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Ankunft der Heilerin Saragunde

Laut lamentierend kreist ein Krähenschwarm über dem Schloss. Eine einzelne Krähe löst sich aus der Formation, stürzt mit wildem Gekreisch gen Boden. Öffnet mitten im Sturz die Flügel, fängt sich, schwebt in der Luft und landet sanft auf der Schulter eines in schwarze Lumpen gehüllten Weibes.

»Jaja«, brummelt sie zur Begrüßung und hievt sich mit langsamen Bewegungen von ihrem Reittier, einem in die Jahre gekommenen Esel. Kaum stehen ihre Füße auf festem Boden, fingert sie mit arthritischen Händen an den Reitgurten. Befreit das Grautier von seinem Geschirr. Streicht ihm über den Kopf. Das Tier schnaubt leise.

»Leb wohl Schöner«, flüstert die Alte und gibt dem Esel einen sanften Schlag auf die Flanke. Der Graue bockt auf, schüttelt sich, trabt los. Nach wenigen Metern verfällt er in einen gemächlichen Schritt. Sie sieht ihm hinterher, bis er im Grün des Olivenhains entschwindet. Einmal noch schreit er ein heiseres I-ha zum Abschied. Das Weib seufzt. Löst den Blick vom staubigen Weg, auf dem der Esel entschwunden ist. Richtet die zerlumpten Kleider. Die Krähe zupft am schwarzen Umhang, drängt zur Eile.

Ein rauchiger Husten schüttelt das Weib, der Atem rasselt. Sie beugt den Körper nach vorn, stützt die Arme auf die Schenkel. Tief atmet sie ein und aus, ein und aus. Ihre Atemzüge beruhigen sich, das Rasseln wird schwächer. Sie hält die Augen geschlossen, das Gesicht entspannt sich. Der gebogene Schnabel der Krähe zwickt das Weib am Ohr, reißt sie aus der Versunkenheit. Sie nickt, lächelt. Fährt mit dem Finger leicht über das Gefieder des Tieres. Sie räuspert sich und richtet sich auf. Läuft in kurzen Schritten auf das Schlosstor zu und klopft energisch. Die Krähe flattert auf, hackt mit raschen Schnabelstößen gegen das Tor.

Tock-tock-tock.

Ein zahnloser Wächter öffnet das Späher-Fenster. »Wer stört?«, fragt er mit harscher Stimme. Weicht vor der Krähe zurück, die nach seinem Gesicht hackt.

»Saragunde, die Heilerin. König Halamor und Prinzessin Mirianda erwarten mich«, antwortet das Weib so kraftvoll, dass der Torhüter suchend hinter sie sieht. Doch außer der Alten ist da niemand.

»Pfeif dein Federvieh zurück«, herrscht er sie an.

Als würde sie seinem Befehl gehorchen, landet die Krähe auf dem ausgestreckten Arm der Heilerin. Der Blick des Wächters wandert an der Gestalt des Weibes von unten nach oben. Mit einem Grinsen zieht er den Rotz aus der Nase hoch, zielt und spuckt direkt neben ihre staubigen Schuhe. Sie weicht nicht zurück, zuckt nicht einmal. Er schließt das Fenster. Mit einem rostigen Quietschen öffnet sich das Tor.

Ungeachtet ihrer äußerlichen Gebrechlichkeit wischt Saragunde mit flinken Fingern ihre Kleidung glatt und richtet sich zu stattlicher Größe auf. Der schwarze Umhang, vom Staub befreit, zeigt auserlesene verwobene Blütenmuster und Runen. Auf diesem Untergrund wirkt selbst die Krähe auf der Schulter der Heilerin majestätisch und edel.

Würdevoll tritt Saragunde einen Schritt auf den Wächter zu. Er weicht zurück, senkt den Blick. Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn. Keine seiner Bewegungen entgeht ihr. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln umspielt ihren Mund. Innerlich triumphiert sie, äußerlich wirkt sie kühl und bedrohlich. Trotz ihres stattlichen Alters und ungeachtet all ihrer Gebrechen beherrscht sie ihn noch immer, diesen äußerst nützlichen Blendzauber.

Ohne sie anzusehen, weist der Torhüter mit dem Arm Richtung Garten. Mit erhobenem Kopf und kraftvollen Gang läuft sie an ihm vorüber. Ihr Umhang streift ihn am Arm. Kalt. Ihn schaudert. Die Krähe lässt den Wächter nicht aus den Augen. Mit fünf Schritten ist Saragunde an ihm vorbei. Seine Schultern sinken entspannt nach unten und er atmet hörbar aus. »Hexe«, murmelt er.

Sie dreht sich nicht um. Ihr stummes Lachen wäre zu verräterisch. In jüngeren Jahren hätte sie ihn ob dieser Beleidigung in einen Stein verwandelt, heute aber haushaltet sie mit ihrer Energie. Sich über die Häme dieses Wichts zu ärgern und ihn zu erschrecken würde nur ihre Kräfte schmälern.

Fantastische Fragmente

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