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Geburtstagsmorgen

Sonnenstrahlen kitzeln in Miriandas Nase. Sie hüpft Stufe um Stufe die alten Treppen von der Terrasse hinab in den Garten. Der herbe Korianderduft vermengt mit dem betörenden Duft der Stockrosen, die Wärme der Sonne auf der Haut, all das verleiht ihr die Kraft, jeden Morgen in die Düsternis des Speisesaales einzutauchen. Dieser Saal, mit all den prunkverzierten Möbeln, dem Gold der Leuchter und dem kalten Marmorboden ist ihr zuwider. Am meisten aber hasst sie die Stille in diesem Raum. Was für ein Gegensatz zu dem Summen und Surren, all dem Lebendigen eines Gartens. Heute liegt eine heitere Ruhe über dem Schloss. Mit dem heutigen Tag ist Mirianda, Tochter des Königs Halamor von Wardistan, volljährig. Sie ist siebzehn Jahre alt. Erwachsen.

Vor der Tür zum Speisesaal stoppt sie. Fährt sich mit der Hand durch das lockige Haar, glättet, was sich glätten lässt. Sie zupft ihren Rock zurecht, nimmt Haltung ein und drückt die Tür auf. König Halamor steht mit dem Rücken zu ihr mitten im Raum. Die sorgfältig zurechtgelegten Vorstellungen von der Würde der künftigen Königin fallen von ihr ab. In kindlicher Vorfreude stürmt sie auf ihren Vater zu, der sich mit finsterer Miene zu ihr umdreht. Mit ausgestrecktem Arm hält er sie davon ab, ihn zu umarmen. Mirianda stoppt ihren Lauf. Um Atem ringend deutet sie einen Knicks an.

»Du bist spät!«, knurrt er, »Du weißt, wie ich es hasse, zu warten!«

Sie lächelt. Nein, ihr Halamor hat keine Mühe, seinem Gesicht einen Anschein von Groll zu geben. Mirianda verstört es nicht. Sie ist mit diesem Anblick aufgewachsen. Sie liebt diesen grimmigen alten Mann, der nur in ihren Augen ein alter Mann ist. Für sie ist er ihr Vater. Für alle anderen ist er der große Zauberer, der König von Wardistan. Ein Herrscher, der sein Land mit eiserner Faust und unbeugsamen Willen regiert. So munkeln es die Dienerinnen in den Fluren des Schlosses, nicht ahnend, dass die Königstochter sie belauscht.

Halamor setzt sich an die Tafel und sieht seine Tochter an.

»Guten Morgen Vater!« Sie spielt das Spiel der Erwachsenen, welches sie schon so oft übte. »Habt Ihr gut geruht?« Sie lächelt ihn an und gibt ihm einen Kuss auf die Stirn.

Ein Hauch unterdrückter Freude erhellt sein Gesicht. »Mirianda!« Mit einem kraftvollen Ruck zieht Halamor sie auf seinen Schoß.

»Aber Vater!« Sie stemmt sich mit beiden Händen gegen seine Brust. »Ich bin kein Kind mehr! Ich bin jetzt eine Frau!« Kichernd schlingt sie ihre Arme um seinen Hals.

»Herzlichen Glückwunsch zum Siebzehnten«, flüstert er in ihr Ohr. Gibt ihr einen Kuss auf das Haar und reicht ihr einen mit Smaragden verzierten Armreif. »Ein würdiger Schmuck für eine Königstochter!«

Miriandas Finger streichen über die leuchtend grünen Steine und das kühle Silber. Sie umarmt Halamor erneut.

»Danke Vater«, sagt sie, steht auf und tritt vor das überlebensgroße Gemälde einer zartgliedrigen, kraftvollen und eindrucksvollen Frau mit symmetrischen Gesichtszügen. Das Bild, so vertraut wie die Möbelstücke im Saal. Allen Tand und Prunk würde sie eintauschen für das Abbild ihrer Mutter. Seit jeher hält sie Zwiesprache mit ihr. Diese gütigen Augen voll dunkler Sehnsucht. Oder ist es ihre eigene Sehnsucht, die sie darin erkennt? Mit jedem Jahr ähnelt sie diesem Bildnis mehr. Mirianda streicht zart mit den Fingerkuppen über das schmale Gesicht. In ihrer kindlichen Fantasie stellte sie sich vor, die Mutter würde nach Zimt und Koriander riechen, mit einem Hauch von Orange. »Ach wenn Sorana nur einmal mit mir sprechen könnte, mich umarmen, mir mit ihren schlanken Händen übers Haar streichen. Allen Schmuck aus deinen Schatzkammern würde ich geben für ein Wort von ihr, für eine Berührung.« Mirianda presst einen Kuss auf zwei ihrer Finger und drückt diese auf die vom Farbauftrag raue Wange der Mutter. »Alles was ich von ihr habe, ist dieses Bild. Warum redest du nicht mit mir über sie Vater?«

Halamor schweigt. Seine ohnehin dunklen Augen färben sich schwarz. »Sorana ist tot!«, antwortet er mit belegter Stimme. »Sie starb bei deiner Geburt. Dies wird für immer der Tag sein, an dem mir das Schönste genommen und das Beste geschenkt wurde.« Mit finsterer Miene starrt er das Gemälde an. »Es ist schlimm genug für mich, dass du ihr Jahr für Jahr ähnlicher wirst.«

Mirianda dreht sich zu Halamor um, sieht ihm in die Augen, seinen Blick mit dem ihren haltend. »Ich weiß Vater!« Ihre Stimme kippt ins Mädchenhafte. »Aber du weißt, wie weich ihre Haut war. Wie sie roch. Wie kennst den Klang ihrer Worte. Ich weiß nicht einmal, wie ihr euch kennengelernt habt?«, drängt es aus ihr heraus.

»Nicht!« Halamors Stimme duldet keinen Widerspruch. Abrupt dreht er sich zum Tisch. Mit einem Kopfnicken bedeutet er dem Pagen, dass er die Speisen auftragen möge.

Mirianda wischt sich verstohlen die Tränen aus dem Gesicht und setzt sich ebenfalls an den Tisch. Des Vaters Kühle verfliegt so schnell, wie sie gekommen war. Sanft legt er seine Hand auf die ihre. »Lass uns essen. Mit vollem Magen streitet es sich besser.«

Statt des üblichen Haferbreis stellt der Page Reis mit Mandelmilch und Zimt, Kirschen und Weißbrot auf den Tisch. Dazu Aalpastete und übel riechenden Käse, den der König an Festtagen bevorzugt. Neben der Pfannkuchen-Torte mit Spinat fehlt auch Miriandas Lieblingsgericht nicht, junge Bohnen in Milch gekocht. Statt eines Bechers Wasser steht ein nach Holunder und Geranie duftender Wein auf dem Tisch. Tochter und Vater sprechen ein Tischgebet. Sie lächeln einander zu und widmen sich schweigend den herrlichen Speisen.

Alles ist verzehrt, der Tisch ist abgeräumt. Mirianda schiebt ihren Stuhl zurück.

»Warte!«, bittet Halamor und sieht sie nachdenklich an. Er räuspert sich. »Ich habe dir einen Gast eingeladen.«

Miriandas Augen weiten sich vor Überraschung. Ihre Augenbraue zittert leicht.

»Es ist die Heilerin, die deiner Mutter bei deiner Geburt zur Seite stand.«

Mirianda springt mit einem spitzen Schrei von ihrem Stuhl auf. »Vater!« Auffordernd zieht sie ihn hoch, fällt ihm um den Hals. Von ihrem Ungestüm überfordert, erstarrt er in ihrer Umarmung.

»Wo?«, fragt sie, »Wo ist sie?«

Mit dem Kopf nickt er Richtung Garten. Mirianda reißt sich los von ihm. Rennt zur Tür. Stoppt, dreht sich noch einmal zu ihm um. »Danke, Vater. Danke!«

Halamor steht wie angewurzelt. Die Arme erhoben, wie in der Umarmung erstarrt. Jegliche Farbe ist aus seinem Gesicht gewichen. All seine Kraft und Würde scheint von ihm abgefallen. Mit hängenden Schultern dreht er sich schwerfällig um und lässt sich auf seinen Stuhl fallen. Mit der Hand winkt er dem Pagen. »Mehr Wein!«, befiehlt er. »Mehr Wein!«

Fantastische Fragmente

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