Читать книгу Perry Rhodan 120: Die Cyber-Brutzellen (Silberband) - Clark Darlton - Страница 8
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ОглавлениеDen 12. September 424 werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Am Vortag war meine Standardration per Transmitter von Terra gekommen, und ich hatte alles schon ordentlich verstaut. Darüber hinaus hatte es in den letzten acht Jahren nur wenig zu tun gegeben, das ließ mir genügend Zeit für meine Pilze.
Ich befand mich gerade auf dem täglichen Kontrollgang durch die Station, als mein Kombiarmband ansprach. Der Transmitter hatte sich durch einen Fernimpuls eingeschaltet. Ein unangemeldeter Besuch, was bislang nie vorgekommen war, oder eine Störung im System?
Ich schwebte im Zentralschacht nach oben. Auf halbem Weg lag meine Unterkunft, dort holte ich mir erst einmal eine Waffe.
Der Transmitterraum lag unter der Zentrale. In der Zentrale hielt ich mich am liebsten auf, von dort konnte ich das faszinierende Panorama der Milchstraße überblicken. Einer der winzigen Sterne war die Sonne, in deren fahlem Licht ich vor 93 Jahren auf dem kleinen Jupitermond Lysithea geboren wurde. Meine Heimatwelt war nur um weniges größer als der einsame Felsbrocken, auf dem die Liga Freier Terraner Outpost-4271 erbaut hatte.
Als ich den Transmitterraum erreichte, standen da zwei Typen, die ich nie zuvor gesehen hatte – und einer von beiden war bestimmt kein Mensch. »Wer seid ihr?«, fragte ich.
»Ich bin der Fünfte Bote«, antwortete der andere. »Quiupu begleitet mich; er ist mein ... Diener.«
Ich zuckte höchstens noch zusammen, zu mehr war ich nicht fähig. Der Fünfte Bote entwickelte jedenfalls eine unglaubliche Geschwindigkeit, er schnellte auf mich zu und entriss mir die Waffe, bevor ich überhaupt verstand, was sich da abspielte.
»Wie nennt sich diese biologische Einheit?«, fragte mich der Mensch und deutete auf mich. Also nahm ich an, dass er mich meinte.
»Diese biologische Einheit ist der Mensch Deininger«, sagte ich. »Das ändert aber nichts daran, dass mir dein Benehmen überhaupt nicht ...«
»Beantworte nur meine Fragen! Wie komme ich schnellstens zu NATHAN?«
Trotz der verwirrenden Situation lachte ich. Nach der jahrelangen Einsamkeit konnte mich so leicht nichts erschüttern. Mit diesem Verrückten würde ich schon fertig werden.
»Luna ist weit«, sagte ich. »NATHAN ebenfalls.«
Eine steile Falte entstand auf der Stirn des Mannes. »Du lügst, Deininger«, stellte er harsch fest.
Ich ignorierte die Waffe in seiner Hand. »Komm mit!«, forderte ich ihn auf und drehte mich einfach um. Tatsächlich folgten der Fünfte Bote und Quiupu mir zum Antigravschacht und in die Zentrale.
Ich deutete auf die Transparentkuppel über uns. Die Milchstraße war ein Bild, an dem ich mich niemals sattsehen konnte. Felsige Anhöhen des Asteroiden ragten in der Nähe auf.
»Du wirst nicht behaupten, dass dies Luna sein könnte.« Die Ironie ließ mich spöttisch lächeln.
Der Typ sagte etwas, das sich wie »Beiwischnarr« anhörte, ich konnte nichts damit anfangen. Schweigend sah er sich dann alle Instrumente an.
Ich hatte mich immer näher an Quiupu herangeschoben, weil mir ein untrügliches Gefühl verriet, dass er auf meiner Seite stand.
»Was ist mit dem los?«, fragte ich leise. Der Fremde reichte mir gerade bis zur Schulter, er war nicht allzu groß.
»Vorsicht«, flüsterte Quiupu schrill. »Das ist kein Mensch, sondern eine positronische Maschine.«
»Du meinst, er ist ein Roboter?«
»So ungefähr. Er will NATHAN vernichten. – Hast du schon von Cyber-Brutzellen gehört?«
Ich bestätigte, denn ich studierte alle Berichte und Warnmeldungen, die vom HQ Hanse kamen.
»Er ist eine Ansammlung von Brutzellen«, erläuterte Quiupu. »Er will NATHAN mit seinen Zellen zu einem Feind der Menschheit machen.«
Ich verstand, schließlich hatte ich erst vor Kurzem von den Ereignissen auf Mardi-Gras gelesen.
Der Brutzellenmensch blickte mich durchdringend an. »Du wirst den Transmitter auf Luna justieren!«, befahl er mir. »Falls du dich weigerst, werden dich meine Subsysteme zwingen; ich habe es eilig.«
»Ich habe Zeit.« Vielleicht war es falsch, ihn zu reizen. Allerdings hatte ich genügend Erfahrung im Umgang mit Positroniken, und viel anders konnte der Fünfte Bote auch nicht reagieren.
»Was meint er mit seinen Subsystemen?«, fragte ich Quiupu.
»Er kann seine Brutzellen aussenden, und ihnen wirst du nicht widerstehen. Eigentlich ist er auf Hilfe nicht angewiesen.«
Ich verstand. Vor allem, dass ich schnell handeln musste.
»Stationspositronik: Vorbereitung Eins-Alpha-2009«, sagte ich.
»Erledigt.« Die Meldung kam sofort.
»Ausführung 2009!«
Eine schwache Erschütterung durchlief die Station, begleitet von einem kurzen Grollen.
»Was geht da vor?«, herrschte mich der Fünfte Bote an.
»Ich habe den Transmitter in die Luft gesprengt; er war der einzige Weg, der von hier wegführte.«
Ich sah seine Faust heranzucken, konnte dem kräftigen Hieb aber nicht ausweichen. Ein greller Schmerz raubte mir die Besinnung.
Als ich wieder zu mir kam, saß ich ebenso gefesselt in einem Sessel wie Quiupu. Der positronische Mensch hatte die Zentrale verlassen.
»Erzähl mir mehr über den Fünften Boten«, forderte ich den Fremden auf. »Nur wenn ich alles weiß, kann ich gegen ihn vorgehen.«
»Gibt es ein Raumschiff in dieser Station?«, wollte er wissen.
Es gab keines, und ich hatte keinen Grund, Quiupu zu belügen. Immerhin berichtete er in kurzen Sätzen, was geschehen war. Etliches blieb mir unverständlich, aber ich gewann wenigstens einen groben Überblick. Die von Boulmeester ausgehende Gefahr war unübersehbar.
Der Fünfte Bote kam zurück. Er baute sich vor mir auf. »Du hast hier mindestens ein Rettungsboot«, behauptete er. »Wo ist es?«
»Frage die Positronik«, sagte ich.
»Sie verweigert die Antwort. Ich habe keine Zeit, sie unter meine Kontrolle zu zwingen. Also rede!«
Klar, dass sie nur auf mich hört, dachte ich. Das hat mich schließlich jahrelange Überzeugungsarbeit gekostet.
»Positronik«, sagte ich laut. »Haben wir ein Raumschiff in der Station oder eine andere Möglichkeit, diesen Mann nach Luna zu bringen?«
»Es gibt kein Raumschiff«, lautete die Antwort. »Aber ich erinnere an den zweiten Transmitter auf der untersten Ebene.«
Quiupus entsetzten Blick übersah ich, denn es gab keinen zweiten Transmitter. Doch das wusste nur ich. »Danke, Positronik«, sagte ich. »Das ändert nichts an der Eins-Alpha-Eins-Order.«
»Was heißt das?«, herrschte mich der positronische Mensch an.
»Nichts Besonderes.« Meine Stimme blieb ruhig. »Wirklich nichts Besonderes.«
Ein dumpfes Dröhnen war zu vernehmen, es hatte aber nur wenige Sekunden Bestand.
»Ich muss die Station Stück für Stück opfern«, informierte ich Quiupu. »Die Positronik ist soeben ausgeglüht, alle wichtigen Untersysteme ebenfalls.«
Der Fünfte Bote trat auf mich zu. Seine Augen funkelten vor Wut.
»Schlag mich!«, sagte ich unbeeindruckt. »Dann sitzt du völlig in der Falle.«
Er ließ die erhobene Hand wieder sinken. »Was ist mit dem zweiten Transmitter?«, herrschte er mich an.
Ich brauchte wieder Handlungsfreiheit. Dafür war erforderlich, dass Boulmeester mir die Fesseln abnahm. »Der Transmitter steht auf der untersten Etage«, antwortete ich deshalb. »Er lässt sich ohne die Positronik schalten. Du kommst aber nicht in den Raum, weil der Zugang nur mit Kodewort und meinem persönlichen Gehirnwellenmuster möglich ist.«
»Ich warne dich vor neuen Tricks.« Der Fünfte Bote trat auf mich zu und fing an, meine Fesseln zu lösen.
»Die biologische Einheit Deininger hat eingesehen, dass Widerstand zwecklos ist.« Ich sagte das mit aller Selbstverständlichkeit, deren ich fähig war.
Boulmeester befreite nun auch Quiupu. »Ihr kommt beide mit! Führe mich zum zweiten Transmitter, Deininger!«
Ich ging zum Antigravschacht, schwang mich hinein und verließ ihn erst auf der untersten Ebene. Hier waren die Schwerkraftaggregate untergebracht. In den engen Räumen darunter herrschte praktisch Schwerelosigkeit. Ohne diese konnten meine Deiny-Pilze nicht gedeihen.
Das Problem war, dass keiner meiner Besucher ein normaler Mensch war. Quiupu atmete zwar die gleiche Luft wie ich, aber daraus konnte ich nicht folgern, wie er auf das Pilzgas reagieren würde. Der Fünfte Bote war ein Mensch gewesen, doch seine Körperfunktionen waren von den Brutzellen übernommen. Was sich daraus für seine Atmung ergab, ließ sich nur im Versuch feststellen. Ich war im Lauf der Jahre gegen die Bestandteile des Gases und die darin enthaltenen Pilzsporen immun geworden.
Die Absicherung dieses Abschnitts hatte ich tatsächlich eingerichtet. Als Vorkehrung für den Fall, dass andere Menschen die Plantage betreten wollten.
Ich öffnete die Bodenplatte, die zur Eingangsschleuse führte, und sprang in den zwei mal zwei Meter großen Raum hinab.
Boulmeester zögerte. Er witterte eine Falle, und so unrecht hatte er damit gar nicht. Er stieß Quiupu nach unten, erst dann folgte er selbst.
Die hermetische Abriegelung von der eigentlichen Outpost-Station war erforderlich, da andernfalls Gas oder gar Pilzsporen nach oben gelangen konnten. Das System einer Doppelschleuse war denkbar einfach.
»Du hast die Gravitation abgeschaltet!«, brüllte mich Boulmeester jäh an und hob seine Waffe.
»Dreh nicht durch, Fünfter Bote«, sagte ich. »Hier unten gibt es keine Schwerkraft. Du wirst hoffentlich einen Gleichgewichtssinn haben.«
»Zum Transmitter!«, befahl er.
Ich öffnete das Tor der Pilzplantage. Hier herrschte ein dämmriges Licht, in dem die Blautöne überwogen. Ich staunte über Quiupu, der sich sehr schnell orientierte und alles nahezu zeitgleich zu erfassen schien.
Auf dem Höhlenboden lag eine dünne Schicht aus fein zermahlenem Gestein als Nährsubstrat des Pilzes. Zwischen den sauber angelegten Rabatten verliefen schmale Wege.
»Unter den Wegen liegen Magnetplatten, sie ersetzen die fehlende Schwerkraft«, erläuterte ich. »Der Transmitter steht auf der anderen Seite der Höhle. Folgt mir!«
Unauffällig blickte ich zurück. Quiupu ruderte geschickt in der Luft. Der Fünfte Bote musste jedoch viel magnetisches Material tragen, denn er wurde von den Platten im Boden angezogen. Damit hatte ich eigentlich nicht gerechnet.
»Die Luft ist schlecht.« Boulmeester folgte mir ungeschickt.
»Die Luft riecht nur anders«, gab ich zurück, ohne mein Tempo zu verringern. »Daran gewöhnt man sich schnell.«
Ich hoffte, dass das Gas und die Pilzsporen ihre Wirkung nicht verfehlen würden. Quiupu zeigte keine Reaktion, Boulmeester wurde unruhiger.
Ich legte ein größeres Tempo vor und erreichte das Tor aus Terkonitstahl mit einem Vorsprung, der mir bestimmt fünf Sekunden Handlungsfreiheit ließ. »Der Transmitter!«, rief ich zurück. »Ich bereite alles vor.«
»Warte!«, hörte ich Boulmeester, da schwang das Tor bereits zur Seite, und ich sprang geradezu nach vorn.
Sofort schloss sich die kleine Notschleuse wieder. Der Positronikmensch hämmerte gegen das Tor. Er konnte auch mit seiner Waffe nichts ausrichten.
Über mein Funkarmband löste ich die Abschottung des Haupteingangs aus, durch den wir die Höhle betreten hatten. Zugleich wurde ein Schirmfeld aufgebaut.
Um Quiupu tat es mir leid, aber was hätte ich anderes tun sollen?
Tief durchatmend öffnete ich das Wandfach und nahm den Raumanzug heraus. Seine Systeme arbeiteten einwandfrei. So konnte ich die Ausgangsschleuse öffnen, die mich durch einen kurzen Stollen bis zur zerklüfteten Oberfläche des Asteroiden führte.
Über die Hangarschleuse gelangte ich wieder ins Innere der Station und in die Zentrale. Nach wenigen Minuten hatte ich alles im Griff und aktivierte die Bildübertragung aus der Pilzhöhle.
Der Fünfte Bote lehnte an einer Wand. Er blickte auf Quiupu, der ein durchdringendes Geheul ausstieß. Vielleicht handelte es sich schon um eine Auswirkung des Gases oder der Pilzsporen, ich konnte das leider nur vermuten.
Boulmeester fing an, die Höhle abzusuchen.
»Du hast keine Chance«, sagte ich über die Sprechverbindung. »Nicht einmal deine Brutzellen können aus dem Gefängnis entkommen. Die biologische Einheit Deininger wird jetzt über Hyperfunk die biologischen Einheiten auf Terra informieren, dass die positronische Einheit Fünfter Bote-Boulmeester festsitzt.«
»Das wirst du nicht tun, Deininger«, widersprach der Fünfte Bote. »Sobald du gegen meine Interessen verstößt, wird Quiupu vernichtet. Du wirst vielmehr ein Raumschiff anfordern, das mich zum Mond bringt. Wenn das Schiff in elftausend internen Zeiteinheiten nicht hier ist, stirbt Quiupu.«
Es war ein Fehler gewesen, die Höhle ohne Quiupu zu verlassen. Nur konnte ich das nicht mehr ändern.
»Was sind elftausend interne Zeiteinheiten?«, fragte ich.
»Zwei terranische Standardstunden.«
»Unmöglich!«, stieß ich hervor.
»Meine Berechnungen beweisen, dass es geht. Andernfalls wird Quiupu vernichtet.«
»Du hörst wieder von mir.« Ich schaltete ab. Zum ersten Mal bedauerte ich, dass ich mit niemandem reden konnte. Die Zentralpositronik war zerstört. Andererseits bestand die Gefahr, dass der Fünfte Bote ein Subsystem in der Zentrale gelassen hatte, das mir Schwierigkeiten bereiten konnte.
»Der Fünfte Bote wird vernichtet!«, sagte ich mit Nachdruck. Als nichts geschah, aktivierte ich den Hyperfunk.
Die Aufnahme von Marcel Boulmeester, die in Quiupus Labor gefunden worden war, war der beste Beweis, den Tifflor in Händen hielt.
Mit Rhodans Zustimmung ließ der Erste Terraner die restlichen Brutzellen im Deltacom-Institut vernichten. Eine zweite ähnliche Entwicklung wie im Fall Boulmeester musste unterbunden werden. Die Forschungen an den Polizeizellen gingen jedoch unvermindert weiter.
Besondere Aufmerksamkeit widmete Tifflor dem Transmitter, durch den Boulmeester und Quiupu entkommen konnten. Im Zeitpunkt der Aktivierung waren die Zielkoordinaten verändert worden, die ausgelesenen Daten ergaben aber nicht mehr als eine vage Abstrahlrichtung.
Von Boulmeester und Quiupu gab es auch nach zwölf Stunden intensivster Nachforschung keine Spur.
Am Morgen des nächsten Tages ergab sich der erste vage Hinweis. Eine Station der Kosmischen Hanse, fünfzehn Lichtjahre von der Erde entfernt und im fraglichen Bereich liegend, hatte sich auf einen Kontrollanruf nicht gemeldet. Wenig später nannte NATHAN die Koordinaten einer weiteren Station, zu der es ebenfalls keine Funkverbindung mehr gab, die allerdings etwas außerhalb des vermuteten Abstrahlsektors stand.
Bevor Tifflor eine Entscheidung treffen konnte, meldete sich NATHAN erneut. »Hyperfunkspruch von Outpost-4271, Hanse-Spezialist Deininger. Er gibt an, Marcel Boulmeester isoliert zu haben. Quiupu befinde sich ebenfalls dort. Die Meldung ist widersprüchlich. Deininger behauptet, dass Boulmeester Quiupu töten wird, wenn er nicht innerhalb von zwei Stunden nach Luna gebracht wird.«
Der Erste Terraner rief seinen Beraterstab zusammen und informierte Perry Rhodan.
Keine zehn Minuten später sendete Tifflor seine Antwort. »Wir schicken ein Raumschiff, das den Fünften Boten zum Mond bringt.«
»Wie bitte?«, fragte Deininger ungläubig.
»Du hast richtig verstanden. Für uns gelten jedoch einige Kleinigkeiten mehr. Hör zu ...«
Die Zeiten, in denen mächtige Flotten durch die Milchstraße zogen oder andere Galaxien anflogen, um Entscheidungen mit nachhaltigem Druck herbeizuführen, waren längst vorbei. Perry Rhodan hatte mit zunehmender Erfahrung einen anderen Weg vorgezeichnet, und ES hatte ihn dabei unterstützt oder die entsprechenden Weichen gestellt. Für die Terraner wäre eine kampfstarke Flotte nur zum Nachteil geraten, denn sie riefe andere Völker auf, in ähnlicher Weise aufzurüsten.
Ein weiterer Grund für eine kleine Flotte, die im Verbund mit den GAVÖK-Völkern durchaus gegen einen Feind von außerhalb der Milchstraße bestehen konnte, war die Situation seit dem Jahr 1 NGZ. Die Auseinandersetzung mit Seth-Apophis und ihren freiwilligen und unfreiwilligen Helfern verlief nach anderen Regeln. Um den Gegner zu befrieden, bedurfte es keiner Riesenverbände an Raumschiffen, deren Unterhalt allein schon Abermilliarden Galax verschlungen hätte.
Die Auseinandersetzung mit Seth-Apophis spielte sich zudem auf einer anderen Ebene ab und erforderte ein hohes Maß an Flexibilität und Vielfältigkeit. In der frühen Geschichte der Menschheit hatte es den Begriff Dschungelkrieg gegeben. Auf die galaktische Situation übertragen, charakterisierte der Vergleich am besten, was sich abspielte.
Schon in den Anfangsjahren der Kosmischen Hanse hatte sich gezeigt, dass herkömmliche Raumschiffe trotz der fortgeschrittenen Technik die Aufgabe dieses galaktischen Dschungelkriegs nur unbefriedigend bewältigen konnten. Benötigt wurden kleine, wendige und hoch spezialisierte Schiffe.
Das Ergebnis dieser Überlegungen war die Spezialflotte TSUNAMI – kleine Schiffe mit spezieller Ausrüstung, die am Zielort überraschend auftauchen und mit Nachdruck zuschlagen konnten.
Der Spezialverband bestand aus hundertzwanzig Raumschiffen, offiziell unter dem Kommando der Liga Freier Terraner. Der praktische Einsatz geschah jedoch ausschließlich im Sinn und Auftrag Perry Rhodans beziehungsweise der Kosmischen Hanse, wenn es galt, gegen Seth-Apophis und ihre Agenten vorzugehen.
Bei den TSUNAMIS handelte es sich ausschließlich um zweihundert Meter durchmessende Kugelraumer, die äußerlich den Schiffen der STAR-Klasse glichen. Ihre Ausrüstung machte die TSUNAMIS zu etwas Besonderem. Auf schwere Waffen war dabei wenig Wert gelegt worden, aber die Defensivsysteme entsprachen einem Stand, den die terranische Technik nie zuvor besessen hatte. Das Nonplusultra der Defensivausrüstung war das Mini-ATG, ein Antitemporales Gezeitenfeld, wie es während der Lareninvasion kurzzeitig zum Schutz für das Solsystems eingesetzt worden war. Allerdings hatte der Zeittaucher der Laren die zeitliche Abschirmung schließlich durchdrungen.
Mit dem Aufbau der Kosmischen Hanse hatte man sich wieder dieser technischen Möglichkeit besonnen. Nach Jahrzehnten intensivster Entwicklungs- und Erprobungsarbeit hatten siganesische Wissenschaftler daraus das Mini-ATG entstehen lassen, untergebracht in einem Würfel mit zwölf Metern Kantenlänge.
Die Wirkung des Mini-ATG erfasste einen Bereich von 222 Metern Durchmesser. Die zeitliche Auswanderung aller Materie in diesem Bereich ließ sich zwischen einer und zwei Sekunden variabel justieren.
Die halbe TSUNAMI-Flotte war mit dem Mini-ATG ausgerüstet. Daraus ergab sich der Regelfall für den Einsatz dieser Spezialschiffe. Ein Team bestand aus zwei Schiffen, von denen zumindest eines mit dem Mini-ATG ausgestattet war. Eine ebenfalls von den Siganesen entwickelte spezielle Transmitterschaltung erlaubte das Halten einer Funkverbindung und den Austausch von Personen oder Material zwischen beiden Schiffen auch dann, wenn ein TSUNAMI das Mini-ATG aktiviert hatte und sich bis zu zwei Sekunden in der Zukunft befand.
Einziger Nachteil dieser besonderen Transmitterverbindung war, dass sie nur über die relativ kurze Distanz von 31,5 Kilometern funktionierte. Ein TSUNAMI-Team musste also stets in großer Nähe zueinander agieren.
Eine weitere Besonderheit war das positronische System dieser Schiffe. Neben der eigentlichen Schiffspositronik gab es eine zweite, den Koko-Interpreter, der lapidar als Koko bezeichnet wurde. Seine Aufgabe bestand vor allem darin, permanent alle Arbeiten unter dem Aspekt der entgegengesetzt angenommenen Voraussetzungen zu überprüfen. Dadurch ergab sich eine nie zuvor erreichte Flexibilität. Der Koko rechnete stets mit dem Unwahrscheinlichsten und bereitete für den akuten Fall entsprechende Widerstände vor. Solange alles normal verlief, schwieg der Koko-Interpreter. Erst wenn im routinemäßigen Ablauf einer Operation Handlungen aufgrund von gefährlichen Unwahrscheinlichkeiten erforderlich wurden, meldete sich der Koko, stufte jede Tatsache zunächst als Unwahrheit ein und zog daraus die Folgerungen. Für die Interpretation dieser Warnungen war ein Spezialist erforderlich, den man offiziell Koko-Interpreter nannte. Im Sprachgebrauch der TSUNAMI-Besatzung hieß diese Person scherzhaft der Lügendoktor.
Die Spezialflotte TSUNAMI war nur wenigen Eingeweihten bekannt.
Im Fall Marcel Boulmeester sah Julian Tifflor die Notwendigkeit eines TSUNAMI-Einsatzes. Der Erste Terraner erhielt von Perry Rhodan die Freigabe für zwei Schiffe.
Für die Augen eines unbedarften Beobachters hob ein terranisches Schiff der STAR-Klasse vom Raumhafen auf Ferrol im Wegasystem ab und verschwand kurz darauf im Linearraum.
Ich dachte noch einmal darüber nach, was der Erste Terraner gesagt hatte. Verflixt knapp waren seine Äußerungen geblieben, und womöglich war mein »Kapiert« etwas zu früh gefallen.
Nach einer Weile schaltete ich die Bildverbindung wieder ein und sah mich in der Höhle um. Im ersten Moment erkannte ich Boulmeester gar nicht wieder. Die Kleidung hing zerschlissen an ihm, der größte Teil des Stoffes hatte sich aufgelöst.
Der sichtbar gewordene Körper schimmerte in einem sanften blauen Schein, der nicht nur von der Beleuchtung in der Pilzhöhle kam, vielmehr hatte ehemalige Haut einen metallischen Glanz angenommen.
Gerade riss sich der Fünfte Bote die Kleidungsfetzen vom Leib. Er sah jetzt aus wie ein halborganischer Roboter, und er bewegte sich mit einer Schnelligkeit, der ich kaum folgen konnte. Schließlich blickte er geradewegs in die Aufnahmeoptik.
»Deininger!« Seine Stimme klang blechern, drohend hob er die Fäuste. »Ich weiß, dass du mich beobachtest, ich kontrolliere durch ein Subsystem deine Kamera. Wann kommt das Raumschiff, das mich zum Mond bringt?«
Er hatte also einige Brutzellen aus dem Körper entlassen. Dass er meine Beobachtungsmöglichkeiten damit prüfte, störte mich nicht. Über die Funkverbindung gab es bestimmt keine Infektionsgefahr.
Was mir hingegen Sorgen machte, war Quiupu. Ich konnte ihn nirgends entdecken.
»Ich habe ein Schiff angefordert, und mir wurde von Terra zugesichert, dass du freien Flug hast. Nur darf Quiupu nichts geschehen. Wo ist er?«
Der positronische Mensch lachte höhnisch. Er verschwand hinter einer Felssäule, und als er wieder zum Vorschein kam, hielt er Quiupu unter dem Arm. Angesichts der Schwerelosigkeit in der Höhle war das keine besondere Leistung, mich verblüffte nur erneut die Schnelligkeit, mit der Boulmeester agierte.
Der Fünfte Bote fasste in Quiupus schwarzes Haar und zog seinen Kopf zurück. Ich sah ein Halsband, das aus Metall sein musste und allem Anschein nach sehr straff saß.
»Die Manschette besteht aus einer Ansammlung von meinen Zellen«, sagte Boulmeester. »Sie zieht sich zusammen, wenn ich es will oder wenn mir etwas zustößt.«
Ich hätte damit rechnen müssen, dass er jeden Vorteil suchte.
»Das Raumschiff, das mich zum Mond bringt, darf keine Besatzung haben«, forderte er weiter. »Ich will ein positronisch gelenktes Schiff. Quiupu wird mich begleiten. Sobald du jemanden über die Manschette informierst, wird er vernichtet.«
»In Ordnung. Ich melde mich, sobald das Schiff eintrifft.« Etwas Besseres fiel mir nicht ein, ich unterbrach die Verbindung.
Es war zwar unwahrscheinlich, dass Boulmeester meinen Funkverkehr überwachen konnte, ganz ausschließen durfte ich das aber nicht, schließlich stand Quiupus Leben auf dem Spiel. Deshalb unternahm ich nichts, um das HQ Hanse über die veränderte Situation zu informieren. Meine Meldung an den Ersten Terraner fiel dementsprechend kurz aus und besagte nur, dass ich den verwandelten Wissenschaftler informiert hatte.
»Ich glaube, er besteht nur noch aus Brutzellen. Er ist eine wandelnde menschliche Positronik«, schloss ich.
»Gibt es außerdem vielleicht etwas, das wir wissen sollten?«, fragte Julian Tifflor.
»Eigentlich nicht«, antwortete ich.
Der Koko-Interpreter des TSUNAMI-81 wertete auf seine Weise den Inhalt des Funkverkehrs aus und legte dabei zugrunde, dass der Hanse-Spezialist auf Outpost-4271 unter dem Einfluss des Kybernetikers Marcel Boulmeester stand. Ebenso berücksichtigte er die Möglichkeit, dass Deininger bewusst besondere Gegebenheiten verschwieg und dass Quiupu nicht mehr am Leben sein könnte.
Während die Besatzung des TSUNAMI mit der Hanse-Station Kontakt aufnahm, rechnete der Koko und kalkulierte die unmöglichsten Varianten und Voraussetzungen. Seine Folgerung, die er dem Koko-Interpreter mitteilte, war, dass unter allen Umständen mindestens ein Besatzungsmitglied an Bord des TSUNAMI bleiben musste.
Die Hauptpositronik hatte inzwischen mit der Schiffsführung alle Vorbereitungen für die Übernahme des positronischen Menschen getroffen. Dass jemand an Bord zurückbleiben sollte, war dabei nicht vorgesehen.
Der Kommandant traf eine Entscheidung, die den Forderungen beider Positroniken gerecht wurde. Als sich der TSUNAMI-81 auf weniger als eine Lichtsekunde der Outpost-Station genähert hatte, wechselte die Mannschaft über den ATG-Transmitter zum TSUNAMI-80 über, der seit dem Verlassen des Wegasystems dem Schwesterschiff unsichtbar gefolgt war.
Die Anweisungen des Fünften Boten kamen präzise. Ich durfte diesen Gegner keinesfalls unterschätzen. »Du öffnest jetzt die Höhle, ich komme mit Quiupu in die Zentrale. Das Raumschiff soll ein Beiboot zur Station schicken, um Quiupu und mich aufzunehmen. Du bleibst in der Station. Der Positronik des Schiffes teilst du mit, dass ich ihren Funkverkehr durch körpereigene Systeme überwachen kann. Sobald ich kodierte Nachrichten erkenne, stirbt Quiupu. Das Gleiche tritt ein, falls Quiupu sich mehr als zwei Meter von mir entfernt und ebenso, sollte sich noch ein Mensch an Bord des Schiffes befinden.«
Sicher hatte er mir nicht alle seine Überlegungen mitgeteilt. Ich musste befürchten, dass er mich als zweite Geisel nehmen würde, also traf ich vorbeugende Schritte.
Ich öffnete den Hauptzugang zur Plantage, zog meinen Raumanzug an und verließ die Station durch eine Notschleuse. Aus der Deckung eines Felsens in unmittelbarer Nähe der Station sah ich, dass ein kleines Beiboot anlegte. Kurz darauf verließ der Fünfte Bote mit Quiupu unter dem Arm die Anlage.
Das Beiboot flog zum Mutterschiff zurück.
Plötzlich erklang eine Stimme im Helmempfang. »Agent Deininger! Hier spricht der Koko-Interpreter des TSUNAMI-81. Außerordentlicher Notfall. Alle Systeme des Schiffes werden von dem positronischen Wesen übernommen. Bringe dich in Sicherheit, denn Outpost wird vernichtet. Informiere den ...« Die Warnung brach abrupt ab.
Eine Falle konnte ich in dieser Nachricht kaum vermuten. Also schaltete ich den Antrieb meines Raumanzugs auf volle Leistung und jagte hinaus in die Schwärze des Alls. Als der erste Energiestrahl aufflammte, schaltete ich den Individualschirm meines Raumanzugs ein.
Während der Asteroid in einer Gluthölle auseinanderbrach, empfand ich tiefen Schmerz. Es war schade um meine schönen Pilze, vor allem würde ich Ärger mit den Abnehmern auf Terra bekommen.
Schließlich waren da nur mehr Trümmer der Station und des Felsbrockens. Das Raumschiff entfernte sich.
Nun war ich zum ersten Mal richtig einsam, doch es dauerte keine halbe Stunde, bis ein terranisches Schiff mich auffischte. Ich erfuhr, dass der Fünfte Bote alle Überwachungsmechanismen in kürzester Zeit entdeckt und unterbrochen hatte. Über Transmitter wurde ich zum HQ Hanse geschickt, wo ich über die Vorfälle berichten sollte.