Читать книгу Pralinen für zwischendurch - Clare Dowling - Страница 3

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Jackie würde zu spät zu ihrem Dinner mit Dan kommen. Außerdem hatte sie den Verdacht, dass heute ihr Sechs-Monate-Jubiläum war, und wünschte, sie hätte sich die Zeit genommen, im Kalender nachzuschauen. Aber im Laden war die Hölle los gewesen. Und Lech, der Ausfahrer, hatte wieder mal zwei Aufträge verwechselt und ein Rosenbouquet mit einer fröhlichen »Ich-liebe-Dich«-Karte an die Adresse einer Dame geliefert, die gestern gestorben war, während der Kranz bei einem jungen Paar landete, das, zum dritten Mal verabredet, in einem Restaurant zu Mittag aß. Jackie hatte dem Knaben daraufhin eine Abmahnung erteilt, was ihr zwar widerstrebte, aber was blieb ihr übrig? Flower Power begann gerade erst Gewinn abzuwerfen, und sie konnte sich solche Fehler einfach nicht leisten.

Vor Hektik schwitzend, wedelte sie sich mit der Hand Kühlung zu, während sie dahinhastete, so schnell es die neuen, roten Stiefel erlaubten. Oh, sie wusste, sie hätte sie nicht kaufen sollen. Rot stand ihr überhaupt nicht, und die Absätze waren viel zu hoch – in der Mittagspause hatte sie ein Windstoß beinahe umgeweht –, aber als sie sie im Schaufenster gesehen hatte, dachte sie, das waren genau die Schuhe, die eine tüchtige, sexy Karrierefrau tragen würde. Oder vielleicht auch ein Straßenmädchen.

Zweifelnd schaute sie auf ihre Füße hinunter – doch sie konnte mildernde Umstände geltend machen: Immerhin war sie noch eine Anfängerin, wuchs gerade erst in die Rolle der Unternehmerin hinein. Irgendwann würde ihre Garderobe zu ihr passen, da war sie ganz sicher. Die Kunden schienen sich jedenfalls nicht an ihrer Aufmachung zu stören. Sie wussten, dass sie, wenn sie einen Strauß bei ihr kauften, für sehr viel mehr bezahlten als nur für Blumen, und sie würde sie nicht beleidigen, indem sie sich ihnen in einer marineblauen Kittelschürze und Gesundheitslatschen präsentierte.

Da war Dan! Er saß im Le Bistro an ihrem Lieblingsfenstertisch. Jackie bekam ein komisches Gefühl im Magen. Als Dan sie entdeckte, erhellte sich sein flächiges, gebräuntes Gesicht, und sie war so glücklich darüber, dass es einen Menschen auf der Welt gab, dessen Abend durch ihren bloßen Anblick schöner wurde, dass sie den albernen Drang verspürte loszusingen. The Hills Are Alive With The Sound Of Music, um genau zu sein. Dan kannte die Geschichte nicht, denn sie hatte gelernt, dass es besser war, Männern nicht alles und jedes anzuvertrauen. Schließlich taten sie das auch nicht. Nein, Jackie hatte sich in ihrem Herzen einen kleinen Raum geschaffen, zu dem nur sie allein Zugang hatte.

Sie wartete auf eine Lücke im Verkehrsfluss, bevor sie über die Straße stürzte. Dan schnitt eine Grimasse. Aus irgendeinem Grund hatte er ein Problem damit, ihr zuzusehen, wie sie Straßen überquerte oder im Mixer Frucht-Smoothies zubereitete.

Sie stieß die Tür auf und winkte Fabien zu, dem das Restaurant gehörte.

»Bonsoir!«, begrüßte sie ihn wie immer. »Ça va?«

»Bien, bien«, antwortete Fabien ergeben. Manchmal machte er den Versuch, Englisch mit ihr zu sprechen, doch sie bestand darauf, ihren Beitrag zu den irisch-französischen Beziehungen zu leisten, und so steckten sie nun schon seit einigen Jahren in diesen beiden Floskeln fest.

Dan stand auf, um sie zu begrüßen, und sie registrierte bestürzt, dass er eleganter angezogen war als sonst – und dass etwas seine Jacketttasche ausbeulte. Wahrscheinlich hatte er ihr ein Geschenk zu ihrem Sechs-Monate-Jubiläum gekauft, weswegen sie sich endgültig schuldig fühlte.

»Hi«, sagte er und beugte sich herunter, um sie zu küssen. Er war eins achtundneunzig groß und muskulös. Aber nicht irre muskulös, fügte sie jedes Mal hastig hinzu, wenn sie ihn Freundinnen beschrieb. (Bisher hatte sie ihn noch keiner von ihnen vorgestellt.) Nein, er war ein sportlicher Typ, hatte Rugby gespielt, bis eine Reihe schwerer Knochenbrüche und ein Bauchspeicheldrüsenriss ihn vom Platz verbannten. »Wann lerne ich ihn kennen?«, wollten alle wissen.

»Bald«, versprach Jackie dann, doch sie arrangierte nie ein Treffen.

Heute war er sichtlich angespannt. Er trommelte mit den Fingern auf die Speisekarte und rutschte auf seinem Stuhl herum.

»So!«, sagte er.

Jackie fasste sich ein Herz. »Ich hab’s vergessen, Dan, okay? Es tut mir leid. Die Woche war derart hektisch! Ich mach’s wieder gut. Versprochen. Wie wär’s – wenn wir nächstes Wochenende nach Paris flögen? Nur wir zwei.« Emma würde durchdrehen. Sie war für den Dienstplan zuständig und warf Jackie ständig vor, dass sie »einfach so« abhaute. Das letzte Mal nach einer Siebzig-Stunden-Woche! Aber Emma hatte kein Interesse an Männern: Sie war seit 1998 mit keinem Mann mehr ausgegangen, und sie hatte kein Verständnis für romantische Dinner und lüsterne Wochenendausflüge. Dann fiel Jackie ein, dass sie am nächsten Wochenende gar nicht wegkönnte: Sie waren für eine Hochzeit gebucht, und Emma beharrte darauf, dass sie nicht Jackies Gefühl für Atmosphäre habe.

»Natürlich nur, wenn du nichts anderes vorhast«, sagte sie in der Hoffnung auf eine Absage. Für gewöhnlich trieb er sich an den Wochenenden auf Plätzen herum, wo Bälle mit Händen und Füßen gespielt und Ballträger zu Boden gebracht werden.

»Nicht, dass ich etwas dagegen hätte«, sagte Dan vorsichtig, »aber warum Paris?«

»Um unser Sechs-Monate-Jubiläum zu feiern.«

»Oh.«

Sie sah ihm an, dass sie sich zum Narren gemacht hatte oder dabei war, sich dazu zu machen. Aber da gab es kein Zurück mehr, nur die Flucht nach vorn. »Habe ich das Datum falsch in Erinnerung?«

Er überlegte einen Moment, bevor er sagte: »Genau genommen war es am Mittwoch.«

»Ah. Ich verstehe! Na bitte ...« Damit wäre Paris erledigt. Sie waren am Mittwochabend nicht einmal ausgegangen. Er hatte im Fernsehen einen Dokumentarbericht sehen wollen, über die Wahlen in Kuba – nicht einmal über den Dreh eines Pornofilms oder etwas in der Art.

»Tut mir leid, Jackie.«

»Ist in Ordnung.«

Sie verschanzte sich hinter ihrer Speisekarte. Sie fühlte sich verletzlich. Und vor einer Minute noch hatte sie sich gerühmt, ihre Lektion gelernt zu haben! War so arrogant und selbstgefällig, sich sicher gewesen, dass kein Mann sie je wieder unterkriegen würde. Was war mit den Nächten, in denen sie in ihren Wein geheult hatte, sich all die Fehler vergegenwärtigt, die sie gemacht hatte, und sich geschworen, sie nicht wieder zu machen? Und jetzt war sie genau da, wo sie angefangen hatte! Und sie fragte sich tatsächlich, ob sie sich nicht sogar zurückentwickelte. Der Gedanke deprimierte sie derart, dass sie überlegte, das Brokkoli-Käse-Soufflé zu bestellen und sich nicht um die Kalorien zu scheren.

»Nein, es ist nicht in Ordnung«, Dan klang zerknirscht. Oje, wie der sich bemühte, nach ihrer Hand griff, vor ihr kroch! »Es ist einfach nur schwer zu glauben, dass schon sechs Monate vergangen sind, seit du den Platten hattest.«

Es war nicht gerade die romantischste Form gewesen, eine Beziehung zu beginnen. Sie war mit fünf Dutzend roten Nelken auf dem Rücksitz mitten im tiefsten Winter auf der M50 liegen geblieben, und Dan kam aus der Dunkelheit gejoggt, gleich einem goldhaarigen Ritter in schimmernder Rüstung, schweißglänzend und in den engsten, glänzendsten Shorts, die sie je gesehen hatte, die Art, die schon seit den Achtzigern aus der Mode war. Er hatte ihr erklärt, dass er mit einem Wagenheber umgehen könne, und sie hatte geschwindelt, dass sie das ebenfalls könne, damit er nicht glaubte, dass er ein hilfloses Frauchen vor sich hatte. Dann stellten sie fest, dass sie keinen Reservereifen hatte, und mussten wohl oder übel einen Abschleppdienst anrufen, auf den sie im Auto warteten. Jackie war so nervös, dass sie mit dem Schalthebel spielte – bis sie merkte, dass es sein Knie war.

Er ersparte ihr eine peinliche Erklärung, indem er nieste. Mehrmals. Dann schwollen seine Augen zu, und er fragte mit seltsam erstickter Stimme: »Haben Sie etwa Blumen im Wagen? Ich bin allergisch, wissen Sie.«

In der Notaufnahme – nachdem er eine Adrenalininjektion bekommen hatte und wieder atmen konnte – fragte er sie, ob sie mit ihm ausgehen würde.

»Halten Sie das für klug?«, meinte sie. »Ich bin Floristin.«

»Und ich bin Business Banking Manager«, setzte er unerschrocken dagegen. »Ich schlage bei Besprechungen mit Geschäftskunden auf den Tisch und sage Sachen wie: ›Ihre Rendite ist allein in den letzten sechs Monaten um hundert Prozent gestiegen!‹ Ich wette, jetzt wollen Sie nicht mehr mit mir ausgehen.«

»Warum denn nicht?«, fragte sie, um Zeit zu gewinnen. Das war eine ihrer neuen Regeln: Ausflüchte machen, anstatt sich wie ein halb verhungerter Welpe aufs Futter auf den ersten akzeptablen Mann zu stürzen, der sie um ein Date bat. Manchmal kam sie sich ein wenig verlogen vor, doch dann sagte sie sich, dass es ein notwendiger Abwehrmechanismus sei: das Stählen der Jackie Ball.

»Na ja – ich hab das Gefühl, dass ich Ihnen vielleicht zu langweilig sein könnte.«

»Das habe ich nicht«, erwiderte sie, obwohl sie ihre Zweifel hatte.

»Sie haben keine Vorstellung, wie ich es ausschlachten werde, dass ich nach unserem Kennenlernen mit einer Blumenallergie in der Notaufnahme landete. Die Geschichte werde ich jahrelang erzählen. Da sehen Sie, wie langweilig ich bin.«

Sie hätte nein sagen sollen. Wozu hatte sie die ganze Zeit an ihren Mauern in ihrem Herzen gebaut? Andererseits könnte sie ja mit ihm ausgehen, ohne ihn reinzulassen, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf. Und offen gestanden hatte sie es satt, brav und anständig und enthaltsam zu leben, und er hatte genau die richtigen, starken Arme für Umarmungen. Also ließ sie – wieder mal – ihr Herz ihren Kopf regieren, warf der jungen Krankenschwester, die sich mit Hoffnung im Blick zentimeterweise näher schob, einen giftigen Blick zu und verkündete: »Ich koche uns was!«

Und hast du nicht gesehen waren sie sechs Monate zusammen – und er hatte es ganz offensichtlich nicht für nötig gehalten, diesen Tag festlich zu begehen! Aber sie hatte ihm jetzt die Chance zum Nachdenken gegeben, und er sagte nun: »Du hast auch nicht daran gedacht. Schließlich kamst du eben hier mit der Entschuldigung rein, dass du es vergessen hättest.«

»Ich habe nicht ...«

»Du hast gesagt, deine Woche sei derart hektisch gewesen. Dass du es wiedergutmachen wolltest. Himmel, du hast versucht, mich mit Paris zu bestechen!«

»Hör auf, alles zu verdrehen!«

»Nicht einmal mit Wien!«, brummte er. »Paris!«

Ihre Wangen glühten. Sie hatten sich noch nie wirklich gestritten. Sie hatten nicht einmal nennenswerte Meinungsverschiedenheiten. Manchmal dachte sie, sie beide könnten gut in einem dieser Werbespots mitspielen, in denen immer ein Paar glücklich strahlte und sich umarmte und ausgelassen in der Brandung tobte. Aber war diese Friedlichkeit nicht eines der Dinge, die sie so anziehend an ihm gefunden hatte? Sie wusste genau, was sie von dieser Beziehung zu erwarten

warten hatte – es würde keine falschen Hoffnungen und keine bitteren Enttäuschungen geben.

Aber heute Abend hatten sie beide nicht die Samthandschuhe an. Vielleicht war das genau das, was sie brauchten. Dass sie ein bisschen wach gerüttelt wurden, einander zeigten, wie sie wirklich waren. Und so schoss sie zurück: »Ich habe zumindest versucht, es wiedergutzumachen. Du hast es nicht für nötig gehalten!«

»Hab ich doch!«, erregte er sich.

»In welcher Form, bitte?«, giftete sie.

»Ich wollte dir einen Heiratsantrag machen.«

Sie hätte sich beinahe umgeschaut, weil sie im ersten Moment dachte, dass Fabien sich einen Spaß mit ihr erlaubte, doch es war tatsächlich Dans Stimme.

»Was?«, fragte sie spitz.

»Ich hatte vor, vor dir niederzuknien, es ganz romantisch und angemessen zu machen«, sagte er verärgert, aber dann räusperte er sich bedeutungsschwer und fragte: »Jackie Ball, würdest du mir die Ehre erweisen, meine Frau zu werden?«

»Nun, äh ... ich ... das kommt ziemlich überraschend, Dan.« Gelinde gesagt. Der Gedanke zu heiraten lag ihr im Moment entschieden fern. Noch ferner als die Idee, eines Tages zum Mond zu fliegen und dort eine Filiale von Flower Power zu eröffnen.

»Ja, wahrscheinlich.« Er fand sich erstaunlich schnell damit ab, dass sie ihm nicht mit einem Freudenschrei um den Hals gefallen war. »Ich weiß genau, was du denkst. Du denkst, es ist noch viel zu früh. Du denkst, ich kenne diesen Typen doch kaum! Er schleppt mich bei strömendem Regen zu Rugbyspielen und glaubt, dass ich den Rest meines Lebens mit ihm verbringen will? Er übergeht unser Sechs-Monate-Jubiläum und erwartet ein Ja? Und seine Füße stinken wie die Pest!« Er hielt kurz inne und sagte dann: »Halt – das entwickelt sich nicht wie vorgesehen.«

»Dan ...«

»Auf der Habenseite steht«, fuhr er fort, »die Rugbysaison dauert nicht das ganze Jahr. Kaum sechs Monate sogar, andere Positiva eingeschlossen«, er zählte sie mit den Fingern auf, »ich habe einen Job, ein Auto, ein Haus, eine Altersversorgung – hab ich dieses Formular zurückgeschickt? –, nach wie vor volles Haar, und ich verspreche, dich zu lieben und zu ehren und dir zu gehorchen, bis dass der Tod uns scheidet. Und dir die Herrschaft über die Fernbedienung zu übertragen. Na – ist das ein Angebot?«

»O Dan.«

»Mir gefällt nicht, wie du das sagst – als wolltest du mir den Laufpass geben.«

»Nein.«

»Nein, du gibst mir nicht den Laufpass, oder nein, du heiratest mich nicht? Nun schlag schon zu – ich vertrag’s. Da hin.« Er deutete auf die Mitte seines breiten, eckigen Kinns.

»O Dan.«

»Du sagst es schon wieder!«

Sie holte tief Luft. »Es ist nur ... eine Heirat ist ein großer Schritt, weißt du?« Noch ein Winkelzug, um Zeit zu gewinnen. Sie war wirklich ein Ekel. Nein, schlimmer! Aber sie war nicht auf die Idee gekommen, dass er ihr einen Antrag machen würde! Sie hatte gedacht ... ja, was hatte sie gedacht? Schon zwei Wochen nach ihrem Kennenlernen war ihr klar gewesen, dass das mehr werden würde als gelegentliche Dinner-Dates. Von seiner Seite, zumindest. Sie war alt genug, um die Zeichen deuten zu können. Sich einen für Männer unzugänglichen Bereich im Herzen zu bewahren war in Ordnung, aber es berechtigte nicht zu Unehrlichkeit.

Dan bemerkte ihr Schuldbewusstsein nicht. »Ich bin jetzt sechsunddreißig, Jackie, und ich möchte sesshaft werden. Ich möchte in der Vorstadt eine Doppelhaushälfte kaufen und das Dach zu einem Spielzimmer ausbauen. Ich möchte meinen BMW gegen eine Familienkutsche tauschen – hör auf zu kichern! – und einen Sohn und eine Tochter haben und, wenn meine Arbeit es erlaubt, vielleicht auch einen Hund. Ich werde ihn Biff nennen – oder Edward.«

»Du weißt den Namen für den Hund schon vor den Namen für die Kinder?«

»Du bist also einverstanden mit Kindern?«

»Ich bin mit gar nichts einverstanden!« Doch so, wie er es ihr darlegte, klang es durchaus vernünftig, reizvoll und komplett durchdacht wie eines dieser »Pakete«, die er für Kunden zusammenstellte. Haus, Kinder, Hund – welche Frau ihres Alters könnte diesem Heile-Welt-Bild widerstehen?

Und doch sagte sie: »Es gibt da etwas, was du nicht über mich weißt, Dan.«

»Davon bin ich überzeugt«, sagte er unbeeindruckt. »Es gibt auch Dinge, die du über mich nicht weißt. Wir haben alle unsere kleinen, schmutzigen Geheimnisse aus der Vergangenheit.« Mit einem verträumten Ausdruck schaute er über ihren Kopf hinweg in die Ferne.

»Es ist mir ernst, Dan.«

»Monsieur? Mademoiselle?« Plötzlich stand Fabien an ihrem Tisch mit einem Sektkühler. »Darf ich mir als Erster gestatten zu gratulieren?« Die romantische Rolle machte ihn sichtlich verlegen, und er hüstelte.

»Zu früh!«, zischte Dan ihm zu und scheuchte ihn mit einer Handbewegung weg. Fabien zog sich auf der Stelle zurück und bedachte Jackie dabei mit einem Blick, der besagte, dass er sie für verrückt hielt, weil sie nicht sofort zugegriffen hatte. Sogar er wusste, dass ihr nichts Besseres mehr geboten werden würde.

Nachdem er sich entfernt hatte, herrschte Schweigen. Als ob die Luft raus war.

Schließlich sagte Dan: »Schau, Jackie – ich weiß, dass du schlechte Erfahrungen gemacht hast. Okay? Man muss kein Genie sein, um darauf zu kommen. So wie du manchmal die Stacheln aufstellst und die Arme auf der Brust verschränkst – da, jetzt tust du es wieder, und das ist okay, weißt du. Menschen werden verletzt.

Ich bin auch verletzt worden. Ich wurde im Urlaub sitzen gelassen! Es dauerte Monate, bis ich darüber hinweg war.« Jackie wusste, dass er übertrieb. Er war wirklich lieb. »Aber jetzt sind wir zusammen. Was die Kinder oder das Haus betrifft – wenn du keine Kinder und kein Haus willst, sondern lieber auf einem Boot leben möchtest, können wir darüber reden. Im Moment ist nur eines wichtig: Ich liebe dich. Ich habe noch nie eine Frau wie dich gekannt, und ich glaube, wir könnten ein wirklich schönes Leben haben. Wenn du willst.«

»Ich will ...«

»Ist das ein Ja?«

»Ja, ich denke schon.«

»Du hast gerade ja gesagt.«

»Ich weiß.«

»Es war wirklich ein Ja! Sie hat ja gesagt!«

»Aber, Dan ...«

»Ich will keine Abers mehr hören. Hiermit erkläre ich alle etwaigen Abers offiziell für auf morgen verschoben.« Er beugte sich vor und küsste sie, und Jackie spürte, wie ihre Lebensachse sich eine Spur verschob und dann fest einrastete. O Gott. Sie war drauf und dran, häuslich zu werden. Mit einem Mann namens Dan. Und sie freute sich auch noch darüber! Aufrichtig. Sie hatte genug von unzuverlässigen Männern.

Aus einem Impuls heraus und quasi um die Sache zu besiegeln, erklärte sie laut und deutlich: »Ich liebe dich, Dan Lewis, und das dürfen alle hören.«

Aber niemand hörte es. Nicht wirklich. Die Gäste waren zu beschäftigt mit essen, um die kleine Sensation an dem Fenstertisch zur Kenntnis zu nehmen. Nur Fabien hatte die Entwicklung verfolgt und verschwand schnurstracks, um den Champagner zurückzuholen.

»Ich hoffe, er passt.« Dan griff in sein Jackett, präsentierte Jackie einen Ring, und sie hielt die Luft an. Es war ein klassischer Ring, kein origineller oder modischer, fünf große Diamanten, die stolz in einer hohen Fassung saßen. Daneben würde ihr restlicher Schmuck aussehen wie aus einem Glücksbeutel, woher er teilweise auch stammte, doch das störte sie nicht.

»Mach dir jetzt ja keine Gedanken darüber, was er mich gekostet haben muss, okay?«, sagte Dan. »Erstens schmerzt es mich, daran erinnert zu werden, und zweitens bist du mir jeden Cent davon wert.«

Jackie kamen die Tränen. Sie war ein Mensch, der wahre Tränenfluten vergießen konnte (nach Dr. Greens Tod in Emergency Room war sie regelrecht dehydriert gewesen), aber für gewöhnlich nicht aus Freude. Nicht in letzter Zeit, zumindest.

»Um Himmels willen – ich wollte dich doch nicht zum Weinen bringen«, sagte er, aber sie sah ihm an, dass er sich freute wie ein Schneekönig.

Natürlich würde sie die Blumendekoration für die Hochzeit selbst in die Hand nehmen. Rote und weiße Rosen – auch für ihren Strauß. Oder wäre das zu viel? Sie wollte schließlich Leidenschaft suggerieren und kein Blutbad. Doch sie glaubte nicht, dass sie es fertigbrächte, sich auf weiße Rosen zu beschränken oder auf gelbe und rosa Freesien, wie sie es Kunden oft empfahl. »Wenn Sie schlicht bleiben, können Sie nichts falsch machen«, versicherte sie nervösen Bräuten. Aber wann hatte sie schon einmal ihre eigenen Ratschläge befolgt? Plötzlich kam ihr ein Gedanke: Gänseblümchen. Hunderte, Tausende, vielleicht sogar auf den Weg gestreut, den sie gehen würden.

Nein. Dan war allergisch. Verdammt. Sie wäre wahrscheinlich die erste Floristin auf der Welt, die ohne Blumen heiratete. Es würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als welche aus Krepppapier zu machen, wie man sie in Barney-Videos sah.

»Lass uns gleich ein Datum festsetzen«, platzte Dan in ihre Gedanken hinein.

»Ein Datum?«

»Das ist die übliche Vorgehensweise, Jackie.«

»Ja, schon. Ich weiß. Es ist nur ... ich dachte, wir würden erst einmal unseren neuen Status genießen.« Sie kitzelte ihn an der Innenseite seines Handgelenks, womit sie ihn normalerweise zum Kichern brachte.

Er ließ sich nicht ablenken. »Ich möchte aber keine endlose Verlobungszeit.«

»Okay.«

»Eine meiner Tanten war neunzehn Jahre verlobt.«

»Also, das ist ja wirklich lächerlich.«

»Dann sagen wir doch heute in drei Monaten«, entschied er.

Jackie rechnete blitzschnell im Kopf. Es wäre völlig unmöglich, doch sie sagte: »Einverstanden!«

Der Zauber des Augenblicks machte sie beide kühn, und sie cancelten das Dinner, sausten aus dem Le Bistro und direkt ins Bett, wo Dan seinen Rekord einstellte und sich danach wie ein glücklicher Welpe auf den Rücken fallen ließ. Sie war beinahe versucht, ihm zu applaudieren.

»Das nächste Mal behältst du deine Nuttenstiefel an«, sagte er schläfrig und kuschelte sich an ihre Schulter. Sie wartete, bis er schnarchte, hob seinen Arm von ihrer Brust und glitt aus dem Bett. Unten machte sie leise die Wohnzimmertür hinter sich zu und ging auf Zehenspitzen zu dem Schreibtisch in der Ecke. Erst in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie die Telefonnummer vergessen hatte. Man stelle sich das vor! Das Telefon sah sie jedoch deutlich vor sich: ein schwarzes, modernes, schnurloses Ding, geformt wie ein langer dicker Willi, mit Hunderten wichtig aussehender Tasten und einem integrierten Anrufbeantworter. Wenn man es nicht mehr brauchte, tat man es zurück in die Mutter, eine formschöne, tiefe Mulde, die bei Kontakt einen kleinen Erregungspiepser von sich gab.

Die Wirkung all dieser testosterongesteuerten Technologie wurde allerdings durch ein ziemlich kitschiges Bild des Sacred Heart ruiniert, das über dem Telefontischchen hing. Es war ihr Haus gewesen. Es war immer noch ihr Haus, zumindest zur Hälfte, obwohl sie schon seit Jahren nicht mehr in die Kirche ging und sich partout nicht an die Telefonnummer erinnern konnte. War das vielleicht ein Trick ihres Unterbewusstseins, mit dem es ihn aus ihrem Gedächtnis löschen wollte? Wohl kaum. Es war unwahrscheinlich, dass ihr Unterbewusstsein einen Sinn für Humor besaß, und außerdem konnte sie sich kaum an ihre eigene derzeitige Telefonnummer erinnern – sollte sie sich dann an eine von vor achtzehn Monaten erinnern?

Und dann fiel sie ihr plötzlich ein: Es waren drei Sechsen darin – die Zahl des Antichristen. Henry hatte damals über ihren Aberglauben gelacht – doch wie sich zeigte, war er berechtigt gewesen. Es graute ihr vor diesem Telefonat, aber sie würde mit ihm sprechen müssen. Und das, wo sie unter Stress kein Wort herausbrachte! Er wiederum war ein Mann, dessen Temperatur nie über den Normalbereich hinausstieg und der für jede Gelegenheit über ein ganzes Arsenal von Sticheleien und Abwertungen verfügte. Wie würde er auf ihre Neuigkeit reagieren? Nachdem er aufgehört hätte zu lachen – wie immer.

Sie hörte es schon jetzt. Höchstwahrscheinlich würde er ihren Entschluss als einen Akt extremer Unüberlegtheit bezeichnen. Oder Impulsivität. Oder was ihm sonst noch einfiele, um sie als unreif abzuqualifizieren. Nun, sie hätte ihm auch einiges zu bieten. Mein Gott – sie flog schon jetzt vor Nervosität! Jackie ermahnte sich, auf keinen Fall zuzulassen, dass er sie zur Weißglut brächte, was ihm stets ein Leichtes war. Sie dürfte keinen seiner Köder schlucken. Und sie müsste vermeiden, in Schuldzuweisungen zu verfallen. Ungünstigerweise neigte ihre ohnehin ziemlich hohe Stimme im Fall des Falles zum Überschlagen. Wenn sich dann auch noch ihre Haare aus der Spange lösten, was sie fast jedes Mal taten, war die Verwandlung in eine kreischende Hexe komplett. »Beruhige dich, Jackie«, hatte Henry dann in diesem unsäglich provozierenden Ton gesagt, der den Wunsch in ihr weckte, ihm eine Bratpfanne auf den Schädel zu schlagen.

Wenigstens hatte sie heute das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Sie spielte im Geist ein paar Eröffnungen durch. »Hi, Henry! Hier ist Jackie!« Nein. Zu freundlich. Schließlich verabscheute sie ihn. Lieber etwas Ernsteres: »Ich glaube, du weißt, worum es geht – um die unerledigte Angelegenheit.« Nein, das ging auch nicht – er würde sich totlachen.

Am Ende nahm sie einfach den Hörer ab und tippte, so schnell sie konnte, die Nummer ein. Als es zu klingeln begann, sah sie das Haus in London vor sich, das ihr gemeinsames Heim gewesen war. Sie hatte zumindest versucht, es zu einem Heim zu machen mit ihren Teehauben und afrikanischen Kissen und dem wunderschönen Teppich, den sie auf dem Markt gekauft hatte und der Henrys Farbvorstellungen so dramatisch zuwiderlief. Was Henry anging, so hatte er einfach weitergelebt wie immer – abgesehen davon, dass er über ihren »Krempel« und ihre Unordnung meckerte. Sie hatte früh erkannt, dass er in dieser Hinsicht anspruchslos war. Er brauchte keine Dinge – nicht in der Weise wie sie zumindest.

Aber warum sollte er auch Wert auf ein gemütliches Heim legen? Im Kopf war er schließlich immer Junggeselle geblieben.

Sie nahm an, dass er das Haus nach ihrem Weggang sofort in den Urzustand versetzt hatte. Jetzt wäre es wieder männlich, karg und steril. Und stickig. Bestimmt hatte er nie mehr ein Fenster geöffnet, und etwaige Besucher sanken beim Eintreten aufgrund akuten Sauerstoffmangels in Ohnmacht. Der Toilettendeckel hätte wieder seine angestammte Position – die hochgeklappte –, und der Fernseher stünde wieder mitten im Raum. Seine Welt wäre wieder in Ordnung.

»Hallo?« Er meldete sich immer, als erwarte er einen Telefonverkäufer, der ihm Doppelfenster andrehen wollte.

Der Schock, nach achtzehn Monaten zum ersten Mal wieder seine Stimme zu hören, löschte den geprobten Text von ihrer Festplatte. Ihre Zunge war so trocken, dass sie sie buchstäblich vom Gaumen losreißen musste, und dann fühlte sie sich so dick an, dass das »Hi, Henry! Äh, hi, hier ist Jackie« völlig verquetscht herauskam. Um jeden Irrtum auszuschließen – immerhin konnte es ja sein, dass er inzwischen noch eine Jackie kennengelernt hatte –, setzte sie hinzu: »Deine Frau.«

Doch er sprach unbeirrt weiter. »Es tut mir leid, dass ich Ihren Anruf im Moment nicht persönlich entgegennehmen kann, aber wenn Sie mir eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück.«

Typischerweise endete die Ansage ohne ein Abschiedswort. Das wäre ihm zu höflich, zu normal. Stattdessen wurde der Anrufer übergangslos mit einem schrillen Piepton abgefertigt.

Sie fragte sich, warum es sie überraschte, dass er nicht zu Hause war. Es war Freitagabend, und er arbeitete höchstwahrscheinlich. Oder hing mit Kollegen von der Zeitung bei der Eröffnung einer neuen Schickimicki-Bar herum. Oder lag sogar mit jemandem im Bett und wollte nicht gestört werden. Machte weiter, als wäre nichts passiert. Als wäre Jackie nur eine atmosphärische Störung in seinem Leben gewesen und die Übertragung liefe jetzt wieder reibungslos.

Ohne ein weiteres Wort legte sie behutsam auf.

Pralinen für zwischendurch

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