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Vorwort

Bei meiner Tätigkeit als Referent für mittlerweile 100 Krankenhäuser deutschlandweit wurde mir in den letzten Jahren von Seminarteilnehmern immer wieder berichtet, dass es unter anderem als sehr anstrengend und nervenaufreibend empfunden wird, wenn Angehörige bei Patientengesprächen anstelle des Patienten antworten. Dies sei teilweise sogar schon hart an der Grenze zur Arbeitsbehinderung. Der behandelnde Arzt stellt dem Patienten eine Frage. Bevor der Patient jedoch auch nur die geringste Chance zum Antworten hat, nimmt seine Begleitung bereits das Heft in die Hand und schildert die Symptome. Vielleicht haben Sie dieses Szenario schon einmal selbst erlebt? Dabei stellt sich jedoch die Frage: Waren Sie in dieser Situation Mediziner, Patient oder Angehöriger?

Hierzu eine kurze Geschichte: Im Sommer 2017 hat meine Frau unser erstes Kind zur Welt gebracht. Nachdem wir morgens den Blasensprung bemerkt hatten, packten wir in Windeseile unsere sieben Sachen und machten uns direkt auf den Weg in die Klinik.

Wir kommen also „leicht gestresst“ auf die Geburtsstation des Klinikums. Die Hebamme tastet den Bauch meiner Frau ab und beginnt währenddessen mit der Voruntersuchung, der sog. Anamnese.1 Die erste Frage an meine Frau lautet: „Wann hatten Sie den Blasensprung?“ Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Heute Nacht.“ Allerdings nicht etwa von meiner Frau, sondern von mir, ohne dass ich mir irgendetwas dabei gedacht hätte. Ich kann beobachten, wie die Hebamme mit den Augen rollt und tief durchatmet, ohne das Ganze jedoch weiter zu kommentieren. Sie tastet den Bauch weiter ab und fragt als Nächstes: „Wann haben Sie das bemerkt?“ Postwendend kommt die Antwort: „Heute Morgen um sieben Uhr direkt nach dem Aufstehen“, wieder von mir. Im gleichen Moment fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich realisiere, dass ich genau das Gleiche tue, was seit Jahren in Schulungen immer wieder beklagt wird. Ich behindere die Hebamme bei Ihrer Arbeit und das sogar trotz besserem Wissen. Es handelt sich hierbei um ein exemplarisches Beispiel für Störungen in der Kommunikation, die ohne Not zu schwierigen Situationen führen können.

Hinter meinem Verhalten verbirgt sich eine positive Absicht, die wahrscheinlich jeder gut nachempfinden kann. Als angehender Vater möchte ich lediglich helfen und Teil des Prozesses sein. Wenn es der Hebamme gelingt, die beschriebene Situation aus dieser Brille zu betrachten, ist es für sie leichter, mein vermeintlich störendes Verhalten würdigen zu können. Durch ein paar einfache Worte kann sie dann die Situation schnell in die richtige Richtung lenken: „Es ist gut, dass Sie hier sind. Ich kann nachempfinden, dass Sie gerne mithelfen möchten. Im Moment ist es wichtig, dass Ihre Frau meine Fragen selbst beantwortet, damit ich überprüfen kann, wie adäquat sie dazu in der Lage ist. Wenn ich eine Frage an Sie habe, wende ich mich durch direkte Ansprache an Sie, Herr Sieper. Ist dieses Vorgehen für Sie okay?“ Hierdurch wird der Grundstein für eine vertrauensvolle und harmonische Begegnung gelegt. Genau darum geht es in diesem Buch.

Als Kommunikationstrainer und Coach unterstütze ich seit vielen Jahren Menschen im Gesundheitswesen. Ich helfe Krankenhäusern weiter, wenn es im Bereich der Patientenkommunikation Optimierungsbedarf gibt. Optimierungsbedarf ist im Bereich der Personalentwicklung ein charmantes Wort für „es läuft nicht gut“ oder „es könnte noch besser laufen“. Durch die Beherzigung einfacher Daumenregeln und Kommunikationstechniken kann es jedoch gelingen, die Außenwirkung eines Klinikums nachhaltig zu verbessern. Sie können reibungsloser arbeiten, da Sie gezielter und reflektierter mit Patienten und Angehörigen umgehen. Darüber hinaus kommen Sie auch in einen besseren Kontakt mit Kollegen und anderen Berufsgruppen. Gute Beziehungen werden folglich auf allen Ebenen gefördert. Das ist ein wesentlicher Schlüsselfaktor für erfolgreiches und konfliktfreies Arbeiten im Krankenhaus. Für ein gutes Klima ist ein wertschätzender Umgang miteinander notwendig. Ein wertschätzender Umgang ist Ausdruck der persönlichen Haltung und erfordert Achtsamkeit sowie eine gewisse Methodenkompetenz im Bereich Kommunikation.

In diesem Buch werden Möglichkeiten erörtert, wie Sie angemessen auf ein schwierig empfundenes Verhalten von anderen Menschen reagieren können. Dabei werden Sie lernen, wie Sie schwierige Situationen gekonnt entschärfen, eine gastliche Atmosphäre aufbauen und dabei sogar Zeit sparen. Außerdem werden Sie erkennen, dass der Andere oft keine „Schuld“ hat. Möglicherweise hat Ihnen bisher einfach das passende Werkzeug für einen erfolgreichen Umgang gefehlt oder Sie sind einer von vielen – häufig versteckten – Stolperfallen der Kommunikationspsychologie zum Opfer gefallen. Es wird deutlich, dass viele vermeintlich schwierige Situationen mithilfe einfacher Tricks gelöst oder sogar bereits im Vorfeld vermieden werden können. Man kann mithilfe einzelner Worte, bzw. kleiner Veränderungen in der Wortwahl, die Gefühle, Einstellungen, das Verhalten als auch die Wahrnehmung von Patienten und Angehörigen positiv beeinflussen. Manchmal sogar mehr, als man jemals für möglich gehalten hätte.

Leider liegen bei vielen Fachthemen Theorie und Praxis weit auseinander. Aus diesem Grund ist dieses Buch nicht als reine Fachbuchlektüre zu verstehen. Die besten Theorien sind nur so gut wie ihre Anwendbarkeit und Relevanz für den alltäglichen Gebrauch. Wenn die Inhalte eines Seminars oder Buches wenig mit dem wahren Leben zu tun haben, erscheint eine Auseinandersetzung mit der Materie eher als Zeitverschwendung. Aus diesem Grund benutze ich bei Vorträgen und Seminaren den Ansatz des Erlebnislernens, d.h., dass ich zum Beispiel einzelne Teilnehmer direkt mit einer bestimmten Formulierung anspreche und anschließend erfrage, was dieser Satz im Hier und Jetzt bei ihnen auslöst. Auf diese Weise kann derjenige direkt „live“ erleben, welche Wirkung bestimmte Worte auf ihn haben. Dieser Ansatz wird auch in diesem Buch verfolgt, indem ich Sie als Leser dazu einlade, sich auf sog. Erlebnislesen2 einzulassen. Zur gedanklichen Einbindung wende ich mich in der Ansprache immer direkt an Sie. Sie werden hin und wieder zu kurzen Gedankenexperimenten und kleinen Übungen angeregt, um ein Modell besser verstehen – oder bestimmte Techniken direkt anwenden zu können. Die entsprechenden Anleitungen mit den dazugehörigen Übungen finden Sie in den jeweiligen Kapiteln, die aufeinander aufbauen. Ich verwende die herkömmliche, männlich geprägte Sprachform, um den Text leichter lesbar zu gestalten. Selbstverständlich sind grundsätzlich alle Geschlechter angesprochen.

Ich halte mich an die Vorgehensweise aus meiner täglichen Arbeit, in der Hoffnung zeigen zu können, dass sich komplexe Inhalte am besten lebendig und lebensnah vermitteln lassen. Der Leitgedanke stammt von meinem ehemaligen Professor für Psychologie und sollte auch bei der täglichen Arbeit im Krankenhaus seine Anwendung finden: „So einfach wie möglich, so komplex wie nötig.“ Um die dargestellten Inhalte greifbar zu machen, sind sowohl Beispiele aus der Arbeit im Krankenhaus, als auch Geschichten aus alltäglichen Begegnungen mit anderen Menschen Bestandteil dieses Buches. Hierzu zählen sowohl schwierige als auch lustige Situationen mit Seminarteilnehmern, Selbsterfahrungen als Patient sowie Erlebnisse mit meiner Frau und unserem Sohn. Dabei wird hin und wieder auch auf liebevolle Art und Weise mit Klischees gespielt. Folglich können Sie dieses Buch als Fachliteratur verstehen, in dem spannende Themen und theoretische Hintergründe aus der Kommunikationspsychologie am Beispiel der Arbeit im Krankenhaus leicht verständlich aufbereitet und veranschaulicht werden. Es ist ebenso ein Übungsbuch, mit dessen Hilfe Sie die vorgestellten Themen direkt einüben und ausprobieren können. Und zu guter Letzt handelt es sich um eine unterhaltsame Lektüre mit Geschichten aus dem Alltag. Wenn Sie sich dabei das ein oder andere Mal selbst ertappt fühlen, schmunzeln oder sogar lachen müssen, ist das umso schöner. Dieses Buch soll zum Lachen und Nachdenken anregen, Sie in Ihrem eigenen Tun bestärken und darüber hinaus den ein oder anderen einfachen Kniff aufzeigen, mit dem Sie sich die eigene Arbeit, aber auch das alltägliche Leben erleichtern können.

Was soll das Ganze bringen?

Gebracht wird Ihnen nichts – stattdessen können Sie sich Dinge nehmen. Bei den hier vorgestellten Methoden und Ideen handelt es sich lediglich um Angebote. Entscheiden Sie selbst, welche Sie davon annehmen und ausprobieren möchten. Vielleicht haben Sie auch an der ein oder anderen Stelle die Erfahrung gemacht, dass ein anderer Weg für Sie persönlich besser funktioniert. In diesem Fall lautet meine Bitte: Bleiben Sie dabei und lassen Sie es mich wissen, damit ich diesen Tipp zukünftig an andere Menschen weitergeben kann.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen!

Christoph Sieper

1 Eine Anamnese ist der medizinische Fachbegriff für ein Gespräch zwischen einem Mediziner und einem Patienten, bei dem Symptome, Vorerkrankungen und Krankheitsverläufe erfasst werden.

2 Dieser Begriff ist frei erfunden.

Sprache formt Realität

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