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O nein, meine Liebe – Sie müssen sich auf vier Jahre gefasst machen«, erklärte ihr Velma Murphy, ihre Anwältin. »Das ist Gesetz in Irland – und sogar dann sprechen sie eine Scheidung nur höchst ungern aus.«

»Vier Jahre?«, wiederholte Jackie entsetzt. »Das glaube ich Ihnen nicht!«

»Okay«, fuhr Velma sie an, »dann beweise ich es Ihnen eben.« Und sie begann auf ihrem chaotischen Schreibtisch herumzusuchen.

»Lassen Sie nur, Velma«, sagte Jackie. »Ich habe es nicht so gemeint.«

Velma war offenbar eine Mimose – aber auch eine Scheidungsspezialistin. Das hatte zumindest in dem Zeitungsinserat gestanden – unter den Worten Schnell! Diskret! Honorar nach Vereinbarung!

Normalerweise wäre Jackie nicht darauf angesprungen, denn es klang ein wenig unseriös, und Emma hatte sie gedrängt, zu einer der Sozietäten in der Innenstadt zu gehen, die in grauen, seriös wirkenden Gebäuden residierten – doch das zu dem Inserat gestellte Foto hatte Jackie angesprochen. Darauf erschien Velma als eine würdevolle Frau von Ende dreißig oder Anfang vierzig mit streng zurückgekämmtem Haar und einem Ausdruck in den großen Augen, der vermittelte, dass sie aus Erfahrung wusste, wie der Schmerz sich anfühlte. Zwischen all den Anzeigen für Gebrauchtwagen und Spitzenhellsehern stach Velmas Foto mit Integrität und Menschlichkeit hervor.

Als Jackie in dem engen, vollgestopften Büro von einer kleinen, extrem dicken Frau undefinierbaren Alters empfangen wurde, erkannte sie, dass die Anwältin das Foto einer anderen in die Zeitung gesetzt hatte.

»Oh, das ist Susan«, hatte Velma auf ihre Frage hin erklärt. »Sie kommt dreimal in der Woche und erledigt den Schreibkram. Ich wollte etwaige Mandanten nicht abschrecken.« Sie schaute Jackie durchdringend an. »Äußerlichkeiten sind heutzutage ausschlaggebend, stimmt’s?«

Velma hatte endlich gefunden, was sie suchte, und las mit unheilschwangerer Stimme vor: »Nach irischem Gesetz müssen die Parteien vier Jahre von Tisch und Bett getrennt leben, bevor das Scheidungsverfahren eingeleitet werden kann.« Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr Dreifachkinn von einer Seite zur anderen schwang. »Einfach unmenschlich. Ich meine, wir wollen ja keine Zustände wie in Amerika haben, wo man seine Scheidung in einer halben Stunde kriegt, so wie man einen Big Mac bestellt. Das finde ich nicht richtig. Aber vier Jahre?« Aufgebracht wedelte sie mit dem Blatt Papier in ihrer Hand. »Was versprechen sich die Typen da oben davon? Dass die Frau sich im vierten Jahr auf wunderbare Weise wieder in den Arsch verliebt, der mit ihrer besten Freundin geschlafen hat? Oder in den Kotzbrocken, der auf einem zweiwöchigen Thailand-Urlaub mit seinen Kumpels das gemeinsame Sparkonto leer gesoffen hat?«

»Henry hat nicht ...«

»Ich hatte letzte Woche eine Frau hier, deren Mann in einem Büchlein notierte, wann sie das Haus verließ und wann sie zurückkam. Er hielt sogar fest, wie lange sie mit ihren Freundinnen telefonierte!«

»Das ist ja ungeheuerlich«, empörte sich Jackie, die sich sofort in diese arme Person hineinversetzte. Dagegen war ihre Ehe ja das reine Paradies gewesen.

Velma nickte grimmig. »Denken die, dass die sich plötzlich im dritten Jahr wieder glühend in diesen kleinen Schatz verliebt? Dass sie sein Büchlein so sehr vermisst, dass sie ihm unbedingt eine zweite Chance geben will? Blödsinn. Mit ein bisschen Glück liegt sie in Spanien am Strand und feiert mit einem Drink ihre Freiheit!« Sie war laut geworden, und ihre Augen blitzten kriegerisch, doch dann fahr sie in gemäßigtem Ton fort: »Natürlich können Frauen genauso schlimm sein. Ich hatte auch schon Männer auf dem Stuhl da, auf dem Sie sitzen, die bitterlich weinten, weil ihre Frauen sie beim Frühstück niedergemacht hatten. Das ist typisch weiblich – hier sind Worte die Waffen. Wenn ein Mann fünfundzwanzig Jahre lang täglich gesagt bekommt, dass er ein jämmerlicher, hässlicher Loser sei ...« Ihre Stimme verlor sich, und auf ihrem Gesicht malte sich ein Kummer, als empfinde sie den Schmerz jeder Trennung auf der Welt mit.

Auch Jackie spürte, wie Niedergeschlagenheit von ihr Besitz ergriff. Und dabei war sie mit einem solchen Optimismus hier hereingekommen, überzeugt, dass sie dieses leidige Kapitel in kürzester Zeit hinter sich bringen und ein neues beginnen könnte. Das hatte sie Dan versprochen, der draußen im Auto saß und mit der Durchsicht möglicher Räumlichkeiten für ihren Hochzeitsempfang beschäftigt war.

»Ist es nicht noch ein bisschen früh dafür?«, hatte sie ihn gefragt.

»Man muss sich rechtzeitig kümmern, wenn man das Beste haben will.« Er fuhr mit dem Finger an einer Auflistung von Burgen und Nobelgasthöfen entlang. Sie hatte sich einen intimen Nachmittag in einem kleinen Hotel vorgestellt.

»Die sehen alle so ... groß aus«, meinte sie zögernd. »Wir werden ja auch ungefähr zweihundert Personen sein.«

»Zweihundert!«

»Die Verwandtschaft aus Übersee nicht mitgezählt!« Er sah sie an. »Ist das okay?«

»Es war mir nicht klar, dass es eine Society-Hochzeit wird.«

Er überging ihren Sarkasmus und sagte: »Ja, sicher wird es das. Schließlich ist Daddy eine Größe in der Pharmaindustrie.«

Vielleicht erklärte das den ständig glasigen Blick seiner Mutter.

»Ich werde nur einmal heiraten, Jackie.« Er wurde rot. »Entschuldige.«

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Dan.« Das Thema war noch immer brisant. Als am Abend zuvor in den Fernsehnachrichten das Wort Ehescheidung fiel, hatten sie beide sofort nach der Fernbedienung gegriffen. Es würde wohl ein wenig länger dauern als angenommen, bis er sich an den Gedanken gewöhnte.

»Und wie lange, glaubst du, wird das mit der Scheidung dauern?«, hatte er gefragt.

»Drei Monate«, hatte sie leichthin geantwortet. »Höchstens vier.«

Und jetzt hieß es vier Jahre! Wie sollte sie das Dan beibringen? Na ja – immerhin bliebe so reichlich Zeit, mit Hello! die Bedingungen für einen Exklusivbericht über die Hochzeit auszuhandeln, dachte sie sarkastisch.

»Was hat er getan?«, holte Velma sie mit freundlicher Stimme aus ihren Gedanken.

»Wie bitte?«

»Was hat Ihr Mann getan? Wenn ich Sie mir so ansehe, tippe ich auf Spielsucht.«

»Nein.«

»Oh.« Sie war sichtlich enttäuscht. »Normalerweise erkenne ich es. Gestern habe ich einen Bigamisten erraten.«

»Nun, getan hat Henry eigentlich nichts«, sagte Jackie.

»Hören Sie – es muss Ihnen nicht peinlich sein. Glauben Sie mir – es gibt nichts, was ich noch nicht gehört hätte. Ich könnte Ihnen Storys erzählen! Aber natürlich ist das alles streng vertraulich.« Sie bedauerte diesen Umstand offenkundig. »Also?«, fragte sie erwartungsvoll.

Jackie fühlte sich genötigt, mit irgendeiner Ungeheuerlichkeit aufzuwarten, die Henry sich hatte zuschulden kommen lassen, mit etwas Dramatischem und möglichst Abstoßendem. Konnte es sein, dass Velma einen Test durchführte und nur Leute mit den grausigsten Geschichten als Mandanten annahm? Und würde es, wenn sie, Jackie, nichts Entsprechendes vorbrächte, nicht so aussehen, als wolle sie Henry schützen? Der Gedanke war so schrecklich, dass sie wünschte, sagen zu können, ihn mit einer Ziege im Bett ertappt zu haben.

Velma entging ihr Zögern nicht. Und sie fragte freundlich:

»Was war es? Hat er Sie betrogen? Kein Grund für Sie, sich zu schämen. Das passiert stets und ständig. Es spricht nicht gegen Sie ..

»Nein, er hat mich nicht betrogen«, fiel Jackie ihr ins Wort.

»Oh. Okay.«

»Wir passten einfach nicht zusammen«, setzte Jackie hinzu.

»Aha.« Velma nickte. »Das Feuer-und-Wasser-Syndrom. Damit habe ich es auch oft zu tun. Natürlich ziehen Gegensätze sich an, aber es kann auch mit schweren körperlichen Misshandlungen enden. Ehrlich gesagt frage ich mich bei manchen Paaren, wie in aller Welt sie auf die Idee kommen, miteinander glücklich zu werden. Ich spreche von denen, die sich schon nicht über den Rahmen für ihren Hochzeitsempfang einig werden. Können Sie sich das vorstellen?«

»Machen wir bitte weiter?«, warf Jackie ein. »Mein Verlobter sitzt draußen im Auto. Es ist ein heißer Tag, und ich glaube, ich habe kein Fenster für ihn offen gelassen.«

»Tut mir leid«, entschuldigte sich Velma. »Manchmal geht die Bitterkeit einfach mit mir durch.« Geschäftig konsultierte sie ihre Notizen. »Nachdem Sie einen Verlobten erwähnt haben – ganz schön mutig, Mädchen! –, nehme ich stark an, dass Sie nicht vier Jahre auf die Scheidung warten wollen, richtig?«

»Habe ich denn eine Wahl?«

»Es gibt Möglichkeiten. Bisher hat noch keiner meiner Mandanten vier Jahre warten müssen«, antwortete Velma großtuerisch. »Meine schnellste Scheidung wurde nach drei Wochen ausgesprochen.«

»Drei Wochen!«

»Freuen Sie sich nicht zu früh. Es war eine dieser Hippie-Ehen, am Strand von Haiti geschlossen und nicht ordnungsgemäß registriert.« Sie nahm sich einen Fragebogen vor und schaute Jackie hoffnungsvoll an. »Wurde Ihre Eheschließung vielleicht auch nicht ordnungsgemäß registriert?«

»Doch – das war alles legal«, antwortete Jackie mit Bedauern.

Kreuzchen.

»Und keiner von Ihnen beiden war zum Zeitpunkt der Heirat anderweitig gebunden und verschwieg diese Tatsache?«

»Nein.«

Kreuzchen.

Velma räusperte sich. »Und ich gehe davon aus, dass die Ehe vollzogen wurde.«

»Ah, ja. Mehrmals.« Dezent ausgedrückt.

Kreuzchen. »Nur eine Routinefrage – kein Grund, ins Detail zu gehen.« Die Anwältin klopfte sich mit dem Kugelschreiber an die unregelmäßigen Zähne. »Unsere Möglichkeiten verringern sich zusehends. Steht denn fest, dass Ihr Mann am Leben ist?«

»Was?«

»Ich meine, wir hoffen es natürlich – aber es würde die Dinge für Sie ungeheuer vereinfachen, wenn er es nicht wäre.«

»Absolut sicher bin ich natürlich nicht, aber ich habe vor zwei Tagen bei ihm in London angerufen und hatte seinen AB dran.«

»Aha.« Velma schien die Puste auszugehen. Vielleicht dachte sie darüber nach, dass sie das Versprechen Schnell! in ihrem Zeitungsinserat in Jackies Fall wohl nicht würde einlösen können. Sie saß, das Dreifachkinn in eine Hand gestützt, hinter ihrem Schreibtisch und starrte an Jackies Kopf vorbei auf die Wand, als erwarte sie von dort eine Inspiration. Jackie folgte ihrem Blick in der Annahme, dass ein Juradiplom dort hinge, doch es war nur eine Bestätigung, dass Velma an dem örtlichen Lesemarathon teilgenommen hatte. Ein ordentlicher Qualifikationsnachweis war nirgends zu entdecken.

»London!«, sagte Velma plötzlich. »Sie haben ihn in London gesprochen?«

»Nein. Ich hatte seinen Anrufbeantworter dran.«

»Wer war in London? Sie oder sein Anrufbeantworter?«

»Sein Anrufbeantworter. Henry lebt dort. Er ist Engländer.«

»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« Die Anwältin griff nach einem Notizblock.

»Sie haben mich nicht danach gefragt.«

»Wie lange lebt er schon in England?«

»Seit seiner Geburt. Ich bin zu ihm gezogen, als wir heirateten.«

»Also lebte er auch dort, als Sie ihn vor achtzehn Monaten verließen?« Velma war aufgeregt wie ein Detektiv, der den alles entscheidenden Hinweis bekommen hat.

»Ich habe ihn nicht verlassen. Ich ging, weil ...«

»Ja, ja, keine Wortklaubereien, bitte. Der Punkt ist, dass wir eine Scheidung nach englischem Recht beantragen können!«, erklärte Velma. »Die da drüben sind sehr viel vernünftiger.« Sie beugte sich vor und nahm Jackies Hand in ihre warme, weiche. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich befreie Sie in null Komma nichts von diesem Mistkerl.«

Henry hasste Blind Dates, und doch war er zu einem gegangen – mit einem Mädchen, das Charlie hieß. Normalerweise hätte allein das genügt, um ihn abzuschrecken, und Dave aus der Sportredaktion hatte sie schwärmerisch als einen »frischen Atemzug« beschrieben, was Henry zusätzlich abschreckte, doch er hatte sich breitschlagen lassen. Sie war mit einem Dekolleté erschienen, das sich sehen lassen konnte, doch er wünschte, sie hätte es nicht getan, denn er war nicht mehr an den Anblick von Brüsten gewöhnt und fürchtete, dass er sie immer wieder anstarren oder, noch schlimmer, sich über den Tisch hinweg darauf stürzen würde.

Charlie war in Schweigen verfallen. In einer Minute würde sie verstohlen auf ihre Uhr schauen. Sie hatten bereits über Filme, Bücher, die Familie und, auf ihre Anregung hin, den peinlichsten Augenblick in ihrer beider Leben gesprochen. Im Moment war dieses Date auf dem besten Wege, zu Henrys zu werden.

»Wie schmeckt Ihr Essen?«, fragte er. Oh, brillant!

»Okay, danke.«

Sie rutschte auf ihrem Stuhl herum, und er wusste, dass sie sich hintergangen fühlte. Wahrscheinlich hatte Dave ihn in den Himmel gehoben, und er hatte sich als Flop erwiesen. Als hätte er Dave gebeten, etwas für sein Liebesleben zu tun! Aber natürlich beeinträchtigte es die fröhliche Redaktionsatmosphäre, wenn einer als Trauerkloß herumlief und nicht wie alle anderen zu viel trank und querbeet bumste und so tat, als könne ihm nichts etwas anhaben.

Er beschloss, den Versuch zu machen, sein Ansehen zu retten. ›»Okay‹ kann ich nicht in meine Kritik schreiben.«

Sie schaute ihn irritiert an. »Sie sind als Kritiker hier? Das hat Dave mir nicht gesagt. Ich dachte, es wäre eine ganz normale Verabredung zum Essen.«

»Ach, wissen Sie – ich bin sozusagen immer im Dienst«, erwiderte er. Klang das zu angeberisch? Warum kümmerte ihn das? »Also – wie schmeckt Ihr Essen?«

»Ich möchte nicht in Ihrer Kritik erwähnt werden ...«

»Warum nicht? Ihre Ansicht ist genauso qualifiziert wie meine.« Das stimmte nicht ganz. Die Leute wollten keine Restaurantkritiken von Laien lesen. Sie wollten nicht einmal Restaurantkritiken von qualifizierten Experten lesen. Im Lauf der Jahre war Henry zu der deprimierenden Erkenntnis gelangt, dass sie überhaupt nichts über Essen lesen wollten. Tatsache war, dass niemand seine Kolumne wegen des Essens las. Ätzende Verrisse, ja – die Konsistenz von Crème caramel, nein.

Und er fand sich bestätigt, als sein Chefredakteur ihm letztes Jahr erklärte, dass er dem Essen zu großen Raum einräumte. »Beschreiben Sie das Zeug einfach nur im letzten Absatz und geben Sie ihm ein paar Sterne. Aber ja nicht zu viele – das mindert Ihren ›Biss‹.« Worauf Henry sarkastisch entgegnete: »Sie wollen also, dass ich mich kurz und bösartig äußere.« Und sein Chefredakteur strahlte: »Exakt!«

Das Schlimme war, dass es funktioniert hatte. Henrys Ruf als Kritiker, dem es niemand recht machen konnte, manifestierte sich, und die Zahl seiner Leser erhöhte sich dramatisch, nachdem er sich als Enfant terrible der Restaurantkritiker-Szene etabliert hatte. Seine Kollegen jedoch verachteten ihn. Eine seiner Konkurrentinnen beschimpfte ihn öffentlich als »Dreckschleuder« – was Henry insgeheim als berechtigt ansah –, doch es störte ihn nicht lange, denn schon bald darauf lief die Hälfte ihrer Leserschaft zu ihm über. Er besaß Macht, und es gab nicht ein Restaurant in der Stadt, das nicht den roten Teppich für ihn ausrollte, wenn er sich herabließ, es offiziell mit seinem Besuch zu beehren.

»Seien Sie gemein«, forderte er Charlie auf. »Seien Sie brutal. Die Leser lieben das. Geben Sie ihnen etwas für ihr Geld.«

Sie lachte. »Also gut.« Doch sie gab ihr Urteil mit ängstlich gesenkter Stimme ab. »Wenn ich ehrlich bin, war das Fleisch ein bisschen zäh.«

»Aha.« Unauffällig machte er sich eine Notiz.

Sie beugte sich neugierig vor. »Was haben Sie geschrieben?«

»Das Rindfleisch ist nur etwas für Raubtiergebisse.« Nicht übermäßig originell, aber sie lachte darüber. Sie fand es lustig. Sogar richtig komisch. Sie hatte schöne Zähne.

»Weiter«, ermutigte er sie und spürte, wie seine Anspannung zu weichen begann.

»Mit dem Rindfleisch hätte ich leben können«, sagte sie, »wenn die Pasta obendrauf nicht gewesen wäre.«

»Der Raviolo mit Speck und Weißkohl.«

»Genau. Ich meine – was sollte das? Okay, ich bin keine Feinschmeckerin – um ganz ehrlich zu sein, esse ich nicht oft im Restaurant, ich gehe lieber in einen Pub, trinke was und amüsiere mich, und wenn ich auswärts esse, dann mag ich Pizza –, aber Pasta auf einem Stück Rindfleisch? Das finde ich einfach albern.«

»Ich bin völlig Ihrer Meinung.«

»Wirklich?«

»Wirklich. Wenn es Ihnen recht ist, werde ich meiner Kritik den Titel geben Weg mit der Pasta

Sie lachte wieder. »Das gefällt mir.«

»Na ja – toll ist es nicht, aber mein Chefredakteur wird es wahrscheinlich durchgehen lassen.«

Und wieder lachte sie. Dieses Date hatte sich großartig entwickelt. Er nahm sich vor, Dave dafür zu danken, dass er ihn dazu überredet hatte. Dave hatte recht – er musste einfach wieder in den Sattel. Was hatte es für einen Sinn, dass er sich selbst fertigmachte? Er hatte ein hübsches Haus, einen fabelhaften Job, er und konnte jede Frau haben, die er wollte, brauchte nur mit den Fingern zu schnippen (mit diesem Text hatte Dave ihn gestern Abend bei einem Bier aufzubauen versucht), und es war an der Zeit, dass er zu schätzen lernte, was er hatte. Denn sie watete sicher nicht in Selbstmitleid, seit sie ihn vor achtzehn Monaten verlassen hatte. Sie hatte schließlich diesen Blumenladen auf die Beine gestellt. Dave hatte es von der besten Freundin der Schwägerin der Cousine seiner Frau Dawn gehört, die offenbar gute Beziehungen zum irischen Blumenhandel hatte.

Also hatte sie es am Ende tatsächlich getan. Es überraschte Henry, denn so wie er sie kannte, gehörte sie zu den Menschen, die ständig Feuer und Flamme für irgendetwas sind – für gewöhnlich bei einer Flasche Wein –, aber am nächsten Morgen nicht die Energie aufbringen aufzustehen, um es in die Tat umzusetzen.

Sollte sie doch machen, was sie wollte. Es kümmerte ihn nicht. Er verbrachte gerade mit seinem Gegenüber Charlie, der Blondine mit dem tiefen, tiefen Ausschnitt, den erfrischendsten Abend seit Monaten.

»Sie sollten ein Diktiergerät benutzen«, meinte sie fachkundig, als er sein kleines Notizbuch zuklappte und in die Tasche steckte. »Unser Büro würde zusammenbrechen ohne Diktiergeräte. Ich könnte Ihnen eines zum Einkaufspreis beschaffen, wenn Sie möchten.«

»Danke für das Angebot, aber damit würde ich Aufmerksamkeit erregen«, sagte er.

Sie war sichtlich verwirrt.

»Ich arbeite inkognito«, flüsterte er ihr laut zu. Na also – er konnte sogar wieder albern sein.

»Oh«, flüsterte Charlie zurück und schürzte ihre vollen, rosa geschminkten Lippen. Er hätte sie gern geküsst. »Machen Sie das, weil Sie berühmt sind?«

»Ich bin nicht berühmt«, wehrte er bescheiden ab.

»Dave sagt, Sie sind es. Ich hatte allerdings noch nie von Ihnen gehört.« Hastig fügte sie hinzu: »Ich hoffe, ich habe Sie nicht gekränkt.«

Sein Lächeln entgleiste nur eine Spur. »Nicht im Geringsten.«

»Dave sagt, dass Sie ein mächtiger Mann sind.«

»Sie müssen nicht alles glauben, was Dave sagt.«

»Dass Sie Restaurants mit einer schlechten Kritik zum Schließen bringen können. Er sagt, Sie werden ›Der Schlächter von Notting Hill‹ genannt – nach einem Typen, der Broadway-Shows mit nur einer schlechten Kritik vernichtet.«

»Das ist Blödsinn«, wiegelte Henry ab, obwohl es weiß Gott ein Dienst an der Öffentlichkeit wäre, wenn manche Restaurants tatsächlich zumachten. »Ich arbeite immer inkognito«, erklärte er ihr, »denn wenn ich mich ankündigen würde, würde das Restaurant chemisch gereinigt und in der Küche Alarmstufe Rot ausgerufen, und ich bekäme das beste Essen, das ich je gegessen habe.«

Charlie war tief beeindruckt. Zumindest erweckte sie den Anschein. »Aber wie bestellen Sie dann einen Tisch? Unter falschem Namen?«

»Genau. Heute war es Don Corleone.«

Sie kicherte. »Ich hoffe, das macht mich nicht zu Ihrem Gangsterliebchen.«

»Darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Für gewöhnlich bin ich nicht in Gesellschaft, wenn ich arbeite.«

»Sie essen allein?«

»So kann ich mich besser darauf konzentrieren.«

»Lenke ich Sie ab?«, fragte sie mit kokett schief gelegtem Kopf.

»Ein wenig.«

»Wissen Sie was?«, sagte sie. »Ich glaube nicht, dass Sie ein Schlächter sind.«

»Nein?«

»Ich glaube, im Herzen sind Sie ein ganz lieber Kerl.«

»Eine Psychologin! Gott helfe mir.« Er verdrehte die Augen, und sie lachte wieder.

Er fühlte sich immer besser. Charlie war genau der Typ Frau, den er brauchte: unterhaltsam, selbstbewusst, darauf aus, sich zu amüsieren. Unkompliziert. Denn manchmal war sein Leben schrecklich kompliziert. Vielleicht machte er es auch nur kompliziert. Aber er hatte den Eindruck, dass er sich bei Charlie nicht ständig unzulänglich fühlen würde.

»Ich bin verheiratet«, platzte er heraus.

Jesus. Er hätte damit doch wenigstens bis zum Nachtisch warten können. Feststellen, ob dieser Abend zu irgendetwas führen würde. Vielleicht hatte sie ja vorgehabt, ihn mit zu sich zu nehmen, und jetzt war er ihr mit seiner Eröffnung in die Parade gefahren ...

»Ich weiß«, sagte sie unbeeindruckt.

Sag’s ihr nicht beim ersten Date, um Himmels willen, hatte Dave ihm eingeschärft, das ist absolut nicht nötig. Doch damit hätte er noch mehr Unehrlichkeit in sein Leben gebracht, und er hatte das Gefühl, dass er auf eine Art Siedepunkt zusteuerte und, wenn nur noch eine Sache hinzukäme, durchdrehen und splitternackt und schreiend durch die Redaktion laufen würde oder so was.

Jedenfalls waren Daves Bedenken unbegründet gewesen: Charlie interessierte es überhaupt nicht, dass er verheiratet war. Warum sollte es auch? Es war keine große Sache. Zumindest nicht für jemand anderen.

Charlies Freundlichkeit und drei Gläser Wein machten ihn gesprächig, und er verkündete: »Ich werde nicht noch einmal heiraten. Niemals.«

»Wow. Das ist ja eine bedeutungsschwere Aussage.«

»Ich weiß – aber ich bin einfach nicht damit einverstanden, wissen Sie.«

»Sie sind nicht damit einverstanden?«

»Mit der Institution Ehe.« Henry erwärmte sich für das Thema. Fast gänzlich entspannt und mit seinem charakteristischen, sardonischen Grinsen fuhr er fort: »Ich möchte Sie nicht langweilen, aber sie hat mindestens sieben Schwachpunkte. Ich habe eine Liste aufgestellt. Wenn Sie möchten, zeige ich sie Ihnen. Erstens ist sie emotional gesehen eine Falle. Und sie ist nicht steuergünstig.« Er hatte es ihr lustig erklären, aber gleichzeitig seinen Standpunkt deutlich machen wollen.

Charlie verstand es nicht. »Interessant – aber ich wollte mir heute Abend eigentlich keine Gedanken über Steuern machen.«

»Selbstverständlich nicht. Ich habe diesen Punkt nur als ein Beispiel dafür angeführt, dass die Ehe kein sinnvolles Konzept ist. Dass sie nicht funktioniert.« Er wusste, dass er sich um Kopf und Kragen redete, doch er konnte nicht aufhören. »Es sollte lediglich meine Ansicht deutlich machen, okay?«

»Sie meinen, für den Fall, dass ich auf einen Antrag von Ihnen hoffe?«

»Nein, nein! Sie würden mich sowieso nie heiraten wollen.«

»Ja, das denke ich auch. Ich habe noch nie erlebt, dass ein Mann beim ersten Date über Steuern gesprochen hat.«

Er hatte es total vergeigt! »Da haben Sie’s! Ich eigne mich nicht zum Ehemann. Ich rede zu wenig, wurde mir vorgeworfen, und bringe mich emotional nicht ein, was immer das auch heißen soll.« Er stieß ein freudloses Lachen aus. »Und ich bin schlampig, arbeite nicht im Haushalt mit, furze ... und ich klaue. Ständig.« Hauptsächlich Speisekarten, aber auch Dinge aus Hotels.

Jetzt musterte sie ihn angewidert. »Aber Sie glauben, dass ich trotz allem mit Ihnen schlafen will?«

»Was? Himmel, nein! Das wollte ich damit nicht sagen.«

»Ich denke doch. Sie wollen nicht heiraten – Sie suchen jemanden zum Bumsen.«

»Absolut nicht!« Er hatte sie völlig falsch eingeschätzt. Bestürzt beobachtete er, wie sie nach ihrer Handtasche griff und ihr Umhängetuch von der Stuhllehne nahm. Sie hielt ihn für einen kompletten Idioten, und er musste ihr recht geben.

»Dass ich nichts vom Heiraten halte, heißt nicht, dass ich auch gegen eine Langzeitbeziehung bin, Charlie«, machte er einen lahmen Versuch, sie aufzuhalten.

Sie schnaubte verächtlich. »Wie oft ich das schon gehört habe!«

»Es war dumm von mir – verzeihen Sie. Ich wollte nur aufrichtig sein. Bitte, bleiben Sie, Charlie.«

Die Kellnerin erschien. »Ist alles in Ordnung?«

»Ja, danke«, sagte Henry.

Aber Charlie stand auf, zeigte mit einem feuerroten, langen, spitzen Fingernagel auf ihn und verkündete so laut, dass es im ganzen Raum zu hören war: »Dieser Mann ist Restaurantkritiker!«

Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und ging.

Schließlich schrieb Jackie ihm einen Brief.

Lieber Henry,

Du bist wahrscheinlich überrascht, nach all der Zeit von mir zu hören. Ich schreibe Dir, um Dir mitzuteilen, dass ich es in Anbetracht des Scheiterns unserer Ehe für das Beste halte, einen offiziellen Schlusspunkt darunterzusetzen, indem wir uns scheiden lassen. Wenn Du einverstanden bist, was ich voraussetze, schlage ich vor, dass Du Dir einen Anwalt nimmst. Die Visitenkarte meiner Anwältin lege ich zu Deiner Information bei.

Ich wäre Dir sehr dankbar für eine schnelle Antwort.

Gruß

Jackie.

Da von jetzt an alles über die Anwälte laufen und sie wahrscheinlich nicht mehr miteinander kommunizieren würden, entschloss sie sich zu einem Nachsatz:

PS: Hin und wieder lese ich eine Kritik von Dir.

Ich hoffe, es geht Dir gut!

Sie war zufrieden mit ihrem Brief. Er war höflich und distanziert und sachlich und wies keinerlei Tintenkleckse auf, die zu der Vermutung Anlass hätten geben können, dass sie beim Schreiben bitterlich geweint hätte – was sie auch wirklich nicht getan hatte. Dieses eine Mal war es ihr gelungen, alle Nebensächlichkeiten wegzulassen, obwohl sie sich nur mit Mühe die Frage nach ihren goldenen Ohrringen hatte verkneifen können, die dort geblieben waren – soviel sie sich erinnerte, in der kleinen Potpourrischale auf dem Bord im Schlafzimmer. Wahrscheinlich hatte er sowieso alles zusammen längst weggeworfen. Er verabscheute Potpourris und Duftkerzen und jede Art von Windspielen. Der Mann hatte keine Ahnung von Lebensart.

Velmas Visitenkarte beizulegen, hätte sie sich allerdings gern gespart: Die Karte, von der die Anwältin sich so schwer getrennt hatte, als sei es ihre einzige, war schmuddelig und hatte an allen vier Ecken Eselsohren und auf der Rückseite einen Brandfleck, der von einer Zigarette zu stammen schien. Nicht unbedingt Furcht einflößend für Henry oder die illustren Londoner Anwälte, die er mit der Wahrung seiner Interessen beauftragen würde.

Wie auch immer – das Wichtigste war, dass ihr Brief das Ganze in Bewegung setzte. Sie hatte den ersten Schritt getan, von dem alle Welt immer behauptete, dass er der schwerste sei – und sie hatte es mit einem handgeschriebenen Brief getan, also in persönlich-verbindlicher Form. Dazu wäre sie nicht verpflichtet gewesen – es war eine freiwillige Geste der Reife. Sie hätte ihm das Scheidungsgesuch auch ohne Vorankündigung ins Haus flattern lassen können. Wie viele angenehme Stunden hatte es ihr in den letzten anderthalb Jahren beschert, sich, von süßen Rachegedanken beflügelt, das Entsetzen auszumalen, das ihn packte, wenn ihm irgendwann die Scheidungsklage zugestellt wurde! Seine Schmerzensschreie. Und wie er dann, blind vor Tränen, die Treppe hinunterstürzte und die tragische Diagnose lautete, dass er querschnittgelähmt war und nie wieder laufen oder Sex haben könnte. Das Szenario endete damit, dass sie sich die Zeit nahm, ihn für ein paar Minuten irgendwo in einem Reha-Zentrum zu besuchen, wo er die Angestellten derart schikaniert hatte, dass sie dazu übergangen waren, ihn jeden Morgen mit seinem Rollstuhl in eine entlegene Ecke zu schieben und den ganzen Tag dort zu lassen. Sie schwebte herein, hinreißend in einem roten Kleid und Stilettos und mit einer Tüte Weintrauben als Mitbringsel, und sagte mit einem triumphierenden Lächeln: »Nun, Henry, das hast du dir ganz allein zuzuschreiben!«

Gott, war das ein Genuss gewesen! Aber inzwischen war sie über derlei Boshaftigkeiten hinweg. Dennoch bewunderte sie beim Lesen ihres Briefes, wie reif er klang, wie gelassen, dass sie trotz allem keinen Groll mehr gegen ihn hegte, während er wahrscheinlich noch immer Gift und Galle spuckte. Falls er überhaupt noch an sie dachte. Er hatte, seit sie gegangen war, nie mehr etwas von sich hören lassen, nicht einmal in Form einer nachgesandten Rechnung, einer Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter oder einer lausigen Weihnachtskarte.

Sie nahm das Tippex aus der Schreibtischschublade und löschte das PS. Sie wünschte ihm nicht alles Gute. Absolut nicht.

Pralinen für zwischendurch

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