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Kapitel 6

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»Steven! Steven, bitte! Ich kann nicht schneller!«

Die Seele hatte Angst. Der Seelenfahrer wusste es, konnte aber nichts dagegen tun. Er brauchte seine ganze Kraft, um sie mitzuschleppen. Ihre Beine, die sie ihr Leben lang verflucht hatte, weil sie weder rennen noch springen noch tanzen konnten, funktionierten perfekt im Niemandsland. Das Problem existierte nur in ihrem Kopf. Sie hatte nicht genügend Zeit gehabt, sich anzupassen.

Und wenn er sie nicht schleunigst zum Schutzhaus brachte, würde sie auch nie die Chance dazu bekommen.

»Nur noch ein kleines bisschen«, beschwor er sie.

»Steven, ich kann nicht.«

Er hieß nicht Steven, nicht wirklich, aber was war schon ein Name? Und den Seelen tat es gut, ihn beim Namen rufen zu können. Für ihn machte es keinen Unterschied.

»Du bist fast da«, sagte er aufmunternd. »Komm schon, lauf. Du kannst es, glaub mir.«

Ein Schluchzen war die Antwort.

Der Seelenfahrer biss die Zähne zusammen. Er mochte diese Seele, wollte, dass sie es schaffte. Sie verdiente es. Außerdem plagten ihn Schuldgefühle. Er war es heute Morgen zu locker angegangen, hatte sie immer wieder zusätzliche Pausen einlegen und langsamer gehen lassen, damit sie sich an die Landschaft gewöhnen konnte, an das Gehen ohne Krücken, auf die sie sich ihr Leben lang gestützt hatte.

Nein, er würde nicht zulassen, dass sie für seine Fehler bezahlen musste.

»In Ordnung, warte.«

Er ließ ihre Hand los, hob ihren Arm hoch, dann bückte er sich, nahm sie über die Schulter und richtete sich wieder auf. Sobald er ihr Gewicht ausbalanciert hatte, rannte er los.

Es war nicht einfach. Sie war leicht, aber schwer zu handeln. Auf der linken Seite verdeckte sie ihm die Sicht und er brauchte beide Hände, um sie im Gleichgewicht zu halten. Die Sonne ging jetzt jeden Moment unter und das schaurige Zischen und Fauchen, das überall in dieser Mulde zwischen den Hügeln aufstieg, verriet ihm, dass die Dämonen auf der Lauer lagen. Warteten.

Zum Glück war das Schutzhaus nicht mehr weit. Es lag gleich jenseits dieser kurzen Sumpfstrecke, auf dem ersten Abschnitt des ansteigenden Geländes, einer niedrigen Plattform am Fuß des nächsten Hügels. Der Schlamm saugte und zerrte bei jedem Schritt an seinen Füßen, aber er behielt seinen stetigen Laufschritt bei. Fast da.

Die Sonne glitt hinter den Horizont.

Noch war kaum eine Veränderung des Lichts wahrzunehmen, aber das Pfeifen und Kreischen schwoll an, als die Dämonen freikamen. Er schaute sich kurz um und sah, wie die Kreaturen von allen Seiten auf ihn zuschossen. Ein paar waren schlauer und schwirrten über dem Schutzhaus herum, das jetzt deutlich zu sehen war. Es war so nah.

So. Nah.

Der Seelenfahrer legte einen extra Spurt hin, obwohl er wusste, dass er es nicht schaffen würde, bevor die Dämonen ihn einholten. Er würde kämpfen müssen – aber das war okay. Er konnte es mit ihnen aufnehmen, zumindest für eine Weile.

»Was ist das?« Anna, die Seele, hatte wohl die Dämonen bemerkt, denn sie verkrampfte sich plötzlich an seiner Schulter. Eine Bewegung, die ihn aus dem Gleichgewicht riss, sodass er beinahe gestürzt wäre. In letzter Sekunde fing er sich wieder und stolperte mit seiner Last in den Schlamm.

»Alles gut«, beruhigte er Anna und packte sie noch fester.

Aber seine Worte halfen nichts. Sie zappelte und strampelte, wand sich verzweifelt in seinem Griff, wahrscheinlich um die Kreaturen besser sehen zu können, die auf sie zurasten. Er konnte es ihr nicht übel nehmen, der Anblick war einfach zu grässlich.

»Steven, was ist das?«

»Dämonen«, keuchte er.

Das Schutzhaus war nah, aber nicht nah genug. Er wusste, dass er so viel Vorsprung für sie herausgeholt hatte wie nur möglich, also setzte er Anna wieder im Morast ab. Ihre Füße verschwanden quatschend im Schlamm.

»Dort drin bist du in Sicherheit«, sagte er und zeigte auf die Hütte. »Lauf!«

Anna erstarrte, wahrscheinlich etwas desorientiert, nachdem sie die ganze Zeit mit dem Kopf nach unten über seiner Schulter gebaumelt hatte. Aber für lange Erklärungen war keine Zeit. Der Seelenfahrer packte sie an den Schultern, wirbelte sie in die richtige Richtung herum und versetzte ihr einen Stoß.

»Los! Lauf!«

Anna lief. Ihr Gang war ungeschickt und holprig, wie ein Fohlen, das gerade zum ersten Mal auf die Füße gekommen war. Dennoch stieg ein tiefes Triumphgefühl in Steven auf. Er blieb ihr dicht auf den Fersen und wehrte alle Dämonen ab, die ihnen zu nahe kamen, indem er sie mit solcher Wucht von ihr wegschlug, dass sie durch die Luft geschleudert wurden und ins Wasser klatschten.

Sie würden es schaffen.

Einer der Dämonen änderte plötzlich seine Taktik und griff Steve anstelle der Seele an. Die Kreatur verbiss sich in seinen Arm, aber er ignorierte den Schmerz, schlug sie weg und hieb auf eine zweite ein, die seinen Blick aufzufangen versuchte, um ihn zu blenden.

»Lauf einfach weiter!«, rief er Anna lauthals zu. Sie war kaum zwei Meter vor ihm, aber bei dem Geschrei, das die Dämonen machten, hörte sie ihn vielleicht nicht. »Und renn sofort durch die Tür!«

Das Schutzhaus wartete auf sie, die Tür war halb geöffnet. Anna musste nur hineinstürzen – sobald sie die Schwelle überschritten hatte, war sie in Sicherheit. Den frustrierten Dämonen blieb dann nichts anderes übrig, als Steve anzugreifen, aber was machte das schon? Seine Wunden würden bis zum nächsten Morgen verheilt sein, wie immer.

Der Boden unter ihren Füßen wurde fester, der Morast ging in Grasland über, dann tauchten rissige, unebene Pflastersteine auf. Annas Füße trommelten den Weg entlang, sie streckte ihre Hände aus, um die Tür ganz aufzustoßen. Er lächelte, Erleichterung durchströmte ihn.

Doch plötzlich flackerten und flirrten die Grün- und Brauntöne von Annas Niemandsland, blitzten einen Augenblick blutrot auf, bevor sie wieder ihre ursprüngliche Farbe annahmen. Gleichzeitig bäumte sich die Erde unter Steves Füßen auf, sodass er über den Boden geschleudert wurde und sich Kieselsteine in seine Handflächen bohrten.

Er hob den Kopf, sah Anna ins Haus stürmen – und die Dämonen hinterher.

Wie war das möglich?

Steven erstarrte, der Länge nach auf dem Boden liegend. Sofort schossen ein paar Dämonen auf ihn herunter, krallten sich an ihm fest und bohrten fauchend ihre Zähne in sein Fleisch. Er ignorierte sie, nahm nichts wahr außer Annas markerschütternden Schreien, die aus dem Schutzhaus drangen.

Als die Welt um ihn herum zu Weiß verblasste, schloss er die Augen. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, aber irgendetwas lief gewaltig schief im Niemandsland.

Ferryman – Die Verstoßenen (Bd. 3)

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