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Das erste Quartal

Standortbestimmung

Das erste Unterrichtsquartal ist meistens kurz, es dauert in der Regel nur wenige Wochen. Gerade weil die Zeit begrenzt ist, braucht es eine gute Planung. Sie müssen mit dem Lehrplan und der immensen Stofffülle umgehen und wissen, wie Sie die Lernvoraussetzungen der Lernenden einschätzen können, wie Sie mit den Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten und welche Regeln für die Zusammenarbeit Sie in der Klasse vereinbaren wollen.

In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit den folgenden Themen:

  Den Kampf mit der Stofffülle bestehen

  Die Lernenden kennenlernen

  Anspruchsvolle Frage- und Problemstellungen einbringen

  Sich um ein gutes Lernklima bemühen

  Mit Kollegen und Kolleginnen zusammenarbeiten

  Dem Unterricht Struktur geben

  Das erste Quartal abschließen

Den Kampf mit der Stofffülle bestehen

Oft empfinden Lehrpersonen die Ziele und Inhalte in den Lehrplänen als erdrückend umfangreich. Im Umgang mit der Stofffülle liegt vor allem für Einsteigerinnen und Einsteiger eine große Herausforderung. Zudem fehlen vielfach stufengerechte Lehrmittel und Fachbücher. Wie sollen Sie also vorgehen? Wenn Sie sich mit dieser Frage auseinandersetzen, ist es hilfreich, sich an den Lernzielen der Lehrpläne zu orientieren. Hier erfahren Sie, welche Ziele zum Pflichtstoff zählen und welche zusätzlichen Ziele im Ergänzungsoder Wahlbereich bearbeitet werden können. Wer die Stofffülle konsequent in Pflicht- und Wahlbereich unterteilt, wird nicht mehr denken, alles sei gleich wichtig, und wird sich vom Stoff auch nicht mehr erdrücken lassen.

Die Lernenden kennenlernen

Im Verlaufe des ersten Quartals gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Lernenden besser kennenzulernen. Wir unterscheiden dabei zwei große Bereiche: einerseits die persönlichen und andererseits die kognitiven Lernvoraussetzungen. Bei den kognitiven Lernvoraussetzungen geht es um die Frage, wie gut die Lernenden in der Lage sind, neues Wissen zu erwerben.

Die persönlichen Lernvoraussetzungen

Erste wichtige Hinweise zu den Lernvoraussetzungen entnehmen Sie der Klassenliste (aber Vorsicht: Machen Sie sich von den Lernenden nicht zu früh ein festes Bild; → Kapitel 1, Seite 13). Durch Beobachtung der Lernenden bei der Arbeit und durch gezielte Arbeitsaufträge, bei denen die Einzelnen aus der Anonymität der Klasse hervortreten, erhalten Sie weitere Informationen:

 Die Lernenden stellen sich mit einem Gegenstand vor, der ihnen etwas bedeutet.

 Sie liefern eine mündliche oder schriftliche Spracharbeit zu aktuellen Themen.

 Sie erarbeiten Collagen zu Themen wie »Familie« oder »Freundeskreis«

 oder auch eine Foto- oder Videoreportage zu Themen wie »Meine Freizeit« oder »Besonderheiten meines Quartiers oder meiner Wohngemeinde«.

Solche Arbeiten geben Lernenden Gelegenheit, sich vor der Klasse zu präsentieren. Wie sie die Situationen gestalten, welchen Einblick sie in ihre Lebenswelt geben, all dies ist meist aussagekräftiger als das Verfassen von Steckbriefen. SieselbsthabennachsolchenPräsentationenvielfältigeAnknüpfungspunkte, um mit den Lernenden ins Gespräch zu kommen. Empfehlenswert ist, sich während der Präsentationen Notizen zu machen. Auch in dieser Hinsicht sprechen Sie sich mit den Kolleginnen und Kollegen ab, wer welche Formen einsetzen wird und welche Themen wo bearbeitet werden.

Die kognitiven Lernvoraussetzungen

Beobachten Sie die Lernenden in den ersten Wochen beim Arbeiten und halten Sie Ihre Beobachtungen schriftlich fest. Anstelle eines Eintrittstests können Sie im Verlauf des ersten Quartals verschiedene Standortbestimmungen durchführen. Verteilen Sie diese auf mehrere Tage und besprechen Sie die Aufgaben vorgängig mit Ihren Kollegen und Kolleginnen. In den Standortbestimmungen steigern Sie die Anforderungen von Mal zu Mal leicht und richten die Inhalte auf den Alltag und das Umfeld der Lernenden aus (bei Berufslernenden zum Beispiel auch auf den Ausbildungsberuf). Zu schwierige Aufgaben oder Trickaufgaben gehören nicht in eine Standortbestimmung.

Als Lehrperson kennen Sie die Anforderungen, die das Unterrichtsfach an die Lernenden stellt. Aber auch die Lernenden machen sich über ihr Wissen und Können ein Bild. Meistens kennen sie ihre eigenen Fähigkeiten, ihre Stärken und Schwächen recht genau. Die realistische Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten ist ein wichtiger Hinweis darauf, ob Lernende in der Schule erfolgreich sein werden. Am Ende des ersten Quartals werden Gespräche zu den Ergebnissen der Standortbestimmung geführt. Dabei können Sie sich von folgenden Fragen leiten lassen:

 Was gelang gut? Wo liegen die Stärken?

 Wo gab es Schwierigkeiten? Worin bestanden sie?

 Wie schätzt die/der Lernende seine eigenen Fähigkeiten ein? Denkt sie/ er, die Anforderungen erfüllen zu können?

 Wo braucht der/die Lernende Unterstützung? Welche Form soll diese Unterstützung haben?

 Welche Lücken gilt es zu schließen? Woran muss der/die Lernende arbeiten?

Durch die Ergebnisse der Standortbestimmungen und aufgrund der Beobachtungen und Gespräche mit den Lernenden können Sie sich am Ende des ersten Quartals ein klareres Bild über die persönlichen und kognitiven Lernvoraussetzungen machen. Solche Einschätzungen sind für die Gestaltung des Unterrichts zentral. Bleiben die Voraussetzungen unberücksichtigt, werden oft auch Ihre Lehrbemühungen wenig erfolgreich sein. Die Aufgaben, die Sie im Unterricht einbringen, sind dann entweder zu schwierig oder zu einfach, und die Lernenden fühlen sich unter- oder überfordert – und damit auch nicht ernst genommen.

Anspruchsvolle Frage- und Problemstellungen einbringen

Lernende möchten gefordert und gefördert werden und vom Unterricht profitieren. Sie sind bereit, sich anzustrengen, wenn sie erkennen, dass ihre Lernbemühungen zu einem Lernzuwachs und Lernerfolg führen. Wenn sich bei den Lernenden schon nach den ersten Schultagen das Gefühl einstellt, wenig oder nichts gelernt zu haben, werden viele eine negative Haltung gegenüber dem Unterricht und der Schule einnehmen. Als Folge können in solchen Klassen Desinteresse, Konsumhaltung und Disziplinprobleme auftreten. Auch leistungsschwächere Lernende müssen mit anspruchsvollen Fragestellungen konfrontiert werden, dabei müssen Begleitung und Hilfestellungen der Lehrperson zunehmen. Die Lernenden sollen allmählich Zusammenhänge erkennen und diese Erkenntnisse auf neue Situationen zu übertragen lernen. Wenn Sie die Lernenden nicht fordern, können Sie sie auch nicht fördern. Die Grenzen zwischen »Anforderungen stellen« und »Überforderung« einzelner Lernender sind allerdings fließend.


Lev Vygotskij (russischer Psychologe, 1896–1934) postulierte, dass jede/r Lernende über einen individuellen Stand an Wissen und Können (Stand der individuellen Entwicklung) verfügt, was ihm erlaubt, selbstständig Aufgaben und Probleme eines bestimmten Schwierigkeitsgrades zu bewältigen. Lernen heißt in diesem Sinne, die Zone der aktuellen Entwicklung zu verlassen und vorzustoßen in die Zone der nächsten Entwicklung.

Dies geschieht vor allem im sozialen Kontext mit Gleichaltrigen und Erwachsenen, die in ihrer Entwicklung weiter fortgeschritten sind als die lernende Person.

Die Zone der nächsten Entwicklung ist individuell dimensioniert, das Ausmaß der Lernschritte ist also bei jedem Menschen unterschiedlich, ebenso das Tempo, in dem die Fortschritte realisiert werden.

Abbildung 3-1 Die Zone der nächsten Entwicklung nach Lev Vygotskij

Es gehört zu Ihrer Professionalität als Lehrperson, angemessen schwierige Aufgaben zu stellen, welche die Lernenden in die Zone der nächsten Entwicklung führen. Achten Sie darauf, den Lernenden gerade so viel Hilfestellung zu geben, dass sie überzeugt sein dürfen, die Aufgabe oder das Problem im Wesentlichen selbst gelöst zu haben. Mittel- und langfristig werden die Lernenden die Leistung erbringen, die Sie von ihnen erwarten. Seien Sie zuversichtlich und zeigen Sie dies den Lernenden auch! Bald werden Sie feststellen, dass sich Ihre Zuversicht positiv auf das Lernen auswirkt. Vor allem Lernende, die in ihrer bisherigen Schullaufbahn wenige Erfolgserlebnisse hatten, brauchen Ihre ausdrückliche und betont pädagogische Zuversicht.

Sich um ein gutes Lernklima bemühen

Das Lernklima entwickelt sich von der ersten Minute an. Beim ersten Schulhausrundgang, in den ersten Lektionen werden Weichen gestellt. Beobachten Sie die Lernenden und machen Sie sich ein Bild von der Zusammensetzung der Klasse. Ein gutes Lernklima stellt sich allerdings meist nicht von alleine ein, oft muss das Klassen- oder Lernklima zum Unterrichtsinhalt werden. Sie sprechen dabei mit den Lernenden über den Unterricht und thematisieren dabei verschiedene Facetten:

 respektvoller Umgang – kein aggressives Verhalten einzelner Schüler, keine Beschimpfungen, keine versteckte Diskriminierung, keine Bevorzugung einzelner Schüler …

 Verantwortung – Klassenämter, Umgang mit Freiräumen im Unterricht, Wahl eines Lernpartners, einer Partnerin, Regeln im Klassenzimmer vereinbaren …

 Regeln für das Verhalten – Vorgehen bei kleinen Störungen wie Schwatzen, Essen und Trinken im Schulzimmer …

 Regeln für das Lernen – Einsatz von Lehrmitteln, Hausaufgaben, Prüfungsvorbereitung und -auswertung …

Auf »Grenzverletzungen« und Regelverstöße reagieren Sie angemessen und rasch. Wenn sich zu Beginn des Quartals ungünstige Verhaltensweisen einspielen, wird es in den folgenden Wochen und Monaten sehr schwierig werden, diese wieder abzubauen. Falsch verstandene »Großzügigkeit« im Umgang mit Regelüberschreitungen muss später oft mit Disziplinarmaßnahmen korrigiert werden – ohne Garantie auf Erfolg.

Ein Katalog von Regeln braucht nicht gleich am ersten Schultag abgegeben zu werden. Hingegen müssen Sie sich im Klaren sein, welche Regeln und Verhaltensweisen für die Zusammenarbeit und das Lernen im Klassenzimmer gelten sollen. Treten mit der Zeit Unterrichtsstörungen auf, so können Sie die Regeln mit den Lernenden besprechen, sie gegebenenfalls der Situation anpassen und als Merkpunkte auf einem Poster oder Blatt festhalten.


Abbildung 3-2 Klassenregeln – ein Beispiel

Das Vereinbaren und Festlegen von Regeln ergibt aber nur einen Sinn, wenn die Regeln anschließend konsequent durchgesetzt werden. Dies gelingt Ihnen dann, wenn Sie selbst davon überzeugt sind, dass die festgelegten Regeln und die Konsequenzen für das weitere Lernen wirklich zweckmäßig sind und Sie für alle Lernenden die gleichen Maßstäbe ansetzen können. Wenn später erste Regelüberschreitungen auftreten – einige Lernende kommen zum Beispiel nach der Pause immer zu spät, spielen während des Unterrichts mit dem Handy oder unterhalten sich ständig mit der Banknachbarin über persönliche Dinge –, kann die Lehrperson das unangemessene Verhalten durch Verweise auf die formulierten Regeln unterbinden und konsequent handeln.

Didaktik für den Unterrichtsalltag

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