Читать книгу Fantastische Fragmente - Claudi Feldhaus - Страница 13

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Miriandas Reise

Miriandas Gesicht ist tränennass. Ihr Körper ist vom Erlebten wie betäubt. Lautes Gekreische holt sie aus ihrer Erstarrung in die Gegenwart zurück. Einen letzten Blick erhascht sie auf Saragundes Traumgestalt, die einem vergehenden Regenbogen gleich, in der Dämmerung entschwindet.

Noch immer hockt Mirianda auf dem Sessel im Pavillon. Auf dem Tisch steht unberührt die Karaffe mit Wasser. Die Heilerin ist verschwunden. Nur ihr Umhang liegt leer auf dem Kissen ihres Stuhls. Der Himmel ist schwarz und drohend. Hunderte Krähen verdunkeln ihn, laut kreischend ziehen sie ihre Kreise.

Mirianda nimmt den Umhang auf den Schoß. Sie streicht mit den Fingern über das kühle Metall an ihrer Brust. Saragunde war kein Traumgespinst. Sie friert. Was sie wie im Traum sah und hörte, ist die Wahrheit. Das Amulett ist dafür ebenso Beweis, wie ihre im Dämmerlicht hell schimmernde Haut. Ihr geliebter Vater Halamor ist ein Magier, ein Weltverdunkler, ein Krieger und ein Menschenschinder. Er war der Schänder ihrer Mutter. Er war schuld an ihrem Tod. Eine ungekannte Kälte kriecht durch Miriandas Körper, breitet sich aus. Sie hebt den Blick gen Himmel. Nicht die Krähen irritieren sie. Es ist die fehlende Helligkeit. Die Dämmerung nicht mehr eine weitere Schandtat des Königs, seine erste vielleicht. Doch es gibt eine Welt hinter den Wolken. Jetzt kennt sie die Sonne. Ihre Mutter war Königin Sorana, die im Licht Geborene.

Mirianda verlässt den Pavillon, steigt Stufe um Stufe zum Schloss empor. In den Fenstern sucht sie nach der Gestalt des Vaters. Er zeigt sich nicht. Kurz entschlossen wirft Mirianda sich den Umhang der Heilerin über. In der Ferne hört sie das heisere Krächzen der Krähen. Die Tochter des Königs schleicht an ihrem siebzehnten Geburtstag, um Jahre gealtert, aus dem väterlichen Schloss. Nur einmal dreht sie sich um, wirft einen Blick auf sein Turmzimmer. In ihrem Gesicht spiegeln sich Trauer und Angst. Ein greller Lichtblitz erhellt den Himmel über dem Turm, in dessen Fenster sie den Schatten des Halamors erkennt.

Drei Tage und Nächte läuft Mirianda, ohne innezuhalten. Keiner Menschenseele begegnet sie. Sie meidet die Siedlungen der Menschen. Die Gefahr erkannt zu werden ist groß. Sie kennt ihren Weg nicht, noch ihr Ziel. Sie folgt dem Schwarm der Schwarzgefiederten, der sie seit jenem Tag im Pavillon begleitet. Bis auf die einsilbigen Unterhaltungen mit einer Krähe, die sich mutig auf ihrer Schulter niederlässt und in der sie den Geist Saragundes erahnt, spricht sie kein Wort. Versunken in ihre düsteren Gedanken läuft sie Schritt um Schritt. Am dritten Tag sinkt sie erschöpft am Ufer eines Sees zu Boden, trinkt gierig von dem klaren Wasser, legt sich nieder und schläft ein. Im Traum hört sie fernes Gewisper. Wirft sich ruhelos von einer Seite auf die andere, doch die Stimmen kommen immer näher.

Blinzelnd öffnet Mirianda die Augen und sieht sich umringt von fünf moosbewachsenen Gestalten. »Warum stört ihr meinen Schlaf?«, fragt sie.

»Wir wollen nicht stören«, antworten die Wesen im Chor, wie aus einem Mund. »Wir sind die Mingowen, die Moosigen. Wir fanden dich im Schlaf der Erschöpfung am Rande des dunklen Sees. In den Wäldern hörten wir die Häscher Halamors nahen, deshalb brachten wir dich in Sicherheit.«

»Wo ist in Sicherheit?«, fragt Mirianda, sich unauffällig umsehend.

»Im Schloss von König Erdschwer.« Die Umstehenden wackeln mit den moosigen Köpfen. »Hier im Inneren der Erde leben wir seit Anbruch der großen Dämmerung.« Die Mingower versinken in düsterem Schweigen.

»Ach papperlapapp«, ruft eine Mingowin aus, der das Moos wie ein Bart im Gesicht zu wachsen scheint. »Was stehen wir hier rum und reden und reden und das arme Kind verhungert!« Energisch erhebt sie sich.

»Aber ihr wisst doch gar nicht, wer ich bin?«, wehrt sie ab.

»Pah, das weiß doch jedes Kind« lacht die Moosige. »Die Prophezeiung besagt, das Mirianda, Tochter der Sorana und des Halamor, aus Gegensätzen ein Ganzes schaffen wird und wieder vereint, was Halamor einst trennte. Und Kind, glaub mir, seit Beginn der Dämmerung haben wir nie wieder einen Menschen so hell leuchten sehen wie dich.«

Die Mingowen lachen.

»Mir für meinen Teil genügt das«, fügt die Moosige forsch hinzu.

»Wir kennen und wir wissen«, murmeln die anderen Mingowen und verneigen sich vor Mirianda.

»Schluss jetzt!«, poltert die Moosige. »Wir gehen ins Schloss, das Abendmahl wartet.« Mit diesen Worten ergreift sie Miriandas Hand und bedeutet ihr, aufzustehen. Mirianda gehorcht. Sie laufen durch von Fackeln beleuchtete Gänge. Wände aus purem Gold, dessen weicher Glanz das Licht reflektiert und so die Räume heller scheinen lässt. Getrieben von Hunger und Neugier vergisst sie, dass sie hunderte Klafter tief ins Innere der Erde läuft. Unzählige Biegungen später erreichen sie einen taghell erleuchteten Saal. Mirianda kneift die Augen zusammen. Sie folgt mit dem Blick den Stimmen der Mingowen. Munter schwatzend lassen sie sich an einer reich gedeckten Tafel nieder. An der Stirnseite sitzt ein stattlicher Mann. Dunkle Locken und ein schwarzer Bart umrahmen sein Gesicht.

»Ihr müsst König Erdschwer sein«, entfährt es ihr. Seine freundlichen und sanften Gesichtszüge ziehen sie an. Mit einer einladenden Geste fordert er sie auf, neben ihm Platz zu nehmen. Schweigend essen Erdschwer und Mirianda, einander unauffällige Blicke zuwerfend und scheinbar den Gesprächen der Anwesenden lauschend. Wie aus weiter Ferne hört sie die Moosige.

»Das Feuer ist entfacht, der Wein entkorkt, möge der Funke springen.« Mit diesen Worten beugt sie sich vor und flüstert Mirianda zu »Falls Ihr unsere Hilfe benötigt, wir sind Euch stets zu Diensten.« Sie verbeugt sich vor Erdschwer und verlässt im Kreis der ihren den Raum.

Die vielen Eindrücke der vergangenen Tage, das Licht im Saal, die Wärme des Holzfeuers und die fast greifbare Zuneigung, mit der Erdschwer sie betrachtet, verwirren Mirianda. Nie saß sie mit einem Fremden allein am Kamin. Nie war sie einem ihr Unbekannten so nah. Das Feuer knackt und wirft züngelnde Schatten an die Wand. Die leise Stimme des Königs bricht das Schweigen.

»Vor langer Zeit, als es in Wardistan noch Sonnenlicht gab, arbeiteten die Menschen hart, um dem Boden seine Früchte zu entlocken. Das Leben war schwer und mühevoll, und dennoch feierten wir Feste, freuten uns über Geburten und trauerten, wenn einer der unseren uns für immer verließ.« Erdschwer seufzt. »Als Halamor die Dunkelheit rief, war alles vorbei. Was du hier siehst, ist ein Abglanz unseres Lebens unter der Sonne. Sobald die Mingowen mir sagten, wen sie schlafend am dunklen See fanden, wollte ich dich auf der Stelle in den tiefsten Kerker werfen.« Erdschwer sieht ihr direkt in die Augen. Sie hält seinem Blick stand. »Doch die Mingowen erinnerten mich an die Prophezeiung von der strahlenden Jungfrau, die das Licht der Sonne in sich trägt und uns alle befreien wird.«

Mirianda schließt die Augen und lauscht den Worten des Königs. All das Leid und die Hoffnungslosigkeit, die Halamor über das Land brachte, lasten in diesem Augenblick auf ihren Schultern. »Was soll ich tun?«, flüstert sie.

»Dein Vater ist krank vor Sehnsucht nach dir. Sein Schmerz lässt Wardistan Tag für Tag dunkler werden. Finde einen Weg. Bring uns die Sonne zurück!« Schatten der Trauer vibrieren in Erdschwers Stimme.

Kummer presst Miriandas Brust zusammen. Sie schluchzt. »Ich verspreche es bei meinem Leben. Ich werde den Weg finden«. Tränen tropfen auf ihre Hände. Sie zittert. Erdschwer legt behutsam seine Arme um sie. So hocken sie lange und halten einander fest. Zwei beladene Seelen, keinen Ausweg wissend. Ihre Augen schließen sich vor Müdigkeit. »Du musst gehen«, flüstert er ihr zu.

»Kann ich nicht bei dir bleiben«, fragt Mirianda. Erdschwer schüttelt bedauernd den Kopf. »Die Nacht neigt sich dem Ende entgegen. Ein Erdenmensch, der vor Tagesanbruch den Weg an die Oberfläche nicht schafft, verwandelt sich in einen Mingowen, ein Wesen der Nacht. All unsere Hoffnung und meine Liebe sind mit dir. Mirianda, nur als Mensch kannst du uns retten!« Mit diesen Worten verabschiedet sich der König von ihr, doch sein sehnsuchtsvoller Blick sagt: »Bleib!«

Ohne Miriandas Antwort abzuwarten, verschwindet Erdschwer durch eine kaum wahrnehmbare Tür in der Wand. Etwas zupft an ihrem Arm. Die Moosige ist unbemerkt neben sie getreten. »Es ist Zeit!«, fordert sie Mirianda auf. Ergreift ihre Hand und führt sie auf denselben verschlungenen Wegen aus dem Schloss, auf denen sie es betreten hat. Schweigend laufen die beiden durch die vom Gold erleuchteten Gänge. Die Moosige summt eine sich immer wiederholende Melodie, von der Mirianda noch schläfriger wird. Auf einem Feld, unter einer alten Eiche, halten sie. Es bedarf keiner Aufforderung. Sie legt sich mit geschlossenen Augen in das wispernde Gras. Die Stimme der Moosigen klingt weit entfernt und doch nah genug, dass Mirianda ihre Worte versteht. »Dies ist der heilige Baum, das Herz Wardistans. Hier fanden wir vor langer Zeit König Erdschwer in den Armen seines Bruders König Windleicht. Beide sterbenskrank, von Halamors Fluch getroffen. Dies wäre ihr Grab geworden, hätten wir sie nicht voneinander getrennt. Der eine kann nur in den Tiefen der Erde, der andere nur in den Höhen der Lüfte überleben. Auf der Erde leben können sie nur kurze Zeit, einander festhaltend. Doch schnell schwinden auf diese Art ihre Lebensgeister. Finde König Windleicht! Füge zusammen, was Halamor getrennt!«

Wo? Die Frage wabert durch ihren müden Kopf.

Über der Dämmerung antwortet die sanfte Stimme. Jetzt aber schlaf! Leise summt die Moosige wieder die fremde Melodie, mit der sie sich langsam aus Miriandas Gedanken zurückzieht.

Am Morgen erwacht Mirianda unter dem ausladenden Dach der alten Eiche. Nach dem Besuch in König Erdschwers goldener Schattenwelt erscheint ihr das Dämmerlicht Wardistans dunkler als je zuvor.

Aus dem nahe gelegenen Wald sind Schritte zu hören. Äste knacken unter schweren Stiefeln. »Ein Licht« hört sie eine knurrige Stimme rufen. »Es bewegt sich!«

»Wenn das mal nicht unser Prinzesschen ist«, antwortet eine andere Männerstimme.

»Halamor wird es uns lohnen«, ruft ein Dritter.

»Gold, Vieh und Weiber«, grölt ein Vierter.

Mirianda wirft sich hastig Saragundes Umhang über. Das Leuchten verschwindet. Sie sucht mit den Augen ein Versteck. Das Gras ist zu niedrig, das wogende Weizenfeld zu viele Schritte entfernt. Sie wendet den Blick nach oben. Das Blätterdach der Eiche ragt weit in die Wolken hinein. Sie knotet ihre Röcke zusammen, sodass sie den Beinkleidern von Männern ähneln. Ihre Schuhe steckt sie in den Ausschnitt ihres Kleides. Jetzt kommen ihr die Spiele ihrer Kindertage zugute. Oft hatte sie sich auf den Bäumen im Garten vor den Rufen der Zofen versteckt. Eichhörnchenflink klettert sie empor. Mit einer Hand berührt sie schon die Wolken, da dringen die Stimmen der Männer zu ihr herauf. Mirianda hält inne. Wagt einen Blick nach unten.

Sie laufen suchend um den Baum herum. »Verfluchtes Weib« hört sie den mit der knurrigen Stimme murren. »Die Hexe hat sich in Luft aufgelöst!« Lautes Gekreisch übertönt das Geräusch der knackenden Äste unter ihren Füßen.

»Verdammtes Miestvieh« brüllt einer der Männer.

In diesem Augenblick durchbricht Mirianda die Grenze zwischen Erde und Himmel. Eingehüllt in den Wolkennebel, bemerkt sie eine Erschütterung des Baumes. Sie fürchtet, die Männer haben sie entdeckt und folgen ihr. Sie klammert sie sich an die dünner werdenden Äste. Der Wind zerrt an ihren Haaren, heftig und kühl. Die Furcht lässt Mirianda erlahmen. Zwei Meter über ihr ein kräftiger Ast. Mit letzter Kraft zieht sich nach oben. Angekommen kauert sie sich zusammen. Schlingt Arme und Beine um den Stamm des Baumes. Auf jedes Geräusch lauschend, sinkt sie allmählich in einen Schlummerzustand zwischen Wachen und Schlafen.

Im Traum hört sie leises Flügelschlagen und heiseres Krächzen. Über alle dem klingt das Lied der Moosigen. Mit ausgebreiteten Armen schwebt sie, einem Vogel gleich, durch die Lüfte. Immer höher und höher, bis sie erwacht. Mirianda öffnet die Augen, berauscht von diesem Traumflug und gestärkt von der Musik. Doch statt des rutschigen Asts steht sie festen Boden. Kühl und glatt belebt er ihre nackten Fußsohlen. Um sie herum ist es windstill. Wohin sie den Blick auch wendet, sie schaut in den Himmel, so strahlend blau, wie sie ihn nur von den Gemälden in Erdschwers Schloss und aus Saragundes Erinnerungen kennt. Weit unter ihr die geschlossene Wolkendecke. Sie hockt sich auf den Boden, tastet und klopft, staunt. Hoch über den Wolken steht sie in einem Raum aus Glas.

»Willkommen in meinem Palast, Mirianda, Tochter der Lichtgeborenen und des Dunklen!« Die silberhelle Stimme reißt sie aus ihren Gedanken. Sie wirbelt herum, springt auf. Ein Gesicht, umrahmt von hellen Locken, mit markanter Nase lächelt sie an. Ein Mann, so durchscheinend wie sein Palast aus Glas. Ein Blick in seine Augen, lapisblau, lässt sie alle eben noch drängenden Fragen vergessen. Eine nie gekannte Wärme durchströmt sie, auf ihrem Antlitz zeigt sich ein strahlendes Lächeln.

»Schön, dass Euch gefällt, was Ihr seht, denn auch mir gefällt, was ich sehe!« Der Unbekannte deutet eine Verbeugung an. Mirianda errötet.

»König Windleicht«, stellt er sich vor. Galant bietet er ihr seinen lichtschimmernden Arm. Führt sie in einen Saal, von Sonnenlicht durchflutet. Geblendet bedeckt sie ihre Augen mit den Händen.

»Wie unbedacht von mir« schilt sich der König. »Ich vergaß, dass Ihr noch nie der Sonne wahren Glanz saht.« Windleicht klatscht. An den Wänden fallen seidene Tücher herab. Durch das zarte Gewebe hindurch starrt Mirianda hinaus. Erst jetzt erfasst sie das Farbenspiel, den Tanz der Sonnenarme. Die Sinne geöffnet, nimmt sie das Licht in sich auf. Es umschmeichelt ihre Haut. Wärme durchflutet sie. Ihr ist so leicht und froh zumute, alle Last und Verantwortung fällt von ihr ab.

Ein leises Räuspern holt sie zurück in den Palast. Im gedämpften Licht verbeugen sich drei geflügelte Gestalten mit silbrigen Haaren vor ihr, in Kleidern, so fein wie Spinnweben. »Das sind meine treuen Gefährten vom Stamm der Winaer« stellt Windleicht die Wesen vor. »Meine Beschützer. Unzählige Male retteten sie mir das Leben, wenn ich von Sehnsucht nach meinem Bruder und meiner Heimat getrieben kopfüber gen Erde stürzte. Mit ihren Mündern formen sie keinen Ton. Doch wenn Euer Geist rein ist, könnt Ihr sie hören.«

Mirianda und Windleicht setzen sich auf gläserne Stühle. Sie sprechen nicht, sehen einander nur unverwandt an. In ihrem Kopf summt eine leise Melodie, ähnlich der, der Moosigen, nur feiner und klarer im Klang. Einladend winden sich die Töne durch Miriandas Kopf und Körper.

Woher kennt ihr diese Melodie, fragt Mirianda.

Es ist das Lied des Ursprungs, der Liebe, des Schattens und des Lichts, antwortet ein dreistimmiger Chor. Einst kannten es alle Bewohner unserer Welt. Doch Dunkelheit verwirrte ihre Sinne, so haben sie seine Macht vergessen.

Wer wird sie erinnern?, fragt Mirianda. Ihr lebt hier oben in den Lüften und die Mingower tief verborgen im Inneren der Erde.

Wir wissen, singt der Chor. Du wirst einen, was getrennt. Du wirst dieses Lied in die Welt tragen.

Was wurde getrennt? Wie kann ich es einen?, drängt Mirianda.

So viele Fragen, antwortet der Chor, die vieltausendjährige Ibe im mittleren Wardistan. Sie ist der Schlüssel. Bist du dort, so wirst du wissen. Die Stimmen in Miriandas Kopf verklingen.

König Windleicht legt seine seidige Hand auf die ihre. Ein Lächeln umspielt seine Lippen. Mirianda erwidert es und versinkt im Blau seiner Augen. Sie lässt sich fallen in die Tiefe dieser Verbindung ohne Berührung. Sie vergisst die Welt. Vergisst ihren Vater, ihre Mutter, vergisst für einen Moment die Begegnungen mit Saragunde und König Erdschwer. In Windleichts Gegenwart gibt es weder Tag noch Nacht. Ganz erfüllt ist sie und unbeschwert. Leicht und froh. Sie lachen und ihre unschuldigen Küsse gleichen dem sanften Streicheln eines Blütenblattes auf ihrer Haut.

Als die Sonne den siebten Kreis um den Palast vollbringt, verdunkelt sich der Blick des Königs und die Verbindung zwischen ihnen schwindet.

Es ist an der Zeit, warnt der Chor der Winaer.

Ein quälender Schmerz breitet sich auf Miriandas Haut aus, die sich im Spiel mit Windleicht hell und durchscheinend zeigt. Er verblasst, wie unter einem Schatten der auf ihn gefallen. Ihre Hände lösen sich voneinander.

»Gern würde ich Euch bei mir halten, Euch auf meinen Flügeln tragen« flüstert er ihr zu. »Doch unsere Welt ist verloren, wenn ich Euch an mich binde.« Windleicht und Mirianda umarmen einander ein letztes Mal. Verabschieden sich mit einem scheuen Kuss.

Fantastische Fragmente

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