Читать книгу Perry Rhodan 120: Die Cyber-Brutzellen (Silberband) - Clark Darlton - Страница 5

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Ein schriller Heulton schreckte Adelaie Bletz auf. Die junge Frau war mit einem Satz aus dem Bett, verließ ihr Zimmer und stürmte in den angrenzenden Empfangsraum. Durch die Fenster fiel schon die fahle Helligkeit des frühen Morgens herein.

»Du kannst nicht schlafen?«

Sie wirbelte herum. Mortimer stand hinter ihr. Er hatte sich einen Morgenmantel übergeworfen und sah aus, als sei er ebenfalls fast aus dem Bett gefallen.

»Ein fürchterliches Geheul.« Adelaie massierte sich die Schläfen. »Irgendein Alarm, oder ...?«

»Unsinn. Das war nur Quiupu.« Mortimer Skand sagte das, als handelte es sich um die alltäglichste Sache überhaupt. »Er heult jeden Morgen, sobald die Sonne aufgeht.«

»Ein Verrückter?«

Der Mann, bei dem Adelaie erst am Vortag eingezogen war, lachte leise. »Manche meinen, dass Quiupu verrückt sei. Er ist jedoch Rhodans Schützling, so etwas wie ein kosmisches Findelkind, von dem keiner viel weiß. Perry Rhodan hat ihn hier im Haus untergebracht. – Aber ich denke, wir sollten jetzt frühstücken; es wird ohnehin schnell Tag.«

Gähnend ging Skand in die Küche und aktivierte die Robotautomatik mit einem knappen Zuruf.

»Soll ich dir mehr von Quiupu erzählen?«, fragte er kurz darauf, als Adelaie ihm an der Frühstücksbar gegenübersaß. Ohne ihre Antwort abzuwarten, redete Mortimer Skand weiter: »Der Fremde hat in einem der Untergeschosse ein eigenes Labor erhalten. Keine Ahnung, was er dort für Experimente anstellt, es wird schon nicht gleich alles in die Luft fliegen. Ein Bekannter meint, dass die Liga oder Rhodans Leute Quiupu überwachen.«

»Warum dieses Geheul?« Adelaie nippte an ihrem synthetischen Kaffee.

»Keine Ahnung. Quiupu legt eine Reihe sonderbarer Verhaltensweisen an den Tag. Aber das ist Perry Rhodans Angelegenheit, mich geht es wenig an.«

Sie aßen und hingen jeder seinen eigenen Gedanken nach.

»Wann sind wir bei deinem Chef gemeldet?«, fragte Adelaie nach einer Weile. »Hat er für eine Laborantin wie mich überhaupt Verwendung?«

»Boulmeester sucht Mitarbeiter. Unser Team umfasst nur einunddreißig Personen, und er hat einen dringenden Auftrag der LFT abzuarbeiten. In der Hinsicht würde es gut aussehen, wenn du ihm sagst, dass du täglich sogar sechs oder mehr Stunden arbeiten willst.« Skand lächelte. »Ich könnte mir übrigens gut vorstellen, dass du dich mit Marcel zusammenraufen wirst. Als Kybernetiker hat er kaum Freizeit, die wenigen Stunden verbringt er mit der Jagd auf Wildschweine.«

Adelaie hatte ein paar Mal zur Waffe gegriffen und auf Volar Enten gejagt, nur war das kaum etwas, das sie ihrem neuen Chef als Referenz vorlegen konnte.

Vor drei Monaten hatte sie Mortimer Skand während eines Urlaubs kennengelernt. Er war ihr durchaus sympathisch, trotzdem fragte sie sich, warum sie seiner Aufforderung gefolgt war und ihn in Terrania besucht hatte. War vor allem das Reizwort Terrania schuld daran? Auf ihrer unbedeutenden Heimatwelt nahe dem galaktischen Zentrum hieß es, dass Terrania das Herz der Milchstraße sei.

»Ist er zuverlässig?«, fragte Perry Rhodan. »Ich will vor allem wissen, ob die Cyber-Brutzellen von Mardi-Gras bei Boulmeester in sicheren Händen sind und ob wir von ihm einen Durchbruch in der Entwicklung einer Gegenwaffe erhoffen können.«

Julian Tifflor, der Erste Terraner, reagierte mit einer abwägenden Geste. »Für solche Spekulationen solltest du besser NATHAN befragen, nicht die kleine Büropositronik.«

»Am besten beide«, sagte Perry Rhodan. »Zuerst die Positronik. Ich höre!«

»Marcel Boulmeester, Kybernetiker, Chef des Forschungs- und Entwicklungslabors Deltacom«, erläuterte eine nicht so ganz perfekt modulierte Kunststimme. »Geboren am 24. Januar 338 Neue Galaktische Zeitrechnung in Terrania ...«

Die Daten über Boulmeesters beruflichen Werdegang interessierten Rhodan. Ihm fiel auf, dass der Wissenschaftler beachtliche achtzehn Jahre für seine Ausbildung aufgewendet hatte, was weit über der Norm lag. Seine Abschlüsse wiesen dementsprechend exzellente Ergebnisse auf.

»In den letzten sieben Jahren arbeitete Boulmeester mit seinem Team an der Entwicklung des Sonnenkontrollsystems ...«

»Was gibt es über den Menschen Boulmeester zu sagen? In seinen Labors befinden sich immerhin die hochgefährlichen Brutzellen.«

»Boulmeesters Leistungen sind exzellent«, antwortete die Positronik. »Über seine Persönlichkeit liegen keine detaillierten Kenntnisse vor, lediglich, dass er bisweilen zu eigenwilligem Handeln neigt.«

Rhodan kaute auf seiner Unterlippe. »Etwas braut sich zusammen«, sagte er. »Es ist zu lange relativ ruhig geblieben, das verträgt sich nicht mit den Warnungen. ES hat mir die Bedrohung durch Seth-Apophis deutlich vorgeführt, und Mardi-Gras könnte so etwas wie die Generalprobe gewesen sein. Aber was kommt danach?«

»Die Labors verfügen über perfekte Schutzvorkehrungen«, stellte Tifflor fest. »Ich frage dich, Perry, was soll da geschehen?«

»Das ist er, Quiupu.« Mortimer Skand zeigte auf den Mann, der in einiger Entfernung in einen Gleiter stieg.

Adelaie erkannte, dass es sich um den Angehörigen eines nicht menschlichen, wenngleich humanoiden Volkes handelte. Auffällig war das unproportionale Verhältnis zwischen seinem Oberkörper und den Beinen. Letztere waren im Vergleich mit einem Menschen zu kurz und zu dick. Auch die beiden Arme wirkten zu kurz, was die Statur grotesk erscheinen ließ.

»Wohin will er?« Adelaie erwartete keine Antwort, ohnehin sah sie ihrem Begleiter schon an, dass er keine Antwort parat hatte.

Schweigend schwangen sie sich auf das nächste Laufband.

Adelaie nahm jedes Detail begierig in sich auf. Auf ihrer Heimatwelt Volar wurde sehr altertümlich gebaut, in Terrania war alles moderner, üppiger, einfach futuristisch. Besonders faszinierend wirkte auf sie die Synthese zwischen Technik und Natur.

In Terrania lebten etwa fünfundsiebzig Millionen Menschen und einige hunderttausend Angehörige anderer Völker.

Nach einer Weile erreichten sie den kühn geschwungenen Gebäudekomplex der Deltacom.

Adelaie war in Skands Begleitung gekommen. Marcel Boulmeester begrüßte sie am Eingang des Labortrakts.

Der Kybernetiker war größer als die meisten Terraner. Das pechschwarze Haar und sein kantig vorstehendes Kinn verliehen ihm einen Hauch von Unnahbarkeit. Seine dunklen Augen blickten ruhig und selbstsicher. Er trug schlichte Laborkleidung.

»Ich suche neue Mitarbeiter«, sagte er knapp. »Deine Fähigkeiten sind ausschlaggebend dafür, wo du arbeiten kannst.« Er ging voraus und betrat einen einfachen Seitenraum. »Du hast bisher in einem Labor für Bakterienforschung gearbeitet ...?«

»Ich hatte nicht nur mit Bakterien zu tun, sondern ebenso mit angrenzenden Forschungszweigen.«

Boulmeester schien damit durchaus zufrieden zu sein. »Wir arbeiten ausschließlich im Auftrag der Liga Freier Terraner und vor allem in der Entwicklung spezieller positronischer Systeme«, erläuterte er und aktivierte eine holografische Projektion.

Stirnrunzelnd betrachtete Adelaie die einfache Darstellung. »Das sind Speicherzellen einer veralteten Positronik.« Sie bemühte sich, ihrer Stimme einen sachlichen Klang zu geben. »Vergrößerung etwa eins zu zehntausend. Das Bild dürfte aus der Zeit vor der LFT stammen, also etwa fünfhundert Jahre alt sein.«

Boulmeester gab keine Antwort.

Die Projektion wechselte.

»Bakterien«, sagte Adelaie. »Vergrößerung rund eins zu tausend. Die Art ist mir unbekannt.«

»Gut.«

Adelaie gewann den Eindruck, dass Boulmeester sein kurzer spontaner Kommentar unangenehm war. Zögernd fügte er hinzu, dass es sich bei dem Holo um ein Fiktivbild handelte.

Weitere Aufnahmen aus dem kybernetischen und biologischen Bereich folgten, die meisten konnte Adelaie identifizieren. Angespannt wartete sie darauf, dass der Kybernetiker versuchen würde, sie zu irritieren.

Und tatsächlich, das nächste Bild hatte es bereits in sich. Ein bizarres Gebilde klammerte sich mit einem halben Dutzend dünner Beine an die Oberfläche einer leicht gekrümmten Fläche. Die Lichteffekte waren derart bizarr, dass Adelaie fröstelte. Die Beine mündeten in einen nahezu kugelförmigen Kopf. Dieser war halb transparent, ließ das Innere aber nicht erkennen.

»Es erinnert mich an etwas, ich weiß nur nicht, woran. Wie eine alte planetarische Landefähre, die auf der Oberfläche eines Wüstenplaneten festsitzt.«

Das nächste Bild ähnelte dem unbekannten, jedoch handelte es sich um eine starke Vergrößerung. Alle Formen und Umrisse waren glatter und natürlicher.

»Ein Virus oder ein Phage«, erkannte Adelaie. »Ein winziges Lebewesen, kleiner als ein zehntausendstel Millimeter. Die Aufnahme muss von einem positronischen Rastermikroskop stammen. Oder – nein: Es könnte sich eher um die technische Nachbildung eines Virus handeln. Seine Formen sind exakter, geometrischer und kantiger als die eines richtigen Phagen.«

Mit einer knappen Handbewegung löschte Boulmeester die Projektion. Er blickte Adelaie durchdringend an. »Einverstanden«, sagte er nach einer Weile. »Du hast eine Stelle als Laborantin – in meinem persönlichen Labor. Deine Auffassungsgabe entspricht meinen Vorstellungen.«

»Das freut mich.« Die junge Frau lächelte dankend. »Allerdings interessiert mich, was zuletzt dargestellt war.«

»Eine Cyber-Brutzelle.« Boulmeester blickte kurz zu Skand. »Sag ihr, was es damit auf sich hat.«

»Viel wissen wir bislang nicht darüber«, sagte Mortimer. »Die Brutzellen wurden in einem Handelskontor auf dem Planeten Mardi-Gras entdeckt. Wir müssen davon ausgehen, dass es sich um eine Waffe gegen die Kosmische Hanse handelt. Perry Rhodan hat mehrere dieser Biester zur Erde mitgebracht.«

»Welchen Schaden richten die Gebilde an?«

»Sie reagieren in ähnlicher Weise wie Viren, die einen Wirtskörper befallen. Eine Cyber-Brutzelle formt aus den Elementen der befallenen Positronik Nachbildungen ihrer selbst. Und sie manipuliert Programminhalte, bis am Ende eine gegen uns handelnde Positronik steht. Es wäre eine Apokalypse, könnten sich diese Brutzellen unkontrolliert vermehren. Der Untergang Terras, der Liga und der GAVÖK mitsamt allen Handelsstützpunkten der Hanse wäre die Folge.«

»Ist das nicht etwas übertrieben?«, fragte Adelaie skeptisch.

»Leider nein«, sagte Boulmeester. »Bist du über Superintelligenzen informiert?«

»Was man so allgemein hört. Ich kenne den Namen ES, habe von BARDIOC ...«

»Zu wenig!«, unterbrach der Kybernetiker. »ES, die Superintelligenz, in deren Einflussbereich die Milchstraße liegt, hat einen Gegenspieler: Seth-Apophis. Vor 424 Jahren, als unsere neue Zeitrechnung begann, erhielt Perry Rhodan von ES einen klaren Auftrag, nämlich die Befriedung von Seth-Apophis. Die Kosmische Hanse ist ein Werkzeug dieses Auftrags, bei dem es sich im wahrsten Sinn des Wortes um die Beilegung eines kosmischen Konflikts handelt.«

Eine Weile herrschte Schweigen.

»Du willst mir sagen, dass es sich bei den Cyber-Brutzellen um eine Waffe von Seth-Apophis handelt?«, fasste Adelaie schließlich nach.

Boulmeester hob beide Hände zu einer abwägenden Geste. »Es ist nicht unsere Aufgabe, einen Beweis dafür zu erbringen, vielmehr müssen wir die von den Brutzellen ausgehende Gefahr beseitigen, woher sie auch kommen mag. Die Macht im Hintergrund ist für uns nur insofern wichtig, als Erkenntnisse in der Hinsicht mehr über die Bedeutung unserer Arbeit aussagen. Wir müssen eine Gegenwaffe entwickeln, das ist unser Auftrag.«

Schon der erste Tag in den Deltacom-Labors hielt für Adelaie Bletz Hektik bereit. Große Aufregung herrschte, sie wurde peinlich genau kontrolliert.

»Ein toter Polizist ist angeblich verschwunden«, sagte Verta Cholm, die Leiterin des Positronikzentrums.

»Ein toter Polizist?« Adelaie runzelte die Stirn.

»So nennen wir die Minigebilde, die Franzlin zusammenbastelt. Der Chef bezeichnet sie als Polizeizellen. Toter Kram, den Franzlin baut; ich habe mir die Dinger im Raster angesehen.«

Franzlin war der Leitende Wissenschaftler der Entwicklungsabteilung, das wusste Adelaie schon. »Wieso angeblich verschwunden?«, fragte sie.

Cholm holte tief Luft, in dem Moment wirkte sie gequält. »Vielleicht hat Franzlin sich verzählt. Er hat über hundert von den Dingern gleichzeitig wachsen lassen, da kann es leicht zu einem Problem gekommen sein.«

Als wenig später Boulmeester kam, erfuhr Adelaie Einzelheiten. Jemand musste sich unbefugt Zutritt verschafft und einen der Behälter geöffnet haben, in denen jeweils zehn der neuen Zellen lagen. Jedenfalls befanden sich nur noch neun Zellen darin.

»... die Geschichte ist rätselhaft, wenn auch ungefährlich«, sagte Boulmeester. »Die bisher entwickelten Polizeizellen funktionieren nicht. Der Vorfall wurde der LFT gemeldet, mehr können wir vorerst nicht tun.«

»Viren, Vishna und Verdammte!«, fluchte Quiupu, als er seine heimliche Beute unter dem Molekularsensor betrachtete. »Was habe ich mir da geangelt?«

Er befand sich in seinem Labor. Den ihm von Perry Rhodan überlassenen Mehrzweckroboter hatte er desaktiviert, weil er eine Überwachungsvorrichtung darin vermutete. Die terranische Technik war ihm in der Hinsicht noch zu wenig bekannt.

Er hatte sich erhofft, eine der von Rhodan zur Erde mitgebrachten Cyber-Brutzellen zu bekommen, aber das war ihm offensichtlich nicht gelungen. Das Objekt, das er, an allen Sicherheitsvorrichtungen vorbei, erbeutet hatte, zeigte kein Leben.

Dass eine Brutzelle ohne äußere Einwirkung ihre Funktion einstellte, war nach allem, was Quiupu wusste, eine Unmöglichkeit.

Das submikroskopische Objekt, das er mithilfe seines eiförmigen Lockvogels über einen Lüftungsschacht erbeutet hatte, war etwa zehnmal so groß wie eine normale Zelle.

Der Lockvogel sandte jeweils eine winzige Wolke weniger tausend Moleküle aus, die einen extremen Reiz auf Brutzellen ausübten. Die dabei verwendeten synthetischen Lockstoffe waren erfahrungsgemäß zuverlässiger als jedes positronische System. Jedoch war etwas eingefangen worden, was gar nicht darauf hätte reagieren dürfen.

Das Ding, das in sein Ei gelangt war, musste sich aus eigener Kraft dorthin begeben haben. Trotzdem war es leblos in jedem denkbaren Sinn.

Quiupu stand vor einem Rätsel. Der Molekularsensor arbeitete zuverlässig, das grobe Simultanbild, das er entwarf, gab trotzdem nur wenig Aufschluss über das gefangene Objekt. In seinen Umrissen entsprach es weitgehend einem Phagen, aber es war kein Virus.

Mit seinen bescheidenen Hilfsmitteln testete Quiupu alle Möglichkeiten. Seine persönliche Ausrüstung, die Rhodan ihm gelassen hatte, kam ihm dabei sehr zustatten. Dennoch blieb es bei dem ersten Ergebnis: Das Ding war leblos.

Quiupu versank ins Grübeln. Schattenbilder und Begriffe aus der Vergangenheit tauchten vor seinem inneren Auge auf, er konnte sie nur nicht deuten.

In dieser Nacht schlief er unruhig.

Am Morgen war das seltsame Ding verschwunden, das in seine Lockfalle gegangen war.

Zur Nachtzeit arbeitete im Institut nur wenig Personal, gerade ausreichend, um die standardisierten Tests und Untersuchungen der Cyber-Brutzellen zu überwachen. Als Marcel Boulmeester sein Labor betrat, achtete kaum jemand darauf, zumal er das in schöner Regelmäßigkeit tat.

Der Kybernetiker fuhr eines der Rastermikroskope hoch und forderte von der Laborpositronik ein Labyrinth im Submikrobereich an. Nur ein einziger Ausgang durfte aus dem Labyrinth ins Freie führen. Als Anreiz für die Brutzelle legte Boulmeester dort ein positronisches Kleinstbauteil ab.

Fast schon ungeduldig wartete er darauf, dass ihm ein Roboter den angeforderten Minicontainer mit einer einzelnen Brutzelle brachte. Kaum dass er das Element hatte, setzte er es ins Mikroskop ein.

Der Behälter wurde geöffnet, die holografische Wiedergabe zeigte die Brutzelle. Sie verhielt sich zunächst ruhig, aber schon nach wenigen Sekunden regten sich die hauchdünnen Fortsätze.

Drei Eingänge gab es ins Labyrinth, das winzige Gebilde bewegte sich auf den einen zu, der tatsächlich ans Ziel führte. Der Weg für die Zelle durch das submikroskopische Labyrinth betrug nur knapp einen Millimeter; auf menschliche Größenverhältnisse übertragen, maß die Strecke immerhin etwa zwei Kilometer.

Boulmeester wollte herausfinden, ob der Winzling Intelligenz aufwies. Er sah, dass die Brutzelle schneller wurde, ihre Beinchen wirbelten sie voran. Keine halbe Minute später erreichte sie das Ziel.

Der Wissenschaftler entfernte das positronische Kleinstbauteil. Er legte keinen Wert darauf, dass sich die Zelle dort vermehren konnte. »Das Objekt muss in den Behälter zurück!«, befahl er der Positronik.

»Das Objekt ist verschwunden«, lautete die Antwort. »Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat es das Mikroskop durch die kurzzeitig bestehende Öffnung verlassen.«

Boulmeester wurde nervös. Spontan dachte er an die seit dem Vortag vermisste Polizeizelle und wurde sich schlagartig der Bedrohung durch die freie Brutzelle bewusst.

Im Institut würde sie kein Betätigungsfeld finden, denn alle Positroniken waren versiegelt worden. Allerdings konnte die Brutzelle an anderen Orten Schaden anrichten, sobald es ihr gelang, das Labor zu verlassen.

Den Winzling wiederzufinden war von vornherein ein hoffnungsloser Versuch. Nach einer Stunde brach Marcel Boulmeester die Suche ab, löschte alle gespeicherten Daten über sein Vorgehen und stellte den leeren Container an seinen Platz zurück. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass die Brutzelle wahrscheinlich in Kürze absterben würde. Ein leichtes Unbehagen blieb dennoch, es ging Hand in Hand mit dem Wissen, dass er sich nicht richtig verhalten hatte.

Knapp eine Stunde nachdem Marcel Boulmeester das Institut wieder verlassen hatte, traf dort die Polizeizelle ein, die Quiupu entkommen war. Unsichtbar für jedermann torkelte sie durch den Entlüftungsschacht, ihr Aufzeichnungsmechanismus hatte alle Daten des Weges gespeichert. Trotzdem waren nahezu vierundzwanzig Stunden vergangen, bis der submikroskopisch kleine Apparat unter Ausnutzung thermischer Strömungen sein Ziel gefunden hatte.

Die Polizeizelle arbeitete nur unvollständig, wusste aber, was sie zu tun hatte. Das winzige Scheinleben in ihr hatte sich bislang nicht voll entfaltet. Genau genommen handelte es sich um eine Fehlkonstruktion. Die Zelle gehörte zur ersten Generation, die in Franzlins Labor entstanden war, ihre Programmierung wirkte ungenau. Der größte Fehler lag in der Abhängigkeit zwischen der Entfaltung zu eigenem Leben und der Nähe der Artgenossen. Durch Quiupus Eingriff war diese eine Zelle von den anderen isoliert worden und erst deshalb erwacht.

Nun brach in der Programmierung der vorgesehene Drang durch, doch auch dieser Faktor war mit Fehlern behaftet. Der Winzling wollte alles zerstören, was nach Positronik aussah. Dieser Trieb wurde nur von einem anderen überlagert: Die Zerstörung musste wirksam und nachhaltig sein. Das ließ sich von einer einzelnen Zelle nicht erreichen.

Die eingesperrten Artgenossen mussten also befreit und ebenfalls aktiviert werden, damit das Zerstörungswerk Erfolg haben würde.

Dieser Trieb lenkte die Polizeizelle auf dem Weg zurück, auf dem sie entführt worden war.

Als der Morgen graute, befand sie sich in Franzlins Labor. Die Zerstörung der positronischen Schlösser war eine Kleinigkeit. Schwieriger wurde es schon, die Strukturen der anderen, bislang leblosen Polizeizellen zu verändern. Nachdem sie ihre mechanisch-genetische Information der nächsten Zelle übermittelt hatte, ging es schnell weiter.

Die erste der bislang eingesperrten Zellen erwachte, arbeitete sofort nach dem Programm ihres Befreiers und informierte die nächste Zelle.

Keine zehn Minuten später war aus fünfhundert Polizeizellen ein quirlender Haufen gieriger Mechanismen geworden. Nach ihrer Befreiung setzte sich das Zerstörungsprogramm durch. Die Polizisten stürzten sich auf die Laboreinrichtungen. In praktisch jedem Gerät existierten positronische Elemente.

Bevor die Überwachung den Schaden bemerkte und das Labor hermetisch abriegelte, waren bereits drei Viertel der kostbaren Einrichtung zerstört. Der Alarm schrillte durch das Institut, Boulmeester wurde geweckt.

Eine dunkle Ahnung sagte dem Kybernetiker, dass die verschwundene Zelle den Alarm ausgelöst haben könnte. Er meldete sich über Funk im Labor. Der Zufall wollte es, dass Marcel Boulmeester den Leiter der Entwicklungsabteilung erwischte.

»Wir haben eine kleine Katastrophe, Chef«, sagte Franzlin aufgeregt. »Das Labor mit den Polizeizellen wurde abgeriegelt. Wir können nicht hinein, und von der Positronik erhalten wir keine Informationen. Sie behauptet, alle Verbindungen seien unterbrochen. Ich vermute, dass mit der ersten Generation der Polizisten einiges nicht stimmt.«

»Ich bin in fünf Minuten da. Informiert die Liga, Julian Tifflor hat das ausdrücklich verlangt.«

Boulmeesters Aufregung legte sich ein wenig, denn die verschwundene Brutzelle konnte nichts mit diesem Vorfall zu tun haben. Er bestieg eine Röhrenkapsel, die ihn schnell zum unterirdisch angelegten Institut brachte.

Franzlin stand vor dem verschlossenen Haupteingang. Auch Adelaie und die Chefpositronikerin Cholm sowie ein Dutzend weiterer Mitarbeiter waren da.

»Keine Ahnung, was geschehen ist.« Franzlin gehörte zu der Sorte Wissenschaftlern, die sich so leicht nicht erschüttern ließen, nun war seine Unsicherheit jedoch deutlich zu spüren.

Über sein Kombiarmband sendete Boulmeester ein kodiertes Signal, das eine Kontrollsonde aktivierte. Die Sonde drang über eine kleine Notfallschleuse ins Labor ein. Die Bildübermittlung funktionierte nur wenige Sekunden. Sie fiel aus, als die Sonde den Bereich des Innenschotts passierte.

»Wir sind so schlau wie zuvor«, schimpfte Boulmeester. »Ist die Liga informiert?«

»Wenigstens das hat funktioniert.« Ein hochgewachsener Mann, der die kleine Gruppe aufmerksam musterte, trat aus einem Seitengang hervor. Unter dem Arm trug er einen schweren Schutzanzug.

»Wer ist das?«, entfuhr es Adelaie.

Nachdenklich massierte Boulmeester sich das Kinn. »Das ist Perry Rhodan«, sagte er.

Das Vorgefallene war schnell erklärt, Rhodan hörte den Wissenschaftlern aufmerksam zu. »Haltet ihr es für möglich, dass die Polizeizellen durchgedreht haben?«, fragte er dann.

»Unwahrscheinlich«, antwortete Franzlin. »Wir arbeiten mittlerweile an einer zweiten Generation, denn die erste war offensichtlich eine Fehlentwicklung. Die kleinen Systeme zeigten keine Lebensfunktion.«

»Wo befinden sich die Zellen der neuen Generation?«

»In einem Labor im Südtrakt. Wir trennen alles, um jegliches Risiko auszuschließen.«

Rhodan legte den Gurt ab, an dem der silberfarbene Köcher mit Laires Auge hing, und zog sich den mitgebrachten Schutzanzug über. »Ich gehe hinein«, sagte er, bevor er den Helm schloss.

Er hob das Auge des Kosmokratenroboters Laire, schaute hindurch ... und war von einer Sekunde zur nächsten verschwunden. Dieses Auge, gerade eine Handspanne lang und nicht mehr als knapp zehn Zentimeter durchmessend, war ein perfektes technisches Hilfsmittel. Es erlaubte Perry Rhodan den distanzlosen Schritt, den zeitlosen Wechsel von einem Ort zum anderen im Einflussbereich der Kosmischen Hanse.

Adelaie Bletz blickte verwirrt in die Runde. Schließlich erläuterte ihr Verta Cholm, welche Funktion das hochtechnische Auge hatte.

»Ich habe zu Hause auf Volar einiges davon gehört«, bemerkte Adelaie zögernd. »Glauben wollte ich das aber nie.«

Rhodan kehrte schon nach knapp zwei Minuten zurück. Er öffnete den Helm.

»Ich benötige ein Rastermikroskop, das nicht auf positronischer Basis arbeitet«, sagte er.

Boulmeester gab die Bitte weiter. »Was geht in dem Labor vor, Perry?«, fragte er dann.

»Sämtliche positronischen Elemente sind zerstört. Du kannst ebenso gut sagen, sie wurden zerfressen oder zersetzt.«

Boulmeester dachte an die verschwundene Brutzelle. »Die Cyber-Brutzellen tun so etwas nicht«, widersprach er.

»Sie bauen sinnvoll um«, bestätigte Rhodan. »Deshalb vermute ich, dass die Polizeizellen nicht so leblos sind, wie Franzlin vermutet. Sie könnten die Ursache dieser Zerstörung sein.«

Mit dem Rastermikroskop und einem Behälter zur Aufbewahrung von Brutzellen begab sich Rhodan erneut ins Labor. Diesmal dauerte sein Aufenthalt länger.

Als er zurückkam, wirkte er ernst. »Wie ich vermutet habe: Die Polizeizellen haben sich selbstständig gemacht und alles Positronische zerstört. Und sie vermehren sich bereits, das Labor ist von ihnen verseucht. Einige habe ich für Untersuchungszwecke mitgebracht.«

Er reichte Franzlin den Behälter. »Die fehlentwickelten Zellen sind vorerst isoliert, dank der automatischen Schutzeinrichtungen können sie nicht nach draußen«, sagte er dazu. »Ihr müsst alles desintegrieren, damit keine Zelle überlebt.«

»Einen Moment bitte.« Adelaie drängte sich nach vorn. »Perry, wieso kannst du sicher sein, dass du selbst jetzt oder meinetwegen auch schon vorhin aus dem Labor keine Zellen mit nach draußen gebracht hast? Womöglich toben diese Winzlinge schon durch das Institut und befallen weitere Positroniken.«

Rhodan blickte die junge Frau freundlich an. »Deine Überlegung ist prinzipiell richtig«, bestätigte er. »Ich vermute aber, du weißt nicht, dass ich nur das mitnehmen kann, was ich mitnehmen will, sobald ich mich mit dem Auge bewege. Die von dir vermutete Gefahr besteht also in keiner Weise.«

Der Rest des Tages verging mit der Beseitigung der ausgebrochenen Polizeizellen. Marcel Boulmeester leitete die Aktion selbst. Rings um das Labor ließ er hochenergetische Schirmfelder errichten, danach wurde eine Robotfräse angesetzt, die über keine positronischen Bauteile verfügte.

Schließlich wurde das Labor in eine Gluthölle verwandelt, in der jede ungeschützte Materie verbrannte. Die Arbeiten nahmen Boulmeester so in Anspruch, dass er die verschwundene Cyber-Brutzelle völlig vergaß.

Am Abend meldete ihm einer von Franzlins Mitarbeitern, dass es dem Leitenden Wissenschaftler gelungen sei, eine neue Generation von Polizeizellen zu erzeugen.

Das bedrohliche Experiment mit den Winzlingen ging weiter.

Mortimer Skand hatte seinen freien Tag auf dem südamerikanischen Kontinent verbracht. Erst am späten Abend kehrte er über den öffentlichen Transmitter nach Terrania zurück.

Adelaie war nicht da, wahrscheinlich arbeitete sie noch mit Boulmeester. Skand überlegte, ob er sich falsch verhielt. Nicht gerade zwangsläufig musste zwischen Adelaie und ihm alles so weitergehen, wie es im Urlaub begonnen hatte.

Es war schon spät, als die junge Frau endlich kam. »Ich muss mit dir reden, Mortimer«, sagte sie ernst. »Es geht um Marcel.«

»Er hat dir den Kopf verdreht?«

Sie stutzte, dann lachte sie laut auf. »Er ist plötzlich so anders, wirkt wie verändert.«

»Na und?« Skand konnte seinen Unmut nicht verbergen, vielleicht wollte er das auch gar nicht.

»Du hast noch keine Ahnung, was heute im Institut vorgefallen ist.« Adelaie berichtete von dem Ausbruch der Polizeizellen und von Rhodans Eingreifen.

»... bis zum frühen Nachmittag leitete Marcel die Aktion selbst, dann zog er sich in sein Büro zurück und war nicht einmal zu sprechen, als mehrere Assistenten ihm neue Erkenntnisse vorlegen wollten. Bevor du jetzt behauptest, er wäre nur müde: das war er nicht. Er wollte heute Abend mit uns beiden auf die Ausstellung alter galaktischer Zahlungsmittel gehen. Als er endlich aus seinem Büro kam, verrichtete er im Labor nur unwichtige Dinge. Schon da erschien er mir eher fahrig, und als wir das Institut verließen, verabschiedete er sich ziemlich schroff von mir. Ich fragte ihn nach dem Treffpunkt für heute Abend, er blickte mich nur fragend an. Schließlich gestand er ein, dass er nicht wisse, wovon ich rede. Ich sage dir, Mortimer, da stimmt etwas nicht.«

»Du phantasierst.« Skand schüttelte den Kopf. »Der Chef hat gelegentlich seltsame Anwandlungen. An deiner Stelle würde ich mir darüber nicht den Kopf zerbrechen.«

»Ruf ihn wenigstens an und mach dir selbst ein Bild«, bat Adelaie.

»Ich verspreche mir nichts davon. Aber wenn du meinst, dir zuliebe ...«

Skand wählte den Anschluss der Privatwohnung seines Chefs. Er erhielt die Aufforderung, eine Nachricht zu hinterlassen, da der Angerufene nicht anwesend und auch über Armband nicht erreichbar sei.

»Er hat eindeutig erwähnt, dass er den Abend zu Hause verbringen wird«, sagte Adelaie.

Skand versuchte es im Forschungsinstitut und erhielt die Auskunft, dass der Chef bis Mitternacht im Jagdklub und danach in seiner Wohnung zu erreichen sei. Lächelnd wandte er sich an Adelaie. »Wahrscheinlich hatte er die Verabredung in seinem Klub übersehen, und es war es ihm peinlich, dir deshalb abzusagen. In so einem Fall verhält man sich schon eigenartig.«

Adelaie schwieg eine Weile. Schließlich gab sie sich einen Ruck. »Mortimer, hast du Lust, mit mir in die Ausstellung galaktischer Zahlungsmittel zu gehen?«

»Eine Viertelstunde mit der Rohrbahn«, sinnierte er. »Das schaffen wir rechtzeitig, und vielleicht machen wir anschließend ein wenig Sightseeing. Ganz in der Nähe ist das Hauptquartier der Hanse.«

Als sie eine halbe Stunde später die Ausstellungshalle betraten, blieb Adelaie schon nach wenigen Metern wie angewurzelt stehen. Sie packte Mortimer am Arm. Mit der anderen Hand deutete sie auf eine Gruppe von Menschen. Einer davon war Marcel Boulmeester.

Perry Rhodan 120: Die Cyber-Brutzellen (Silberband)

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