Читать книгу Deine Wahl / Your Choice - Zweisprachiges E-Book Deutsch / Englisch - Christopher Peterka - Страница 15

Kapitel 2
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GAFATA beherrscht die Welt ((Ü1)) GAFATA BEHERRSCHT DIE WELT VIRTUELLER RAUM UND REALES TERRITORIUM– ZWEI SEITEN DERSELBEN MÜNZE? DIE DIGITALE UND DIE PHYSISCHE WELT

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Als der Begriff »virtuell« in den 1980er-Jahren geläufig wurde, beschrieb er etwas Distinktives und dem Wesen nach Separates von der »echten« Welt. Tatsächlich verstanden die meisten Leute die beiden Welten als komplett inkompatibel: Man tat Dinge entweder »online«, und dann fand die Sache im virtuellen Raum statt, oder man tat sie »im echten Leben«, dann ging es um die physische Welt mit Objekten, Menschen, Tieren, Natur und Gebäuden.

Dem virtuellen Raum wurde tendenziell misstraut, zumindest aber wurde er weniger ernst genommen und auch als minderwertig gegenüber der echten Welt betrachtet: Wenn du jemanden in einer Bar kennenlerntest, war das »normal«, und du warst nicht überrascht, wenn es zu einem zweiten Date kam, ihr eine Weile zusammen ausgingt, euch dann entschlosst, zu heiraten und Kinder zu bekommen, einen Hund anzuschaffen, und glücklich wart bis ans Ende eurer Tage. Wenn du jemanden online kennenlerntest, dann war das eigenartig und tatsächlich auch ziemlich fragwürdig.

Allein an diesem Beispiel kann man sehen, wie sehr sich die Dinge verändert haben: Unser virtueller Raum und unsere reale Welt sind nun ein und dasselbe. Die Unterscheidung ist weitgehend weggefallen, und wir beginnen, unsere Realität als eine Mischung aus einerseits nuklearen Partikeln – der physischen Welt – und Datenpaketen – dem virtuellen Raum – andererseits zu begreifen. Sie sind Teil desselben Universums und im ständigen Zusammenspiel miteinander. Der eine funktioniert nicht wirklich ohne den anderen. Jedenfalls nicht mehr auf eine Art, die wir Menschen des 21. Jahrhunderts als nützlich oder angemessen betrachten würden. Dating, Arbeit, Bankgeschäfte, Kommunikation, Organisation, Geselligkeit, Einkauf, Verkauf, Nachdenken, Trainieren – deine Apps, deine Werkzeuge und Profile sind miteinander verwoben und können nicht voneinander getrennt werden.

Trotzdem denken wir bei »Digitalität« immer noch an einen »virtuellen Raum«: eine Sphäre getrennt von physischen Barrieren und Grenzen, in der Information fast mit Lichtgeschwindigkeit durch Glasfaserleitungen und drahtlose Netzwerke reist und Geografie und Substanz keinerlei Rolle spielen.

Auf gesellschaftlicher Ebene behandeln wir den virtuellen Raum tendenziell noch als eine Art Luxus: als Anhängsel der einen echten Welt und als temporär: Vielleicht ist das nur eine Phase, die wir durchmachen, genauso wie wir uns in einer Phase Faxe zugeschickt haben oder Schulterpolster und Vokuhilas attraktiv fanden. Mit Sicherheit fällt es vielen Menschen auch heute noch schwer, die virtuelle Welt als ebenso wichtig zu empfinden wie die reale Welt.

Beide Wahrnehmungen führen zu schweren Irrtümern und Fehleinschätzungen im Hinblick darauf, wo wir uns heute befinden. Nicht nur ist der virtuelle Raum untrennbar verbunden mit der realen Welt und folglich mindestens genauso wichtig, er ist auch physisch. Er hängt von einer riesigen und teuren Hightech-Infrastruktur ab, verbraucht enorme Mengen Energie und beeinflusst zunehmend das Erleben unseres eigenen physischen Lebens.

Wie bereits oben ausgeführt, werden Smartphones so entworfen, dass sie uns süchtig machen, nicht nur psychologisch – das auch –, sondern auch körperlich über die ausgelöste Produktion biochemischer Stoffe, von denen wir mehr wollen: die klassische Definition einer körperlichen Sucht. Hier ein Beispiel: Allein die Tatsache, dass wir netzwerkgebundene Geräte nutzen, ändert schon unser Denken. Die Art, wie wir sie nutzen, ändert es zusätzlich. Die Idee, dass man, egal wo auf der Welt, ständig verbunden sein kann, ohne dass das irgendeinen Einfluss auf unsere körperliche Verfassung hätte, ist offensichtlich naiv. Unsere Hormone, unser Herzschlag, unser Puls, unsere Haltung, unsere Körpertemperatur, unsere Transpiration – alles ist direkt und messbar mit unserem Leben im virtuellen Raum verbunden.

Auf der einen Seite wandern wir durch die analoge Welt mit gesenktem Haupt, den Blick auf ein kleines Display gerichtet und unsere Daumen im Zustand dauernder Erregung. Auf der anderen Seite sagt uns dasselbe Gerät, wann wir Sport machen sollten, um unser tägliches Ziel zu erreichen, oder was heute zu Abend gegessen werden sollte, damit unsere Ernährung ausgeglichen bleibt, oder sogar, wann wir von ihm eine kurze Auszeit nehmen sollten.

[DU BIST EIN KNOTENPUNKT IM NETZWERK.]

Auch unser körperliches, analoges Wohlbefinden ist also in den virtuellen Raum eingebunden. Im Moment sind wir über unsere Laptops und Tablets damit verknüpft, hauptsächlich aber durch unsere Smartphones. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir uns über Implantate direkt verbinden. Während wir dies schreiben, geht der serielle Unternehmer Elon Musk zum ersten Mal mit seinem Start-up Neuralink nach zwei Jahren geheimer Forschung an die Öffentlichkeit. Dort wird auf die Entwicklung drahtloser implantierter Geräte hingearbeitet, die dein Gehirn direkt mit dem Netzwerk verbinden, mit der ausdrücklichen Absicht, menschliche und maschinelle Intelligenz »in Symbiose« zu bringen. Du bist ein Knotenpunkt im Netzwerk.

Erstaunlich, wie wenig wir aufgefordert, geschweige denn gezwungen werden, über die notwendige physische Infrastruktur nachzudenken. Denk mal darüber nach. Dafür, dass es dir möglich ist, in Echtzeit mittels Zoom zu kommunizieren oder den Weg zum nächsten Thai-Lokal zu finden oder Essen von deinem Lieblingsinder nach Hause zu bestellen, während du People Are Awesome-Videos auf YouTube schaust, müssen Datenmasten aufgestellt sein, Glasfaserkabel, Router, Zwischenschaltstellen, Primärschaltstellen, Satelliten und Abertonnen von Datenspeichern irgendwo auf der Welt betrieben werden.

Dieses »Irgendwo« ist einer von vielen physischen Orten. Millionen von Servern müssen miteinander verbunden sein, betrieben, gekühlt und gesichert werden, um das, was wir am Internet lieben und hassen, möglich zu machen. Facebook hat allein 2018 weltweit 15 Datenzentren betrieben. Diese reichen in der Größe von der Fläche mehrerer Fußballfelder bis hin zu einem ersten elfstöckigen Zentrum in Singapur nur für Server.

Von alldem hören wir meist nichts, zumindest kaum etwas. Für eine BBC-Doku über Facebook von 2019 wurde dem ersten Kamerateam überhaupt Zutritt zum Hauptdatenzentrum in Menlo Park, Kalifornien, gestattet. Als Kind wird man in der Schule mit zur Feuerwehr genommen, um die schicken roten Feuerwehrautos zu bestaunen, oder man besucht das Klärwerk, um sich anzugucken, was mit dem erledigten Geschäft passiert, nachdem man die Spülung gedrückt hat. Wenn man Glück hat, besucht man einen Bauernhof oder vielleicht sogar eine Schokoladenfabrik oder ein Atomkraftwerk. Wird man jedoch jemals in ein Datenzentrum mitgenommen? Natürlich erschließt sich visuell nicht besonders viel von dem, was dort passiert, aber allein das Ausmaß dieser Installationen und die strukturellen Überlegungen, die in sie einfließen, sind schon erstaunlich.

So essenziell diese digitale Infrastruktur für unsere Existenz ist – nicht nur die Datenzentren für ein soziales Netzwerk, auch die Masten, die Kabel, die Router, die Schnittstellen, das alles –, wem gehört sie? Wer stellt sie her? Wer kontrolliert sie? Wer entscheidet, was reindarf und was rauskommt und was nicht? Welche Daten werden überwacht, welche abgefangen, welche gespeichert? Mit wessen Einwilligung? Wo? Für wie lange?

In dem Moment, in dem wir diese Fragen stellen, begreifen wir, wie komplex und unklar die Situation ist. Weißt du, wer welche Teile der digitalen Infrastruktur in deinem Land besitzt? Ist es der Staat? Oder sind es private Unternehmen, die deiner Regierung eine Lizenzierungsgebühr bezahlen? Ist es eine Public-private-Partnership? Falls private Unternehmen involviert sind – was sehr wahrscheinlich ist –, wem gehören diese dann? Wer sind die Aktionäre? Und sollten sie sich überhaupt in privatem Besitz befinden? Oder sollten sie den Teilhabern, der gesamten Community gehören? Wer ist in diesem Kontext die Community? Man kann Anteile oder Teilnutzungsrechte an Containerschiffen kaufen, kann man dann auch in einen Abschnitt Datenkabel investieren?

Und wie wichtig all das ist, wurde wieder deutlich, als wir die Notizen für dieses Buch zusammenstellten. Im Mai 2019 erließ die US-Regierung Sanktionen gegen den chinesischen Tech-Riesen Huawei unter Bezugnahme auf Sicherheitsrisiken, die es nicht erlauben, dass Huawei Infrastruktur für 5G-Mobilnetzwerke in den USA installiert. Auch in Großbritannien wurde große Sorge öffentlich in Bezug auf die Einbeziehung der Firma in die Pläne der Regierung zur Implementierung von 5G. Es mag die Vermutung naheliegen, dass sowohl in den USA als auch in Großbritannien die Kontroverse hauptsächlich politisch motiviert war, aber auch das wäre nicht möglich, wenn nicht immense Macht in der physischen Dateninfrastruktur gebündelt läge. Wenn man die Infrastruktur kontrolliert, kontrolliert man das Netzwerk. Wenn man das Netzwerk kontrolliert, kann man uns kontrollieren.

[WENN DU DAS NETZWERK KONTROLLIEREN KANNST, KANNST DU UNS KONTROLLIEREN.]

Es gibt noch einen dritten Aspekt, der deutlich die physische Infrastruktur und die digitale Plattform-Ebene verknüpft. Es geht um das Betriebssystem (Operating System). Ob Laptop, Smartphone oder Herd: Jedes digitale Gerät braucht ein Betriebssystem. Gehört hast du sicher von Android, iOS, Windows oder OSX. Aber auch ein Drucker braucht ein OS oder eine Eieruhr, ein Smart Home und auch eine Parkuhr. Wenn es ein digitales Ding ist, das sich mit dem Netzwerk verbindet, hat es ein Betriebssystem, selbst wenn es sich dabei um ein winziges mit nur wenigen Zeilen Code handelt.

Wenn Google also plötzlich keine Erlaubnis mehr hat, sein mobiles Betriebssystem Android auf Huawei-Smartphones zu installieren, weil sich die USA im Handelskrieg mit China befinden, aber dein Huawei-Smartphone ausschließlich mit Android funktioniert, dann wirst du als Nutzer defunktionalisiert. Vielleicht funktioniert die alte Version deines Betriebssystems sogar noch eine Zeit lang, aber du kannst keine Aktualisierungen herunterladen, weil dem OS-Entwickler – laut Regierungserlass – nicht gestattet wird, sie dir zur Verfügung zu stellen. Du magst dich mehr oder weniger für Politik interessieren, aber die Politik hat dich soeben eingeholt.

»Defunktionalisieren« klingt vielleicht ein wenig unangenehm, aber nicht wirklich schlimm. Ernsthaft? Wenn alles, was du den ganzen Tag machst – kommunizieren, arbeiten, spielen –, von deinem Gerät abhängt und dein Gerät nicht mehr funktioniert, wie kümmerst du dich dann um deine täglichen Angelegenheiten? Wie funktionierst du? Das ist keine triviale Angelegenheit. Sie ist ernst. Und sehr wesentlich.

Die Frage, welches Betriebssystem man wählen sollte, war früher nur für Nerds von Interesse. Was funktioniert am besten mit deinen anderen Geräten? Welches Interface gefällt dir am besten? Oder auch, welches Firmenethos entspricht dir am meisten? Jetzt musst du dich eventuell auf Grundlage der politischen Situation entscheiden: Für welches OS bekomme ich am ehesten Erlaubnis? Und dabei sollen wir uns in einer freien Marktwirtschaft befinden. Nicht in einem totalitären Regime, in irgendeiner fernen Zukunft.

Worauf wir noch nicht näher eingegangen sind, ist die Frage der Energie. Die meisten Wissenschaftler sind sich inzwischen einig, dass einer der Hauptgründe für die Klimakrise unser Energieverbrauch ist. Es gibt auch andere Faktoren, darüber wollen wir hier jedoch nicht sprechen, auch nicht darüber, dass es nachhaltige Energiequellen für alle auf dem Planeten gibt, jetzt und in Zukunft. Worüber wir an dieser Stelle sprechen wollen, ist die Bedeutung von Energie für unsere digitale Funktionalität und, in der Folge, für unsere Fähigkeit, überhaupt zu funktionieren.

[ES IST NICHT ÜBERRASCHEND, DASS GOOGLE ANFÄNGT, SICH MIT ENERGIEERZEUGUNG ZU BESCHÄFTIGEN.]

Vielleicht ist es nicht überraschend, dass Google anfängt, sich mit Energiegewinnung zu beschäftigen. Nicht nur als Energieanbieter, sondern um den eigenen Bedarf zu decken und seine Stellung als Datenunternehmen zu festigen. Apple konnte im September 2018 mitteilen, dass alle Operationen mit 100 Prozent erneuerbarer Energie betrieben werden. Damit gemeint sind der riesige UFO-förmige Apple-Park-Gebäudekomplex in Cupertino, Kalifornien, und die vielen anderen Datenzentren. Die benötigte Energie erzeugt Apple zu einem großen Teil selbst, hauptsächlich über Solarinstallationen auf dem Dach des Hauptquartiers mit einem Output von 17 Megawatt – die zurzeit mächtigste Solardachanlage der Welt.

Jeff Bezos, der CEO von Amazon, und Bill Gates, Gründer und früherer CEO von Microsoft, sind Investoren in Malta. Nicht der kleine Staat im Mittelmeer ist gemeint, sondern ein Start-up, das aus X entwickelt wurde, dem experimentellen Zweig von Alphabet, der Firma, in deren Besitz sich Google befindet. Malta erforscht die Möglichkeiten, Energie aus erneuerbaren Quellen durch Erhitzen geschmolzenen Salzes zu speichern. Dies könnte enorm nützlich werden, denn eine der größten Herausforderungen bei der Erezeugung von Solarenergie, über die Kalifornien reichlich verfügt, sind immer noch lokale Speicher. Sollte sich dieses Vorhaben also als erfolgreich erweisen, wird dies ein weiterer Schritt in Richtung der Sicherung einer stetigen Energieversorgung sein.

Wir denken eigentlich nicht sofort an Apple, Amazon oder Microsoft als Energiekonzerne. Sie sind allerdings alle schon in Energieunternehmen involviert, entweder direkt oder indirekt.

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