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[Volker Backes] Zu viel E in Frankfurt Oft ist der Weg das Ziel, außer beim Stadionbesuch. Dort nimmt man den Eingang, um ans Ziel zu gelangen. Wenn man ihn denn findet.

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Das klang doch nach einem guten Deal: Zwei Freunde mit Kontakt zur Business-Klasse unserer Gesellschaft boten mir an, direkt nach der Arbeit um halb fünf bei ihnen im Auto nach Frankfurt zum Auswärtsspiel mitzufahren. Sie hätten eine Parkberechtigung für die Tiefgarage UNTER dem Stadion, sagten sie, von dort führe für sie dann ein Lift direkt in die Lachs- und Kaviar-Loge und für mich sei es auch nicht weit zum Pöbel in den Fanblock. Das klang bequem und schnell, die fiese Spitze im Tonfall überhörte ich galant. Die Reise mit dem Zug wäre auch zeitlich knapp geworden. Zwanzig nach vier los, zehn Minuten Übergang in Köln, um schließlich gut vierzig Minuten vor Anpfiff um 20:30 Uhr am Frankfurter Hauptbahnhof zu landen. Zu viel unkalkulierbares Risiko, man kennt ja die Bahn und überhaupt. Holger, ein Freund im Frankfurter Exil, mit dem ich mich vor dem Spiel am Stadion treffen wollte, vertraute ebenso wenig auf die Pünktlichkeit der Züge und malte auch gleich ein Horrorszenario aus. „Stell dir vor, wir gewinnen das Spiel und du stehst weinend am Kölner Dom, weil du den Anschlusszug verpasst hast.“

Die Fahrt verlief ohne Zwischenfälle, um kurz vor halb acht folgten wir der Beschilderung zum Stadion. Wir rollten in einer Kolonne in ein Waldstück hinein, was uns nicht weiter befremdete, schließlich hieß die Arena ja mal Frankfurter Waldstadion. Auf einem großen Kartoffelfeld schließlich wies uns ein junger Mann mit einer Leuchtkelle in eine Parklücke. „Wo geht’s denn hier zur Tiefgarage?“, wollte Andi, der Fahrer, wissen. „Weiß nicht“, antwortete der Jungspund, „fragen Sie den Chef dort vorne.“ Der Chef dort vorne zeichnete sich dadurch aus, dass er zwei Leuchtkellen in den Händen hielt. Und er kannte zu unserer Beruhigung auch die Tiefgarage. „Fahren Sie hier geradeaus und dann zweimal links!“ Wir fuhren also geradeaus und dann zweimal links und landeten an einer Kreuzung, an der uns ein Mann mit Megaphon anbellte: „Letzte Parkmöglichkeit, hier rechts ab!“ Andi hielt an und fragte nach der Tiefgarage. „Letzte Parkmöglichkeit, hier rechts ab!“, brüllte Megaphon-Man, man hatte offenbar nur einen Satz in ihn einprogrammiert. Andi fragte nochmals nach der Tiefgarage, dann allerdings folgte eine wenig befriedigende Aussage: „Daran sind Sie vor 200 Metern vorbeigefahren.“

Nun standen wir in einer Einbahnstraße, weshalb die Handlungsanweisung eindeutig ausfiel: „Fahren Sie hier geradeaus und dann zweimal links!“ Wir fuhren also geradeaus und landeten nach nur einmal links um viertel vor acht in einem Stau. Zehn Minuten später waren wir erst zehn Meter weiter. Holger rief an, er sei jetzt am Stadion, wo ich denn mit den Eintrittskarten bliebe. Ich stieg aus und rannte los, weit konnte es ja nicht mehr sein. Nach zehn Minuten rief Holger wieder an.

„Wo bist du?“, fragte er.

„An einer vierspurigen Schnellstraße mit Eisenbahnschienen nebenan“, keuchte ich beim Weiterlaufen.

„An dieser Straße, die durch den Wald geht? Wo wir vor zwei Jahren schon einmal langgelaufen sind?“, fragte Holger nach einer kurzen Denkpause.

„Nein“, entgegnete ich, „kein Wald. Schnellstraße. Wo Schnellstraße, dort in der Regel kein Wald.“

Holger schwieg, dann fragte er: „Kannst du das Stadion schon sehen?“

„Nein“, sagte ich, „aber eine Schnellstraße.“

Holger meinte, in Stadionnähe gebe es keine Schnellstraße, was aber nicht sein konnte, weil ich ja an einer solchen entlang lief. Und das war doch der Weg zum Stadion, oder? Das war er doch, ODER?

„Melde dich wieder, wenn du klarer siehst“, riet mir Holger, es war bereits zehn nach acht. Nach weiteren fünf Minuten erreichte ich eine Straßenbahnhaltestelle mit der Aufschrift „Stadion“. Holger fand das ebenso super wie ich.

„Ich stehe am Haupteingang“, sagte er durch das Telefon. Und: „Bis gleich.“

Um 20:20 Uhr erreichte ich den Haupteingang. Holger war nicht da. Etwas nervös rief ich ihn an.

„Ich stehe rechts vom Haupteingang neben der Telefonzelle, und du?“, schrie ich in den Hörer. Holger schwieg kurz.

„Telefonzelle?“, fragte er.

„Ja“, sagte ich, „eine Zelle mit Telefon zum Telefonieren. Telefonzelle eben.“

„Hier ist keine Telefonzelle“, meinte Holger, „kannst du das Stadion sehen?“

Nein, konnte ich nicht, war mir in der Aufregung gar nicht aufgefallen.

„Wo um alles in der Welt bist du?“, fragte Holger, ich fragte mich das langsam auch. Ich las ihm die Aufschrift über dem Torbogen vor: „Haupteingang E1.“

Ich hörte Holger tief atmen, dann sagte er: „Hier steht Haupteingang E5.“ Als numerisch geschulte Mitteleuropäer schlossen wir an dieser Stelle: Haupteingang ist nicht gleich Haupteingang in Frankfurt, denn E5 ist vier mehr als E1. Ich wandte mich an einen Ordner.

„Wie komme ich zu Eingang E5?“, fragte ich. „Mein Kumpel steht da und ich habe seine Karte.“

„Wo sind wir denn hier?“, fragte der Ordner.

Ich fand diese Gegenfrage ungewöhnlich für einen Ordner, schließlich nahm ich an, dass seine Hauptaufgabe darin bestand, Ordnung zu schaffen und dabei stets zu wissen, wo er sich befindet.

„E1“, sagte ich, „und ich will zu E5.“

„Wo müssen Sie denn hin?“, fragte der Ordner.

„Zu E5“, sagte ich.

„Hier ist E1“, sagte der Ordner, „E5 ist die andere Seite.“

„Ach so“, sagte ich.

„Zeigen Sie mir mal Ihre Karte“, sagte der Ordner.

Ich zeigte sie ihm, darauf stand: Osttribüne.

„Osttribüne“, sagte der Ordner.

„Weiß ich“, sagte ich, „wo sind wir denn hier?“

„E1“, antwortete der Ordner, ich hätte es wissen müssen. Ich fragte nochmals nach dem Weg zu E5.

„Sie müssen Osttribüne“, sagte der Ordner.

„Ich will nach E5“, beharrte ich.

„Osttribüne ist da“, sagte der Ordner und zeigte in eine sehr entfernt wirkende Richtung. „Und E5?“, fragte ich.

„E5 ist da“, zeigte der Ordner, aber schon für den Laien war klar erkennbar, dass es sich um ein anderes Da handelte.

„Wie viele E hat denn Osttribüne?“, fragte ich den Ordner, doch der verstand mich nicht. „Sie müssen außen herum“, wies er mich an, dabei beschrieb sein linker Arm einen für meine Begriffe zu großen Kreis.

„Dauert eine halbe Stunde“, meinte er.

Halbe Stunde hatte ich schon lange nicht mehr, ich konnte Holger auch durch den Telefonhörer wimmern hören. „Die Mannschaftsaufstellungen werden gerade durchgegeben.“

„Kann ich nicht auch hier quer durchgehen?“, fragte ich den Ordner und zeigte auf den Eingang E1.

„Wenn Sie eine Karte haben, schon“, sagte der Ordner.

„Wenn Sie mir meine Karte zurückgeben“, erklärte ich dem Ordner und zeigte auf das sich langsam wellende Stück Papier in seiner Hand, „dann habe ich eine Karte.“

Ich rannte fünf Minuten durch ein Waldstück, dann endlich sah ich das Stadion. Ich fragte einen Ordner nach E5. Er überlegte eine Weile, dann zeigte er in die Richtung, aus der ich kam, ich drohte durchzudrehen. Ich lief in die entgegensetzte Richtung weiter und landete schließlich an der Innenseite eines Tores.

„Was ist das hier?“, brüllte ich einen Ordner an.

„Ein Tor“, brüllte der Ordner zurück, ich war an einen Scherzkeks geraten.

„Wie heißt das Tor?“, brüllte ich den Ordner an.

„Weiß nicht“, brüllte der zurück, „vielleicht Walter.“

Als Holger und ich unsere Plätze erreicht hatten, lief das Spiel schon mehr als eine Viertelstunde. Unsere Mannschaft rannte orientierungslos in der Gegend umher wie Goldhamster ohne Schlittschuhe in einer Eissporthalle. Das Spiel ging mit 2:1 verloren. Vielleicht hatte man das Team zur allgemeinen Verunsicherung auch zu Fuß ins Stadion geschickt. Es gibt einfach zu viel E in Frankfurt.

Ohne Fußball wär'n wir gar nicht hier

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