woche der Relegationsspiele herum, Vater werden würde. Und weil er wusste, dass dann eine Entscheidung anstünde, die der Gattin möglicherweise nicht gefallen würde.

Fußball-Laien schauen verwundert, wenn man sie mit einem Buchtitel aus den frühen Neunzigern konfrontiert: „Wenn du am Spieltag beerdigt wirst, kann ich leider nicht kommen“. Fußballfans wissen: Das muss ein gutes Buch sein. Und es geht darin um Fußball.

Wo wir gerade festgestellt haben, wie kindisch, irrational und tölpelig der Fußball uns zuweilen macht, muss eines aber auch mal zu seiner Verteidigung gesagt werden. Es gilt, mit dem gängigen Vorurteil aufzuräumen: Fußball ist nicht völkischer, reaktionärer oder dümmer als andere gesellschaftliche Bereiche was allerdings nicht für den Fußball, sondern gegen die Gesellschaft spricht. Und dennoch: Wer uns Fußballfans unser merkwürdiges Verhalten vorwirft, gerne garniert mit dem mehr als schalen Witz von den 22 Erwachsenen, die sich um einen Ball balgen, ist mir mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit unsympathisch. Zumindest aber tut er mir leid. Denn im Grunde ist es ganz einfach: Mit Fußballfans verhält es sich wie mit anderen Menschen auch: Wer nicht in der Lage ist, sich hin und wieder mit ironischer Distanz von außen zu sehen und sich notfalls komplett lächerlich zu finden, erlebt früher oder später die Stoiberisierung des eigenen Ichs. Das mag zwar immer noch für ein VIP-Ticket in Fröttmaning langen. Aber da bleibt man doch lieber Fußballfan.

Ohne Fußball wär'n wir gar nicht hier

Подняться наверх