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3 Einfache Worte, große Wirkung – Die Kraft der Sprache

Auch eine schwere Tür hat nur einen kleinen Schlüssel nötig.

(Charles Dickens)

Ein freundlicher Umgang mit Patienten, Angehörigen und auch in der Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen ist sehr wichtig. Dieser Punkt wird im Folgenden, insbesondere unter kommunikationspsychologischen Aspekten, genauer betrachtet. Wenn wir uns die Kraft der Sprache zunutze machen, können wir die Wahrnehmung von Patienten und Angehörigen in Bezug auf diesen Punkt positiv beeinflussen. Einfache Kommunikationstechniken und eine bedachte Wortwahl können dabei helfen, als freundlich, höflich und zuvorkommend wahrgenommen zu werden. Gezielte Formulierungen erhöhen die Motivation und Kooperationsbereitschaft der angesprochenen Person, sodass für alle Beteiligten eine bessere Atmosphäre entsteht. Gleichzeitig können Konflikte entschärft und sogar vermieden werden. Auf der anderen Seite gibt es Worte oder Sätze, die genau das Gegenteil bewirken. Unser Gegenüber hält uns für unverschämt und grob. Er empfindet uns als distanzlos und übergriffig. Solche Formulierungen wirken demotivierend, führen zu Streitigkeiten und verursachen Stress für beide Seiten.

3.1 „Sie müssen zum Röntgen“

Sie müssen jetzt sehr aufmerksam sein. Außerdem müssen Sie konzentriert weiterlesen. Anschließend müssen Sie eine Übung machen…

Was haben diese Sätze gerade bei Ihnen ausgelöst? Gibt es etwas, das aus Ihrer Sicht an diesen Formulierungen nicht in Ordnung ist? Haben Sie unter Umständen inneren Widerstand verspürt?

Wenn ich einen Seminarteilnehmer direkt anspreche und sage, er müsse jetzt nach vorne kommen, erlebe ich immer wieder das gleiche Reaktionsmuster. Die angesprochene Person verdreht die Augen, bleibt zögerlich sitzen und verschränkt im Extremfall sogar die Arme und antwortet: „Ich muss gar nichts! Sie haben vorhin gesagt, dass hier alles freiwillig ist.

Dahinter verbirgt sich ein einfaches und dennoch nicht ganz triviales Prinzip. Menschen mögen es nicht, wenn sie gesagt bekommen, dass sie etwas tun müssen. Die Aussage „Sie müssen jetzt …“ ist ein Befehl und impliziert, dass die angesprochene Person auch dazu gezwungen werden kann, sofern sie nicht reagiert bzw. kooperiert. In diesem Zusammenhang wurde in einem Krankenhaus ein sehr spannendes Experiment durchgeführt. Die Pflegekräfte des Klinikums sind in die Patientenzimmer gegangen und haben vorgegeben, Patienten zu einer Untersuchung abholen zu wollen. Dabei wurden typische Formulierungen wie „Sie müssen jetzt zum Röntgen“ oder „Sie müssen zur Therapie“ verwendet. Was glauben Sie, waren typische Reaktionen der Patienten auf diese Aufforderung?

Eine Vielzahl der Patienten reagierte intuitiv mit Widerstand: „Ich muss erst noch auf Toilette“ oder „Ich muss noch zu Ende essen“. Die Patienten stellten zuerst ihre Autonomie unter Beweis. Sie machten „ihr eigenes Ding zu Ende“ bevor sie bereit waren, der Aufforderung zum Mitkommen nachzukommen. Außerdem erkundigten sich die Patienten regelmäßig, warum dies ausgerechnet jetzt passieren müsse.

Mithilfe von Stoppuhren wurde die Reaktionszeit der Patienten festgehalten, also die Zeit von der Aufforderung bis hin zu dem Zeitpunkt, wo sie zum Mitkommen bereit waren. Die durchschnittliche Reaktionszeit lag bei einer Minute und 16 Sekunden. So weit so gut. Alleine betrachtet ist dieses Ergebnis nichts Besonderes. In der Folgewoche wurde bei dem Versuch jedoch eine kleine Änderung vorgenommen. Die Pflegekräfte wurden darum gebeten, bei der Abholung der Patienten auf das Wort müssen zu verzichten. Bitte stellen Sie sich für einen kurzen Moment vor, dass es Ihre Aufgabe ist, einen Patienten zu einer Röntgenuntersuchung abzuholen, ohne dieses Wort zu verwenden. Wie würden Sie das formulieren? Bitte schreiben Sie zwei mögliche Alternativen auf, bevor Sie umblättern.

1.

2.

Mögliche Formulierungen lauten:

- Bitte kommen Sie jetzt zum Röntgen.

- Ich hole Sie zum Röntgen ab.

- Die Röntgenabteilung hat angerufen. Sie können jetzt kommen.

- Sie haben jetzt einen Termin beim Röntgen. Die warten schon auf Sie…

- Sie dürfen jetzt zum Röntgen.

- Sie können jetzt zum Röntgen.

- Würden Sie jetzt zum Röntgen mitkommen?

- Könnten Sie jetzt mitkommen?

- Wären Sie so freundlich und …?

Finden sich Ihre Antworten hier wieder? Es wird schnell deutlich, dass es eine große Bandbreite möglicher Alternativen gibt. Um die Vergleichbarkeit in dem Experiment gewährleisten zu können, einigten sich die Pflegekräfte darauf, die Patienten mit der ersten Alternative abzuholen („Bitte kommen Sie jetzt zum Röntgen“). Glauben Sie, dass es hierdurch eine Veränderung in der Reaktionszeit der Patienten gab?

Die Ergebnisse sind sehr beeindruckend. Die Patienten reagierten durchschnittlich schon nach 28 Sekunden, also nahezu dreimal schneller! Die neue Formulierung hat dabei zwei Effekte:

1. Es klingt schlichtweg freundlicher, wenn wir einen Patienten darum bitten mitzukommen, anstatt ihm einen Befehl zu erteilen.

2. Es beschleunigt Prozesse und erleichtert die Arbeit, da es nicht mehr so schnell zu unnötigen Diskussionen kommt.

In den vorgestellten Alternativen stecken allerdings noch weitere Stolperfallen, die es zu berücksichtigen gilt. Einige der Alternativen sind deutlich zielführender als andere, wie Sie im Folgenden erkennen werden.

3.2 Klare Aussagen treffen & Weichmacher vermeiden

An dieser Stelle möchte ich auf einen Unterschied zwischen Männern und Frauen hinweisen, der häufig in Seminaren deutlich wird. Eine vielfach genannte Alternative zu „Sie müssen zum Röntgen“ lautet „Könnten Sie jetzt mitkommen?“ oder „Würden Sie jetzt zum Röntgen kommen?“. Vielleicht haben Sie diese Formulierung auch benutzt? Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass aus der Aufforderung plötzlich eine Frage wird.

Es wird Frauen häufig unterstellt, dass sie geschwätziger als Männer sind und mehr Wörter benötigen, um den gleichen Sachverhalt zu beschreiben. Das ist allerdings nur ein Klischee. Forschungsergebnisse deuten sogar auf das komplette Gegenteil hin. In Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Männer je nach Kontext deutlich häufiger und länger reden.9 Frauen sprechen lediglich anders und haben eine Tendenz zur sog. indirekten Ansprache. Sie nutzen bis zu sechs Mal häufiger Wörter wie könnte, würde, sollte, eigentlich, vielleicht, eventuell 10 und neigen eher dazu, Aufforderungen als Fragen zu formulieren.11 Männer verstehen Fragen jedoch häufig nur als Fragen. Das führt regelmäßig zu Diskussionen, aber nicht zur Umsetzung. Dieses Phänomen kennen die meisten sicherlich aus Ihrem Alltag. Hierzu ein einfaches Beispiel:

Sie:Schatz, kannst du mal den Müll rausbringen?
Er (Variante 1):Nein, ich habe gerade keine Zeit.
Er (Variante 2):Ja, kann ich.“ (Er tut es aber nicht)

Bei Variante zwei wird schlichtweg die Frage beantwortet. Natürlich kann er den Müll rausbringen. Das heißt aber noch lange nicht, dass er es auch tatsächlich tut. Die meisten Männer, mich eingeschlossen, kennen dieses Spielchen nur allzu gut. Wenn ich abends mit meiner Frau Marie vor dem Fernseher sitze und Lust auf Chips bekomme, frage ich sie: „Schatz, sind noch Chips da?“ Wissen Sie, was meine Frau jetzt macht? Sie steht auf und sagt: „Ich gehe mal gucken.“ Wenn sie mich allerdings 20 Minuten später fragt, ob wir noch Schokolade haben, antworte ich: „Keine Ahnung, du kannst ja mal nachschauen.“ Man könnte diese Antwort durchaus als machomäßig empfinden. Letztendlich beantworte ich jedoch einfach nur ihre Frage.12

Was bedeuten diese Überlegungen, übertragen auf die Arbeit im Krankenhaus? Angenommen, Sie fragen einen Patienten, ob er so nett ist, mal eben ein Formular auszufüllen. Die meisten werden dieser Bitte nachkommen. Es bleibt jedoch dieses große Fragezeichen: „Warum soll ich das jetzt ausfüllen? Benötigen Sie das auf der Stelle von mir? Oder kann ich Ihnen das auch später ausgefüllt wiedergeben?“ Es ist in unserer Kultur und in der Art miteinander zu sprechen ein Irrglaube, dass eine ganz besondere Form von Freundlichkeit darin bestünde, Aufforderungen in sog. Zuckerwatteformulierungen zu verpacken („Wären Sie so nett und könnten Sie vielleicht, wenn das mal irgendwie zwischendurch passt…“). In diesem Zusammenhang kommen weitere Faktoren zum Tragen. In der einschlägigen Literatur zur Kommunikationspsychologie wird darauf hingewiesen, dass ungefähr 58% des Gesagten ausschließlich über unsere Körpersprache transportiert wird. Weitere 34% werden durch die Mimik übertragen, wohingegen lediglich 8% über den tatsächlich ausgesprochenen Inhalt vermittelt wird.13 Stellen Sie sich zur Verdeutlichung einen Redner vor, der mit runterhängenden Schultern, betrübtem Blick und stark gedämpfter Stimme vor sein Publikum tritt und sagt: „Ich freue mich wirklich sehr darüber, hier zu sein.“ Würden Sie ihm das abkaufen? Mit hoher Wahrscheinlichkeit eher nicht. Er spricht zwar davon Spaß zu haben, jedoch schreiben wir seiner Mimik und Körperhaltung in dieser Situation mehr Bedeutung zu. Diese signalisiert das komplette Gegenteil. Es kommt also neben der richtigen Wortwahl auch immer auf die Art und Weise an, wie eine Aussage vermittelt wird

Für eine sinnvolle und effektive Kommunikation ist es entscheidend, dass alle drei Kommunikationskanäle (Körpersprache, Mimik, Inhalt) deckungsgleich sind. Freundlichkeit und Klarheit stehen dabei in keinem Widerspruch zueinander. Wir können anderen Menschen gegenüber klar und deutlich unsere Wünsche und Erwartungen äußern, ohne dabei unfreundlich oder gar forsch zu wirken. Und das untergräbt nicht unsere Autorität. Im Gegenteil – es unterstreicht sogar Souveränität. Eindeutige und klare Aussagen helfen gegenseitiges Verständnis aufzubauen. Formulieren Sie daher Aufforderungen nicht als Fragen, sondern als Bitten. Vermeiden Sie sog. Weichmacher in der Sprache. Beispiele hierfür sind:

könnte würde sollte mal

vielleicht eigentlich eventuell man

Weichmacher werden natürlich auch von Männern benutzt, allerdings lassen sie sich tendenziell eher bei Frauen beobachten. Es ist wichtig zu erkennen, dass man bei der Verwendung dieser Wörter jedes Mal ein Stück Klarheit einbüßt und Raum für Interpretationen öffnet. Dadurch können Missverständnisse und schwierige Situationen entstehen. Bezogen auf das Röntgenbeispiel könnte durch einen Weichmacher folgender Dialog entstehen:

Mediziner:Frau Fröhlich, würden Sie jetzt zum Röntgen kommen?
Frau Fröhlich:Nein, jetzt gerade nicht.
Mediziner:Aber Sie haben jetzt einen Termin.
Dort wird bereits auf Sie gewartet.“ (siehe Seite 28)
Frau Fröhlich:Warum fragen Sie mich denn dann überhaupt?!

Merken Sie, wer jetzt gerade den Raum betreten hat? Der Konflikt!

Weichmacher sind immer dann problematisch, wenn sich die Frage nach JA oder NEIN bzw. A oder B gar nicht stellt. Die Röntgenabteilung hat ein vorgegebenes Zeitfenster für die Untersuchung. Der behandelnde Arzt wartet bereits auf die Untersuchungsergebnisse. Es spielt keine Rolle, ob der Patient Lust zum Mitkommen hat oder nicht. Wenn Sie möchten, dass er mitkommt, ist eine klare und unmissverständliche Ansprache zielführender. Suggerieren Sie keine Wahlmöglichkeiten, wenn es gar keine gibt.

Ein weiterer Klassiker in diesem Zusammenhang ist die Kommunikation am Telefon. Ein Angehöriger ruft auf Station an mit der Bitte, den Oberarzt sprechen zu dürfen. Daraufhin wird er gefragt, ob er in 15 Minuten noch einmal anrufen könne. Die Antwort lautet: „Nein, ich will den Arzt sofort sprechen!“ Diese unangenehme Situation wird umgangen, wenn wir dem Anrufer kurz erklären, dass der Arzt derzeit beschäftigt ist: „Bitte rufen Sie in 15 Minuten noch einmal an.“ Er wird dieser Aufforderung eher nachkommen, weil wir ihm gar keine Möglichkeit zur Verneinung einräumen. Wir öffnen keine Tür für Diskussionen.

Grundsätzlich ist es im Umgang mit Patienten und Angehörigen sehr hilfreich, wenn sie in Entscheidungsprozesse mit einbezogen und ihnen somit Wahlmöglichkeiten einräumt werden.14 Patienten erwarten sogar von Medizinern in Hinblick auf ihre Behandlung und Betreuung eine Beteiligung an Entscheidungsprozessen.15 Das ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn das Gegenüber tatsächlich eine Wahlmöglichkeit hat. Ein einfaches Beispiel hierzu ist die Frage während der Menüerfassung, ob der Patient lieber Kartoffeln oder Reis essen möchte. Man kann diese Frage nur stellen, wenn man auch tatsächlich Reis und Kartoffeln im Angebot hat. Wenn man ihm beides anbieten kann (und möchte), ist die Frage legitim. Wenn sich die Frage nach JA oder NEIN bzw. A oder B aber eben nicht stellt, ist es besser eine Aufforderung als Bitte zu formulieren. Auf diese Weise können unangenehme Situationen wie in den nachfolgenden Erfahrungsberichten vermieden werden.

Bei der Gruppentherapie in einer Rehaklinik sollten sich die Patienten für eine Gymnastikübung im Raum verteilen. Ein Physiotherapeut wandte sich an einen Patienten und fragte ihn: „Könnten Sie noch ein bisschen rücken?“ Daraufhin antwortete dieser: „Nee, ich stehe hier gut.“ Hierdurch entstand für alle Beteiligten eine schwierige Situation. Der Patient hatte seinen Widerwillen bereits verbal zum Ausdruck gebracht. Versuchen Sie jetzt einmal, ihn vor den Augen der ganzen Gruppe davon zu überzeugen, seine Position zu wechseln. Ein Praxisanleiter der gleichen Rehaklinik war mit einem Pflegeschüler zum Blutabnehmen im Patientenzimmer. Der Schüler fragte den Patienten, ob er ihm Blut abnehmen dürfte. Der Patient verneinte die Frage, da er jeden Moment Besuch bekäme. Der Schüler war daraufhin irritiert und wollte eine Diskussion mit dem Patienten eingehen. Der Praxisanleiter intervenierte und verließ gemeinsam mit dem Schüler das Zimmer. Anschließend erklärte er ihm, dass die Reaktion des Patienten in der Art der Kommunikation begründet war. Schließlich habe er den Patienten soeben gefragt, ob er einverstanden sei. In diesem Fall ist es nicht verwunderlich, wenn ein Patient sein Einverständnis unter Umständen verweigert. Dementsprechend ist es ebenfalls unklug, Angehörige bei einer bevorstehenden Untersuchung zu fragen, ob sie vor der Tür warten können. Es kann schnell passieren, dass Angehörige auf diese Frage mit Unverständnis reagieren, da sie gerne im Zimmer bleiben möchten. Zur Vermeidung unnötiger Diskussionen ist es besser, Angehörige mit einer klaren Bitte aufzufordern, den Raum während der Untersuchung zu verlassen oder alternativ den Ablauf kurz zu erklären: „Nach der Untersuchung können Sie wieder reinkommen.

Diese Überlegungen beschränken sich nicht nur auf die Arbeit im Krankenhaus. Bei der Vorbesprechung für eine Schulung saß ich gemeinsam mit einem Personalentwickler und dem Geschäftsführer in einem Besprechungsraum. Während wir noch ein wenig Small-Talk halten, bereitet eine junge Frau die Unterlagen vor und baut die Technik auf. Als sie fertig ist und sich beim Hinausgehen der Tür zuwendet, richtet der Geschäftsführer das Wort an sie und fragt: „Könnten Sie uns noch einen Kaffee machen?“, woraufhin sie lediglich antwortet: „Nein, das ist nicht meine Aufgabe.“ Auch in diesem Beispiel handelt es sich um ein klassisches Missverständnis. Hinter der Aussage des Geschäftsführers verbirgt sich in Wahrheit keine Frage, sondern ein Arbeitsauftrag (siehe Kapitel 5). Der Geschäftsführer wirkte aufgrund ihrer Antwort mindestens irritiert und war sichtlich verärgert über die Unverfrorenheit seiner Mitarbeiterin. Die junge Frau hingegen verstand die Frage lediglich als Frage und beantwortete sie nach bestem Wissen und Gewissen. Sie hat sich vermutlich nichts Böses dabei gedacht.

Bei der Vergabe von Arbeitsaufträgen sind Sätze wie: „Man sollte mal wieder …“ oder „Eigentlich wäre es gut, wenn …“ ebenfalls völlig diffus. Wer ist „man“? Außerdem stellt sich durch die Verwendung des Wortes „mal“ die Frage, zu welchem Zeitpunkt das Ganze überhaupt passieren soll. Durch diese Weichmacher wird sowohl die personelle Verantwortung als auch die zeitliche Komponente unklar kommuniziert. Das gleiche Prinzip kann auf viele Alltagssituationen übertragen werden. Der Ehemann sagt zur Ehefrau: „Schatz, eigentlich sollte man mal den Rasen mähen?!“ Es mögen die Diskussionen beginnen. Klare Aussagen führen hingegen zur Umsetzung und signalisieren dem Gesprächspartner unsere Wertschätzung. In einer Schulung vor ein paar Jahren fiel einer Teilnehmerin auf, dass sie Kollegen regelmäßig zum Mitkommen auffordert, indem sie fragt „Magst du vielleicht mal eben mitkommen?“ Sie gab mir die Rückmeldung, dass sich diese Formulierung anhöre, als spreche sie mit einem sechsjährigen Kind. Eine klare Kommunikation auf Augenhöhe sieht anders aus bzw. hört sich anders an.

Im Rahmen der Kindererziehung kommen diese Gedanken ebenfalls zum Tragen. Im Umgang mit unserem Sohn habe ich bei mir und meiner Frau ein neues, sehr interessantes Kommunikationsmuster festgestellt. Wer selbst Kinder hat, ist sich sicherlich der Tatsache bewusst, dass man mit dem Nachwuchs eine etwas andere Art des Sprechens entwickelt – Sie wissen, was ich meine?! Hierzu folgende Situation: Um 18 Uhr gibt es bei uns Abendessen. Zu dieser Zeit sitzt unser Sohn oft im Wohnzimmer und ist mit seinen Spielsachen beschäftigt. Es ist uns schon häufiger passiert, dass wir ihn gefragt haben, ob er jetzt zum Abendessen kommen möchte. Postwendend kam seine unmissverständliche Antwort: „Nein, ich will weiterspielen!“ Diese Situation ist ziemlich verrückt, da es überhaupt nicht die Entscheidungskompetenz unseres dreijährigen Kindes ist, ob um 18 Uhr gegessen wird oder nicht. Durch die Frageform machen wir es jedoch (unbewusst) zu seiner Entscheidung. Vergleichbare Situationen setzen sich im Verlauf des Größerwerdens natürlich fort, wenn unter anderem Fragen aufkommen wie: „Könntest du mal endlich dein Zimmer aufräumen?“ oder „Möchtest Du nicht mal langsam mit deinen Hausaufgaben anfangen?“ Durch diese Fragestellungen rennen wir als Eltern direkt in eine Sackgasse. Mittlerweile sind wir zumindest hinsichtlich des Essens dazu übergegangen unserem Kind einfach zu erklären: „Komm bitte, es gibt jetzt Essen.

Praxistransfer

Klare Aussagen machen – Weichmacher vermeiden

Passiert es Ihnen, dass Sie Aufforderungen als Fragen formulieren?

Würde es Ihnen (vielleicht) etwas ausmachen, morgen eventuell ein bisschen früher zu kommen?

Vermeiden Sie folgende Weichmacher:

würde, könnte, sollte, man, eventuell, vielleicht, mal, eigentlich

Sagen Sie stattdessen, was Sie tatsächlich wollen. Dann werden Ihre Aufforderungen eher befolgt. Sie sparen Zeit und vermeiden Missverständnisse.

Menschen agieren häufig implizit, weich und zurückhaltend, weil man fälschlicherweise annimmt, dies sei besonders höflich. Es gilt jedoch immer: Der Ton macht die Musik. Insofern möchte ich noch einmal hervorheben, dass Freundlichkeit und Klarheit in keinem Widerspruch zueinander stehen. Das Motto lautet „Bitten statt Fragen“. Probieren Sie es aus, Aufforderungen als Bitten zu formulieren und sie werden an der Körpersprache Ihres Gegenübers merken, dass er sich deutlich entspannt. Klare Aussagen vermitteln Kompetenz und Selbstbewusstsein.

Das war jedoch nur der erste Streich, der zweite folgt sogleich. Es existieren noch weitere Möglichkeiten für mehr Motivation und Kooperationsbereitschaft. In vielen Kliniken erhalten Patienten beispielsweise zur Kennung ein Patientenarmband. Die Frage „Darf ich Ihnen das Armband anlegen?“ kann dazu führen, dass der Patient die Frage verneint. Eine bessere Methode besteht darin, ihm eine kurze Erklärung zu geben, welchen Zweck das Armband hat, um es anschließend einfach anzulegen. Neben der Vermeidung einer Frage steckt dahinter eine weitere, sehr wirkungsvolle Gesprächstechnik.

3.3 Wieso, weshalb, warum? Überzeugen statt Überreden

Angenommen, wir sind von der Frage „Könnten Sie morgen vielleicht ein bisschen früher kommen?“ abgerückt und formulieren stattdessen eine klare Bitte: „Bitte kommen Sie morgen pünktlich um acht Uhr.“ Diese Aussage ist zwar weniger missverständlich, aber noch nicht verbindlich genug.

Ein bekanntes Prinzip menschlichen Verhaltens besagt, dass wir bei der Bitte um einen Gefallen mehr Aussicht auf Erfolg haben, wenn wir unsere Bitte begründen.16 Wir möchten gerne einen Grund haben, für das, was wir tun. Diese wenig überraschende Tatsache demonstrierte die Psychologin Ellen Langer in einem sehr interessanten Experiment in der Bibliothek einer Universität.17 Eine Versuchsperson trat in die Warteschlage vor einem Kopiergerät. Sie sprach willkürlich eine der wartenden Personen in der Schlange vor ihr an und fragte: „Darf ich bitte vor?

Die Beobachtungen zeigten, dass knapp 26% die Frage mit Ja beantworteten. In einer zweiten Versuchsbedingung am Folgetag wurde eine Kleinigkeit verändert. Die gleiche Versuchsperson ging wieder zu einer willkürlich ausgewählten Person in der Warteschlange. Dieses Mal fragte sie allerdings: „Darf ich bitte vor? Ich habe lediglich fünf Kopien.“ Sie lieferte also eine Begründung dafür, warum sie vorgelassen werden wollte. Glauben Sie, dass dies Auswirkungen auf das Verhalten der angesprochenen Personen hatte? Aber hallo. Die Versuchsperson wurde plötzlich in 60% der Fälle vorgelassen. In einem weiteren Versuch wurde die Begründung noch einmal verstärkt, indem zusätzlich gesagt wurde: „Entschuldigung, ich habe lediglich fünf Kopien. Lassen Sie mich bitte vor, weil ich es sehr eilig habe.“ Bei dieser Formulierung wurde die Versuchsperson sogar in 94% der Fälle vorgelassen! Dieses Ergebnis mag auf den ersten Blick wenig verwunderlich sein. Wenn ein anderer in Eile ist, steigt die Bereitschaft ihn vorzulassen. Zunächst scheint das der einzige Unterschied zwischen den beiden Szenarien zu sein. Dem ist aber nicht so. Der entscheidende Unterschied ist das Wörtchen weil.

Am Folgetag wurde der Versuch mit dem Kopiergerät ein viertes Mal mit einer weiteren Abänderung durchgeführt. Die Versuchsperson sagte diesmal: „Entschuldigung, können Sie mich bitte vorlassen, weil ich etwas kopieren möchte?“ Sie werden wahrscheinlich sofort denken, dass die Person in dieser Versuchsbedingung unter keinen Umständen vorgelassen wurde. Schließlich liefert diese Aussage keinen inhaltlichen Mehrwert, da alle Wartenden kopieren möchten.

Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Aussage „… weil ich etwas kopieren möchte“ nach wie vor eine Begründung darstellt. Im Endergebnis wurden bei dieser Formulierung weiterhin 93% vorgelassen. Dieser Befund zeigt, dass der Inhalt der Begründung – überspitzt formuliert – gar nicht so wichtig ist. Entscheidend ist in erster Linie, dass wir dem Anderen überhaupt eine Begründung liefern, da diese zumeist eine automatische Einwilligungsreaktion auslöst. Es kommt alleine auf das Wort weil an. Das ist der Begründungseffekt.18

Menschen lieben Begründungen. Es ist ein menschliches Bedürfnis, den Grund für einen Sachverhalt zu erfahren. Dies wird auch bei der Beobachtung von Kindern deutlich. Unser Wunsch nach Erklärungen entwickelt sich bereits im Kleinkindalter. Die aktuelle Lieblingsfrage unseres Sohnes lautet: „Warum ist das so?

Praxistransfer

Warum denn nur? Überzeugen mithilfe von Begründungen

Wenn Sie Bitten/Aufforderungen begründen, ist es deutlich wahrscheinlicher, dass andere sie Ihnen auch erfüllen.

(93% statt 26% Zustimmung)

Bitte unterschreiben Sie hier, damit ich Ihren Antrag fertigstellen kann.

In Studien wird außerdem deutlich, dass der Inhalt der Begründung zweitrangig ist:

Am Kopierer: „Darf ich vor? Ich möchte kopieren.“

Ich möchte Sie an dieser Stelle gerne zu einem Selbstversuch einladen. Nehmen Sie sich bei Ihrem nächsten Einkauf eine Dose Cola. Gehen Sie anschließend zur Kasse und fragen Sie Ihren Vordermann, ob Sie vorbeigehen dürfen, weil Sie lediglich diesen einen Artikel haben. Ich verspreche Ihnen, dass Sie in mindestens neun von zehn Fällen vorgelassen werden.

Diese Forschungsergebnisse sind auf den ersten Blick schier unglaublich. Andererseits wird der soeben beschriebene Sachverhalt umso deutlicher, wenn wir die folgenden Alternativformulierungen zu dem Satz „Sie müssen zum Röntgen“ von Seite 28 noch einmal betrachten: „Die Röntgenabteilung hat angerufen. Sie können jetzt endlich kommen“ und „Sie haben jetzt einen Termin beim Röntgen. Die warten schon auf Sie.“ Beide Formulierungen werden in Schulungen regelmäßig von Seminarteilnehmern in den Raum geworfen, ohne dass diese von anderen Teilnehmern kommentiert, geschweige denn infrage gestellt werden. Ferner gehe ich davon aus, dass Sie diese Sätze beim Durchlesen ebenfalls als sinnvoll erachtet haben? Hätten Sie mich auch zum Röntgen abgeholt, wenn dort niemand auf mich wartet? Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass die Aussage „… Die warten schon auf Sie“ auf der inhaltlichen Ebene genauso unsinnig erscheint wie die Aussage „Ich möchte etwas kopieren.“ Der Clou besteht jedoch darin, dass durch den Zusatz „Die warten da auf Sie“ niemand mehr danach fragt, warum er jetzt abgeholt wird. In diesem Fall haben wir unserem Gegenüber das „Warum“ nämlich bereits geliefert.

An dieser Stelle wird nun ein Schuh daraus. Unsere Aufforderungen werden eher befolgt, wenn wir das Wort „müssen“ vermeiden und unsere Aufforderung als Bitte anstatt als Frage formulieren. Außerdem erhöhen wir die Kooperationsbereitschaft unseres Gegenübers, wenn wir zudem begründen, warum wir ein bestimmtes Verhalten von ihm erwarten („Sie müssen zum Röntgen“ versus „Bitte kommen Sie zum Röntgen. Sie haben dort jetzt einen Termin“).

Die Wirkungsweise von Begründungen lässt sich bei der Arbeit mit Seminargruppen ebenfalls sehr gut beobachten. Viele Schulungen beginnen mit der Bearbeitung einer bestimmten Fragestellung in Kleingruppen von drei bis vier Personen. In diesem Fall nehme ich die Aufteilung der Teilnehmer vor, indem ich sie abzähle. Diesen Vorgang leite ich in der Regel mit folgenden Worten ein:

Ich zähle Sie jetzt ab und möchte Sie bitten, dass Sie sich Ihre Nummer merken, damit Sie gleich wissen, mit wem Sie in einer Gruppe sind.

Vor einigen Jahren hatte ich noch eine andere Vorgehensweise. Ich leitete die Gruppenübung mit den Worten ein: „Ich zähle Sie jetzt mal ab.“ Anschließend zählte ich von eins bis drei. Jedes Mal mit dem gleichen Ergebnis:

Es ist Montagmorgen um zehn Uhr. Ich sitze mit zwölf erwachsenen Menschen in einem Seminarraum. Alle Teilnehmer sind hochgradig motiviert und wollen sich beteiligen. Mindestens ein bis zwei Teilnehmer erkundigten sich jedes Mal nach dem Abzählen noch einmal nach ihrer Nummer. Seitdem ich die Begründung hinzufüge („… damit Sie wissen …“), wird nicht mehr nachgefragt. Die Begründung führt zu mehr Transparenz über den Prozess der Gruppenbildung und erhöht die Verbindlichkeit meiner Aussage und damit auch die Aufmerksamkeit der Teilnehmer.

3.3.1 Begründungen können wie Küsse schmecken

In diesem Zusammenhang gibt es eine Königsdisziplin, die in den meisten Fällen ebenfalls anwendbar ist. Machen Sie nach Möglichkeit aus der Begründung ein Geschenk für Ihr Gegenüber. Diese Idee hört sich im ersten Moment vielleicht etwas merkwürdig an. Schauen wir daher noch einmal auf das Beispiel aus der Röntgenuntersuchung. Sie können den Patienten abholen, indem Sie beispielsweise sagen: „Bitte kommen Sie mit zum Röntgen, dann sind Sie für heute auch schon fertig.“ Hiermit wird der Vorteil für den Patienten hervorgehoben. Das erhöht noch einmal die Wahrscheinlichkeit, dass er schneller mitkommt. Es gilt natürlich zu beachten, diese Begründung nur dann zu benutzen, wenn sie inhaltlich tatsächlich der Wahrheit entspricht. Andernfalls ist dieses Vorgehen nicht zu empfehlen.

Ein sehr eingängiges Beispiel dazu findet sich in unserem Alltag: „Sie müssen noch hier unterschreiben.“ Dieser Satz wird in Deutschland sehr häufig angewandt und entspricht dem Klischee des klassischen Beamtendeutsch. Eine Alternative dazu besteht darin, den Privatpatienten (also Selbstzahler) aufzufordern: „Ich benötige hier noch eine Unterschrift, dann können wir den Antrag noch heute an die Krankenkasse verschicken.“ Hieraus kann der Patient schlussfolgern, dass er durch die zeitnahe Versendung des Antrags sein Geld schneller zurückerhält – es entsteht ein Vorteil für ihn.

Ein weit verbreitetes Problem in Krankenhäusern besteht darin, dass mehrere Angehörige gleichzeitig einen Patienten besuchen möchten. Insbesondere in Mehrbettzimmern fühlen sich andere Patienten dadurch gestört. Die daraus resultierenden Diskussionen kosten alle Beteiligten Zeit und Nerven. Ein Krankenhaus in Baden-Württemberg hat sich zur Lösung dieses Problems der Wirkungsmechanismen von Begründungen bedient. Am Eingang wurde ein gut sichtbares Schild mit folgender Aufschrift platziert:

Um die bestmögliche Genesung und ausreichend Ruhe für die Patienten zu gewährleisten, bitten wir Sie, Besuche auf maximal zwei Angehörige zur gleichen Zeit zu beschränken.

Dieser Ansatz ist sehr elegant. Zum einen wird das Geschenk bzw. der Vorteil einer Besucherbeschränkung deutlich – eine bessere Genesung. Zum anderen wird indirekt an das Selbstbild der Angehörigen appelliert. Eine Nichtbeachtung der Regel führt dazu, dass der Patient nicht so schnell gesund wird, wie er eigentlich könnte. Es wundert demzufolge nicht, dass diese Klinik seit dem Aufhängen des Schildes über deutlich weniger Beschwerden wegen zu hoher Besucherzahlen klagt. Es ist einleuchtend, dass kein Angehöriger dafür verantwortlich sein möchte, dass die eigene Mutter oder Schwester länger als notwendig stationär behandelt wird. Das Schild wird selbstverständlich nicht von allen Angehörigen wahrgenommen. Außerdem gibt es weiterhin eine kleine Minderheit, die mit Unverständnis reagiert und versucht, sich darüber hinwegzusetzen. Entscheidend ist jedoch, dass sich insgesamt eine Verbesserung der Situation eingestellt hat. Eine weitere Lösungsmöglichkeit hinsichtlich der Problematik zu vieler Besucher besteht im Übrigen darin, Patienten in einem guten Gesundheitszustand anzubieten, gemeinsam mit ihrem Besuch in die Cafeteria zu gehen. Bei schlechtem Gesundheitszustand können Sie erneut argumentieren, dass eine Aufteilung des Besuchs für eine bessere Genesung sinnvoll ist. Das funktioniert selbst bei Kulturen, wo alle zusammen da sein wollen. Es können schließlich alle gemeinsam zu Besuch kommen. Sie gehen nur eben nicht gleichzeitig, sondern abwechselnd in das Krankenzimmer.

Medizinern ist in aller Regel klar, zu welchem Zweck bestimmte Regeln bestehen bzw. warum gewisse Anordnungen oder Empfehlungen ausgesprochen werden. Man kann jedoch nicht davon ausgehen, dass Patienten und Angehörige diesbezüglich den gleichen Wissensstand haben. Aus diesem Grund sind Erklärungen sehr wichtig. Mithilfe expliziter Begründungen schaffen wir Transparenz und erhöhen damit die Patientenzufriedenheit. Außerdem wird unser Gegenüber kooperativer, wenn wir nicht gegen ihn („Sie dürfen jetzt nicht …“), sondern mit einer Begründung als Geschenk für etwas argumentieren („Wenn Sie diese Regelung einhalten, werden Sie die erste Nahrungsaufnahme besser vertragen“). In diesem Fall spüren Patienten Fürsorge statt Sanktionen. Und zu guter Letzt erhöht sich die Therapietreue. „Sie müssen jetzt die Tabletten einnehmen“ erzeugt Widerstand. Mithilfe der richtigen Wortwahl können wir stattdessen den Fokus auf die Genesung legen: „Wenn Sie die Tabletten jetzt einnehmen, entwickeln diese die beste Wirkung.“ Durch diese Erklärung versteht der Patient die Motivation hinter der Anordnung und kommt ihr schneller nach.

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Warum denn nur? (Teil 2) Begründungen als „Geschenk“

Überlegen Sie, mit welchem Ziel für den Patienten Sie Anordnungen aussprechen.

Verdeutlichen Sie Patienten den Nutzen ihres Handelns:

✓ „Das hilft Ihnen …“

✓ „Damit verbessern Sie … “

✓ „Das erleichtert Ihnen … “

✓ „Damit können Sie schneller … “

✓ „Das bedeutet für Sie mehr … “

3.3.2 Unter Manipulationsverdacht: Wirken und Bewirken

Man könnte diese Gesprächstechnik als hochgradig manipulativ ansehen. Ist es ethisch vertretbar, anderen Menschen Versprechungen zu machen, damit wir schneller das bekommen, was wir uns von ihnen wünschen? Diese Frage kann klar bejaht werden.

Der Begriff einer Manipulation ist grundsätzlich negativ behaftet. Ich definiere Manipulation allerdings als „Zusammenspiel“ von Wirken und Bewirken. In diesem Sinn stellt jede Form der Kommunikation eine Manipulation dar. Losgelöst von Inhalt und Form des Gesagten üben wir mit unserer Sprache immer eine bestimmte Wirkung auf unseren Gesprächspartner aus. Diese Wirkung löst wiederum eine entsprechende Reaktion aus. Insofern „manipulieren“ wir das Gegenüber jedes Mal, sobald wir mit ihm in Interaktion treten. Die bisher angestellten Überlegungen dienen ausschließlich dazu, diese Interaktion für beide Seiten zu verbessern.

Darüber hinaus sind Wertschätzung, Offenheit und Ehrlichkeit elementare Bausteine für eine vertrauensvolle Beziehung zu Patienten und Angehörigen. Zur Verbesserung der Interaktion ist es essentiell, dass bei der Verwendung von Begründungen ausschließlich Versprechen gemacht bzw. Geschenke angeboten werden, die im Anschluss auch tatsächlich umgesetzt werden können. Denn: Vertrauen ist die Summe der eingehaltenen Versprechen.

Das Ziel der hier vorgestellten Techniken besteht darin, Beziehungen aufzubauen, die auf Offenheit und Einfühlsamkeit basieren, sodass sich über kurz oder lang die Bedürfnisse aller Beteiligten besser erfüllen lassen.19 Es geht nicht darum, Menschen und ihr Verhalten zu ändern, damit wir unseren Willen besser durchsetzen können. Losgelöst von diesen Punkten kommt das wichtigste Argument hierzu jedoch von Medizinern selbst. In einer Vielzahl von Erfahrungsberichten aus dem Klinikalltag wird immer wieder darauf hingewiesen, dass sich die Arbeit mit Patienten und Angehörigen durch mehr Transparenz und Verbindlichkeit erheblich verbessern lässt. Patienten und Angehörige sind grundsätzlich sehr daran interessiert, die Gründe für das weitere Vorgehen oder eine bestimmte Aufforderung zu erfahren. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass eine Vielzahl der Patienten in dem Experiment auf die Aussage „Sie müssen zum Röntgen!“ mit der Frage „Warum?“ reagiert haben. Hier wird der Wunsch nach einer Begründung deutlich.

3.4 Gesetzmäßigkeiten der Physik – Druck erzeugt Gegendruck Oder: Was würde Till Eulenspiegel dazu sagen?

An dieser Stelle lade ich Sie zu einem kleinen Experiment ein. Sie benötigen hierfür lediglich eine zweite Person und ein wenig Platz. Stellen Sie sich gegenüber auf. Bitten Sie Ihren Partner den linken Arm auszustrecken und seine Hand im 90 Grad Winkel nach oben zu halten:


Kündigen Sie an, dass Sie gleich mit Ihrer Hand gegen die seine drücken werden. Anschließend beginnen Sie, mit Ihrer Hand zu drücken.

Beobachten Sie, wie Ihr Gegenüber reagiert. Ohne im Besitz einer Glaskugel zu sein vermute ich, dass er den Druck Ihrer Hand erwidert. Woher ich das weiß? In 99 von 100 Fällen passiert genau das im Seminar: Druck erzeugt Gegendruck. Diese Regel gilt nicht nur in der Physik, sondern auch in der Kommunikation. Wenn wir anderen Menschen sagen, dass sie etwas tun müssen, erzeugen wir Druck. „Ich muss gar nichts, außer sterben!“ entspricht dem Gegendruck. Dieser bezieht sich in den meisten Fällen nicht auf den Inhalt, sondern auf die Formulierung.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich an einem heißen Sommertag zu der Direktoriumssitzung eines Klinikums eingeladen war. Dort sollte ich das Konzept für eine Schulungsmaßnahme der Angestellten in der Telefonzentrale vorstellen. Ich kam eine Viertelstunde zu früh und traf aufgrund der hohen Außentemperaturen den Entschluss, schon einmal im klimatisierten Sekretariat der Geschäftsführung vorstellig zu werden. Als ich das Büro betrat, sagte die Sekretärin: „Sie sind zu früh. Da müssen Sie noch einen Moment Platz nehmen!“ Wie Sie sich sicher denken können, bin ich hochgradig sensibel in Bezug auf das Wort „müssen“. Folglich habe ich damals intuitiv beschlossen, das Ganze im wahrsten Sinne des Wortes „durch zu stehen“ und mich unter gar keinen Umständen hinzusetzen. „Ich lasse mich doch nicht wie ein kleiner Schuljunge auf die Bank setzen!“ Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die Stolperfalle in der Formulierung liegt und nicht beim Inhalt. Die meisten Menschen empfinden es als deutlich angenehmer beim Warten zu sitzen. Ich gehöre ebenfalls dazu. Mir passte es nicht, dass ich befohlen bekam, mich hinzusetzen. Das muss ich nämlich nicht. Es ist meine freie Entscheidung.

Dieser Sachverhalt wurde bei einer Wiederholung des Experiments aus Kapitel 3.1 in einer Onkologie verdeutlicht. Hier wurde den Patienten mitgeteilt: „Sie müssen zur Therapie.“ Bei Menschen mit Krebsleiden geht man intuitiv davon aus, dass es relativ belanglos ist, wie sie zum Mitkommen aufgefordert werden, solange sie eine Aussicht auf Schmerzlinderung oder eine Verbesserung ihrer gesundheitlichen Situation haben. Hier kam man jedoch zu dem gleichen Ergebnis wie zuvor. Es dauerte fast dreimal länger, wenn den Patienten gesagt wurde, dass sie zur Therapie mitkommen müssen, als wenn sie stattdessen darum gebeten wurden. Die Formulierung war hier entscheidender als der Inhalt. In der nachfolgenden Tabelle sind Praxisbeispiele von Seminarteilnehmern aufgeführt. Hiermit können Sie Widerstand vermeiden und mehr Transparenz schaffen.

Befehlsformulierung „Sie müssen …“Befehlsfrei + Begründung
Das müssen Sie mit der Ärztin besprechen.Frau Dr. Fröhlich klärt das weitere Vorgehen mit Ihnen ab. Sie weiß dazu am besten Bescheid.
Sie dürfen jetzt nicht raus. Sie müssen noch einen Moment Platz nehmen.Bitte nehmen Sie Platz. Sie haben kurzfristig einen Termin bekommen.
Sie müssen Ihre Medikamente noch einnehmen.Denken Sie an Ihre Medikamente. Sie können damit besser schlafen.
Sie müssen Ihr OP-Hemd noch anziehen.Bitte ziehen Sie das OP-Hemd an, Ihr OP-Termin steht an erster Stelle, d.h. Sie sind in 5 Minuten dran.
Sie müssen noch den Behandlungsvertrag unterschreiben.Sobald Sie den Behandlungsvertrag unterschrieben haben, können die weiteren Untersuchungen beginnen.
Sie müssen das Bein auf der Schiene lassen.Wenn Sie Ihr Bein auf der Schiene lassen, geht die Schwellung schneller zurück.
Aufstehen. Wir müssen Ihr Bett noch machen.Ich möchte Ihr Bett beziehen. Bitte stehen Sie kurz auf, dann haben Sie gleich ein frisches Bettlaken.
Sie müssen auf der Station bleiben.Bei Ihnen steht heute noch eine Untersuchung an. Deshalb bitte ich Sie, auf der Station zu bleiben.
Sie müssen mir (beim Betten) schon ein wenig helfen.Bitte helfen Sie kurz mit, damit Sie sich danach ausruhen können.
Sie müssen in einer Stunde noch einmal anrufen.Bitte melden Sie sich in einer Stunde noch einmal, dann ist Frau Dr. Fröhlich wieder zurück.

Bei der Betrachtung dieser Sätze fällt sofort auf, dass die befehlsfreie Form mit Begründung deutlich mehr Text erforderlich macht. Ist das im hektischen Krankenhausalltag unter Zeitdruck überhaupt umsetzbar? Ich sage hierzu ganz klar: Ja (und mehrere hundert Seminarteilnehmer sagen übrigens das Gleiche!). Die Vorteile für das Verhältnis zu Ihren Patienten, die nachgelagerten Arbeitsprozesse sowie den in der Endabrechnung resultierenden Zeitgewinn überwiegen. Der vermeintliche Zeitverlust, ein paar Sekunden innezuhalten, um die Gelassenheit und die damit verbundenen richtigen Worte zu finden, steht demgegenüber in keinem Verhältnis. Die nachfolgende Geschichte dient zur Illustration dieses Gedankens:

Till Eulenspiegel ging eines schönen Tages mit seinem Bündel an Habseligkeiten zu Fuß spazieren. Auf einmal hörte er, wie sich schnell Hufgeräusche näherten und eine Kutsche neben ihm hielt. Der Kutscher hatte es sehr eilig und rief: „Sag schnell - wie weit ist es bis zur nächsten Stadt?”

Till Eulenspiegel antwortete:Wenn Ihr langsam fahrt, dauert es wohl eine halbe Stunde. Fahrt Ihr schnell, so dauert es zwei Stunden, mein Herr.”

Du Narr”, schimpfte der Kutscher und trieb die Pferde zu einem schnellen Galopp an und die Kutsche entschwand Till Eulenspiegels Blick.

Till Eulenspiegel ging gemächlich seines Weges auf der Straße, die viele Schlaglöcher hatte. Nach etwa einer Stunde sah er nach einer Kurve eine Kutsche im Graben liegen. Die Vorderachse war gebrochen und es war just der Kutscher von vorhin, der sich nun fluchend daran machte, die Kutsche wieder zu reparieren.

Der Kutscher bedachte Till Eulenspiegel mit einem bösen und vorwurfsvollen Blick, worauf dieser nur sagte: „Ich sagte es doch: Wenn Ihr langsam fahrt, eine halbe Stunde…”20

Wie hoch ist der „Zeitverlust“ im ausgesprochenen Wort bei den Sätzen auf der rechten Seite der Tabelle (Befehlsfrei + Begründung) im Vergleich zu den Formulierungen auf der linken Seite? Nehmen wir mal den längsten Satz und gehen von drei bis vier Sekunden aus (in Wahrheit ist es ganz sicher sogar noch deutlich weniger). Bitte führen Sie sich an dieser Stelle noch einmal die Reaktionszeiten der Patienten vor Augen: „Sie müssen zum Röntgen“ – 1 Minute, 16 Sekunden versus „Bitte kommen Sie zum Röntgen, weil dort schon auf Sie gewartet wird“ – 28 Sekunden. Die Zeit, die Sie bei der vermeintlich längeren Formulierung im Vorfeld investieren, erhalten Sie im Gegenzug doppelt und dreifach zurück.

Zur Umsetzung im Klinikalltag hat sich folgende Herangehensweise gut bewährt: Beobachten Sie in den nächsten Tagen kritisch, ob Sie in Ihrem Stationsalltag ein oder zwei klassische Formulierungen mit dem Wort „müssen“ regelmäßig benutzen. Nach der Identifikation dieser Formulierung überlegen Sie sich hierfür eine befehlsfreie Alternative einschließlich einer dazu passenden Begründung. In Studien zur Lerntheorie konnte gezeigt werden, dass Menschen bei den meisten Dingen ungefähr 70 Wiederholungen benötigen, bevor sie zu einem Automatismus bzw. einer Routine werden.21 Wenn wir davon ausgehen, dass Sie Ihre Formulierung (zum Beispiel „Sie müssen noch einen Moment Platz nehmen“ oder „Das müssen Sie mit dem Arzt besprechen“) zehnmal am Tag benutzen, bedeutet das im Umkehrschluss, dass Sie die Alternativformulierung genau eine Woche lang aktiv anwenden, bevor es zu einer Gewohnheit wird. Dann brauchen Sie gar nicht mehr darüber nachzudenken. Sie werden automatisch die neue Formulierung verwenden.

Als ich vor vielen Jahren das erste Mal mit dem Thema der befehlsfreien Sprache in Berührung gekommen bin, habe ich sofort die Entscheidung getroffen, zukünftig mehr darauf zu achten, ohne „müssen“ auszukommen. Ich habe dabei die Erfahrung gemacht, dass man sich eine befehlsfreie Sprache binnen weniger Wochen angewöhnen kann. Dieser Prozess findet in insgesamt vier Schritten statt. Der erste davon wird Ihnen bereits heute oder morgen nach dem Weglegen dieses Buches widerfahren. Sie hören das Wort „müssen“ auf einmal bei anderen Leuten. Dieses Wort ist Alltagssprache und gehört laut verschiedenen Quellen zu den zehn meist genutzten Verben in Deutschland22, ohne dass wir uns eigentlich im Klaren darüber sind, welche Gefühle und Reaktionen wir damit bei anderen auslösen. Danach werden Sie damit beginnen, dieses Wort bei sich selbst zu hören.

In einem dritten Schritt hören Sie es bei sich selbst, bevor Sie es ausgesprochen haben (Sie haben es also lediglich innerlich ausformuliert.). In einem letzten Schritt kommen Sie an den Punkt, dass Sie müssen schlichtweg nicht mehr verwenden. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen versprechen, dass eine bewusste Achtsamkeit dazu führt, dass wir binnen weniger Wochen „müssen“ nicht mehr sagen „müssen“. Ich benutze dieses Wort nur noch zu Beginn einer Schulung, wenn ich wie bereits geschildert „einen Freiwilligen“ nach vorne hole.

Mithilfe der „Befehlsform“ sind kurze und knappe Sätze möglich. Es führt jedoch in die Irre, zu glauben, dass hierdurch auch schnellere Ergebnisse erzielt werden. Wir glauben, dass wir mit dieser Art der Kommunikation Dringlichkeit zum Ausdruck bringen können. Stattdessen findet genau das Gegenteil statt. Es entstehen unnötige Diskussionen, die Zeitverlust und negative Emotionen bei allen Beteiligten zur Folge haben. Ich programmiere23 mein Gegenüber durch diese Wortwahl auf Zwang. Damit löse ich Druck und folglich Widerstand aus. Dieses Phänomen gilt jedoch nicht nur im Umgang mit anderen, sondern auch im Umgang mit uns selbst.

3.5 Ich muss wieder gesund werden!

Wir gehen gedanklich noch einmal zurück zu der Situation aus dem Anfangsbeispiel in Kapitel 2. Sie kommen mit einem Drehschwindel in eine fremde Klinik. Sie betreten die Eingangshalle des Klinikums und kommen an die Information. Dort legen Sie die Überweisung Ihres Hausarztes vor. Der Mitarbeiter am Empfang schaut kurz drauf und sagt:

Da muss ICH mal eben nachfragen.

Welche Botschaft sendet er damit aus?

Wie bereits beschrieben, beinhaltet die Befehlsform Zwang. Das gilt auch bei der Selbstansprache. „Ich muss nachfragen“ hört sich an, als ob eine höhere Instanz mit einer Peitsche über dem Empfangsmitarbeiter steht und ihn zum Nachfragen zwingt. Das ist problematisch, weil Patienten von Medizinern Hilfsbereitschaft erwarten (siehe Kapitel 2). „Ich muss nachfragen“ impliziert, dass ich helfe. Allerdings legt die Aussage gleichzeitig den Schluss nahe, dass meine Bereitschaft dazu eher gering ausfällt. Schließlich muss ich helfen. Um es noch etwas drastischer mit den Worten einer Seminarteilnehmerin auszudrücken:

Ich helfe dir zwar, aber ich habe da ehrlich gesagt gar keinen Bock drauf. Du machst mir gerade Arbeit!

Ein anderes Beispiel: Sie möchten an einem Samstag spontan einen Ausflug machen und beschließen daher, ein Lunchpaket vorzubereiten. Zu Ihrem Entsetzen stellen Sie fest, dass der Kühlschrank vollkommen leer ist. Sie sagen zu sich selbst: „Oh, ich muss noch einkaufen gehen.“ Wie fühlt sich das an? Was macht dieser Gedanke mit Ihnen? Ich für meinen Teil lasse jetzt erst einmal die Schultern hängen, schnaufe vor mich hin und denke, dass es mindestens 20 andere Sachen gibt, auf die ich gerade mehr Lust hätte als in den Supermarkt zu fahren. Diese Unlust ist der innerliche Gegendruck zu der Aussage: „Ich muss noch einkaufen gehen!“ – Druck erzeugt Gegendruck.

Eine Seminarteilnehmerin aus Soest schilderte hierzu ein sehr spannendes Beispiel aus ihrem Klinikalltag. Sie kam in das Zimmer einer Patientin, im Folgenden Frau Müller genannt. Frau Müller lag ihrer Erzählung nach wie ein sprichwörtlich nasser Sack im Bett und murmelte vor sich hin: „Ich muss wieder gesund werden.“ Der eigens auferlegte Druck in der Selbstansprache spiegelte sich in ihrer kompletten Körperhaltung wider. Die Seminarteilnehmerin ging daraufhin zu Frau Müller ans Bett und meinte: „Frau Müller, gehe ich recht in der Annahme, dass Sie wieder gesund werden wollen?!“ Dies wurde von Frau Müller umgehend bejaht. Daraufhin meinte sie: „Frau Müller, wenn Sie gesund werden wollen, dann sagen Sie das doch auch so.“ Die anschließende Beobachtung versetzt mich noch immer ins Staunen, wenn ich anderen Menschen davon erzähle. Frau Müller setzte sich umgehend kerzengerade in ihr Bett und sagte mit einem breiten Lächeln: „Ja, ich will wieder gesund werden.“ Sie nahm aufgrund der veränderten Selbstansprache (Ich will anstatt ich muss) eine völlig neue, bejahende Körperhaltung ein. Der Druck schien völlig von ihr abgefallen zu sein. Hier wird die Wirkung eines einzelnen Wortes auf die Einstellung und die gesamte Körpersprache deutlich. Unsere Wortwahl ist immer Ausdruck der inneren Haltung, die wir zu einem Thema, einer Situation oder einer anderen Person haben. Umgekehrt kann das gesprochene Wort jedoch auch unsere Haltung und Gedanken beeinflussen. Es besteht eine Wechselwirkung.

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle keine Illusionen machen. Das allwöchentliche Bügelritual am Samstagmorgen wird durch den einleitenden Satz „Ich will jetzt endlich bügeln“ ganz sicher nicht zu einem Event der Superlative. Aber es macht einen Unterschied! Jeder kennt den Unterschied der eigenen Motivation, wenn wir etwas tun müssen im Vergleich dazu, wenn wir etwas tun möchten. „Ich muss mal eben nachfragen“ wird mit großer Wahrscheinlichkeit von einer entsprechenden Betonung sowie der dazu passenden Körperhaltung begleitet. Wir haben bereits über die Bedeutung der Körpersprache gesprochen (58%), so dass das Gesamtbild in diesem Fall sicherlich nicht dem entspricht, was wir gegenüber dem Patienten abgeben möchten.

Es ist vollkommen klar, dass jeder von uns im Berufsleben des Öfteren mit Situationen konfrontiert ist, in denen man das Gefühl hat, etwas tun zu müssen. Sei es, weil uns ein Vorgesetzter die Anweisung dazu gegeben hat oder weil ansonsten eine Prozesskette zum Erliegen käme. Es ist jedoch nicht notwendig, Patienten und Angehörigen das auf die Nase zu binden. Sprachlich ist das eine der leichtesten Übungen. Wie kann man den Satz „Da muss ich mal eben nachfragen“ formulieren, so dass Hilfsbereitschaft zum Ausdruck gebracht wird? Richtig: „Ich frage mal eben nach.“ Der Tipp an dieser Stelle ist ganz einfach: Streichen Sie „Ich muss.“ Übernehmen Sie Verantwortung für das, was Sie tun. Bei dieser Alternative sparen Sie sogar ein Wort. Das kann dann bei den Begründungen zusätzlich investiert werden.

Manchmal bieten Seminarteilnehmer sogar an, das Ganze noch mit dem Wörtchen gerne zu „garnieren“ („Ich frage das gerne für Sie nach“). Das ist natürlich Service in Reinkultur – jemand kümmert sich und es wird auch noch gerne gemacht. Ich bin der Meinung, dass dieses Wort nicht inflationär genutzt werden sollte. Ansonsten besteht die Gefahr, dass es wie eine aufgesetzte Floskel wirkt. Unternehmensberatungen vertreten hier den Ansatz, es sei im Sinne einer gepflegten Servicekultur unerlässlich, immer wieder zu betonen, dass etwas gerne gemacht wird. Ich glaube, dass es wichtig ist, diesbezüglich eine goldene Mitte zu finden und authentisch zu bleiben. Entscheiden Sie selbst, wie Sie persönlich damit umgehen möchten.

Praxistransfer

Druck erzeugt Druck – Befehlsfrei vermeidet Widerstand

Formulierungen mit „muss“ klingen nach Zwang.

Das erzeugt unnötigen Widerstand.

Nicht:Sie müssen zum Röntgen.
Besser:Bitte kommen Sie zum Röntgen.
Nicht:Da muss ich erstmal nachfragen.
Besser:Ich frage das gerne für Sie nach.

Streichen Sie „Sie müssen / Ich muss“

9 Vgl. Eakins & Eakins (1987), vgl. Swacker (1976)

10 Vgl. Pease & Pease (2017), vgl. Goodwin & Goodwin (1987)

11 Vgl. Tannen (1993)

12 Meine Frau weiß, dass ich diesen Satz mit einem Augenzwinkern sage.

13 Vgl. Mehrabian (1972)

14 Der Aspekt der Selbstbestimmung wird in Kapitel 4 beschrieben und diskutiert.

15 Vgl. Braun & Marstedt (2014)

16 Vgl. Cialdini (2002)

17 Vgl. Langer, Blank & Chanowitz (1978)

18 Vgl. Cialdini (2002)

19 Vgl. Rosenberg (2013)

20 Vgl. Seiwert (2012)

21 Vgl. Lally et al. (2010)

22 Vgl. D-lernen Wortschatz – Die 100 wichtigsten deutschen Verben (o.D.) http://d-lernen.blogspot.de/2010/03/d-lernen-wortschatz-die-500-wichtigsten_08.html

23 In der Psychologie wird dieser Aspekt mit dem Begriff des Primings beschrieben (Kapitel 12).

Sprache formt Realität

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