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Glaubenssätze

„Denn ein Herz voll Freude sieht alles fröhlich an,

ein Herz voll Trübsal alles trübe.“

Martin Luther

Ich werde immer wieder mit den Worten ‚Glaubenssätze‘ und ‚Programmierung‘ um mich schmeißen.

Die meisten unserer Glaubenssätze stammen aus der Kindheit. Allein als Baby nehmen wir die Welt komplett anders wahr als ein Erwachsener. Ich weiß das, da ich mich an eine Situation erinnern kann. Eine Erinnerung aus einer Zeit, in der ich noch ein Winzling war. Dem Foto nach zu urteilen, welches mir diese Erinnerung wieder ins aktive Bewusstsein beförderte, war ich noch sehr jung. Ein frisch gebackener Windelkacker.

Ich saß in einem Babysafe auf der Küchentheke und sah mich um. Ich hatte nur die Bilder und Geräusche meiner Umgebung, die ich sah und hörte, in meinem Kopf. Es gab keine Erinnerungen an die Vergangenheit oder Befürchtungen und Erwartungen an die Zukunft. Ich war einfach nur da.

Neben mir stand ein freundlich schauender Gartenzwerg aus Plastik, der eine Laterne hielt. Ich dachte nicht: „Der ist aber hübsch“ oder „Warum ist der Frosch, der neben ihm steht, denn braun und nicht grün?“ oder „Warum muss der denn aus Plastik sein? Das ist ja mal gar nicht umweltfreundlich“. Da waren keine Gedanken.

Als meine Mutter auf der Bildfläche erschien, strahlte ich übers ganze Gesicht. Mein Verstand war gefüllt mit Bildern, Geräuschen und Emotionen. Das war alles.

Erst die nächsten Jahre sind dafür da, den eigentlichen Verstand zu ‚programmieren‘. Alles, was ein Kind sieht, hört und wahrnimmt, wird abgespeichert. Und, falls du es noch nicht wusstest, diese Programmierung beginnt bereits im Bauch der Mutter. Und aus all dem Wissen entstehen das Unterbewusstsein und die damit verbundenen Programmierungen bzw. Glaubenssätze. Wie das jetzt genau funktioniert, erkläre ich dir anhand eines Beispiels aus meiner Kindheit.

Ich war als Kind sehr leichtgläubig. Es reichte oft nur ein Satz, und mein Unterbewusstsein hatte ihn abgespeichert. Einmal musste mein Vater auf dem Dach etwas reparieren. Neugierig wie ich war, hielt mich natürlich nichts davon ab, mit aufs Dach zu steigen. Mein Vater erlaubte es mir nur unter drei Bedingungen: Ich sollte mich vom Rand fernhalten, nicht herumtoben und auf keinen Fall in die Nähe der Stromleitungen kommen, da ich dadurch zu Grillkohle werden und sterben müsste. Ich hörte auf meinen Vater und tat, was er sagte.

Einige Zeit später, vielleicht auch erst ein Jahr danach, waren wir bei meinen Großeltern zu Besuch. Sie hatten unter anderem zwei Hunde und ich ging immer mit, wenn meine Oma oder mein Opa sie Gassi führten. Als ich mit meinem Opa unterwegs war, kam ich an einen Weidezaun und bekam einen ordentlichen Schlag. Durch meinen Vater wusste ich jetzt aber, dass ich zu Grillkohle werden würde, da ich ja an einen Draht gelangt hatte, auf dem Strom war. Mein Unterbewusstsein hatte das kurzerhand miteinander verknüpft, und ich dachte tatsächlich, dass ich klein, schwarz und hässlich werden würde und sterben müsste.

Ich weiß noch, dass ich panisch an meinem Opa hochsprang. Frag mich aber nicht, wie wir wieder zu ihm nach Hause kamen. Irgendwie bildete ich mir ein, dass, solange ich jemanden berührte, ich mich nicht zu einem Stück Grillkohle verwandeln würde. Es waren Ferien. Nur meinetwegen legten meine Eltern die Matratzen im Kinderzimmer auf den Boden, damit meine beiden Geschwister mit mir darauf schlafen konnten, ich in der Mitte. So konnte ich mich immer an jemandem festhalten.

Dieses Spielchen trieb ich wohl ein oder zwei Tage, bis es meiner Familie verständlicherweise zu blöd wurde. Sie sprachen sich ab, und nach dem Mittagessen verschwand einer nach dem anderen. Nur noch mein Vater blieb übrig. Er ließ mich los und sprang auf die andere Seite des Tisches. Verzweifelt versuchte ich, ihn zu fangen, doch er war schneller. Ich flehte ihn an, zu mir zu kommen. Ich hatte panische Angst, denn ich würde mich zu Grillkohle verwandeln und sterben. Er versuchte, mich zu beruhigen und mir zu erklären, dass ich mir das alles nur einbilden würde. Doch ich konnte seine Worte in diesem Moment nicht glauben. Ich zitterte am ganzen Leib. „Papa“, schrie ich. „Bitte! Ich werde zu Grillkohle. Sieh doch nur, wie ich schon schrumpfe!“

„Claudia, mach deine Augen auf. Sieh genau hin. Sieh auf deine Beine. Du wirst nur kleiner, weil du vermutlich weiche Knie hast und deshalb zusammensackst.“

Irgendwann muss es in meinem Kopf dann Klick gemacht haben. Doch bis es so weit war, bin ich emotional durch die Hölle gegangen. Ich hatte Todesangst.

Wenn du dir jetzt also überlegst, was so ein kleiner Satz anrichten kann, der nur einmal ausgesprochen wurde, was passiert dann, wenn man etwas immer und immer wieder zu hören bekommt? Ich sag es dir noch mal: Alles, was ein Kind mit seinen Sinnen aufnimmt, wird zu Glaubenssätzen und Programmierungen umgewandelt.

Denke jetzt aber nicht, dass ich dir irgendwelche erfundenen Theorien auftischen will. Das ist pure Wissenschaft! Je nachdem, ob wir wach sind oder schlafen, befindet sich unser Gehirn in entsprechenden Hirnwellen. Vielleicht hast du schon was von den verschiedenen Schlafphasen gehört. REM-Schlaf, Tiefschlaf usw. Und jede Phase hat ihre eigene Hirnwelle, die messbar ist. Denn diese Wellen sind nichts anderes als Frequenzen bzw. elektrische Energie.

Bei Messungen werden die sogenannten Hirnströme gemessen. Und diese Ströme sind lediglich ein Synonym für elektrische Energien oder nachweisbare Frequenzen. Selbst außerhalb des Körpers sind sie messbar. Der einfachste Beweis dafür ist ein Radio, welches man auf eine bestimmte Frequenz einstellen muss, um Musik zu hören. Doch ich möchte jetzt mal nicht zu weit ausschweifen oder zu wissenschaftlich rumscheißern.

Bis zum ca. fünften bis siebten Lebensjahr befindet sich das Gehirn überwiegend in den sogenannten Thetawellen. Als Erwachsener haben wir diesen Zustand im REM-Schlaf, unter Hypnose oder auch in Meditationen. In diesem Frequenzbereich ist das Unterbewusstsein komplett geöffnet. Und aus diesem Grund sind Kinder auch so unglaublich lernfähig. Sie sehen und hören einfach alles. Die Erwachsenen hingegen haben im Vergleich dazu gerade Mal einen winzigen Bruchteil an Aufnahmefähigkeit.

Soviel mal zu den Basics. Dazu möchte ich dir ein kleines Erlebnis erzählen, das ich vor einigen Jahren hatte.

Es war Sommer, heiß, und die Sonne brachte das Wasser auf dem See vor mir zum Glitzern. Ich lag am Ufer auf einer Wiese im Schatten und genoss eine kühlende Brise, die das Laub der Bäume zum Tanzen brachte. Kinder tollten auf dem Gras umher oder planschten im Wasser.

Plötzlich rannte ein kleiner Junge, vielleicht um die vier Jahre, zwischen den Leuten herum. Er war splitterfasernackt und freute sich seines Lebens. Es war ihm sichtlich egal, dass er nichts anhatte. Dieser Anblick des absoluten Mir-doch-egal- was-die-anderen-denken-Das-Leben-ist-schön war einfach zu köstlich und zauberte mir ein fettes Grinsen ins Gesicht. Dann rief ihm seine Mutter etwas entgegen, das mir die Sprache verschlug.

„Komm sofort hierher! Was glaubst du eigentlich? Du kannst doch nicht nackt hier rumrennen! Das ist hässlich! Das macht man nicht!“

Ja, auch ich musste jetzt erst einmal auf den Text starren, da mir dazu immer noch nicht wirklich viel einfällt. Was glaubst du, können daraus für Glaubenssätze entstehen? Wie wäre es mit:

„Nackt zu sein, ziemt sich nicht.“

„Ich bin hässlich.“

„Ich bin nicht gut genug.“ Das sind allerdings nur drei Beispiele, welche Glaubenssätze entstehen könnten. Aber merkst du, wie schnell das geht? Erschreckend, nicht wahr?

Stiller Schmerz

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