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VII.

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Frau Hauptmann von Saldern war noch nicht recht warm geworden mit ihrem neuen Mädchen, obgleich dieses sich willig und sehr geschickt zeigte und von einer steten bescheidenen Freundlichkeit war.

„Ich weiß nicht“, klagte sie ihrem Mann, „was der Peters und die Bertha immer in der Küche zu lachen haben. Hör nur! Schon wieder! Was haben sie denn nur?“

„Aber, liebes Kind“, beruhigte der Hauptmann, „du willst doch wohl nicht die Vertraute deiner Dienstmagd sein! Was gehts dich an?!“

„Nein, aber ich möchte doch wissen, was sie vorhaben!“ Die Herrin lauschte, das helle Kichern der Magd drang vernehmlich durch die geschlossene Stubentür. „Man muß kein so hübsches Dienstmädchen nehmen“, sagte sie ärgerlich.

„Tut sie denn nicht ihre Schuldigkeit?“

„O ja!“

„Ist sie unbescheiden?“

„O nein!“

„Ja, aber was gefällt dir denn nicht an ihr?“

„Ich — ich weiß nicht. Hörst du, sie lacht schon wieder! Du mußt Peters verbieten, sich in der Küche aufzuhalten. Wenn sie sich nun mit ihm einläßt!“

„Na! Wenn du keinen Schaden davon hast, kann dir’s doch ganz gleich sein. Du hast nicht für die Moral deiner Dienstmägde aufzukommen.“ Der Hauptmann zuckte die Achseln. „Laß sie doch!“

„Ja, aber sie haben immer ihre eigenen Interessen“, klagte die junge Frau. „Und besonders solch eine Hübsche!“

„Eine Hübsche“ — das fand Bertha auch, als sie sich heut nachmittag in ihrem Spiegelchen besah. Seit einer Stunde hielt sie sich in ihrer Kammer vor dem Ansturm der Kinder verschlossen, die sonst gewöhnt waren, eine immer zum Tändeln bereite Gefährtin in ihr zu finden.

Sie rüstete sich zum Vergnügen; es war ihr erster sonntäglicher Ausgang in Berlin.

In der Mägdekammer, die so schmal war, daß nur ein schlanker Körper sich zwischen Bett und Wand durchklemmen konnte, roch es stark nach duftender Moschusseife; der Chef drüben im Kaufmannsladen hatte sie Bertha verehrt, als sie heute morgen ein halbes Pfund Kaffee zu siebzig, ein Pfund Reis und ein Päckchen Suppentafel geholt.

Vom Kopf bis zu den Füßen hatte sie sich abgeseift, sie hatte sich förmlich eingehüllt in diesen Wohlgeruch. Nun stand sie in Korsett und Unterrock vorm Spiegel und steckte ihr Haar auf. Lang und fein, in einem weichen, silberblonden Glanz, floß es ihr über den Rücken.

Sie vergrub die Zähne in die rote Unterlippe und betrachtete lang und sinnend ihre frische Schönheit. Nein, es wäre schade, wenn sie hier in der beengten Wirtschaft bei Hauptmanns verkommen sollte. Hier war kein Ort für sie. Sie mußte weiter, weiter! Allerhand ehrgeizige Pläne schossen ihr durch den Sinn. Oh, sie würde sich schon schicken, wenn sich’s lohnte, sich ducken, wenn’s not tat! Das mußte man, wenn man’s zu etwas bringen wollte. Und hatte sie nicht bei Reschkes im Keller gelernt, welche Reden den Leuten angenehm sind!

Mit einem entschlossenen Blick in den Augen, der das schöne Blau zu einem stahlharten Grau veränderte, nickte sie ihrem Spiegelbild zu — hier kündigte sie in nicht zu ferner Zeit, das stand fest. Vorerst aber wollte sie sich heute einmal amüsieren.

Auf dem Bett lag der ganze Sonntagsstaat ausgebreitet, kritischen Blickes betrachtete sie ihn. Das perlbestickte Cape von der Freiern war noch sehr schön — die lag nun schon beinahe ein halbes Jahr in der Erde, die fing gewiß bereits an zu faulen. Ohne jedes Grausen dachte sie daran, mit einem naiven Vergnügen. Hätte sie sonst das schöne Cape bekommen?

Das Kleid fand weniger ihren Beifall — ’s war noch ihr schwarzer Einsegnungsrock und die rosa Bluse — aber zu einem neuen hatte es noch nicht gelangt. Acht Mark mußte sie für den Federhut abbezahlen, sowie sie ihren ersten Monatslohn bekam. In dem winkligen Trödellädchen bei Rosalie Grummach hatte sie den erstanden; die Minna vom Doktor hatte sie dahin rekommandiert, die all ihre Kleider dort kaufte, richtige Damenkleider. Acht Mark! Aber er war auch noch so gut wie neu, an der Seite aufgeschlagen, von weichstem hellen Filz, mit langer gekrauster Straußenfeder.

Lächelnd hielt sie ihn mit beiden Händen über ihr Köpfchen, die kühne Form stand ihrem sanften Madonnenscheitel gar zu gut. Ihre feinen Nasenflügel zitterten und blähten sich in verhaltener Begier; sie schien in die Ferne zu lauschen — schon hörte sie die Tanzmusik! Unbewußt summte sie einen Walzertakt. Und wie die Leute sie anlächelten — sie lächelte wieder — da — ein Klingeln an der Haustür!

Ärgerlich griff sie nach ihrer Nachtjacke. Nein, mochten sie selber aufmachen, heute war ihr freier Sonntag! Die Stimme des kleinen Kurt ertönte draußen: „Die Bertha ist noch da, jawohl!“

Gleich darauf klopfte es an die Kammertür. „Bertha, mach uff! De Mine!“

Bertha schob den Riegel zurück. „Du — ?!“ sagte sie langgezogen. Mine umarmte sie kräftig.

„Au, du stößt mer ja den Hut runter!“ Bertha wich zurück und faßte mit beiden Händen nach ihrem Kopf. Vorsichtig legte sie den Hut aufs Bett. „Na, wie geht dersch?“

Mine lachte mit einer gewissen Verschämtheit. „Gutt, sehr gutt! Un dir?“

„De siehst ja!“

„Ne, woher haste denn den feinen Hutt?“

„Gekauft. Schön, gelle?“

„Wunderscheene“, rief Mine bewundernd und schlug die Hände zusammen.

„Setz der“, sagte Bertha, um vieles freundlicher.

Mine nahm auf dem Bettrand Platz und stocherte mit der Spitze ihres großen baumwollenen Regenschirmes an ihren Schuhen herum; sollte sie der Freundin was anvertrauen? Sie wußte nicht recht, wie sie’s anfangen sollte.

„Du“, flüsterte sie endlich nach langem Besinnen, „ich hab en Schatz!“

Bertha war ganz mit sich beschäftigt, sie schien nicht zu hören.

„Er ist aber sehr gutt und sehr scheene, un —“ sie brach ab und lächelte stolz.

„So?“ sagte Bertha leichthin. „Weißte, ich muß eilen, die andern warten auf mer.“

„Wohin gehste denn?“

„Ich hab mer verabred’t mit fünf andren Mädels — ich weiß nich.“ Sie sagte nicht „Komm du auch mit!“ Mines Herz zog sich zusammen. Ihr Kleid glattstreichend, stand sie auf.

„Wart, ich komme mit bis runter“, rief Bertha.

Das Cape mit einem Finger am Anhängsel haltend und wie eine Windfahne wirbelnd, sprang sie leichtfüßig neben Mine die Hintertreppe hinunter. Unten am Hoftor schüttelte sie ihr die Hand. „Adje, Mine, amüsier der!“ Plötzlich fiel’s ihr ein, und einem gutmütigen Impuls folgend, haschte sie nach dem Kleid der sich langsam Entfernenden. „Du, Mine, komm ooch mit!“

„Ne, ne!“

„Biste mer beese?“

„Ne, ne ich —“

Mine beendete ihren Satz nicht, sie wurde glühend rot und guckte mit leuchtenden Augen der Taxameterdroschke nach, die, trotz der dichtgedrängten Insassen, leicht und elegant an ihnen vorbeisauste. Der Kutscher hob für einen Augenblick die Peitsche grüßend an den Zylinder.

Bertha lachte. „Kennste den ooch?“

„Wen — wen meinste?“ stotterte Mine verschämt.

„Na, den Weißlackierten! Der Müllern, der Plätterin ihr Mann!“

„Der Plät — terin — ihr — Mann?“

„Gelle, die kann lachen?! Ein netter Mensch! Un immer fidel. Man kann sich reine totlachen. Wenn er zu Hause ist, steht er im Laden und poussiert de Mädels. Die macht en Geschäft! Au, laß los!“

Krampfhaft preßte Mine den Arm der lustig Schwatzenden. „Ver—heirat, sagste — der — ?!“

Bertha lachte hell auf. „Hätt er vielleicht uff dir warten sollen?“

„Ne, ne — ju ju“, mehr brachte Mine nicht heraus, mechanisch verabschiedete sie sich.

Sonnenschein lag auf dem breiten Trottoir und dem Asphalt der Straße, er tat ihren Augen weh. Die brannten wie Feuer. Im Schatten der Hauswände schlich sie zurück. Die Destille gähnte sie an wie ein Grab. Sie stahl sich auf ihren Hängeboden und riß sich den Hut vom Kopf. Aus dem Spiegelscherben guckte ihr ein blasses, gänzlich verdutztes Gesicht entgegen; da ballte sie die Faust. „So’n Kerl“, sagte sie ingrimmig, und dann warf sie sich übers Bett und heulte in ihr Kissen. Und überm Weinen schlief sie ein.

Als sie erwachte, dunkelte es bereits.

Eine grenzenlose Verlassenheit überkam sie plötzlich — hatte sie denn gar niemanden, der sich um sie kümmerte? War sie ganz allein in der großen weltfremden Stadt? Mit einem sie völlig übermannenden Schmerz dachte sie an Bertha. Die saß in einem Biergarten und amüsierte sich, oder tanzte vielleicht gar und ließ sie hier allein hocken in dem dunklen Loch. Sie hätte sich die Augen aus dem Kopf weinen mögen. Was sollte sie jetzt machen? Nach Hause schreiben? Ach nein! Ging es ihr denn so gut, daß die zu Hause bei ihrem Bericht Maul und Nase aufsperren würden?

Sie würgte die Tränen herunter und erhob sich müde und unlustig. Daß auch die Grete gar nicht zu ihr kam! Selbst die Elli wäre ihr jetzt recht gewesen.

Sie setzte sich wieder den Hut auf und ging langsam hinüber zum Grünkramkeller; Schritt setzte sie vor Schritt, fast widerwillig, und doch zog sie’s gewaltsam. Sie konnte die Einsamkeit nicht länger mehr ertragen.

Da stand sie vor der blaulackierten Tür — die war fest verschlossen. Mit trübseligen Augen sah sie die Straße auf und nieder, dämmerig war’s und weiche müde Luft. Einzelne Pärchen schlenderten in sonntäglichseligem Beieinandersein übers Trottoir — die kamen vom Tiergarten oder von irgendwo weit draußen her, aus Wald und Heide! Ein Mädchen mit lachendem Gesicht trug einen ganzen Strauß goldgelber herbstlicher Blätter und einen Zweig kirschroter Beeren in der Hand. Ach — !

Sie klopfte wieder und wieder, nicht nur mit dem Finger, sie nahm die ganze Faust. Vergebens! Da lief sie durchs Tor auf den Hof des Hauses, vielleicht, daß Reschkes ihr Klopfen an der Hintertür hörten. Einer mußte doch zu Hause sein; immer blieb einer da, um hintenherum vergeßlichen Dienstmädchen eine Flasche Bier oder sonst etwas zum Abendbrot Benötigtes zu verabfolgen.

Auch hier ihr Klopfen vergebens! Sie rief: „Onkel! Tante! Onkel! Grete!“

Mit sehnsüchtigem Blick musterte sie die kleinen tiefliegenden Scheiben der Kellerwohnung, die der aufgewirbelte Kehricht des Hofes mit einer dichten Haut überzogen hatte. Kein Lichtschimmer. Das ganze große Haus wie ausgestorben; als Riesensarg stand es unterm Himmel, der sich nächtlich umzog. Blasse Sterne schimmerten auf.

Das einsame Mädchen reckte sich und legte den Kopf in den Nacken, um oben, zwischen den hohen berußten Wänden durch, den matten Glanz des Herbsthimmels sehen zu können.

Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Eine Katze strich kläglich miauend über die Mauer des Nachbargrundstücks; der Nachtwind erhob sich, verfing sich im engen Hof und wisperte in den öden Ecken.

Noch immer konnte sie sich nicht zum Fortgehen entschließen. „Onkel! Tante! Grete! Arthur! Trude! Elli!“ Immer dringender wurde ihr Rufen, es hallte laut über den stillen Hof.

Da öffnete sich oben im zweiten Stock ein Fenster, eine schwarze Frauengestalt neigte sich heraus. „Machen Sie nicht solche Störungen am Sonntag! Unten ist keiner zu Hause — alle zum Vergnügen natürlich!“

Das Fenster schloß sich wieder. Der scharfe Ton hatte Mine erschreckt, sie wagte nicht mehr laut zu rufen. Leise aber eindringlicher klopfte sie an das nächste Fenster — es war Arthurs Kammerfenster.

„Arthur! Arthur!“

Das tägliche Brot

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