Читать книгу Pralinen für zwischendurch - Clare Dowling - Страница 7
5
ОглавлениеLech erzählte, dass es in seiner Heimat Tradition sei, ein großes Fest zu veranstalten, wenn jemand »den Ring« bekomme. Dann schwärmte er, wie alle Bekannten und Verwandten zusammenkommen und enorme Mengen an Essen und Alkohol konsumieren und die Leute berauscht singen und der Braut Glück für die Zukunft wünschen.
»Das heißt Verlobungsparty und ist keine einmalige polnische Tradition«, sagte Emma kühl. »Bei uns hier gibt es sie auch.«
»Warum habt ihr dann für Jackie keine organisiert?«, fragte er ebenso kühl.
Damit brachte er Emma in Gang. Die ganze Woche telefonierte sie in Jackies Freundeskreis herum, mietete einen Saal über einem Pub und bestellte einen Berg Wurstbrötchen und Käsespieße.
»Aber ich will keine Verlobungsparty«, protestierte Jackie. Es klang sehr bestimmt. »Außerdem bin ich noch gar nicht geschieden. Wäre das nicht etwas unpassend?«
Dans Familie und Freunde waren offenbar dieser Ansicht, denn keiner von ihnen hatte Zeit. Sie hatten irgendwelche Termine, die nicht gecancelt werden konnten, und keinen Babysitter. Letztere Entschuldigung kam von Big Connell und Fiona.
»Sie hat ihr Baby doch noch gar nicht, oder?«, sagte Jackie zu Dan.
»Aber es kommt bald. Ich nehme an, sie wollen einfach auf Nummer sicher gehen.« Seine Miene verriet, dass er verärgert und ihm das Verhalten seiner Verwandtschaft peinlich war. Von seiner Seite hatte niemand sein Kommen zugesagt außer seinem jüngeren Bruder Rory, und der sagte immer zu allem zu, tauchte jedoch niemals auf. Sein Markenzeichen.
»Ich werde sie noch mal anrufen«, erklärte er. »Werde Ihnen sagen, dass ich sie gern dabeihätte. Dass ich erwarte, dass sie erscheinen.«
»Hör mal, Dan ...«
»Nein!«, fiel er ihr ins Wort. »Wir werden heiraten, und sie halten es nicht für nötig, zu unserer Verlobungsparty zu kommen? Was für eine Botschaft ist das?«
Eine ziemlich deutliche, dachte Jackie. Sie musste den Karren unbedingt aus dem Dreck ziehen.
»Eigentlich will ich gar keine Verlobungsparty, weißt du«, sagte sie mit Überzeugung. »Es war Lechs Idee. Ich hätte viel lieber eine ... eine Brautgeschenkeparty.«
»Was ist denn das?«, fragte Dan vorsichtig.
»Da kommen die Freundinnen der Braut zusammen und schenken ihr nützliche Dinge für ihre Ehe – wie Toaster und Diaphragmen.«
»Und das würde dir gefallen?«
»Und wie! Aber wenn du unbedingt eine Verlobungsparty willst ...«
»Ich? Nein, nein.«
»Es würde dich nicht stören, dass das eine reine Mädchenparty wäre?«
Er sah aus, als sei ihm eine Zentnerlast von den Schultern genommen. »Damit könnte ich leben. Und bei der Hochzeit lassen wir es dann richtig krachen, okay?«
»Großartig.«
Jackie war froh, ihn wieder glücklich zu sehen. Sie hatte schon befürchtet, dass Henry zu einer fixen Idee für ihn würde. Aber ihre kleine Auseinandersetzung auf der Heimfahrt von ihren Eltern schien die Luft gereinigt zu haben. Dan war wieder der Alte und freute sich auf die Hochzeit. Tatsächlich übernahm er den größten Teil der Planung. Jackie war erleichtert, ließ es sich jedoch nicht anmerken, denn es erschien ihr nicht richtig, dass die künftige Braut sich nicht für die Vorbereitungen ihrer Hochzeit interessierte. Er zeigte ihr Prospekte und Preislisten, und sie gab enthusiastische Lautäußerungen von sich und hatte ansonsten nichts damit zu tun.
Emma trug es mit Fassung, als sie informiert wurde, dass aus der Verlobungsparty eine Brautgeschenkeparty würde. »Kein Problem – dann cancel ich die Käsespieße und lade Lech aus.«
Wie es das Unglück wollte, passte das Datum auch den meisten von Jackies Freundinnen nicht – aber wenigstens kamen sie mit glaubhafteren Entschuldigungen. Doch als Michelle absagte, weil sie für ein wichtiges Examen büffeln müsse – obwohl Jackie hätte schwören können, im Hintergrund die Stimme eines Mannes zu hören, wenn nicht sogar die Stimmen von zwei Männern –, erschien ihr das Ganze als böses Omen.
»Dann gehen wir einfach ins Pub und schütten uns zu«, sagte Emma tröstend.
Der Vorschlag rührte Jackie, denn normalerweise trank Emma im Höchstfall ein halbes Lager.
»Ich trinke gerne einen«, erklärte Lech fröhlich. Er trug heute ein rotes Unterhemd. Sein rechter Arm, den er auf seinen Lieferfahrten bei schönem Wetter lässig im offenen Fenster aufstützte, war deutlich brauner als der linke, was ziemlich merkwürdig aussah. »Los, Mädels!«, kommandierte er. »Pudert euch die Nase, und dann chauffiere ich euch zum Pub.«
Sie schauten zu seinem Auto hinaus, einem vor sich hin rostenden, grünen Ford aus den späten Achtzigern, in dem es naturgemäß nach Blumen und Pizza roch. Am Rückspiegel baumelte ein rosa Plüschhase, und an der Stoßstange klebte ein anzüglicher Sticker, von dessen Text man aus dieser Entfernung nur das Wort Girls entziffern konnte. All das unterstützte Emmas Ansicht, dass er ungeeignet sei als Aushängeschild für Flower Power und sie sich jemand Nobleren suchen sollten, der nicht aussah, als wolle er die Kundinnen auf ihrer Türschwelle anmachen. Jackie fand das unfair und meinte, dass Lech nicht diesen Eindruck mache. In Wahrheit machten einige der Damen ihn an, aber bislang hatte Lech an keiner von ihnen Interesse gezeigt, nicht einmal an der Frau, die ihm letzte Woche eine rote Rose in sein Unterhemd gesteckt und ihn aufgefordert hatte, sie anzurufen. Er bestand darauf, ein Romantiker zu sein, der auf der Suche nach der Einen und Einzigen war.
Wer’s glaubt, wird selig, hatte Emma spotttriefend zu Jackie gesagt.
Jetzt sagte sie frostig zu ihm: »Nein, danke – ich gehe lieber zu Fuß.«
Lech war sichtlich gekränkt. »Seit ich hier arbeite, bemühe ich mich, nett zu Ihnen zu sein. Ich rede mit Ihnen, ich bin freundlich, aber Sie scheinen irgendein Problem mit mir zu haben.«
»Ich habe kein Problem mit Ihnen«, gab sie ruhig zurück. »Es ist nur einfach ein reiner Frauenabend.«
»Sie würden mich aber auch nicht dabeihaben wollen, wenn ich eine Frau wäre, stimmt’s?«
Jackie konnte sich Lech beim besten Willen nicht als Frau vorstellen. Dann noch eher Dan – als durchtrainierte Hockeyspielerin mit einem Eisenkinn. Henry allerdings gäbe eine tolle Frau ab mit seiner sinnlichen Ausstrahlung und den Schenkeln, die niemals ein Gramm Fett ansetzen würden. Er besaß alle Voraussetzungen.
Sie rief sich zur Ordnung und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Lech, der sich gerade vor Emma aufbaute. Und die hatte plötzlich einen roten Kopf!
»Liegt es vielleicht daran, dass Sie keine Polen mögen?«, fragte er sie.
»Was für ein Blödsinn!«, fauchte Emma ihn an.
»Es kommen ein paar sehr gute Leute aus Polen«, fuhr er fort. »Der letzte Papst war Pole, und der war ein toller Typ, das weiß jeder.«
»He, aufhören!«, mischte Jackie sich mit fröhlicher Stimme ein, denn sie wollte nicht, dass die Diskussion in eine Schlägerei ausartete. »Der Pub ruft!«
Lech bedachte Emma mit einem finsteren Blick. »Vielleicht haben wir ja beide Vorurteile. Ich dachte nämlich, als ich hierherkam, die Iren wären freundliche Menschen. Da lag ich falsch.«
»Die erste Runde geht auf mich!«, machte Jackie einen neuerlichen Versuch, die Diskussion zu beenden. »Merci, prost! Aber ohne mich.« Lech zog ab.
Emma schien ebenfalls nicht mehr in Stimmung zu sein, und auch Jackie hätte die Feier lieber ausfallen lassen, aber der Saal über dem Pub war gemietet, und die Wurstbrötchen warteten darauf, gegessen zu werden, und so zog sie sich in dem kleinen Waschraum im rückwärtigen Teil des Ladens die Lippen mit Wild Cherry nach und drückte mit den Händen ihre Haare an den Kopf, doch sie plusterten sich sofort wieder auf. Ärgerlich kramte sie das Spray für extra starken Halt aus ihrer Handtasche und betonierte ihre Kräuselhaare.
Henry hatte nicht auf ihren Brief geantwortet. Nicht, dass sie damit gerechnet hätte. Na ja, vielleicht doch. Irgendeine Reaktion hatte sie schon erwartet. Immerhin geschah es nicht jeden Tag, dass jemand die Mitteilung erhielt, dass ihm die Scheidung ins Haus stand. Was die Dramatik anging, so war sie mit Sicherheit größer als die von Stromrechnungen und Reklamezettel mit unglaublichen Angeboten von Heimwerker-Ladenketten.
Sie ertappte sich dabei, jeden Morgen mit angehaltenem Atem die Post durchzusehen, wobei sie nicht genau wusste, was sie erwartete. Jedenfalls nichts so Spektakuläres wie die Beteuerung, dass ihm alles entsetzlich leid tue und er sie bis zu seinem letzten Atemzug lieben werde, und die flehentliche Bitte, doch zu ihm zurückzukehren. Henry hatte sich nie in seine Emotionskarten schauen lassen. Jackie war darauf angewiesen gewesen, eine hochgezogene Braue zu deuten oder einen leisen Seufzer, der ebenso ein ekstatisches Glücksgefühl ausdrücken konnte wie tiefe Verzweiflung. Zu Anfang hatte sie geglaubt, dass es mit seinem Beruf zusammenhinge, weil er als Restaurantkritiker die Pflicht hatte, sich nicht anmerken zu lassen, was er dachte, bevor es in der Zeitung veröffentlicht wurde, und dass das auf sein Privatleben abgefärbt hätte. Damals hatte sie seine Rätselhaftigkeit und die vielen Stunden, die sie damit verbrachte, sich zu fragen, was wirklich in ihm vorging, genossen. Inzwischen wusste sie, dass es nur ein Machtspielchen von ihm war und ihn meistens nichts Weltbewegenderes beschäftigte als ein leichter Fall von Verdauungsstörung.
Sie hingegen war laut Henry entschieden zu gefühlsbetont gewesen, hatte sich völlig übertrieben um streunende Tiere und ratlose Ausländer in Geschäften gekümmert und überhaupt zu viel Wirbel um das Leben im Allgemeinen gemacht. Manchmal ertappte sie ihn dabei, dass er sie ansah, als habe sie kein Niveau. Aber man stelle sich vor, es gäbe nur Henrys, nur undurchschaubare Menschen, die niemals die Kontrolle verloren! Was wäre das für eine langweilige Welt!
Dass er nicht auf ihren Brief reagierte, war ein weiteres Beispiel für seine Haltung: Er zwang sie, darüber nachzugrübeln, ob er den Brief überhaupt bekommen oder der Postbote ihn versehentlich irgendwo in den Rinnstein hatte fallen lassen. Die beste Methode, sie in Aufruhr zu versetzen, war, sich nicht zu melden, denn wenn er es täte, würde er damit anerkennen, dass sie ein gemeinsames Leben gehabt hatten und eine gemeinsame Vergangenheit, und das kam für ihn nicht infrage.
Es raubte ihr den Atem, dass er sie so einfach aus seinem Leben streichen konnte. Nach allem, was er ihr angetan hatte! Er war und blieb ein hartgesottener Zyniker.
Velma sagte, sein Schweigen spiele keine Rolle. Sie würde die Scheidungsklage nach London schicken, und dann ginge alles seinen Gang. Setzen Sie ruhig schon einen Hochzeitstermin fest, hatte sie zu Jackie gesagt, doch das hatte Jackie nicht gewollt. Aus Aberglauben. Aber sie hatte es dummerweise Dan erzählt, und der hatte nicht mehr lockergelassen, bis sie sich schließlich auf den vierzehnten Oktober einigten. Es würde eine weiße Hochzeit werden, wenn auch nur eine bescheidene, und danach würden sie für drei Wochen wegfliegen.
»Wohin wollt ihr denn überhaupt?«, fragte Emma, als sie beide allein mit vier Platten Wurstbrötchen und der zur Sicherheit bestellten Platte Minipizzen in dem riesigen, leeren Raum über dem Pub saßen. Ihre Stimme hallte ein wenig. Es war ziemlich trostlos, worauf ihre so großartig geplante Brautgeschenkeparty zusammengeschrumpft war, doch natürlich hätte keine von ihnen das zugegeben. »Wieder an die Costa del Sol?«
»O nein«, antwortete Jackie. »Nein. Vielleicht nach Montana. Oder nach Nepal.«
Emma schaute sie verblüfft an.
»Es hängt von den Temperaturen ab. Im Winter kann es recht kalt werden – vor allem in großer Höhe«, setzte Jackie fröhlich hinzu. »Aber die Landschaft ist wunderschön, und es gibt Klöster dort und alles Mögliche, nicht zu vergessen den Everest. Dan meint, dass wir vielleicht raufsteigen. Na ja, zumindest bis zum Basislager.« Sie biss in ein Wurstbrötchen und setzte nonchalant hinzu: »Montana ist aber auch sehenswert. Und dort gibt es den Yellowstone Park. Man kann da toll wandern. Und wenn man Glück hat, sieht man Bären.«
»Die Idee ist von ihm, stimmt’s?«, sagte Emma. Man konnte ihr einfach nichts vormachen.
Jackie versuchte es dennoch. »Ist sie nicht! Wir haben darüber geredet und uns dann geeinigt, dass wir mal was anderes machen wollen: einen Erlebnisurlaub in der Natur.«
»Natur!«, schnaubte Emma. »Weißt du nicht mehr, wie wir damals die Maus in unserem Lager entdeckten und du in Ohnmacht fielst? Wie soll das denn werden, wenn du tatsächlich einem Bären begegnest? Oder im Gebirge herumkletterst?«
»Keine Ahnung.« Sie würde schrecklich klobige Stiefel tragen müssen und all so was. Dan hatte ihr in einer einschlägigen Zeitschrift die Ausrüstung gezeigt. »Okay, okay – es war seine Idee«, gab sie zu. Vielleicht hätte sie sich doch mehr an den Hochzeitsvorbereitungen beteiligen sollen. Jetzt saß sie da mit den Activity-Flitterwochen!
»Lass dich nicht von ihm umkrempeln, Jackie«, sagte Emma in warnendem Ton.
»Natürlich nicht!« Jackie beschloss, das Thema zu wechseln. »Was ist eigentlich mit dir los?«
»Was soll mit mir los sein?«
»Du hast schon seit Wochen eine regelrechte Saulaune. Stimmt was nicht?«
Im ersten Moment schien Emma es leugnen zu wollen, doch dann sagte sie: »Vielleicht liegt es an all dem Hochzeitsgerede. Ich freue mich natürlich für dich und Dan, aber es ist nicht so einfach für mich als Alleinstehende.«
Jackie war verblüfft. »Ich dachte immer, du willst keinen Mann. Jedenfalls schienst du nie wirklich interessiert.«
»Dass ich nicht darüber rede, heißt nicht, ich hätte keine ... Bedürfnisse. Die habe ich genau wie jede andere Frau.«
Sie hatten nie zuvor über Emmas Bedürfnisse gesprochen. Jackie war davon ausgegangen, dass Emma zum Glücklichsein nur ihren Beruf brauche.
»Ich bin sicher, dass du jemanden finden könntest zum ...«
»Bumsen?«
»Ja.«
»Ich kenne doch überhaupt keine Männer. Abgesehen von dem Typen, der über mir wohnt, und der ist merkwürdig.«
»Denk nach.«
Emma schaute zur Decke hinauf, als erwarte sie von dort die Erleuchtung.
»Gibt es da nicht noch jemanden? Jemanden, den du täglich siehst?«
»Oh, ja! Den Typen in dem Laden an der Ecke, der mir mein Mittagsbrötchen verkauft.«
»Nein! Lech!«
»Lech?«
»Ja.«
Einen Moment lang herrschte tiefe Stille, und dann sagte Emma: »Ich kann nicht fassen, dass du mir den vorschlägst.«
»Warum? Es ist doch offensichtlich, dass ihr beide verrückt nacheinander seid.«
Emma starrte sie ungläubig an. »Ich kann den Kerl nicht ausstehen! Er macht mich krank! Ich würde ihn nicht mal ranlassen, wenn er der letzte Mann auf der Welt wäre. Wie kommst du nur auf die Idee, ich wäre verrückt nach ihm?« Die Spitzen ihres Bubikopfs zitterten indigniert an ihrem Kinn.
»Tut mir leid«, murmelte Jackie. »Ich habe die Zeichen offenbar völlig falsch gedeutet.«
»Ich mag es ja nötig haben, aber so tief würde ich niemals sinken!«
»Okay – lassen wir das«, beendete Jackie die Diskussion frustriert. Wieder einmal ein Beweis für ihre mangelnde Menschenkenntnis! Und sie hatte immer geglaubt, dass man mit den Jahren klüger würde. Sie hatte sich regelrecht darauf verlassen. Es ersparte ihr, sich Gedanken über Renten und Ersparnisse für den Ruhestand und dergleichen zu machen. Sie hatte darauf gebaut, dass sie im Alter so klug wäre, dass sie sich ihren Lebensunterhalt mit genialen Erfindungen oder Ähnlichem finanzieren könnte. Keinen Augenblick hatte sie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass sie vielleicht dümmer werden würde. Sie war, Gott behüte, vierunddreißig! Wie sollte das erst aussehen, wenn sie siebzig wäre? Sie ertrug es nicht, darüber nachzudenken.
»Es ist mir ein Rätsel, was dich auf die Idee gebracht hat, dass ich mich für Lech interessiere.«
»Wir hatten das Thema abgeschlossen, Emma.«
»Oh.«
»Es sei denn, du möchtest doch noch etwas dazu sagen.«
»Nein, möchte ich nicht!«, gab Emma heftig zurück, aber sie wurde dunkelrot. »Trinken wir noch was?«, lenkte sie ab.
»Hältst du das für klug? Du hattest schon eine Halbe.«
»Ich schaffe auch noch eine zweite Halbe«, sagte Emma tapfer.
Wie sie da so mit ihrer besten Freundin zusammensaß und über Männer redete und darüber, ob man noch etwas trinken sollte oder nicht, verspürte Jackie plötzlich eine tiefe Zufriedenheit. Dass Henry nicht auf ihren Brief reagiert hatte, spielte nur eine Rolle, wenn sie zuließ, dass es eine Rolle spielte. Sie hatte jetzt einen neuen Platz in der Welt, eine neue Beziehung, und sie würde Henry genauso aus ihrem Leben entfernen, wie er sie aus seinem entfernt hatte.
Sie dachte an Dan, der zu Hause zu Abend aß, mit einem Auge bei den Sportergebnissen, und sich fragte, wann sie wohl heimkäme.
Wie egoistisch sie gewesen war! Völlig auf Henry fixiert, hatte sie Dan sämtliche Hochzeitsvorbereitungen überlassen. Und er hatte immer eine solche Geduld mit ihr. Ein anderer Mann wäre längst zu dem Schluss gekommen, dass sie zu schwierig sei. Nicht einmal die Peinlichkeit, seiner Familie eine verheiratete Frau präsentieren zu müssen, hatte ihn abgeschreckt. Und mit welcher Bravour hatte er Henry hinter sich gelassen, während sie jetzt hier darüber grübelte, weshalb Letzterer nicht auf ihren Brief reagiert hatte!
Sie würden nach Nepal fliegen. Es war okay, nur mit Dan allein – na ja, und einem halben Dutzend Sherpas bis zum Mount-Everest-Basislager.
»Was grinst du denn so?«, fragte Emma misstrauisch. »Ich werde heiraten!«, antwortete Jackie strahlend. »Ich bin glücklich.«
Zum ersten Mal seit Dans Antrag hatte sie wirklich das Gefühl, dass alles glattgehen würde.
Dan saß über die Videofernbedienung gebeugt und schwer atmend im dunklen Wohnzimmer. Die Pizza neben ihm wurde kalt, während der Bildschirm in der Ecke flackerte und zuckende Bilder in den Raum warf. Bild- und Tonqualität waren eine Katastrophe, aber das spielte keine Rolle – der Film würde nie für einen Oscar in Betracht kommen. Im Moment lief eine langweilige Sequenz, und Dan wartete ungeduldig darauf, dass sich wieder etwas täte. Die Kamera schwenkte wild hin und her und beschrieb dann einen weiten Bogen, bevor sie auf jemandem zur Ruhe kam. Der Zoom holte das Objekt langsam heran. Dan fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und beugte sich vor. O ja. Da. Genau da. Halt an. Er drückte die Pausetaste, und das Bild fror ein.
Henry Hart schaute sich nach Dan um. Er trug einen grauen Cutaway mit einem weißen Hemd, das mit verdammt perfekten Zähnen um die Wette strahlte. Nach zehn Jahren Vereinsrugby erkannte Dan künstliche Zähne auf den ersten Blick, und er musste wohl oder übel zur Kenntnis nehmen, dass Henrys makellosem Lächeln nicht nachgeholfen worden war. Und dann dieses Haar! Dicht und wellig und glänzend, während Dan jeden Morgen ganze Büschel in seiner Bürste hatte. Gottlob war wenigstens Henrys Gesicht nicht vollkommen: keine römische Nase und keine Wangenknochen, mit denen man Brot hätte schneiden können oder etwas in der Art. Das Auffallendste an ihm waren seine Augen: sehr blau und klug und charismatisch. Verdammt. Dan konnte verstehen, dass eine Frau bei diesen Augen dahinschmolz.
Ein Pluspunkt für Dan – er war größer. Wesentlich. Wenn man Henry mit den Umstehenden verglich, war er klein. Ausgesprochen klein. Ein Zwerg! Nein, doch nicht. Als Dan den Film ein Stück weiterlaufen ließ, sah er Henry lässig – sexy! – an einer Kirchenbank lehnen und, als er sich aufrichtete, die Einsachtzig überschreiten. Mistkerl. Dan fragte sich, wie er wohl unter seinem Anzug aussehen mochte. Schlank und sehnig? Oder setzte er bereits Fett an? Eine halbe Stunde mit Henry auf dem Platz, und Dan würde schnell erkennen, was für ein softer Großstadtboy er war!
Dan biss von der kalten, fettigen Pizza ab und drückte wieder die Playtaste. Er wusste, dass er sich das Video eigentlich nicht ansehen durfte. Jackie hatte es zwar nicht versteckt, aber auch nicht offen herumliegen lassen. Er würde ihr vorflunkern, dass er auf ihr Hochzeitsvideo gestoßen wäre, als er eine leere Kassette gesucht habe, um 101 Greatest Rugby Moments Ever aufzunehmen.
Er wollte einfach wissen, was für ein Typ dieser Henry war. Ganz normale Neugier. Nur noch fünf Minuten, dann würde er es zurückstellen. Es wäre vielleicht sogar kathartisch, argumentierte er im Stillen – wie das Aufstechen einer der Riesenblasen nach dem Training.
Das Video zeigte jetzt das übliche Geschehen, als die Kamera Henry zum Altar folgte. Dan bekam wieder die üppige Haarfülle zu sehen und nun auch Henrys breiten Rücken, während Verwandte und Bekannte von beiden Seiten des Mittelgangs dem Bräutigam das bei Hochzeiten Übliche zuriefen: »Viel Glück!« und »Es ist noch nicht zu spät umzukehren!« Henry lächelte und schüttelte Hände und sagte hier und da einen Satz, der Gelächter auslöste. Komm, Junge, dachte Dan, das war echt nicht zum Lachen. Verdammt noch mal! Schließlich, nachdem Henry das Bad in der Menge ausgekostet hatte, kam er vorne an und trat neben einen großen, wohlgenährten Burschen, der ebenfalls einen Cutaway trug. Sein Trauzeuge. Irgendjemand hatte ihn vorhin mit Dave angesprochen. Die beiden umarmten einander, schlugen sich auf den Rücken, und dann sagte Henry etwas, worüber sie beide lächelten. Was für ein verdammter Komödiant!
Die Kamera verließ Henry und schwenkte langsam über die Versammlung, fuhr Reihe um Reihe ab, als wolle sie dem Zuschauer sagen, sieh, wie beliebt und bedeutend der Bräutigam ist! Schau, wie viele Leute gekommen sind, die Reise nach Irland auf sich genommen und sich für diesen Act herausgeputzt haben! Fleet-Street-Typen, dachte Dan verächtlich, obwohl er noch nie einen Fuß in die Fleet Street gesetzt hatte und nicht wüsste, wo er sie auf dem Londoner Stadtplan suchen sollte. Aber er erkannte Klasse, und die da hatten keine, trotz ihrer teuren Klamotten. Dans Hochzeitsgästeliste mochte nur wenige Prominente aufweisen, wobei sein Cousin zweiten Grades als Countrysänger immerhin eine Lokalberühmtheit war, aber, bei Gott, keiner würde derart aufgedonnert erscheinen.
Die Kamera fand Jackies Mutter. Sie saß in der ersten Reihe, zusammengekauert auf der Kante der Bank, als erwarte sie, dass jeden Moment jemand käme und ihr mitteilte, dass sie auf dem falschen Platz säße. Und das bei der Hochzeit ihrer Tochter! Sie tat Dan leid. Rechts und links von ihr saß Verwandtschaft in modische Stöffchen gesteckt und mit roten, glänzenden Nasen. Als Mrs Ball merkte, dass die Kamera auf sie gerichtet war, setzte sie sich kerzengerade hin, zupfte ihr Kleid zurecht, das große Ähnlichkeit mit dem aufwies, das Dorothy in The Wizard of Oz getragen hatte, und rang sich ein Lächeln ab.
Nur Michelle wirkte selbstbewusst. Die Kamera erwischte sie im rückwärtigen Teil der Kirche, wo sie, gewandet in ihr pfirsichfarbenes Brautjungferrüschenkleid, mit dem Platzanweiser sprach. Als sie die Kamera bemerkte, lächelte und winkte sie frech mit den Fingern. Braves Mädchen, dachte Dan grimmig. Was ihn betraf, so saß sie ab sofort auf seiner Reservebank. Er nahm sich vor, sie mit seinem jüngeren Bruder Alan zu verkuppeln.
Wo waren Henrys Eltern? Dan ließ das Band ein Stück vorlaufen. Waren es die da in der zweiten Reihe? Nein. Die sahen zu bescheiden und freundlich aus, um jemanden wie Henry in die Welt gesetzt zu haben. Andererseits hatte die Frau die gleichen blauen Augen, und die beiden waren im richtigen Alter. Sie unterhielten sich gerade angeregt über eine kleine goldene Plakette an der Bank vor ihnen, und die Kamera holte sie heran.
»Betet für Patricia O’Leary«, las sie vor.
»Heißt das, dass sie hier drunter begraben liegt?«, fragte er.
Beide blickten nach unten, als erwarteten sie, sich zwei Füße durch den Boden bohren zu sehen.
»Ich denke, es bedeutet, dass sie die Bank gespendet hat«, sagte sie.
»Ah!«, sagte er. »Wie auch immer – lass uns für sie beten.«
Die Kamera schwenkte weiter zu Emma, die Dan erst vor ein paar Tagen kennengelernt hatte. Sie trug tatsächlich Braun! Trotzdem – inmitten dieses Meeres aus schreiendem Rosa, Rot und Violett wirkte sie angenehm normal.
Dann nahm die Kamera Habtachtstellung ein, als der Priester, begleitet von zwei Konzelebranten, in vollem Staat im Altarraum erschien. Drei Priester! Sogar sie schienen zu denken, das dies übertrieben sei, denn sie schauten dauernd zu Henry, als versuchten sie verzweifelt, ihn zu erkennen. Schließlich gaben sie auf und konzentrierten sich auf die Altarstufen, was sich angesichts des Aufgebots von Ministranten und Ministrantinnen – Dan zählte zehn im Ganzen –, der überall herumstehenden Blumenarrangements und der Vielzahl von Kerzen, die für die schwingenden Gewänder der Geistlichen eine ernste Brandgefahr darstellten, als notwendig erwies. Offensichtlich spielte man königliche Hochzeit, dachte Dan zynisch.
Plötzlich war wieder Henry im Bild, und irritierenderweise spiegelte sich für einen Augenblick Dans Widerwille auf seinem Gesicht. Und dann begriff Dan: Das Ganze hatte Jackie organisiert! Bis hinunter zu der vollbusigen Chorsängerin, die in diesem Moment ihre Stimmbänder für das Hier kommt die Braut lockerte. Dan konnte sich jetzt lebhaft vorstellen, wie die Braut erscheinen würde: mit allem Drum und Dran und begleitet von ein paar Dutzend Brautjungfern. Und er konnte sich nun vorstellen, was dem Ganzen vorangegangen war – das Durchforsten von Brautmodezeitschriften, das Erwägen und Verwerfen gegensätzlicher Themen und Ideen und schließlich die Verwirklichung des endgültigen Konzepts mittels eines erheblichen finanziellen Aufwandes und überschäumenden Enthusiasmus, aber welch ein Jammer – es hatte nicht das Geringste mit Henry zu tun. Er hatte, das erkannte Dan, als er ihn links vom Altar neben seinem Trauzeugen stehen und den Ausdruck in seinen kühlen, blauen Augen sah, keinerlei Sinn für diesen Zirkus. Selbst seine Gäste, die Fleet-Street-Typen, schienen nicht zu ihm zu gehören, ja, als sei ihre Anwesenheit nicht sein Wunsch gewesen. Er schien sie sogar nicht besonders zu mögen. Es fiel schwer zu begreifen, was er hier in dieser mit knalligem Hochzeitsschmuck überladenen und mit Menschen, an denen ihm nichts zu liegen schien, gefüllten Kirche tat.
Er war Jackie zuliebe da.
Noch bevor die Chorsängerin den ersten Ton angestimmt hatte, noch bevor sie dafür Luft geholt hatte, sah Dan, wie Henry sich instinktiv dem Eingang zuwandte. Seine Züge drückten Ungeduld aus, den Wunsch, Jackie zu sehen. Er hatte keine Augen mehr für die Kamera, die Geistlichen oder sonst jemanden. Das alles kümmerte ihn nicht, wusste Dan. Er hätte es vorgezogen, in einer leeren Kirche zu stehen und dort allein auf Jackie zu warten, ohne diesen Pomp und die Zeremonie, damit ihm kein Fünkchen ihrer Aufmerksamkeit gestohlen würde. Die Hochzeit war lediglich etwas, wo er durchmusste, ein Hindernis, das es zu nehmen galt, bevor Jackie für immer ihm gehörte.
Dan merkte, dass er mit den Zähnen knirschte. Ein Stück Pizza hatte sich in seiner Speiseröhre verkeilt, ließ sich nicht schlucken. Wie hypnotisiert starrte er auf den Bildschirm, wo sich gerade die Kirchentür öffnete und er für einen Moment ein weißes Kleid blitzen sah. Die Kamera war nicht mehr auf Henry gerichtet, doch Dan bildete sich ein, den verhassten Mann atmen zu hören, schneller und schneller und immer lüsterner, während er darauf wartete, dass Jackie durch diese Tür träte ...
»Dan? Wo bist du?«
Jackie!
In heller Panik drückte Dan auf der Fernbedienung herum, um den Videorekorder auszuschalten. »Hier!« Geschafft! Das war knapp gewesen.
Sie streckte den Kopf zur Wohnzimmertür herein. »Warum hast du denn kein Licht an?«
»Kopfschmerzen.« Es war schwierig, mit einem Stück Pizza in der Hand leidend zu wirken, und so legte er es weg. »Setz dich her und schau mit mir ... äh ...« Er warf einen Blick auf den Bildschirm, um herauszukriegen, was zum Teufel da lief. »... den irischen Sprachkurs an.«
»Du siehst immer so kluge Sachen«, sagte sie bewundernd.
»Ach wo«, wehrte er bescheiden ab. »War es nett?«
»Ja.« Sie kuschelte sich an ihn, und er merkte, dass sie beschwipst war. »Ich habe im Pub nachgedacht. Wegen Henry.«
Er zuckte leicht zusammen. Das Pizzastück in seiner Speiseröhre machte sich auf den Rückweg.
»Ich will nicht wieder von ihm anfangen«, sagte sie, sein Schweigen missdeutend. »Du hast absolut recht damit, dass er nichts in unserem Leben zu suchen hat. Nein – ich spreche von mir. Ich habe es nicht so gut geschafft, ihn zu ignorieren, wie du. Es tut mir wirklich leid, Dan: Ich habe ihm viel zu viel Raum in meinem Kopf gegeben und dich mit den Hochzeitsvorbereitungen alleingelassen.«
»Du musst dich nicht entschuldigen.«
»Und ob ich das muss! Ich habe dir die ganze Arbeit aufgehalst. Es hat bestimmt noch nie eine weniger enthusiastische Braut gegeben! Aber das wird sich jetzt ändern! Versprochen! Ich werde mir ein Beispiel an dir nehmen. Ab sofort werde ich alles Velma überlassen und nicht mehr an ihn denken! Nie, nie mehr!«
»Übertreib’s nicht.«
»Von diesem Moment an ist Henry Hart aus meinem Leben ausgelöscht!« Sie hatte sich aufgerichtet. Jetzt legte sie den Kopf wieder an seine Schulter. Ein Schluckauf erschütterte ihren Körper. »Wir werden so glücklich miteinander sein, Dan.«
»Ich auch. Ich meine, ja.« Das rote Lämpchen des Videorekorders blinkte – zwinkerte ihm zu –, und für einen Augenblick hatte Dan das Gefühl, dass Henry Hart im Raum war.