Читать книгу Perry Rhodan 120: Die Cyber-Brutzellen (Silberband) - Clark Darlton - Страница 10
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Оглавление»Aufgrund der jüngsten Ereignisse hat das HQ Hanse angeordnet, alle bekannten potenziellen Agenten der Superintelligenz Seth-Apophis zu überwachen.
Nur wenn Seth-Apophis ihre Agenten aktiviert, sind diese sich ihrer Aufgabe bewusst. Nach dem Ende der Aktivierung sind sie wie zuvor – brave und biedere Bürger, pflichtgetreue Beamte, genialische und eigenwillige Künstler, untadelig erscheinende Persönlichkeiten jeden Alters. Auch ein Kind oder ein Greis kann ein potenzieller Agent sein.
Deine Aufgabe: Finde heraus, wer in deinem Verantwortungsbereich Seth-Apophis-Agent ist. Nach uns vorliegenden Informationen ist sicher, dass es dort einen gibt.«
Missmutig blickte Bruke Tosen in den Regen hinaus, der gegen das Raumhafengebäude peitschte. Er konnte die walzenförmige XIN-I, das Flaggschiff der Xingar-Sippe, gerade noch sehen.
Tosen hasste es, bei dieser Witterung nach draußen zu müssen. Er streifte den Regenmantel über und setzte sich einen breitkrempigen Hut auf. Schließlich drehte er sich nach dem Halkonen Primas um, der neben Tosens Arbeitstisch lag, den lang gestreckten Kopf unter den Pelzpranken vergraben.
»Was ist mit dir, Primas?« Tosen seufzte. »So müde kannst du gar nicht sein. Ich brauche dich.« Er erzielte keine Reaktion.
Sorgfältig legte er die Atemmaske an, die ihn vor den schädlichen Beimischungen in der Atmosphäre von Jarvith-Jarv schützte, und ging in den Regen hinaus. Fluchend blickte er zu den Überresten des Daches hinauf, das beim letzten Sturm weggerissen worden war. Es war unmöglich gewesen, das Dach innerhalb einer Woche zu reparieren. Deshalb musste er es sich gefallen lassen, dass der Regen auf ihn herabprasselte, während er zu seinem Gleiter ging. Die Vorstellung, dass Xingar und seine Springer ihn von Bord aus beobachteten, verursachte ihm Magenschmerzen. Wahrscheinlich lachten sie schadenfroh.
Er startete den Gleiter und steuerte auf den Walzenraumer zu. Die Maschine war mit modernsten Untersuchungsgeräten ausgestattet, die es ihm ermöglichten, weitgehend alles aufzuspüren, was auf der Verbotsliste stand.
Bruke Tosen war Einfuhrkontrolleur. Er überwachte den Import im Namen des Hanse-Kontors auf Jarvith-Jarv. Ihm haftete der Ruf an, dass es sinnlos war, verbotenes Handelsgut zu schmuggeln, solange er Dienst tat.
Glücklicherweise landeten täglich nicht mehr als zwei oder drei Handelsraumschiffe auf dem Raumhafen Jarvon, und auch sie wurden nicht vollständig entladen und wieder beladen. So groß war der Bedarf der Bevölkerung nicht, deren Zahl nur wenig über zweihunderttausend lag. Dennoch galt der Planet nahe dem Zentrum der Großen Magellanschen Wolke als bedeutende Handelswelt, denn es kam nicht nur auf die Menge der umgeschlagenen Waren an, sondern vor allem auf die Qualität.
Wichtigstes Exportgut war die Schwemmasche, die von den zahllosen Vulkanen ausgeworfen wurde. Sie war wegen ihrer kristallinen Struktur außerordentlich begehrt und fand vor allem in der Mikrotechnik Anwendung.
Bruke Tosen stoppte den Gleiter etwa hundert Meter vor dem Walzenraumer, der wie ein Berg vor ihm aufwuchs und dessen oberes Rund zwischen den tief hängenden Wolken verschwand.
Der Importkontrolleur funkte die Springer an. Augenblicklich erschien ein bärtiges Gesicht im Projektionsfeld. »Importkontrolle«, sagte er. »Bitte öffne die Hauptschleuse.«
»Du, Bruke?« Der Springer wölbte die Augenbrauen. »Wieso hast du Dienst? Wir haben Formier erwartet.«
»Wenn du unsere gesetzlichen Bestimmungen beachtet hast, kann es dir egal sein, wer an Bord kommt.«
»Es ist immer das Gleiche mit euch Zöllnern«, schimpfte der Springer. »Anstatt dem freien Handel Tür und Tor zu öffnen, werft ihr kleinkarierten Geister uns Knüppel in den Weg, wo immer ihr könnt.«
Tosen glaubte, sich verhört zu haben. Noch nie hatte jemand gewagt, so mit ihm zu reden. »Öffne die Hauptschleuse!«, forderte er zum zweiten Mal.
»Ist schon offen.« Der Springer schaltete ab.
Bruke Tosen wollte den Gleiter steigen lassen und blickte nach oben. In dem Moment stürzte ein armlanges Stahlstück aus dem Dunst der Wolken herab. Bevor er reagieren konnte, war es schon vorbei und schlug klirrend auf die Piste. Es prallte zurück, sprang mehrere Meter in die Höhe und schmetterte auf den Bug des Gleiters.
Der Importkontrolleur erbleichte. Nur um Haaresbreite war er davor bewahrt geblieben, dass der Stahl das Dach des Gleiters glatt durchschlagen und ihn getötet hätte.
Sekunden später landete er in der Hauptschleuse des Walzenraumers, die so groß war, dass mehr als zwanzig Gleiter darin Platz gefunden hätten. Der Springer, der eben mit ihm gesprochen hatte, kam ihm grinsend entgegen.
»Mann, Bruke!«, rief er, als der Kontrolleur ausstieg. »Mir ist ein Ding passiert. Als ich das Schott aufgefahren habe, ist ein Stahlstück runtergefallen.«
»Das habe ich gesehen«, sagte Tosen grimmig.
Der Springer lachte dröhnend. »Wenn ich mir vorstelle, dass es dir auf den Kopf gefallen wäre ...«
»Ich weiß nicht, was daran witzig sein soll«, schnappte Tosen zurück.
Der Springer blickte ihn erstaunt an. »Du hast keinen Humor. Na dann, ich zeige dir, was wir zu verzollen haben.« Er wandte sich ab und ging auf das nächste Schott zu, als sei es selbstverständlich, dass Tosen ihm folgte.
»Warte!«, sagte der Importkontrolleur. »So einfach ist das nicht, Olof Xingar.«
Der Springer blieb stehen und drehte sich zu ihm um. »Nicht? Was gibt es denn noch?«
»Was passiert ist, sehe ich als Versuch eines Totschlags an«, antwortete Tosen. »Das kann nicht ohne Folgen bleiben.«
Der rothaarige Händler rammte beide Hände in die Hosentaschen. Er musterte den Kontrolleur, als sehe er ihn zum ersten Mal.
Tosen war mittelgroß und etwa vierzig Jahre alt. Er wirkte sehr kräftig, aber auch ein wenig fettleibig. Die Schultern pflegte er nach vorn zu schieben, sodass seine Haltung immer ein wenig gebeugt erschien. Er hatte dünnes, weizenblondes Haar, das er über der rechten Schläfe scheitelte. Die wasserblauen Augen wirkten erstaunt und befremdet, und mit der kleinen spitzen Nase verliehen sie dem Gesicht den Ausdruck eines Uhus. Die anderen Beamten und auch die Händler nannten ihn fast nur die Eule.
Alle begegneten ihm zumeist mit einer gewissen Hochachtung, da er auf seinem Fachgebiet ein absoluter Könner war. Das Verhalten des Springers veranlasste Tosen deshalb zu allerlei Spekulationen.
»Totschlag?«, fragte der Händler und lächelte ungläubig. »Mann, Bruke, das ist nicht dein Ernst. Das Stahlstück ist mir versehentlich runtergefallen. Wenn ich es gewollt hätte, dann hätte ich dich auch getroffen, verlass dich darauf.«
Das war deutlich, eine klare Kriegserklärung. Bruke Tosen fühlte, wie es ihn kalt überlief.
Immer wieder kam es vor, dass die Xingar-Sippe Waren auf Jarvith-Jarv umzuschlagen oder einzuführen versuchte, die auf der Verbotsliste standen. Der Patriarch war darüber hinaus ein hochpolitischer Mann, der mit ungemeiner Härte gegen die Kosmische Hanse kämpfte. Er dachte gar nicht daran, sich mit dem Verlust von Märkten abzufinden, die über mehr als zweitausend Jahre fest in den Händen der Springer gewesen waren. Für ihn – wie für viele andere Mehandor – war es ein Schock gewesen, dass die Kosmische Hanse auf diesen Märkten sehr erfolgreich agierte.
Tosen seufzte und nahm die Atemschutzmaske ab, als sich das Schleusenschott hinter ihm geschlossen hatte. »Hör auf mit dem Unsinn!«, forderte er. »Zeig mir lieber, was ihr einführen wollt.«
Ein sanfter Gong übertönte die leise Unterhaltung im Speiseraum des Luxusliners.
»Wir nähern uns dem Ende der Reise«, ertönte eine Frauenstimme. »In Kürze landen wir auf Jarvith-Jarv, dem vierten Planeten der Sonne Jarvith, die nahezu im Zentrum der Magellanschen Wolke steht.«
Gruude Vern griff zur Serviette und tupfte sich die Lippen ab. Seine grauen Augen taxierten die junge Frau, die ihm gegenübersaß und sich auf einen kurios anmutenden Kampf mit einem exkaltischen Schalentier eingelassen hatte. Sie schob die Delikatesse mit einem entsagungsvollen Seufzer von sich.
»Darf ich dir behilflich sein?«, fragte Vern höflich und zog den Teller an sich. Während sie ihn noch unsicher musterte, setzte er zwei Messer an und brach die Schale des Tieres mühelos auf. Verführerisch breitete sich der Duft des weißen Fleisches aus.
»Jarvith-Jarv ist ein erdgroßer Planet mit äquatorialem Meeresgürtel. Dieser wird nur durch eine Landbrücke vom Nordkontinent zum Südkontinent unterbrochen«, fuhr die Lautsprecherstimme fort. »In der Mitte dieser Landbrücke liegt das Kontor der Kosmischen Hanse. Jarvith-Jarv hat eine Gravitation von 1,24 Gravos, eine mittlere Temperatur von 35 Grad und eine Eigenrotation von 28 Stunden. Es herrscht üppige Treibhausatmosphäre, von der innerhalb der Ansiedlungen jedoch wenig zu bemerken ist. Außerhalb der Gebäude muss jeder Atemschutzfilter tragen, da die Atmosphäre schädliche Stoffe enthält.«
Amby Törn hörte nicht hin. Sie kannte ihre Heimat und widmete sich lieber dem schmackhaften Fleisch des Schalentiers.
»Fauna und Flora von Jarvith-Jarv ähneln Terra im Mittleren Tertiär. Das Land ist vulkanisch geprägt. Der Planet hat einen Mond, der wegen seiner Form, einer Art Doppelkugel, als Erdnuss bezeichnet wird.
Das Handelskontor ähnelt allen Niederlassungen dieser Art, die Stadt ist hufeisenförmig um den Raumhafen angelegt. In Jarvon leben etwa 48.000 Einwohner. Wichtigstes Handelsgut ist Schwemmasche. Wir wünschen einen angenehmen Aufenthalt auf Jarvith-Jarv.«
Die Stimme verstummte. Ein weiterer Gong zeigte an, dass das Raumschiff soeben landete.
Gruude Vern lachte leise. »Wichtigstes Handelsgut ist Schwemmasche«, wiederholte er spöttisch. »Die haben keine Ahnung.«
»Trotzdem ist es so«, bestätigte Amby Törn. »Was könnte Jarvith-Jarv sonst verkaufen?«
Vern beugte sich vor. Er griff nach dem mit Diamanten besetzten Stern, der an einer Kette vor seiner Brust baumelte. »Weißt du, weshalb ich hier bin?«
»Woher sollte ich?«
»Jarvith-Jarv hat eine Schwerkraft von 1,24 Gravos«, antwortete er augenzwinkernd. »Sie ist sogar etwas höher: 1,2446 Gravos.«
»Ja ... und?«
Der schlanke Mann lehnte sich in seinem Sessel zurück und strich sich mit den Fingerspitzen über den Oberlippenbart. Er hatte sich während der viertägigen Reise um Amby bemüht, jedoch nichts erreicht. Nun redete er wortreicher als sonst. »Auf Terra ist eine Sportart wiederbelebt worden, die über Jahrhunderte hinweg völlig vergessen war: American Football.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Ein Sport, der stahlharte Männer erfordert, Kämpfer, die bis zum Letzten gehen.«
»Und die willst du auf Jarvith-Jarv finden?« Amby Törn lachte.
»Die Bestimmungen legen fest, dass die Sportler nicht von Welten kommen dürfen, die mehr als 1,25 Gravos haben. Die Überlegenheit dieser Kämpfer wäre zu groß. Ich hoffe, dass ich hier einige Talente entdecke.«
»Verrückt«, entgegnete sie und erhob sich. »Trotzdem viel Erfolg.«
Sie trafen einander in der Hauptschleuse wieder. Amby Törn wartete mit geschwätzigen Touristen darauf, das Schiff endlich verlassen zu können. Einige von ihnen beschwerten sich lauthals darüber, dass sie warten mussten. Dabei hatten sie Zeit. Die Tempelruinen der ausgestorbenen Ureinwohner von Jarvith-Jarv standen seit Jahrtausenden in einer vulkanfreien Ebene im Norden. Sie würden auch in ein paar Stunden noch dort sein.
Gruude Vern reagierte ebenfalls ungeduldig. »Warum steht der Antigravtunnel nicht?«, fragte er. »Das könnte längst erledigt sein.«
»Du bist auf Jarvith-Jarv«, sagte Amby Törn, als sei damit alles erklärt.
»Ja – und?«, fragte Vern.
Die bildhübsche Frau deutete auf die Sichtscheibe im Schleusenschott. »Drüben im Hafengebäude sitzt der Mann, der den Tunnel aufbauen soll.«
Vern sah einen alten Arkoniden in blauer Prunkuniform. Der Weißhaarige saß an einem Tisch, trank Tee und unterhielt sich mit zwei anderen Männern. »Er macht nicht die geringsten Anstalten, den Tunnel zu errichten«, schimpfte Vern.
»Das ist Goron«, sagte Amby belustigt. »Er entstammt jener Arkonidenfamilie, die Jarvith-Jarv vor mehr als vier Jahrhunderten besiedelt hat. Diese Familie hat hier immer allein gelebt und den Planeten als ihr Eigentum betrachtet. Vor etwa zweihundert Jahren aber hat das Oberhaupt der Familie einen Vertrag mit der Liga geschlossen. Jarvith-Jarv wurde unter terranische Verwaltung gestellt und ist nun auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Die Goron-Familie hat sich jedoch einige Privilegien vertraglich absichern lassen.«
»Ich verstehe«, sagte Vern.
»Ich auch«, bemerkte ein korpulenter Tourist. »Dieser Trottel da drüben hat das alleinige Recht, den Antigravtunnel aufzubauen, durch den wir die Stadt betreten können.«
»So ist es«, bestätigte die Frau.
»Und wie lange kann es dauern, bis ihm einfällt, uns von Bord zu lassen?«
»Als ich das letzte Mal zurückkam, hat es vier Tage gedauert.« Amby lachte. »Goron hatte gerade seinen Geburtstag gefeiert.«
Die Reisenden stöhnten entsetzt, und auch Vern hatte von solchen Regelungen noch nichts gehört. Daraus, dass Amby Törn schon in der Schleuse stand, schloss er, dass sie davon überzeugt war, bald von Bord gehen zu können.
Und tatsächlich: Goron hatte sich mittlerweile erhoben. Er hielt eine Teetasse in der Rechten und gestikulierte heftig mit der Linken. Lachend plauderte er mit den beiden Männern, die noch am Tisch saßen. Er schien es zu genießen, dass die Passagiere des Raumschiffs auf ihn warten mussten.
»Der soll nur in meine Nähe kommen«, drohte der korpulente Tourist. »Dem trete ich ins Hinterteil, dass er sich auf der anderen Seite des Ozeans wiederfindet.«
Einige der Reisenden lachten beifällig. Die Stimmung wurde immer gereizter. Keiner hatte Verständnis für das Verhalten des alten Arkoniden, und auch Vern wollte sich nicht damit abfinden, durch das närrische Gehabe eines Greises aufgehalten zu werden. Er konnte es sich nicht leisten, unnötig Zeit zu verlieren.
»Erzähle von dem Spiel«, bat Amby. »Wieso ist es wichtig für dich, dass du Sportler findest, die von einer Welt mit fast 1,25 Gravos kommen?«
»Wer unter höherer Schwerkraft aufgewachsen ist, hat Vorteile im Wettstreit Mann gegen Mann, die ein anderer selbst durch härtestes Training nicht ausgleichen kann.«
»Viel Glück bei deiner Suche.«
Am Schleusenschott entstand Unruhe. Vern schloss daraus, dass der Arkonide endlich bereit war, den Antigravtunnel zu errichten. Tatsächlich erschien wenig später der Chefsteward, stellte sich am Schott auf und wünschte den Reisenden einen guten Aufenthalt auf Jarvith-Jarv. Dann glitt das Schott zur Seite.
Vern sah den alten Arkoniden, der sich durch den rötlich schimmernden Tunnel näherte. Goron ging hoch aufgerichtet, kein Muskel zuckte in seinem faltigen Gesicht. Er genoss seinen Auftritt.
»Willkommen auf Jarvith-Jarv«, sagte der Arkonide mit dumpfer Bassstimme. »Wir hoffen, dass ihr euch hier wohlfühlen werdet.«
Etliche der Touristen murmelten Verwünschungen. Sie waren ungehalten über die Verzögerung, aber keiner wagte, sich laut zu beschweren.
Vern trat auf den Arkoniden zu und zeigte zum Raumhafengebäude hinüber. »Was ist das da drüben?«, fragte er.
Goron drehte sich arglos um, und Vern trat ihm in den verlängerten Rücken. Der Arkonide warf die Arme in die Höhe und stürzte der Länge nach auf den Boden des Antigravtunnels.
Grinsend ging Gruude Vern an ihm vorbei. Die meisten der Reisenden brüllten vor Lachen, als sie sich dem Terraner anschlossen. Keiner kam auf den Gedanken, dem alten Mann aufzuhelfen, und niemand war sich dessen bewusst, was der Vorfall für den Arkoniden bedeutete.
Bruke Tosen fand nichts an Bord der XIN-I, was auf der Verbotsliste stand. Dabei setzte er sein gesamtes Instrumentarium ein, das er im Gleiter mitgeführt hatte und das er nun auf kleinen Antigravplattformen durch den Walzenraumer schweben ließ.
Seine Erbitterung wuchs, während er die spöttischen Kommentare der Springer hörte, die es offensichtlich darauf anlegten, ihn zu provozieren. Schließlich platzte ihm der Kragen.
»Wenn du etwas an Bord hast, was gegen die Bestimmungen verstößt, werde ich es finden – und wenn ich euch dazu tagelang hier aufhalten müsste!«, herrschte er den Springer an.
Xingar setzte sich auf eine Stahlkiste. »Hör mal zu, Zöllner«, sagte er. »Wir müssen auf lange Sicht zu einer vernünftigen Zusammenarbeit kommen. So geht es nicht weiter. Wir sind den ewigen Ärger leid.«
»Das liegt nicht an mir. Haltet euch an die Gesetze, und alles ist in Ordnung.«
»Wir haben uns ein wenig umgesehen, Bruke. Du fristest ein jämmerliches Leben. Dein Einkommen reicht gerade aus, dich über die Runden zu bringen.«
»Das lass meine Sorge sein.«
»Ich will dir nicht zu nahe treten. Aber der Patriarch wäre bereit, dir ein wenig unter die Arme zu greifen. Er ist ein mitfühlender Mann, der es nicht mit ansehen kann, wie sich ein pflichtbewusster Mann wie du quälen muss.«
»Was soll das heißen?«
»Das könnte er dir durchaus selbst erzählen. Wenn du willst ...«
Der Importkontrolleur schürzte die Lippen. Auf eine solche Gelegenheit wartete er schon lange. Sollte Xingar nur versuchen, ihn zu bestechen. »Führe mich zu ihm!«
Der Springer wandte sich wortlos um, und Tosen folgte ihm. Er schob eine Hand unter seine Uniformjacke und schaltete den darunter verborgenen winzigen Sender ein. Mit einer passenden Tonaufzeichnung würde Xingar erledigt sein.
Ich hätte ihm schon früher entgegenkommen müssen, dachte Bruke. Wenigstens zum Schein. Er schmuggelt etwas nach Jarvith-Jarv. Weiß der Teufel, was es ist, aber ich werde es nicht herausfinden, wenn ich ihm nicht ein wenig behilflich bin.
»Auf diesen Moment habe ich lange warten müssen, Bruke Tosen«, wurde er von Xingar empfangen. »Endlich verstehst du auch die wichtigen Dinge im Leben und wirst vernünftig.« Der Patriarch machte eine einladende Geste und wartete mit unbewegter Miene, bis Tosen Platz genommen hatte.
Xingar war ein Hüne. Das rote Haar fiel ihm bis zu den Hüften, und die Spitzen seines geflochtenen Vollbarts erreichten die Gürtellinie. Aus kleinen braunen Augen blickte er Tosen voller Misstrauen entgegen.
Neben dem Patriarchen kauerten seine beiden jungen Frauen. Bruke wusste, dass sie Sintha-Lee und Arga hießen. Sintha-Lee hatte ein veilchenblau unterlaufenes Auge, und der Importkontrolleur zweifelte nicht daran, dass es von einem Schlag des Patriarchen stammte. Xingar verprügelte seine Frauen ebenso oft, wie er sie mit Geschenken überhäufte. Sie waren die Einzigen, die von ihm jemals etwas geschenkt bekamen. Alle anderen der Sippe mussten ihm jede Kleinigkeit abbetteln, denn Xingar war krankhaft geizig.
Sintha-Lee war eine Schönheit. Sie hatte rötliches Haar, das ihr locker bis auf die Schultern fiel, und ein schmales Gesicht mit unergründlichen braunen Augen.
Bruke Tosen hatte sie schon mehrmals im Hafengebäude getroffen, wenn sie nach Jarvon gegangen war, um Einkäufe zu tätigen. Zweimal hatte er sich kurz mit ihr unterhalten können, und keine andere hatte sein Blut so in Wallung gebracht. Sie war für ihn unerreichbar, nur hinderte ihn das nicht daran, von ihr zu träumen.
Er hatte einige Mühe, sich auf den Patriarchen zu konzentrieren. Es erzürnte ihn, dass Xingar die schöne Frau schlug, und zum ersten Mal dachte er daran, dass sie vielleicht doch nicht so unerreichbar für ihn war, wie er bisher geglaubt hatte. Woher wusste er denn, dass sie nicht bereit war, Xingar wegzulaufen?
Er wandte sich dem Patriarchen zu, der wie ein Herrscher in seinem Sessel saß und ihn forschend anstarrte. »Vernunft ist ein philosophischer Begriff, über den es tausend verschiedene Ansichten gibt«, sagte Tosen ausweichend. »Willst du mit mir darüber diskutieren?«
Xingar lachte dröhnend. Er versetzte Arga einen Stoß in die Seite, da sie zu nah an ihn herangerutscht war.
»Ganz recht«, sagte Tosen. »Schick deine Frauen hinaus, wenn wir miteinander reden. Und deinen Sohn Olof ebenfalls.«
»Verschwindet!«, befahl der Patriarch. Er war alt, war schon einer der Haupthändler des Handelskontors gewesen, Jahrzehnte bevor Bruke seinen Dienst auf Jarvith-Jarv angetreten hatte. Ungeduldig wartete er ab, bis die Frauen und sein Sohn den Raum verlassen hatten.
»Also?«, fragte Tosen, der sich für einige Sekunden völlig verwirrt fühlte. Sintha-Lee war im Türschott stehen geblieben und hatte ihn sekundenlang nachdenklich angesehen.
Xingar antwortete nicht sofort. »Ich kenne niemanden, der so dämlich ist wie du«, behauptete er schließlich. »Für einen erbärmlichen Lohn schindest du dich ab, nur wegen einiger Waren, die auf einer obskuren Liste stehen – und die schon morgen aufgrund einer Anweisung von dort verschwinden können. Erkennst du eigentlich, wie sinnlos das ist, was du tust?«
»Mein Leben ist einfach«, sagte Tosen. »Ich habe meine Vorgaben, und an die halte ich mich. Jeder auf Jarvith-Jarv denkt und handelt so.«
Xingar warf sich in seinem Sessel zurück und schlug sich lachend mit den Händen auf die Schenkel. »Du bist großartig, Tosen«, prustete er. »Und du bist ein Trottel. Du bist der Einzige, der nicht die Hand aufhält. Deine Kollegen kassieren, deine Vorgesetzten tun es und deren Vorgesetzte auch. Sogar Bürgermeister Hars weiß ein regelmäßig auf seinem Konto eingehendes Sümmchen zu schätzen. Nur du, Tosen, du bist zu dumm, um diskret zu sein.«
»Mag sein, dass dieser Eindruck entstanden ist«, sagte der Kontrolleur ruhig. »Doch der Eindruck täuscht.« Er glaubte dem Springer kein Wort, war überzeugt davon, dass alle, die der Patriarch genannt hatte, unbestechlich waren.
»Ach – wirklich?« Xingar grinste.
»Alles ist eine Frage des Preises«, bemerkte Tosen. »Die anderen waren preiswert, ich bin es auch, wenngleich auf einer höheren Ebene. Siehst du, falls das Angebot stimmt, regelt sich alles andere von selbst. Solltest du aber auch mir gegenüber deinen sprichwörtlichen Geiz nicht überwinden können, dann verzichte lieber auf jedes weitere Wort. Es wäre sinnlos, dass du dich weiter bemühst.« Er stemmte sich aus dem Sessel.
»Halt!«, schrie Xingar. »Bleib sitzen!«
Der Kontrolleur lächelte herablassend. Wenn der Springer ihn mit einer ansehnlichen Summe bestechen wollte, dann musste sein Schmuggelgut von beträchtlichem Wert sein. Bisher hatte er immer nur vermutet und sich von einem vagen Gefühl leiten lassen, ohne je einen konkreten Beweis in Händen zu haben. Das sollte sich nun ändern.
Xingar bot ihm eine monatliche Summe an, die ihm den Atem verschlug. Das Bestechungsangebot lag doppelt so hoch wie sein Gehalt. Damit hatte er nicht gerechnet, und für Sekunden fühlte er die Versuchung. Doch er überwand seine Zweifel. »Ich werde es mir überlegen«, sagte er. »Du hörst von mir.«
»Vier Stunden ...«, sagte der Patriarch gedehnt. »Bevor sie ablaufen, solltest du zugestimmt haben.«
Tosen blickte auf die Zeitanzeige seines Armbands. Er hatte seine Dienstzeit schon um eine halbe Stunde überschritten, aber bislang keine Freigabe für die Fracht der XIN-I erteilt. Die Frage, was sei, wenn er nicht zustimmte, lag ihm auf der Zunge, er sprach sie nur nicht aus.
Niemand hielt ihn auf, als er das Raumschiff verließ und zum Hafengebäude zurückflog. Mittlerweile war ein Passagierraumschiff gelandet. Einige Touristen verließen es schon durch die Antigravröhre. Bruke erinnerte sich daran, dass Amby Törn in diesen Tagen zurückkehren würde. Der Gedanke an sie ließ ihn unbewegt.
Er stellte den Gleiter ab, stülpte das Atemfilter vor Mund und Nase und eilte durch den anhaltenden heftigen Regen.
»Was ist mit dir los?«, fragte Wels Formier, der an der Tür gewartet hatte. Missmutig blickte er Tosen an. Wels war dick, alt und sah stets so aus, als habe er eine Wäsche dringend nötig. Er war ebenfalls Importkontrolleur, zeichnete sich aber durch absolut fehlenden Ehrgeiz aus.
»Was sollte mit mir los sein?« Tosen streifte den Regenmantel ab und hängte ihn an die Magnetleiste.
»Du hast deine Dienstzeit überschritten.« Das klang wie eine Anklage. »Wenn du so weitermachst, gibt es Ärger.«
»Es ließ sich nicht ändern. Hätte ich Xingar mitten im Satz stehen lassen sollen mit der Bemerkung, dass ich Feierabend habe?«
»Du hast mir mehr als eine halbe Stunde von meiner Zeit geklaut. Das gefällt mir nicht.«
»Von mir aus kannst du morgen eine halbe Stunde länger arbeiten.«
»Den Teufel werde ich tun. Ich habe nur keine Lust, hier herumzustehen und zu warten, bis du dich endlich an deine Vorschriften hältst.«
Tosen schüttelte den Kopf. Ihm wurde klar, dass Formier sich bestechen ließ. Wels kassierte von Xingar Unterstützung, deshalb wollte er mit dem Patriarchen sprechen. Bruke war ihm diesmal in die Quere gekommen.
Überzeugt davon, Xingar alle illegalen Machenschaften für die Zukunft zu verderben, betrat Bruke Tosen sein Arbeitszimmer. Primas lag noch auf dem Boden und schlief.
Er rief die Aufzeichnung seines Gesprächs mit dem Patriarchen ab. Nur ein gleichförmiges Rauschen ertönte. Jemand hatte die Funkverbindung so nachhaltig gestört, dass nichts aufgezeichnet worden war.
Als Tosen bereits abschalten wollte, hörte er die Stimme des Patriarchen. »So dumm, wie du glaubst, Bruke, sind wir nicht.«
Wie betäubt blickte Goron auf die Füße der Männer und Frauen, die an ihm vorbei durch den Antigravtunnel gingen. Nie zuvor war er so gedemütigt worden. Vor allem wusste er nicht, warum der Terraner ihn getreten hatte.
Niemand hatte ihm je zu verstehen gegeben, dass er ihn nicht respektierte. Viele suchten sogar die Begegnung mit ihm, weil sie ihn schätzten, doch jetzt hatte der Arkonide das Gefühl, dass eine Welt zusammengebrochen war.
Nie mehr würde er mit dem Gefühl des Stolzes auf die Passagiere eines Raumschiffs zugehen. Bislang hatte er alle als Freunde angesehen, die ihm die Ehre zukommen ließen, die Welt seiner Familie zu besuchen – obwohl Jarvith-Jarv längst nicht mehr seine Welt war. Er hing an der Tradition, ebenso wie viele Bewohner des Planeten, und so hatte er den Eindruck, dass der Tritt weniger ihm als den Traditionen gegolten hatte.
Ihm kam nicht in den Sinn, dass er die Geduld der Reisenden überstrapaziert hatte. Für ihn gab es keine Zeitnot und keine Ungeduld, er hatte sich niemals antreiben lassen und stets in dem Bewusstsein gelebt, dass nichts wirklich eilig war. Daher war der demütigende Tritt wie aus heiterem Himmel gekommen.
Goron erhob sich und strich seine Uniformjacke glatt.
Amby Törn tauchte plötzlich neben ihm auf. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und blickte zu ihm hoch. »Es tut mir leid«, sagte sie mitfühlend. »Ich glaube nicht, dass er dich beleidigen wollte.«
»Lass nur, Amby. Ich weiß, du meinst es gut.« Seine Stimme klang, als sei etwas in ihm zerbrochen.
»Ich glaube, Vern hat dich gar nicht gemeint«, bemerkte die Frau. »Seine Nerven haben ihm einen Streich gespielt, er konnte nicht warten.«
»Er konnte nicht warten?« Goron war maßlos erstaunt. »Warum nicht?«
Amby zuckte die Achseln. »Ich kann es dir nicht erklären. Es gibt eben Menschen, denen kann es nie schnell genug gehen.«
Gorons Miene verdüsterte sich. »Er wird lernen, Zeit zu haben. Verlass dich darauf, ich werde es ihm beibringen.«
Amby Törn lächelte ungläubig, als er an ihr vorbeiging. Sie folgte ihm langsam bis in die Empfangshalle.
Stocksteif ging Goron an dem Terraner, der ihn beleidigt hatte, und den anderen Reisenden vorbei. Er würdigte sie keines Blickes, obwohl er sonst leutselig Kontakt suchte, wohl wissend, wie er auf die Ankommenden wirkte.
Erstaunt stellte Amby Törn fest, dass bislang kein Importkontrolleur anwesend war.
»Du kennst dich hier aus ...« Gruude Vern spielte scheinbar gedankenverloren mit seinen Fingerringen. »Wie lange werden wir hier warten müssen?«
Das braune Lockenhaar umrahmte sein kantiges Gesicht wie eine Kappe. Er wirkte hart und gefühlskalt, dennoch war er Amby nicht unsympathisch. Als störend empfand sie, dass er sich dandyhaft kleidete und so auffallenden Schmuck trug.
»Warum hast du den Alten getreten?«, fragte sie. »Es ist, als hättest du ihn ins Herz getroffen.«
»Was kann ich dafür, wenn er das Herz in der Hose hat?« Vern grinste.
Einige Touristen, die in der Nähe standen, lachten laut auf.
Amby verlor die Beherrschung. Sie glaubte, Verns selbstgefälliges Grinsen nicht mehr ertragen zu können. Ihre Hand klatschte ins Gesicht des Terraners, bevor sie überhaupt verstand, was sie tat.
Sein Grinsen konnte sie damit nicht wegwischen. Gedankenschnell packte Vern ihre Hand. »Wie nett«, spottete er. »Ich wusste gar nicht, dass du so aus dir herausgehen kannst.«
»Der Arkonide wird sich rächen; du hättest das nicht tun dürfen.« Sie riss sich los und wollte den Raum verlassen, obwohl sie das nicht durfte, bevor sie ebenso wie die anderen Reisenden kontrolliert worden war.
In dem Moment kam Bruke Tosen. Sofort vergaß Amby den Vorfall mit Vern. »Bruke.« Sie eilte ihm entgegen. »Ich hatte gehofft, dass du Dienst tust.«
Er lächelte höflich. »Du bist schon zurück, Amby?«
»Ich hatte dir ein Hypergramm geschrieben.«
»Ach ja, natürlich. Das hatte ich beinahe vergessen.«
»Was ist mit dir?«, fragte sie. »Ist etwas geschehen?«
»Allerhand sogar. Ich habe dienstlichen Ärger.« Tosen sprach so leise, dass nur Amby ihn verstehen konnte.
»Warum geht es nicht weiter?« Gruude Vern trat auf den Importkontrolleur zu und zeigte auf sein Gepäck. »Würdest du dich herablassen, uns endlich den Weg freizugeben?«
Bruke Tosen blickte den Terraner durchdringend an. »Du wirst warten«, antwortete er. »Ebenso wie die anderen. Wer unser Gast sein will, muss ein wenig Zeit mitbringen.«
»Ein wenig ist geprahlt«, höhnte Vern. »Du schäkerst mit Amby herum und lässt uns warten. Warum fertigst du uns nicht erst ab?«
Tosen blickte Amby überrascht an. »Ihr kennt euch?«
»Bruke, du bist doch nicht eifersüchtig?« Amby schürzte die Lippen.
»Unsinn«, widersprach der Kontrolleur. »Zeig mir dein Gepäck!«
Lächelnd reichte sie ihm ihre Reisetasche. Er nahm jedes einzelne Teil daraus hervor und sah es sich an.
»Du glaubst hoffentlich nicht, dass ich Rauschgift oder Ähnliches einführe?« Amby bewunderte Bruke Tosen wegen seiner Korrektheit. Er machte keinen Unterschied zwischen ihr und den anderen Reisenden.
Im Hintergrund wurden Unmutsäußerungen laut. Tosen ließ sich davon nicht beeinflussen. Erst nach fast fünf Minuten beendete er die Kontrolle der Tasche, lächelte Amby freundlich zu und gab ihr den Weg frei.
Sie griff in die Tasche, die er soeben durchsucht hatte, nahm eine Perle daraus hervor und reichte sie ihm. »Das habe ich dir mitgebracht.« Sie gab ihm keine Gelegenheit, das Geschenk zurückzuweisen, und eilte davon.
Er steckte die Perle ein, hob den Kopf und blickte Gruude Vern an.
»Na los doch!«, forderte der Terraner ihn auf und schob ihm sein Gepäck hin. In seiner Stimme lag eine unwiderstehliche Herausforderung.
Bruke wollte etwas erwidern, als er die körperliche Schwäche spürte. Seine Knie gaben unter ihm nach, und nur mit Mühe hielt er sich aufrecht. Um sich davon abzulenken, begann er mit der Untersuchung, und allmählich erholte er sich wieder.