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IV.

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Auf das Haus Göbenstraße 8 mündete die Kirchbachstraße. Linke Ecke: Materialwaren en gros und en detail von Hermann Handke; rechte Ecke: Stehbierhalle und Destillation.

Standen Reschkes vor ihrer Kellertür, so konnten sie die ganze Kirchbachstraße übersehen, deren fünfstöckige Häuser in zwei starren Linien einen schmalen Streifen Himmel begrenzten. Eine Unmasse kleiner Leute, die nie Vorräte im Hause hatten, wohnten in diesen Mietskasernen mit den engen Höfchen; da ging die Ladentür bei Handke den ganzen Tag! Kinder, die kaum laufen konnten, schleppten sich mit Körben und trugen Tüten, zur Mittag- wie zur Abendmahlzeit wurde jedes bißchen einzeln eingeholt, jedes Pfündchen Mehl; jeder Krumen Salz. Nicht nur in den Vormittagsstunden, von früh bis abends war ein ewiges Kommen und Gehen im Laden an der Ecke.

Feierabends, besonders zum Schluß der Woche, machte ihm freilich die Destille an der rechten Ecke Konkurrenz. Da strömten Männer, alte und junge, in Blusen und in Röcken, Fabrikarbeiter und Handwerker, Fleißige und Faule, Nüchterne und schon Halbvolle dort hinein. Die Kinder trippelten auch dort ab und zu, Flaschen und Kruken, Gläser und Gläschen ängstlich vor sich hertragend und mit krausen Nasen den Duft einziehend.

Das schwirrte und wirrte wie ein Bienenschwarm auf dem engen Raum vor dem Schenktisch; undurchdringlicher Qualm lagerte über den Menschen, den kahlen Holztischen, den handfesten Stühlen und den verschütteten Neigen der Getränke. Von fettigen Köpfen war die Tapete über den Bänken an der Wand blankgescheuert. Die Männer der Göben- und Kirchbachstraße, die in den Hinterhäusern bis hinauf zur Höhe des Himmels, in den Kellern bis hinunter in die Tiefe der Erde wohnten, saßen und standen hier herum. Ob die Sommernacht in träger Schwüle über den Häusern brütete oder der Winterwind fauchend durch die Straßen strich, hier wurde gehockt bis gegen den bleichen Morgen. Hier wurde politisiert und verschimpfiert, gehetzt und gemurrt, geschimpft und gelacht, in den Himmel gehoben und in die Hölle verflucht, mit Fäusten auf den Tisch geschlagen und der Boden bespuckt. Je weiter die Nacht vorrückte, desto lauter die Unterhaltung.

„En Schkandal“, brummte oft neiderfüllt Reschke, wenn er im grauenden Morgendämmer mit seinen Hunden losfuhr und drüben noch hinter dem Schankfenster das Licht glimmte. Er war einer von den wenigen in der Straße, die nie die Destille besuchten. Das sollte ihm fehlen, dem Kerl drüben, der ohnehin schon soviel verdiente, noch selber sein gutes Geld hintragen!

Heute nachmittag, als ihn „bei’s Bücherführen“ neben seiner Weißen ein Appetit auf einen Pfefferminz ankam, schickte er Bertha mit einem Fläschchen hinüber.

Sie betrat die Destille, und ihr Blick wurde sofort gefesselt von den Flaschen auf dem Schenktisch, die, mit wasserklaren und grünen und roten und gelben Flüssigkeiten gefüllt, lieblich in der Sonne glänzten. Blitzschnell leckte ihr spitzes Züngelchen die Lippen — süße Liköre, ah!

Mit ihrem freundlichsten Lächeln forderte sie den Pfefferminz.

Der Wirt, der noch dick verschlafene Augen hatte — er schlief immer erst am Tage aus — füllte das kleine Fläschchen, aber er händigte es ihr noch nicht ein; er lehnte sich vielmehr, auf einen Arm gestützt, über den Schenktisch und musterte sie wohlgefällig. „Sie sind wohl das junge Mädchen drüben aus’n Jrünkram, ich habe det schonst jehört, det die Reschkes ihre Nichte zu Besuch haben.“

„Ich bin nicht die Nichte, nur ’ne Bekannte.“

„So so. Det konnte ich mir auch jar nicht denken, daß Sie mank die Familie jehören! Jrünkram — !“ Er rümpfte geringschätzig die rote, verschwollene Nase und zog die Schultern in die Höhe. „Jetzt schreiben se an: ‚Alle Sorten Biere!‘ Wahrhaft lachbar! Mit die abjestandene Tunke, die sie drüben verkaufen, möchte ich mer nich mal die Beene waschen. Na, wie is’s, Fräulein, werden Sie sich noch lange drüben aufhalten?“

Sie zuckte die Achseln. „Ich weiß nich.“

„Sie suchen wohl Stellung? Hm? Na, Fräulein, wie wär’s mit ’ne kleine Herzstärkung, ’nen Bittern oder ’nen Süßen?“

„Süßen“, sagte sie ganz verschämt und sah dabei mit glühenden Augen zu, wie er eine große Flasche mit leuchtend rubinrotem Inhalt entkorkte und ihr ein Gläschen bis zum Rande füllte.

„Na prost!“

Sie nippte erst, und dann schloß sie die Augen, stürzte das Ganze auf einen Zug hinunter und schüttelte sich vor Behagen — zuckersüß!

„Na, hat’s jeschmeckt?“

Sie nickte nur strahlend.

Er machte ihr Komplimente über ihre roten Backen, ihre weißen Zähne, ihr blondes Haar; zum Schluß rückte er mit dem Vorschlag heraus, sie solle bei ihm Mamsell werden. „Verheiratet bin ich nich, Krach mit der Frau brauchen Sie also nich zu fürchten, fufzig Taler Lohn is auch keen Pappenstiel, abjesehn von Trinkjelder. Un jute Behandlung“ — er maß sie mit einem langen Blick — „die kann ich Ihnen jarantieren.“

Er drängte sie förmlich zu einer Entscheidung; so umnebelt war sie aber doch nicht von dem einen Gläschen, sie sagte nicht ja und nicht nein. Alle Tage süßer Likör war schon verlockend, fünfzig Taler auch; aber die kriegte sie auch woanders und — nein, die Stellung war nicht fein genug, sie konnte höhere Ansprüche machen. Schnell machte sie sich los.

Drüben war inzwischen Mine in den Laden gerufen worden. Sie hatte den ganzen Tag beim trübseligen Schein eines schwelenden Lämpchens in der Küche gewaschen; durch das lukenartige Fensterchen nach der Straße fiel nicht genug Licht. Allerhand traurige Gedanken waren ihr gekommen, als sie an den düsteren Wänden hinauf sah. Kein Himmel, keine Sonne. Nun arbeiteten die daheim auf freiem Feld — beklommen holte sie Atem —, so heiß wie hier war’s dort im glühenden Sonnenbrand nicht geworden. Keine Luft, keine Luft! Verzweifelt riß sie die Taille auf, streifte den Kleiderrock ab und wusch in Unterrock und Hemdärmeln weiter.

Zornig krauste sich ihre Stirn, ihre Brust arbeitete erregt; wenn die zu Hause wüßten, wie’s ihr hier ging! Aber nein, die sollten nichts davon erfahren, da setzte sie nun ihren Stolz drein; nicht klagen! Sie biß die Zähne aufeinander, unterdrückte die Tränen und machte sich mit einer Art Wut von neuem über die Wäsche her.

„Die wird ja doch nicht weiß“, hatte Bertha gesagt, die vorhin einmal in die Küche geguckt. „Mach nur schnell fertig, was schindste der so?!“

Die mußte weiß werden! Sie bückte sich tief über den Zuber und rieb, daß ihre Muskeln anschwollen und die starken Arme blaurot wurden. Die Seifenflocken spritzten und flogen auf ihre Haare und zergingen da langsam. Wie eine Wohltat empfand sie das Naß an ihrer glühenden Stirn niederrieseln; bei der emsigen Arbeit wurde sie nach und nach ruhiger.

Die stille Grete kam zu ihr in die Küche geschlichen, stellte sich neben sie und starrte trüben Auges in den schmutzig und schmutziger sich färbenden Seifenschaum. Als Mine sie anredete, fuhr sie erschrocken zusammen; ihr kränkliches Gesicht färbte sich purpurn unter der aufflammenden Röte der Scham.

„Warste in de Schule?“ Mine dachte an ihre kleine Schwester Emma, als sie dann fragte: „Haste ooch ’ne Puppe?“

Das Kind schüttelte verneinend den Kopf.

„Magste keene leiden?“

Grete schien ganz in sich zusammenzukriechen, scheu sah sie sich um, dann stieß sie heraus: „Zwölf!“

„Was, zwölf Puppens?“

Die Kleine schüttelte wieder den Kopf. „Nein“, und wies mit dem Zeigefinger auf sich selber: „Zwölf Jahr!“

Aha, nun verstand Mine! Richtig, die war ja schon zwölf, zu alt für Puppen! Freilich, die Emma zu Hause war erst achte, aber was war das für ein Mädchen gegen die hier! Von einer mitleidigen Regung ergriffen, strich sie dem Kind mit der seifigen Hand über das glanzlose Haar.

„Du solltest mal bei uns kommen, Grete, da wirste groß un dick!“ Und von einer Sehnsucht ohnegleichen gepackt, erzählte sie dem still zuhörenden Mädchen von dem Vaterhaus mit dem Strohdach, drauf alle Frühjahr ein Storch nistete, von den Pantoffelblumen am Kammerfenster, dem Schweinekoben, den Hühnern auf dem Mist, von dem Dorf mit dem Entenpfuhl, von dem Kartoffelacker und dem Roggenfeld. Die dunklen Kellerwände wichen auseinander, sie sah weit über hellbeglänzte Fluren.

Grete hörte zu mit angehaltenem Atem und einem verwunderten Ausdruck in den matten Augen, die noch nie grünende Saat, noch nie ein wogendes Kornfeld gesehen hatten.

„In’n Tier-arten — is au schön“, brachte sie mühsam näselnd heraus; die Gaumenlaute zu bilden war ihr nicht möglich.

Mine lächeltegeringschätzig. „Aber derheeme, da sollste kucken! Un en Butterschmier“ — sie zeigte vier Finger — „so dick! Ju, ju, da hammers sehr gutt!“

Grete drängte sich dicht an die Kusine. „Nimmste — mir — mit?“

„Ju, ju, da essen mer Kuchen. Ißte lieber mit Mus oder mit Quark? Un de Pflaumen kosten nischt, mer brauchen uns nur uffzulesen, un —“

„Mine, sollst mal in’n Laden kommen“, quakte Ellis dünne Stimme. Die Küchentür aufreißend, steckte sie den mit einem himmelblauen Seidenband umwundenen Haarschopf herein.

„’s is eene da, die dir mieten will.“

Fort war die Heimat mit einem Schlag!

Aufgeregt riß sich Mine die nasse Schürze vom Leib und trocknete die aufgequollenen roten Arme; kaum daß die von der Lauge aufgeweichten Hände das Kleid zuhaken konnten. Nicht einmal ein bißchen ordentlich konnte sie sich machen, Elli drängte:

„Mach, sonst jeht se’! Dalli, dalli!“

So klappte sie denn in ihren nassen Pantinen in den Laden.

Frau Reschke stand in bescheidener Haltung, mit süßestem Lächeln, vor Frau Hauptmann von Saldern und pries mit devoter Stimme, aber unheimlicher Geläufigkeit, die Tugenden des Mädchens vom Lande.

„Jnäd’je Frau, janz was for Ihnen. Stark wie en Ochs und sanft wie en Engel. Un arbeitsam! Komm nur, komm“ ermutigte sie Mine, die an der Tür stehen geblieben war, „schenier dir nicht. Arbeit schändet nich. Jnäd’je Frau, da hat se sich jleich über de ganze Wäsche herjemacht; ick sagte ‚Mineken, laß man, es wird dich zu ville!‘ ‚Tante‘, sagt se, ‚ne, ne, ick sehe schon wo’t fehlt. Laß mer nur, ohne Arbeit kann ick nich leben!‘ Uff meine Verantwortung, jnäd’je Frau, da kriegen Se was Reelles, keene Rumtreiberin wie die andren alle. Jotte doch, was is das heutzutage ’ne Zucht mit die Mächens.“

Die Frau Hauptmann, eine zarte, hochgeschossene Blondine mit leicht vornübergeneigter, schwacher Haltung, stand wie geknickt unter dem Redeschwall der Vermieterin. Nun hob sie die Lorgnette vor die mattblauen, müden Augen und betrachtete das Mädchen, das linkisch, mit einwärts gesetzten Füßen, ohne den Blick zu erheben, mit zerzaustem Haar, in geringer Kleidung vor ihr stand.

„Ist sie denn auch reinlich? Versteht sie denn auch was?“ fragte sie ängstlich. „Peters sagte mir, sie wäre so gewandt.“

„Un ob!“ Die Reschke lächelte siegesbewußt. „Um die is mer nich bange, die find’t sich überall zurecht. Eene paar Tage, denn sollen Se mal sehen!“

„Wie ist es denn aber mit dem Kochen?“

Die Vermieterin räusperte sich „Jotte doch, det sollte keen Hindernis nich sein. Auf’n Lande wird ebent einfach jekocht, täglich Suppe un Fleisch un Jemüse un Kartoffeln, nur sonntags was Extras, en Hühnchen oder ’ne Mehlspeise. Die feine Küche wie bei jnäd’ge Frau in’n hochherrschaftlichen Hause, die lernt aber so eene rasch.“

„Ich kann nich kochen“, sagte Mine ängstlich.

Die Tante warf ihr einen bitterbösen Blick zu. Aber ihre Stimme schmeichelte: „Jott, jnäd’je Frau, da sehen Se’s, wie bescheiden! Bescheiden sein is jut, ick sage alle Tage zu meine Kinder: ‚Seid bescheiden, in euren Stand muß man bescheiden sein!‘ Aber die Mine übertreibt det reine —“.

In diesem Augenblick kam Bertha. Das Schnapsfläschchen trug sie unter der weißen Schürze verborgen, die rosa Bluse, die sie am Nachmittag angelegt, um den Käuferinnen zu imponieren, saß zierlich auf der hübschen Gestalt. Ihre Wangen waren noch rosiger als sonst, sie war freudig erregt. Hatte doch eben, als sie die Destillation verlassen, die Kaufmannsfrau von der anderen Ecke sie angerufen, die behäbige Dame mit der goldenen Uhrkette und der durch einen hohen Schildpattkamm aufgestellten Flechtenkrone. Auch sie hatte gehört, daß drüben bei Reschkes zwei Mädchen, frisch vom Lande, zugezogen seien. Sie forderte Bertha auf, in den Laden zu treten, in dem Zuckerhüte und große Blocks Schokolade aufgestellt waren, und auf einem Ständer an der Türe verschiedene hohe Gläser mit Bonbons in allen möglichen Farben und Formen lockten. Da hatte sie ihr den Vorschlag gemacht, am ersten Oktober mit sechzig Reichstalern Lohn und dreißig Mark Weihnachtsgeld zu ihr zu ziehen. Es schwindelte Bertha, aber sie bat sich Bedenkzeit aus; es war doch immerhin nur im Kaufmannsladen! Und sie sah lächelnd an sich herunter und zog den Gürtel mit der blanken Schnalle noch ein wenig fester um die Taille zusammen — mußte sie ein Mädchen sein, daß man sich so um sie riß!

Mit einer strahlenden Freundlichkeit glänzten ihre Augen die fremde Dame an, als sie sich jetzt im Keller geschmeidig durch die Obstkörbe an ihr vorbei wand.

Die Hauptmännin hielt sich die Lorgnette vor die Augen, dann faßte sie sich ein Herz: „Entschuldigen Sie, Frau Reschke, das scheint mir doch viel eher das Mädchen zu sein, von dem unser Bursche mit mir gesprochen hat. Suchen Sie nicht auch Stellung?“ wandte sie sich an Bertha.

„Jawohl, gnädige Frau!“ Bertha hatte ein kindliches, offenes Lächeln, das sofort für sie einnahm.

„Verstehen Sie Küche und Hausarbeit?“

„Ich hab meiner Mutter den Haushalt geführt, wir hatten sehr viel zu tun. Ich habe alles alleine gemacht, de Mutter brauchte sich um nischt zu kümmern.“

Frau Reschke war ganz starr — die wußte sich aber anzubringen! Eine leise Bewunderung stieg in ihr auf, zugleich aber auch ein tüchtiger Ärger; daß das dreiste Ding ihre Hilfe gar nicht zu gebrauchen schien. „Bertha“, sagte sie scharf, „die jnäd’je Frau Hauptmann von Saldern will unsere Mine mieten.“

„Ach, ich weiß doch nicht — ich möchte doch lieber nicht“, sagte die junge Frau zögernd und betrachtete unentschlossen Mine, die mit ihren linkischen Manieren und der verdrossenen Miene gewaltig gegen Bertha abstach.

Von Saldern — Hauptmann von Saldern! Das war was Feines! Berthas Lächeln wurde immer gewinnender.

„Diese ist so freundlich“, sagte Frau von Saldern, gleichsam entschuldigend zur Reschke. „Ich habe so gern freundliche Leute um mich; es ist auch so gut für die Kinder.“ Und dann mit einer plötzlichen Entschlossenheit zu Berha: „Ich gebe Ihnen sechzig Taler.“

Die Reschke wurde dunkelrot. Nur mit Mühe behielt sie Biederton und Biedermiene bei. Noch schöner! Die Mine, die so schwer zu vermieten war — nicht mal die Hauptmannsche wollte sie — blieb ihr auf dem Halse, und der Racker da brachte sich gleich selber an! Aber sie gönnte es der kleinen Kröte, wenn sie auf den hungerleidrigen Haushalt reinfiel. Und so bestärkte sie in geheimer Schadenfreude die junge Frau eifrig in ihrer günstigen Meinung über Bertha.

Der Lohn schien allerdings noch ein Hindernis. Bertha verlangte in aller Bescheidenheit siebzig Taler und ließ einfließen, daß der Destillateur drüben ihr eben das gleiche geboten, und die Kaufmannsfrau, an der anderen Ecke der Kirchbachstraße, sogar noch fünf Taler mehr.

Frau Reschke zitterte vor verhaltener Wut — die Bande! Also nicht bloß, daß sie einem die Kunden wegschnappten, auch den Nebenverdienst, durch den man mal ein paar Mark erübrigte, ruinierten sie einem. Der Polizei müßte man’s anzeigen, so’ne Gemeinheit. Einem die Mädchen hinterrücks wegzumieten!

Aber jetzt wollte sie zu ihrem Gelde kommen. So schwadronierte sie denn los: „Jeben Sie siebzig, jnäd’je Frau. Sie finden kein Mädchen, det mehr for Ihnen paßte. Ja die Bertha, det is en Mächen, wie aus der Lade genommen! Und so fix — ne, einfach jroßartig! Bertha, haben Sie’n Jlücke, bei so’ne Herrschaft! Da kommen immer die Mächens jelaufen: ‚Noch keene Aussicht, bei die Frau Hauptmann anzukommen?‘ Aber von den’n wirde ik Ihnen ja jar keene rekommandieren, jnäd’je Frau! I wo, man sieht doch, wen man vor sich hat; det jinge mir jejent Jewissen. Nanu, sag ich immer zu de Mächens, ‚ihr wollt über de Herrschaft klagen? Schämt euch. Is det ne Manier, sich so uffzuplundern? Ponnis gebrannt, alle vierzehn Tage uff’n Ball? Un ’n großes Maul haben, und faul bei de Arbeit. Und Ansprüche — da is das Ende von weg!‘ “

„Ach ja“, seufzte die junge Frau, „ich hab auch schon böse Erfahrungen gemacht.“

„Na, wie war’s denn mit die Mathilde?“ forschte die Reschke neugierig.

„Die ist eine sehr ordentliche Person. Ich hätte ihr sicher nicht gekündigt; aber sie heiratet ja.“

„Sieh eener den Racker an!“ Frau Reschke schlug schallend die Hände zusammen. „Die un heiraten! Ne, jnäd’je Frau, det Sie so wat jlauben! Vermieten will se sich anderswo. Siebzig Taler, dafor dient se nicht mehr; hundert will se haben. Und denn vier Treppen! I du meine Jüte, Belletasche muß es sind und in’n Tierjartenviertel! Die Zuchten kennt man schon!“

Frau Reschke hatte sich in Eifer geschwatzt; sie unterbrach den Fluß ihrer Rede nicht eher, als bis Frau von Saldern, ganz klein gemacht durch die Niedertracht ihrer Mathilde, Bertha siebzig Taler zusagte.

Als die Dame gegangen war, fing Mine, die bis dahin in mürrischem Schweigen in einer Ecke gestanden hatte, an zu weinen. Alles, was sich an diesem Tage von Ärger und Erbitterung in ihr aufgespeichert hatte, floß in diesen Tränen zutage; Heimweh war auch dabei. Sie machte der Tante Vorwürfe in einer groben Art, so daß diese, über so viel Undankbarkeit ganz entrüstet, etwas von „unjehobelte Bauerndirne“ schrie, für die sie keinen Finger mehr rühren würde, und beleidigt die Glastür hinter sich zuschmetterte.

Im dunklen Laden hockte Mine auf der umgestülpten Tonne und hielt sich die Hände vor die Augen. Bertha stand vor ihr; der letzte Schimmer von Licht, der in den Keller fiel, weilte auf ihrem lieblichen Gesicht.

„Weene nich, Mine“, sagte sie schmeichelnd und strich der Schluchzenden übers Haar. „Daß de der drum so hast! Laß doch den alten Drachen! Weeßte, ich hab ’ne sehr scheene, ’ne gutte Stelle for dir, drüben bei’n Herrn im Restorang!“

„Siebzig Taler, sagste, gibt der?“ Mine hörte auf zu weinen.

„Ne!“ Bertha lachte hell. „Wo denkste hin? Das war nur so zu die Dame gesagt. Aber vierzig wird er der schon geben. Geh doch mal rüber bei ihn!“

„Geh du mit“, bat Mine und faßte ihre Hand.

„Na, denn komm!“ Bertha wollte sie emporziehen, aber, wie sich besinnend, schrie Mine: „Jesses, all die Wäsch! Die muß ich erscht fertig machen!“

Bertha sah ihr kopfschüttelnd nach, wie sie durch das nun vollends hereingebrochene Dunkel nach der Küche rannte. Ein mitleidig-geringschätziges Lächeln spielte um ihren hübschen Mund.

Das tägliche Brot

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