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Jackies Meinung nach konnte man so gut wie alles durch Blumen vermitteln. Einige Leute hielten das für ein Klischee. Mit denen machte sie dann einen kleinen Test, indem sie sie bat, sich etwas auszudenken, was sie ausdrücken wollten.

»Also, mal sehen ... ich hätte gern, dass mein Mann den wöchentlichen Großeinkauf im Supermarkt übernimmt. Ich wette, das kann man nicht mit Blumen ausdrücken.«

Worauf Jackie fragte: »Hat Ihr letzter Strauß für ihn funktioniert?«

»Ich habe ihm noch nie einen geschenkt.«

»Das ist ja ein Jammer! Können Sie sich nicht vorstellen, wie er sich darüber freuen würde? Wahrscheinlich würde er den ganzen Weg zum Supermarkt hüpfen wie ein Kind!«

»Vielleicht ...«

Die meisten Kunden jedoch wollten die üblichen Dinge transportieren – Glückwünsche, Beileidsbekundungen oder Valentinstagsgrüße, und so hatte Jackie bei Flower Power eine Auswahl von Blumenarrangements zu speziellen Anlässen entwickelt. Zur Geburt ein »Willkommen, kleiner Liebling!« in Rosa oder Blau und Beileidssträuße zum Tod. Die »Hi-neuer-Nachbar!«-Variante und die »Es-hat-mich-gefreut-Sie-kennenzulernen«-Version liefen ein wenig zäh, und Emma plädierte dafür, sie einzustellen, aber Jackie vertraute als unverbesserliche Optimistin darauf, dass sie bald ein Renner würden.

Manchmal, wenn sie morgens den Laden aufsperrte und sie der Duft frischer Blumen empfing, hatte sie beinahe das Gefühl, dass Floristin sein eine Berufung war. Immerhin war dieser Beruf der einzige, in dem sie gebeten wurde, für einen Blumentribut an Geburten, Todesfälle, Liebesgeschichten, Jahres-, Mutter- und Vatertage und künftige Bräute zu sorgen. Gewissermaßen fand sich jeden Tag das gesamte Spektrum der menschlichen Existenz in ihrem Laden ein und bat um ihre kundige Beratung.

Sie konnte beinahe alles aus Blumen machen: Brautkränze, Girlanden, sogar Mosaiken. Der bisher ausgefallenste Auftrag war eine Blumeneisenbahn gewesen. Jackie hatte die Herausforderung angenommen und aus Knospen Waggons gestaltet – jeden in einer anderen Farbe –, wofür sie grenzenlose Bewunderung erntete. Lech, der Ausfahrer, hatte erklärt, es sei ein Jammer, dass sie keinen Preis für das originellste Blumenarrangement gebe, denn Jackie würde ihn mit links gewinnen.

Heute überlegte sie, ob sie eine neue Reihe ins Sortiment aufnehmen sollte: »Es tut mir so leid«. Oder »Hoppla! Ich hab dich angelogen«. Vielleicht sogar »Bitte nimm mich zurück!«.

Sie hatte es Dan heute früh gleich nach dem Aufwachen gebeichtet. Entgegen ihrer Erwartung hatte er sich nicht darüber ausgelassen, sondern kommentarlos seine Laufschuhe und die glänzenden kurzen Jogginghosen angezogen und war zur Haustür hinausgejoggt. Aber das war nicht allzu ungewöhnlich, hatte Jackie sich getröstet: Nach einer schwierigen Vorstandssitzung joggte er oft meilenweit, sogar im tiefsten Winter, tauchte plötzlich zwischen Büschen oder aus Seitenstraßen auf und erschreckte Passanten zu Tode. Aber nach zwei Stunden war er immer noch nicht zurück. Dann rief eine Freundin, die zehn Meilen entfernt im Stoßverkehr steckte, an, um ihr zu sagen, dass Dan sie gerade überholt habe und in Richtung Dubliner Berge laufe. Kurz darauf musste Jackie ins Geschäft.

»Ich glaube nicht, dass er es in seinen Joggingshorts da oben lange aushält«, meinte Emma trocken. »Nachts wird es dort ziemlich kalt. Wahrscheinlich ist er zum Tee wieder zurück.« Aber sie schaute Jackie nicht an, als sie das sagte, sondern arbeitete weiter konzentriert an einem Kranz. Während Jackies Spezialität hippe Brautsträuße waren, verstand Emma sich hervorragend auf Düsternis und Kummer, und sie schaffte es in neun Minuten, einen erstklassigen Kranz zu binden. Sie war so gut darin, dass die beiden Altenheime am Ort fast ausschließlich Flower Power beauftragten.

»Meinst du wirklich?«, fragte Jackie.

»Mit Bestimmtheit kann ich es natürlich nicht sagen, denn ich kenne Dan ja gar nicht.«

»O Emma. Ich war nicht auf die Idee gekommen, dass er mir einen Antrag machen würde, okay? Es kam wie aus heiterem Himmel.«

»Also wie beim letzten Mal.«

Autsch. Jackie konnte nicht fassen, dass Emma noch immer sauer war deswegen. So was von nachtragend! Der Blumenladen war damals noch ein Luftschloss gewesen. Und er hatte noch nicht diesen Namen gehabt. Emma hatte Blooming Marvellous vorgeschlagen. Als dann die Bank einen Businessplan verlangte, hatte Emma, die Vernünftige, sich in eine solche Hektik hineingesteigert, dass sie Herzrhythmusstörungen bekam, und der Arzt meinte, sie sei nicht zur Geschäftsfrau geboren. Aber irgendwie hatte sie Jackie die ganze Schuld am Scheitern des Projekts gegeben, weil sie »ja unbedingt nach London gehen musste, um diesen Kerl zu heiraten«.

Nun ja, das hatte sie getan. Aber das taten Menschen eben, wenn sie verliebt waren! Irgendein Wahnsinn übernahm das Ruder, und das praktische Denken – ohnehin nie Jackies Stärke – flog zum Fenster hinaus. Die Leute taten verrückte, unvorhersehbare Dinge, besonders, wenn einer von ihnen in einem anderen Land lebte und die Wochenenden nicht mehr genügten. Es war nie die Frage gewesen, wer von ihnen beiden sein Leben aufgeben und zu dem anderen ziehen würde: Jackie träumte davon, einen Blumenladen zu eröffnen, und Henry war, nun, Henry Hart.

Wenn sie jetzt darüber nachdachte, konnte sie kaum glauben, mit welcher Naivität sie in das Ganze hineingestolpert war und mit welch erhebendem Gefühl der Selbstaufopferung – und mit welch lächerlicher Vorstellung von einem großen, romantischen Abenteuer, das in London in Glück und Geborgenheit münden würde. In Wirklichkeit hätte Henry eine Fernbeziehung vorgezogen, die nur aus schönen Stunden bestand und nicht durch Alltäglichkeiten und Pflichten beeinträchtigt wurde. Auf die Weise hätte er sie das ganze Wochenende bumsen und dann am Sonntagabend mitsamt ihrer Anhänglichkeit in eine Maschine der Ryanair verfrachten können. Unter diesen Umständen wären sie wahrscheinlich heute noch zusammen.

»Sei nicht böse mit mir, Emma«, bat Jackie.

Emma wandte sich ihr zu und schaute sie mit ihren braunen Augen an. Alles an Emma war braun – von ihrem Bubikopf bis zu ihren bequemen, flachen Schuhen mit den runden Kappen. Und sie war ein Mensch, den man anrufen würde, wenn das Haus in Flammen stand oder man einen Brief vom Finanzamt bekommen hatte. In einem Enid-Blyton-Roman wäre sie diejenige, die den Kindern zum Tee Gingerale und Sandwiches mit eingemachtem Fleisch machte.

»Vielleicht hast du mich ja nie mit Dan bekanntgemacht, weil du dachtest, ich wäre nicht interessant genug für ihn«, sagte sie. »Vielleicht dachtest du, ich könnte nur über Gänseblümchen und Unkrautvertilger reden und wäre nicht auf dem Laufenden, was den NASDAQ angeht oder den Dow Jones oder ... oder ... den Wechselkurs des Euro.« Sie hatte sich eine Schere gegriffen und wedelte damit gefährlich durch die Luft.

»O Emma.«

»Ich bin vielleicht nicht die gebildetste Person auf diesem Planeten, aber ich kann mich durchaus behaupten.« Sogar ihre Kopfhaltung drückte aus, wie gekränkt sie war, und sie traktierte den Kranz derart wild mit der Schere, dass er kahle Stellen bekam.

»Ich wollte dich einfach nicht in die unangenehme Lage bringen, ihn anlügen zu müssen, solange ich ihm nicht gesagt habe, dass ich verheiratet bin.«

Emma schnaubte, aber es war ein Vielleicht-lasse-ich-mich-ja-überzeugen-Schnauben.

»Das ist mein Ernst, Emma. Stell dir vor, wenn ich einen gemütlichen Abend für uns drei arrangiert und dich zum Stillschweigen verdammt hätte?«

»Na ja – so gesehen ...«

»Und seien wir ehrlich – du bist eine katastrophale Lügnerin.«

Früher, als sie sich eine Wohnung teilten, hatte Jackie Emma einmal gebeten, einem Freund vorzumachen, dass sie nicht zu Hause sei. Emma hatte zwar brav behauptet: ›Sie ist nicht da, sie ist wirklich nicht da‹, doch ihre Hand hatte sich selbstständig gemacht – später beschrieb sie es als eine übernatürliche Kraft – und auf die Zimmertür gedeutet, hinter der Jackie kauerte.

»Also, was ist jetzt? Willst du mir nicht gratulieren?«, fragte Jackie in lockerem Ton. »Champagner fließen lassen?«

Aber Emma sah sie nur besorgt an. »Wie ist er denn?«, fragte sie. »Dan? Ich meine, wirklich.«

»Er ist wunderbar, Emma. Warte ab, bis du ihn kennenlernst, du wirst ihn lieben.«

»Es klingt nur gar nicht so, als wäre er dein Typ. Ich meine ... Rugby ...?«

Das war wieder typisch Emma mit ihren festen Vorstellungen: unbeugsam, unnachgiebig, nicht bereit, Alternativen wie Business Banking Manager in Betracht zu ziehen – die in ihren Augen eben nicht so aufregend sein konnten wie Londoner Medientypen wie Henry.

»Seit wann muss man denn bei einem Typ bleiben?«, fragte Jackie lachend und nahm sich vor, dafür zu sorgen, dass Dan, wenn er Emma kennenlernte, nicht eines seiner gestreiften Rugbyhemden trüge oder einen klimpernden Schlüsselbund an seinem Gürtel.

Die Glocke über der Ladentür bimmelte, und Lech kam von einer Auslieferung zurück. »Die Ledersitze in meinem Wagen sind so heiß, dass ich daran festklebe«, berichtete er fröhlich, und sein weißes Unterhemd war tatsächlich durchgeschwitzt. Emma schürzte missbilligend die Lippen. Seinerzeit hatte sie Jackie berichtet, ihn wegen seines Aussehens ausgesucht zu haben. Weil er Italiener war! Dann hat sich herausgestellt, dass er Pole war, kein Tropfen italienisches Blut sich in diesem stämmigen, muskulösen Körper befand. Seine Mutter war eine echte Spanierin, die seinen Vater in der Nähe von Warschau auf der World Potato Grower Convention kennengelernt hatte, und es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Sie hatten sich nahe der ukrainischen Grenze niedergelassen, Kartoffeln angebaut und Kinder großgezogen. Das Leben an der ukrainischen Grenze bot nicht viele Möglichkeiten für junge Polen, die aussahen wie Italiener und in deren Adern spanisches Blut floss, und da er fand, sich als Europäer bezeichnen zu dürfen, war er nach Irland gekommen. Um viel Geld zu verdienen. Und Frauen kennenzulernen. Einige seiner polnischen Freunde, die vor ihm hierhergekommen waren, hätten ihm bei ihren Besuchen in der Heimat erzählt, dass die irischen Frauen ausgesprochen heiß seien. Er hatte von Jackie zu Emma geschaut, die sich an diesem Punkt des langen Vorstellungsgesprächs an die Armlehnen ihres Stuhls klammerte, und gelacht. »Das war doch nur ein Witz!« Er wurde wieder ernst. »Aber nur das mit den Frauen. Das mit dem Geldverdienen nicht. Ich habe zwei Jobs – als Pizzaausfahrer und Prospektverteiler –, aber ich kann Sie noch einbauen.«

Wenigstens habe er Humor, hatte Jackie anschließend zu Emma gesagt, doch Emma hatte ihn auf den ersten Blick nicht leiden können. Er war ihr zu laut, zu selbstbewusst, zu ehrgeizig und überhaupt. Und diese hautengen, weißen Unterhemden! Hielt er sich für Marlon Brando oder was? Sein Anblick allein genügte, um sie in Rage zu bringen, und sie beharrte darauf, seinen Namen falsch auszusprechen, obwohl er ihr immer wieder erklärte, wie er korrekt ausgesprochen wurde.

»Hey, Jackie«, sagte er jetzt. »Ich habe über den Typen nachgedacht, mit dem Sie verheiratet sind. Wenn Sie wollen, könnte ich ihn beseitigen lassen. Ich kenn da ein paar Leute ... Es würde ungefähr fünftausend Euro kosten.«

Einen Moment lang herrschte betretenes Schweigen. Dann kicherte er übermütig. »Das war ein Witz!«

»Ich habe den Vorschlag auch nicht ernst genommen ...«

»Stimmt nicht! Ich habe es Ihnen angesehen!« Sein Lachen war so fröhlich, dass es ihr schwerfiel, nicht einzustimmen.

»Man weiß nie«, sagte sie. »Vielleicht komme ich ja noch darauf zurück.«

»Dann ist der wohl ein echter Arsch, was?« Jetzt war er voller Mitgefühl. »Sie verdienen einen netten Mann, Jackie. Einen, der Ihr Herz zum Singen bringt. Einen, der Sie hier anspricht.« Er schlug sich mehrmals mit der Faust an die breite, braune Brust.

»Die Bestellungen da müssen raus«, mischte Emma sich ein. »Falls Sie die Zeit erübrigen können.«

Damit war die Party zu Ende. »Klar«, sagte er leichthin, aber seine Schultern wirkten plötzlich verkrampft. Er sammelte die Bestellungen ein. »Hoffentlich haben Sie die Adressen diesmal leserlicher geschrieben.«

Die Ladentür klappte hinter ihm zu.

»Hast du das gehört?«, fragte Emma indigniert. »Er versucht, mir die Schuld für die Verwechslung zuzuschieben.«

»Deine Schrift ist aber wirklich schrecklich, Emma.«

»Ich habe keinen Fehler gemacht.«

»Schon möglich, aber du solltest netter zu ihm sein. Er tut sein Bestes.«

»Er arbeitet auf Probe hier«, erwiderte Emma, »und ich finde, wir sollten ihn gehen lassen, wenn der Monat um ist.« Als wolle sie alles Unangenehme auf einmal hinter sich bringen, fuhr sie fort: »Und was ist mit Henry? Oder soll ich das Thema lieber nicht anschneiden?«

Jackie war darauf vorbereitet, dass Henry früher oder später zum Gesprächsthema werden würde, und antwortete: »Ich habe nichts dagegen, dass du es anschneidest.« Angesichts ihrer beunruhigenden Reaktion auf seine Stimme auf dem Band letzte Nacht freute sie sich, dass sie jetzt so nonchalant klang, sogar gleichgültig. Die Zeit war tatsächlich ein Wunderding. Heute Morgen konnte sie sich durchaus vorstellen, ihm fröhlich zuzuwinken, wenn sie ihm in der Mittagspause auf der Straße begegnete.

»Du bist immer noch mit ihm verheiratet, Jackie.«

»Das ist richtig, aber ich werde mich jetzt natürlich von ihm scheiden lassen. Auf der Stelle.« Das hatte sie ihm gestern Abend mitteilen wollen. Aber warum sollte sie ihm eigentlich derart entgegenkommen? Er würde von ihrem Anwalt hören. »Und sobald ich frei bin, heirate ich Dan.«

»Das wird sicher ein komisches Gefühl sein, gleich nach der Scheidung wieder zu heiraten«, meinte Emma.

»Henry war ein Fehler«, erklärte Jackie mit Überzeugung. »Und ich werde nicht ewig rumsitzen und meine Wunden lecken. Ich habe den Richtigen gefunden, und es gibt keinen Grund zu warten. Auf keinen Fall Henrys wegen.«

»Hauptsache, ihr seid wirklich fertig miteinander.«

»Ich will einen anderen heiraten, Emma. Wie viel fertiger könnte ich mit Henry sein?«

»Es ist nicht der Weltuntergang, Jackie«, überraschte Dan sie.

»Ist es nicht?« Sie musterte ihn prüfend. Er saß, noch immer in seine Joggingshorts gewandet, auf dem Sofa. In diesem Aufzug konnte er kaum im Büro gewesen sein. Aber sie wollte sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie er den Tag verbracht hatte. Er war wieder da, er war zu Hause.

»Es wäre mir natürlich lieb gewesen, ich hätte von Anfang an Bescheid gewusst«, fuhr er fort. »Aber nachdem du es mir jetzt gesagt hast, habe ich einige Fragen.«

»Okay«, sagte sie zerknirscht. »Was willst du wissen?«

»Fangen wir mit diesem Henry an.« Er schlug die nackten Beine übereinander und gab sich souverän. »Deinem Mann.«

Er war wirklich großartig. Kein bisschen wie Desperate Dan, was, wie sie erfahren hatte, sein Spitzname als Rugbyspieler gewesen war.

»Er ist eigentlich schon mein Exmann – die Scheidung müsste sehr schnell durch sein«, wagte sie eine kühne Behauptung. »Wahrscheinlich innerhalb weniger Wochen.« Schließlich waren keine Interessen von Kindern zu berücksichtigen, und es gab kein nennenswertes gemeinsames Vermögen und keinen Besitz außer dem Haus. Wahrscheinlich erschöpfte sich das Ganze in ein paar Unterschriften und der Rückgabe von Reserveschlüsseln und einigen Dingen.

»Wie lange wart ihr verheiratet?«, wollte Dan wissen.

»Ein Jahr. Nicht der Rede wert.« Sie sprach mit der Stimme, die sie normalerweise bei kleinen Kindern und schwierigen Kunden anwandte.

»Aha.« Er wirkte völlig gelassen.

»Unsere Beziehung war von Anfang an zum Scheitern verurteilt«, erklärte sie. »Ich erkannte das nur damals nicht.« Sie lachte auf. »Henry und ich waren die inkompatibelsten Menschen, die man sich vorstellen kann. Man hätte selbst mit größter Mühe keine zwei unterschiedlicheren Charaktere finden können. Stell dir vor – er hatte nicht einmal Interesse an Schuhen!«

Dan lächelte höflich. »Und – was gibt es sonst noch über ihn zu sagen? Nur, damit ich mir ein Bild von ihm machen kann.«

»Mmm ... er ist Texter.« Das war das am wenigsten Beleidigende, das ihr auf die Schnelle einfiel. »Und er isst gern – und viel. Und er trinkt auch reichlich.« Das stimmte zwar nicht wirklich, aber sei’s drum. »Dan, ich möchte mich entschuldigen, dass ich es dir nicht schon früher erzählt habe. Ich fürchtete mich einfach vor deiner Reaktion. Ich ahnte ja nicht, dass du es so ruhig aufnehmen würdest. Du bist großartig.«

Er wischte ihre Schmeichelei mit einer Handbewegung weg. »Wie sieht er aus?«

»Du willst wissen, wie Henry aussieht?«

Er lachte ein wenig verlegen. »Ich bin eben neugierig. Sieht er aus wie ich?«

Jackie lächelte. Dan war ein Teddybär, Henry ein gefährliches Raubtier, das am besten im Zoo hinter einer dicken Glasscheibe gehalten werden sollte. »Ich kann dir versichern, dass er keinerlei Ähnlichkeit mit dir hat.«

»Wie soll ich das verstehen? Sieht er besser aus als ich?«

Seine Gelassenheit war reines Theater gewesen! Jackie sah seine Kiefermuskeln spielen, wie man es bei schlechten Schauspielern beobachten konnte, die im Film innere Anspannung ausdrücken wollten.

»Nein – einfach ganz anders ...«

»Ich wette, er hat dir besser gefallen.« Jetzt zuckten die Muskeln bis zu den Augen hinauf. Er blinzelte beunruhigt und blaffte: »Vielleicht hatte er aber auch Charisma. Oder ein fettes Bankkonto. Oder einen großen Schwanz.«

»Dan! Hör sofort auf!«

Er ließ sich nach hinten fallen und schlug die Hände vors Gesicht wie ein Kind, das sein wütendes Schluchzen verbergen will. »Tut mir leid«, murmelte er undeutlich.

»Ist schon okay.«

Dan nahm die Hände herunter und setzte sich auf. »Ich wollte wissen, wie er war, dieser Typ, von dessen Existenz ich bis heute Morgen nichts ahnte. Dieser Typ, mit dem du verheiratet bist.« Er rieb sich die Wangen. »Ich dachte, wenn ich mir eine Vorstellung von ihm machen könnte, würde es mir besser gehen. Aber so ist es nicht.«

Sein Kummer tat Jackie in der Seele weh. »Es ist doch völlig unwichtig, wie Henry aussieht oder was mich zu ihm hinzog. Wichtig ist nur, dass es vorbei ist. Und es war schon vorbei, ehe ich dich kennenlernte.«

Doch Dan war nicht so leicht zu trösten. »Ich habe dir von all meinen Verflossenen erzählt!« Es hatte zwei Nächte und mehrere Fotoalben lang gedauert – und zwecks Namensüberprüfungen die Zurateziehung eines kleinen, anschließend vernichteten, schwarzen Adressbüchleins erfordert. »Ich glaube, du hast es mir verschwiegen, weil du noch etwas für ihn empfindest.«

»Das tue ich nicht.«

»Warum dann?«

»Ich hab dir doch erklärt, dass ich Angst hatte ...«

»Komm mir nicht wieder mit diesem Quatsch!«

»Dan!«

»Weißt du, ich spürte gleich, dass etwas nicht stimmte, dass du mit irgendwas hinter dem Berg hieltest. Ich meine, welche Frau schleppt nicht mindestens ein Dutzend Freundinnen an, damit sie den ›Neuen‹ begutachten? Du schienst keine einzige zu haben! Ich wurde auch deiner Familie nicht vorgestellt. Du berichtetest mir minutiös jedes Detail deines Lebens von deinem ersten Schritt an bis vor drei Jahren – und plötzlich war Schluss! Nun, jetzt kenne ich den Grund dafür. Henry.« Er hatte sich so in Rage geredet, dass ihm der Schweiß auf der Stirn stand.

»Vielleicht habe ich es dir ja nicht erzählt, weil ich die Vergangenheit hinter mir lassen wollte«, sagte Jackie. »Ist das so schlimm? Vielleicht wollte ich nach einem katastrophalen Ehejahr neu anfangen und es nicht wieder und wieder durchkauen.« Auch ihr wurde warm. »Hast du eine Ahnung, wie viele Stunden ich damit zugebracht habe, über Henry zu reden? Wie viele Tage meines Lebens ich an ihn verschwendet habe? Wie meine ganze Persönlichkeit von diesem Mann geschluckt wurde, bis ich mich irgendwann fragte, ob ich überhaupt existiert hatte, bevor ich ihn kennenlernte? Aber schließlich war meine Schmerzgrenze erreicht, und ich sagte stopp! Und das war der Moment, in dem ich begann, mich von ihm zu lösen.«

»Jackie ...«

»Ja, ich habe ihn dir verschwiegen, und das war unrecht. Aber ich habe es nicht getan, weil ich dir etwas vormachen wollte, und auch nicht, weil ich noch etwas für ihn empfinde. Als ich dich traf, war ich einfach Jackie Ball, nicht eine Hälfte eines gescheiterten Ehepaares. Es gefiel mir, Dan, und ich werde mich nicht dafür entschuldigen.«

»Ich habe doch nur gefragt«, sagte Dan kleinlaut.

Das brach das Eis. Mit einem leisen »Puh!« ließ Jackie sich neben ihn aufs Sofa fallen. »Ich weiß, ich hätte es dir gleich erzählen sollen – aber Henry ist Geschichte. Ich bin jetzt mit dir zusammen.«

»Ich denke, das ist das Wichtigste«, meinte er. »Ein Glück, dass ich nichts gegen Secondhandware habe.« Einen Moment lang glaubte sie, er meine es ernst. Dann versetzte sie ihm einen gespielten Stoß. »Mistkerl.«

Doch die Luft knisterte noch immer vor Spannung. Er würde eben eine Weile brauchen, um damit fertig zu werden, vermutete sie.

»Die Scheidung wird schnell durch sein«, versicherte sie ihm noch einmal. »Und dann brauchen wir beide keinen Gedanken mehr an Henry zu verschwenden.«

Pralinen für zwischendurch

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