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CHRISTOPHER R. BROWNING

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Es ist nicht nur eine ungewöhnliche Erfahrung, sondern auch eine außerordentliche Ehre für einen Historiker, die Übersetzung und Neu-Veröffentlichung eines Buches zu erleben, das erstmals vor mehr als 30 Jahren erschien. Viel hat sich seit dem Erscheinen meiner Dissertation über das Judenreferat des Auswärtigen Amtes 1978 in der Forschung über Nazi-Deutschland und den Holocaust getan. Ganz bewusst haben der deutsche Verlag und ich uns entschieden, gar nicht erst zu versuchen, das Buch anhand neuerer Forschungen zu überarbeiten oder zu „aktualisieren“ – und dies aus zwei Gründen. Erstens hat sich das Archivmaterial, auf dem dieses Buch beruht, nicht signifikant erweitert, wenn auch die Öffnung osteuropäischer Archive andere Gebiete der Holocaust-Forschung entscheidend beeinflusst und die Sekundärliteratur auf dem Gebiet explosionsartig zugenommen hat. Zweitens wollten wir deutschen Lesern ein Beispiel der Holocaust-Forschung aus einer Zeit vorlegen, in der das Gebiet noch in den Kinderschuhen steckte. Kurzum, wir wollten mit dem Buch nicht nur eine bis heute gültige historische Studie, sondern auch einen Meilenstein der Geschichtsschreibung vorlegen.

Lassen Sie mich kurz schildern, wie ich zu dem Thema kam. 1967 begann ich mein Graduiertenstudium an der University of Wisconsin in Madison und schrieb meine Master-Arbeit über ein Thema der französischen Diplomatiegeschichte. Das Jahr 1967 war jedoch ein entscheidendes Jahr für den Verlauf des Vietnamkriegs, und als Präsident Johnson die Zurückstellung von Doktoranden vom Wehrdienst widerrief, musste ich mein Studium für drei Jahre unterbrechen. Als ich im Herbst 1971 an die Universität zurückkehrte, hatte ich Raul Hilbergs „The Destruction of the European Jews“ gelesen, das mich zutiefst beeindruckte. Ich teilte meinem Doktorvater Professor Robert Koehl mit, dass ich meine Dissertation über ein Thema in Zusammenhang mit der Judenverfolgung durch die Nazis schreiben wollte. Da er Spezialist zum Thema SS war und ich Erfahrungen in der Diplomatiegeschichte gesammelt hatte, schlug ich vor, das Judenreferat des Auswärtigen Amtes zu untersuchen; das Referat stellte die Verbindung zu Eichmanns Judenreferat in der SS dar und diente der Umsetzung der Judenpolitik der Nazis unter Deutschlands Alliierten und Satelliten. Professor Koehl meinte, das sei ein gutes Dissertationsthema; ich solle mir jedoch darüber im Klaren sein, dass es keinerlei „berufliche Zukunft“ habe. Dieser Rat verrät viel über die damalige Forschungslage, denn bis in die frühen 1970er Jahre genoss die Holocaust-Forschung keinerlei wissenschaftliches Ansehen. An amerikanischen Universitäten wurden keine Kurse zum Thema unterrichtet; außerhalb von Israel gab es weder Zeitschriften noch Konferenzen, bei denen man wissenschaftliche Arbeiten gleichgesinnten Kollegen hätte vorstellen können, und nur einige wenige wissenschaftliche Bücher zum Thema waren erschienen. Glücklicherweise versicherte Professor Koehl mir dann, dass – wenn ich mich wirklich mit diesem Thema beschäftigen wolle – ich dies trotzdem tun sollte, denn nichts sei schlimmer als Jahre mit einem Dissertationsthema zu verbringen, wenn ich nicht mit Leib und Seele dabei sei. Professor Koehl, Professor George Mosse und Professor Theodore Hamerow, die alle an der University of Wisconsin in Madison lehrten, unterstützen mein Projekt rückhaltlos.

Der Deutsche Akademische Austausch-Dienst (DAAD) förderte meinen einjährigen Forschungsaufenthalt in Deutschland finanziell. Auf das DAAD-Stipendium folgte wenige Jahre später ein Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung, und so muss ich sagen, dass ich in den Anfangsjahren meiner Laufbahn als Holocaust-Forscher wesentliche finanzielle Unterstützung eher von deutschen als von amerikanischen Förderinstitutionen erhalten habe.

Als „The Final Solution and the German Foreign Office“ 1978 erschien, wandelten sich die Verhältnisse in der Holocaust-Forschung rasant. Es war das Jahr, in dem der US-amerikanische Kongress das Holtzman-Gesetz verabschiedete; dieses sah die Einrichtung einer speziellen Dienststelle für Sonderermittlungen im amerikanischen Justizministerium vor, um gegen Naziverbrecher und Kollaborateure ermitteln zu können, die nach dem Krieg in den USA Zuflucht gefunden hatten. Im selben Jahr setzte Präsident Carter die Präsidenten-Kommission zum Holocaust („President’s Commission on the Holocaust“) ein, die später die Gründung eines US-amerikanischen Holocaust Memorial Museums empfahl. 1967 war auch das Jahr, in dem der Fernsehsender NBC das Fernseh-„Doku-Drama“ über den Holocaust ausstrahlte; im Jahr darauf verfolgten es Millionen Menschen im deutschen Fernsehen. In den USA und anderen Ländern wandelte sich das Bewusstsein über den Holocaust offensichtlich ganz erheblich.

Es gab damals einige wenige allgemeine Überblicksbände über den Holocaust von Léon Poliakov, Gerald Reitlinger und Raul Hilberg sowie die von Léon Poliakov und Joseph Wulf zusammengestellte Dokumentationsreihe. Daneben gab es ausführlichere Untersuchungen der Judenverfolgung durch die Nazis, insbesondere: Helmut Genschel, „Die Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft im Dritten Reich“; H. G. Adler, „Der Verwaltete Mensch“; Uwe Adam, „Judenpolitik im Dritten Reich“; Eliahu Ben Elissar, „La Diplomatié du IIIe Reich et les Juifs 1933–1939“ sowie Karl Schleunes, „The Twisted Road to Auschwitz“. Ihr Schwerpunkt lag fast gänzlich auf der Judenverfolgung in Deutschland und – mit Ausnahme von Adler – auf der Zeit vor Ausbruch des Krieges. Unter den wichtigsten deutschen Historikern gab es die wegweisenden Beiträge unter anderem von Helmut Krausnick, Eberhard Jäckel, Martin Broszat und Andreas Hillgruber, doch stand der Holocaust nicht im Mittelpunkt ihrer Arbeiten. Als Neuling auf dem Gebiet besuchte Ian Kershaw im Mai 1979 die berühmte Konferenz in Cumberland Lodge, wo führende Historiker der Zeit eine zentrale Debatte über „intentionalistische“ und „funktionalistische“ Interpretationen des Dritten Reiches führten. Wie er unlängst schrieb, war die Atmosphäre äußerst spannend. Allerdings war der Holocaust selbst so nebensächlich im Vergleich zu Themen, die damals für das Verständnis von Wesen und Struktur der Nazi-Diktatur als wichtig galten, dass er Kershaws Erinnerung nach noch nicht einmal erwähnt wurde.1

„The Final Solution and the German Foreign Office“ erschien also zu einem günstigen Zeitpunkt, als nämlich Interesse, Forschung und Veröffentlichungen über den Holocaust außergewöhnlich stark zunahmen. Im Rahmen der bescheidenen Geschichtsschreibung über den Holocaust verlagerte sich auch der Fokus, der bisher auf der Verfolgung der deutschen Juden in den 1930er Jahren gelegen hatte, hin zum Massenmord an den europäischen Juden während des Krieges. „The Final Solution and the German Foreign Office“ war die erste Monographie zum Holocaust, die über die Quellenbasis der Nürnberger Dokumente, d. h. die an deutsche Archive zurückgegebenen deutschen Kriegsaufzeichnungen, sowie Verfahrensakten des Eichmann-Prozesses hinausging und sich wesentlich auf die Auswertung von Gerichtsakten aus der deutschen Nachkriegszeit stützte. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang war die enorme Sammlung an Verhören aus der Untersuchungshaft, die seit Gründung der Bonner Republik im Zuge der gerichtlichen Untersuchungen und Prozesse in Deutschland zusammengestellt worden war. Es war auch die erste Monographie, deren Ansatz sich auf Fallstudien gründete, ausgehend von der Prämisse, dass man den Prozess der Entscheidungsfindung und Umsetzung der Politik nicht nur von oben, sondern auch von unten betrachten muss. In meinem Fall bedeutete dies, eine Gruppe von Bürokraten der mittleren und niederen Ränge zu untersuchen, die eine so entscheidende Rolle in der „Zerstörungsmaschinerie“ – ein Begriff von Raul Hilberg – spielten; diese Täter sollten als eigenständige Individuen betrachtet werden, nicht als gesichtsloses Kollektiv, das anonyme historische Kräfte personifizierte.

Wenn ich dieses Buch heute schreiben würde, würde ich selbstverständlich einiges anders formulieren. Im Nachhinein nimmt der einleitende Rahmen, so denke ich, recht gut die abschließende Synthese der ideologischen und politischen Faktoren im Anschluss an die Debatte um Intentionalismus und Funktionalismus vorweg, wenn ich auch heute eher von „Konsens“ und „dem Führer zuarbeiten“ sprechen würde als von Konkurrenz und Rivalitäten innerhalb des Nazi-Regimes. Der Schluss ist von einem stärker „funktionalistischen“ Ton geprägt, als ich ihn heute anschlagen würde. Doch angesichts des historiographischen Kontextes der damaligen Zeit musste dafür plädiert werden, nichtideologische und kontingente Faktoren einzubeziehen. Wie vehement sich einige Wissenschaftler gegen die Einführung einer solchen Perspektive wehrten, kann man an der scharfen Reaktion eines Gutachters ersehen, der das Manuskript für den ersten Verlag, bei dem ich es einreichte, prüfte. Er schrieb eine vernichtende Kritik von vier Seiten mit einfachem Zeilenabstand, in der er jeden Aspekt des Manuskripts verurteilte und damit schloss, dass es „nicht den geringsten Beitrag zur Forschung auf dem Gebiet leiste“. Glücklicherweise fand das Manuskript dank der Empfehlung von Raul Hilberg einen anderen Verleger. Für den anfänglichen Anstoß, mich auf dieses Terrain zu begeben, und für seine spätere Unterstützung stehe ich in seiner Schuld.

Christopher R. Browning

Frank Porter Graham Professor of History

University of North Carolina at Chapel Hill

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