Читать книгу Die Prophezeiung - Claudia Rack - Страница 7
5. Kapitel
ОглавлениеAriana konnte kaum mit Jazar mithalten. Immer wieder warf sie einen verstohlenen Blick zu ihm. Er schien verärgert zu sein. Wegen ihr oder wegen Ramael? Ariana war durcheinander und konnte keinen klaren Gedanken fassen. War das tatsächlich passiert? Hatte sie innerhalb von Minuten ihr Zuhause verloren? Ihre Eltern? Was sollte sie jetzt tun? Und wo brachte er sie hin? Es war keine Zeit, um alles einzupacken. Das Nötigste trug sie in ihrem dunklen Rucksack. Seltsam, beim Packen hatte sie instinktiv zuerst nach dem Buch gegriffen. Sie hatte es nicht zurücklassen können. Als Jazar in die nächste Straße abbog, konnte Ariana erkennen, dass sie auf der Hauptstraße gelandet waren. Es war spätabends, dessen ungeachtet waren noch viele Menschen unterwegs. Niemand beachtete sie. Jazar pfiff und winkte ein Taxi heran. Er bugsierte sie auf die Rückbank, bevor er sich daneben platzierte. Der Taxifahrer wartete und ließ den Motor an, sobald Jazar die Autotür zuknallte.
„Zum Escala bitte, 4th Avenue“, meinte Jazar zum Taxifahrer. Der dunkelhäutige Mann nickte und fuhr zum genannten Ziel. Ariana wusste, dass es sich bei dieser Adresse um eine Gegend in Seattle handelte, die sie eher mied. Dort wohnten vorrangig die wohlhabenden Leute. Sie gehörte eindeutig nicht zu diesem Personenkreis. Sie warf ihm einen verstohlenen Blick entgegen. Er sah unbeteiligt aus dem Fenster. Was wusste sie über ihn? War er reich? Stammte er aus Seattle? Sie würde ihn gern fragen, wenn sie in seiner Gegenwart nicht so unsicher wäre. Die Tatsache, dass er wütend war, hielt sie zurück. Er bereitete ihr Unbehagen. Sie umfasste ihren Rucksack, der auf ihrem Schoß lag, und drückte ihn trotzig an ihre Brust. Ariana blieb stumm und sah aus dem Fenster, beobachtete die Lichter der Stadt, die sich vor ihr erstreckten. Zum Glück hatte sie ihr Handy mitgenommen. Nachher würde sie mit Nicholas reden. Sie brauchte jemanden, dem sie vertraute. Nicholas war ein ausgezeichneter Freund. Ariana war in ihren Gedanken vertieft, sodass sie erstaunt war, dass das Taxi anhielt. Jazar bezahlte den Taxifahrer und stieg zuerst aus. Der Taxifahrer drehte sich zu ihr, da sie nicht aus dem Auto steigen wollte. Fragend sah er sie an. Der Kopf von Jazar erschien vor ihr, verärgert sah er sie an. Der Blick sagte ihr deutlich, dass sie besser ausstieg, wenn sie keine peinliche Szene wollte. Widerwillig krabbelte Ariana auf die andere Seite und stieg aus. Das Taxi brauste los, sobald sie ausgestiegen war und damit ihre letzte Chance, zu gehen. Ihre Kinnlade klappte herunter, sobald Jazar auf das Gebäude hinter ihnen zusteuerte. Ehrfürchtig sah sie nach oben. Jazar wohnte dort? Diese Adresse zählte mit zu den luxuriösesten in Seattle. Das Escala beherbergte ausschließlich Eigentumswohnungen unter einunddreißig Stockwerken. Ariana vermutete, dass es bis in die Wolken hinein ragte. Jazar berührte sie am Arm und führte sie zum Haupteingang. Sobald sie eintraten, sprang ihr sofort der imposante Kronleuchter ins Auge, der alles perfekt erstrahlen ließ. Die handgefertigte Holzvertäfelung sah edel aus. Jazar unterdrückte ein Schmunzeln, bei ihrer Reaktion und führte sie zum nächsten Aufzug. Die Aufzugtür ging zu und er drückte auf den Knopf mit der Nummer dreitausendundzwei. Der Aufzug führte direkt in die Wohnung. Es war atemberaubend, vor allem der fantastische Ausblick aus der Fensterfront. Sie konnte die Berge und das Wasser sehen, egal, von welchem Fenster aus sie hinaussah.
„Fühl dich wie zuhause“, sagte Jazar, während er auf die Küche zusteuerte. Ariana war verblüfft. Regungslos stand sie da. Jazar öffnete den Kühlschrank und holte zwei Gläser aus dem oberen Schrank. Er goss Wasser in die Gläser und reichte ihr eines davon. Erst jetzt bemerkte sie ihren Durst. Dankbar nahm sie das Glas und trank einen Schluck. Jazar leerte das Glas in einem Zug und stellte es auf die Theke. Die Oberarme vor der Brust verschränkt, lehnte er rücklings an der Theke. Belustigt sah er zu ihr. Scheinbar fand er ihre Reaktion amüsant. Leicht verärgert verzog sie den Mund und stellte den Rucksack auf den Boden.
„Ist das deine Wohnung?“, fragte sie. Sein stechender Blick bohrte sich in ihre dunklen Augen. Ihre Knie zitterten, wenn er sie auf diese Weise ansah. Verlegen schaute sie weg und gab vor sich umzusehen. Das Wohnzimmer war weiträumig, ausgestattet mit einer weißen Ledergarnitur und einem imposanten Fernseher, der mittig an der Wand hing. Darunter stand ein Kamin, in dem ein Feuer brannte und wohlige Wärme ausstrahlte.
„Das könnte man so nennen, ja. Es ist meine Bleibe, wenn ich hier bin“, antwortete er gelassen. Wo hielt er sich abgesehen davon auf? Noch mehr Fragen stöhnte Ariana innerlich. „Wir bleiben erstmal hier, bis wir alles Weitere geklärt haben. Du bist sicher, Ariana“, ergänzte er noch. Sicher? Bei ihm? Ariana zweifelte daran. Sie schlenderte auf die Couch zu und setzte sich. Jazar nahm das als Aufforderung und kam zu ihr. Er wählte den Sessel links von ihr und überschlug ein Bein übers Knie. „Du wirst Fragen haben. Also“, forderte er sie auf. Ariana sah ihn überrascht an. Wo sollte sie anfangen? Ihre Hände zitterten. Sie versteckte ihre Handflächen unter den Beinen. Ariana hasste die Unsicherheit. Sie sah Jazar an. Die Verärgerung schien verflogen, jetzt wirkte er eher gelassen. Sie nahm allen Mut zusammen und setzte an:
„Dieser Ramael … ist er dein Boss oder sowas?“ Jazar war überrascht, dass Ariana ausgerechnet mit ihm anfing. Er überlegte, was er antworten sollte. Die Erklärung war nicht leicht verständlich, zumindest nicht für die ahnungslose Ariana.
„Ich schätze, dass die Bezeichnung für Ramael zutrifft. Er überwacht das Geschehen und greift ein, wenn es nötig ist.“ Ariana sah es in ihrer Erinnerung, wie das Eingreifen von Ramael aussah. Seine Art gefiel ihr nicht. Sie misstraute ihm. Jazar las in ihrem Gesicht und lächelte leicht. „Du scheinst nicht angetan von ihm, das wundert mich nicht“, ergänzte er. Jetzt, wo er es ansprach, verflog ihre Unsicherheit. Sah Jazar es ähnlich?
„Du hast getan, was er befahl. Du hast die Hilfe benötigt, das verstehe ich. Nur, was hat er genau getan?“ Natürlich musste sie mit dem schwierigen Teil zuerst anfangen. Jazar brummte innerlich. Ariana erkannte den Unwillen in ihm. „Du hast gesagt, ich darf alles fragen“, meinte sie vorwurfsvoll. Jazar nickte und beugte sich leicht vor, die Unterarme auf den Beinen abgestützt.
„Das, was heute Abend geschehen ist, war nicht geplant. Ich hätte es verhindern können, wenn ich dort gewesen wäre.“ Er bedauerte es.
„So, wie du gewöhnlich da bist?“, fragte sie herausfordernd. Überrascht sah er auf.
„Du hast mich gesehen? Wann?“ Jazar war erstaunt. Ariana verstand es nicht.
„Ja, ich dachte zuerst, du bist ein Stalker oder du verfolgst mich. Ich habe dich gesehen, ab und zu, aber zuletzt öfter.“
„Du bist weiter, als ich dachte“, meinte er. Das fand Ariana merkwürdig.
„Was meinst du damit?“ Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich.
„Normalerweise sehen Menschen mich nicht, zumindest nicht, wenn ich es ihnen nicht gestatte.“ Er war gefährlich. Sie wusste es. Und sie war mit ihm in seiner Wohnung. Panik setzte ein. Er spürte ihre Veränderung und versuchte sie sofort zu beruhigen. „Keine Angst, ich tue dir nichts, Ariana. Ich beschütze dich. Aus diesem Grund beobachte ich dich.“ Er klang aufrichtig.
„Wovor sollst du mich beschützen? Vor diesen Männern mit den Flügeln?“, fragte sie ängstlich. Jazar räusperte sich und rutschte verlegen hin und her.
„Wenn du sie so nennen möchtest, ja.“
„Wie nennst du sie denn?“
„Wir nennen sie die Gefallenen. Einst waren sie gut, beschützten die Menschen und waren angesehen. Eines Tages stellten sie sich gegen uns. Zur Strafe verbannte man sie. Ihre Flügel erinnern noch daran, wer sie einst waren.“ Ariana hörte gebannt zu.
„Du redest von Engeln, oder?“, fragte sie nach. Jazar nickte und sah sie aufrichtig an.
„Hast du in dem Buch gelesen?“ Ariana verstand den Zusammenhang noch nicht. Worauf wollte Jazar hinaus? „In diesem Buch wird viel erklärt, was das betrifft. Darum habe ich es dir geschenkt. Es sollte dir helfen, zu verstehen.“
„Ich habe angefangen, als sie ins Haus kamen … als sie …“, stockte Ariana. Sie sprach es nicht aus. Die Erinnerung an dem Überfall auf ihre Eltern stürzte über sie ein.
„Ich verstehe“, meinte Jazar. Er schien enttäuscht und von Schuldgefühlen überwältigt zu werden. Wenn es seine Aufgabe war, sie zu beschützen, musste es hart für ihn sein, dass er versagt hatte. Würde man ihn bestrafen? Angst ergriff Ariana. Angst um Jazar. Sie wollte nicht, dass ihm Schlimmes widerfuhr. Er war ihr zwar fremd, dessen ungeachtet gefiel er ihr. Das konnte sie ihm unmöglich sagen. Ariana vermied den Blickkontakt mit ihm und verdrängte diesen Gedanken.
„Was hättest du getan?“ Jazar überlegte, bevor er darauf antwortete.
„Sie hätten es nicht ins Haus geschafft“, sprach er überzeugt. Sie erinnerte sich daran, wie er furchtlos ihre Köpfe abschlug. Ohne zu zögern, war er auf sie losgegangen, keine Spur von Angst oder Unsicherheit. Ihre Eltern würden noch leben, wenn er rechtzeitig vor Ort gewesen wäre. Wehmütig seufzte sie auf. Sie sah die Bilder vor sich, als sie direkt vor ihr standen. Erneut überkam sie das Gefühl, das sie ihr nichts tun wollten. Da war etwas anderes. Sie war nicht in Gefahr gewesen, sobald sie blutete.
„Ich glaube, sie wollten mir nichts tun, Jazar“, erzählte sie. Er zog eine Augenbraue nach oben und schaute sie skeptisch an.
„Du weißt nicht, wozu sie imstande sind, Ariana.“ Sie schüttelte den Kopf und beharrte auf ihre Meinung.
„Nein, du verstehst nicht. Sie schienen mir nichts tun zu wollen. Er roch mein Blut. Berührte es und … ich weiß nicht, was es bedeuten sollte … er sah mich an, wie eine Heilige.“ Irritiert dachte Jazar über ihre Worte nach. Das ergab keinen Sinn für ihn.
„Du täuschst dich. Die Gefallenen jagen dich. Sie wollen dich fangen und nicht verehren.“ Jetzt bekam sie Angst, wenn er das so betonte.
„Was wollen sie von mir?“, fragte sie verängstigt. Jazar schellte sich ein Narr, weil er aufbrausend sprach. Das half ihr nicht.
„Entschuldige ich will dir keine Angst machen. Du musst verstehen, dass sie nicht deine Freunde sind.“ Das war für Ariana schwer, nach allem, was sie gesehen und erlebt hatte. Sie hatten ihre Eltern ohne Zögern umgebracht. Das Gleiche hätte ihr ebenfalls geschehen können. Entschlossen sah sie Jazar an.
„Warum ich? Was wollen sie von mir, Jazar?“ Er begegnete ihren Blick, wägte ab, wie er es ihr erklärte. Er entschied sich für die abgeschwächte Version, um ihr wachsendes Vertrauen in ihm nicht zu verlieren.
„Es gibt eine Prophezeiung. Du bist der Hauptteil darin. Die Engel wollen dich beschützen, damit die Prophezeiung eintritt.“ Skeptisch schaute sie Jazar an.
„Ich? Ich bin kein Engel. Mich geht das alles nichts an. Ich bin ein Mensch, Jazar“, ereiferte sie sich. Verständnisvoll nickte er.
„Ja, du bist ein Mensch, Ariana. Ein Mensch mit erstaunlichen Fähigkeiten und mit der Gabe ein Portal zu öffnen.“ Jazar täuschte sich. Er sprach von einer anderen Person. Ariana weigerte sich, dem Glauben zu schenken.
„Das kann nicht sein“, meinte sie und schüttelte den Kopf.
„Ich weiß, es ist schwer zu verstehen. Im Moment bist du noch nicht so weit, aber das wird sich bald ändern. Und dann wirst du es verstehen, Ariana.“ Ihre Eltern sind gestorben und sie war schuld daran? Und das alles wegen einer Prophezeiung, von der sie noch kein einziges Mal gehört hatte? Nein! Das war unmöglich, ausgeschlossen. Jazar bemerkte ihre Veränderung. Ihre Körperhaltung strahlte Abwehr aus. Ariana sprang auf und lief hin und her. Dabei hatte er versucht, es ihr behutsam zu erklären. Die Gefallenen hatten ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie hatten ihre Zeitplanung durcheinandergebracht. Ariana sollte erst davon erfahren, wenn sich ihr die ersten Fähigkeiten zeigten. Er hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Sie musste wissen, womit sie es zu tun hatte. Und sie musste wissen, wozu sie fähig war, um sich zu verteidigen. Nötigenfalls starb er für sie. Jazar akzeptierte den Tod allerdings eher, wenn Ariana ohne ihn zurechtkam. Jazar erhob sich und ging zu ihr. Er umfasste ihre Oberarme und zwang sie somit zum Stehen. „Beruhige dich, Ariana“, meinte er. „Du hast für heute genug gehört. Du solltest dir Schlaf gönnen.“ Er wandte sich ab und gab ihr zu verstehen, ihm zu folgen. Er schnappte sich ihren Rucksack und ging den Flur entlang. Ariana folgte ihm widerwillig.
„Ich werde nicht schlafen können“, meinte sie trotzig hinter ihm. Jazar lachte dezent bei ihrer Reaktion. Als er am Ende des Flurs angekommen war, öffnete er eine Tür und trat mit ihr ein. Ihren Rucksack stellte er auf dem Bett ab, welches die Mitte des Raumes einnahm.
„Ruh dich aus, Ariana. Ich bin da, falls du mich brauchst. Wir reden morgen, einverstanden?“, fragte er. Nein, sie war nicht einverstanden. Ihre trotzige Miene verriet es ihm. Er setzte wieder dieses strenge Gesicht auf, sodass sie ihm nicht widersprach. „Schlaf gut“, meinte er noch, bevor er die Tür hinter sich zuzog. Die Aussicht aus dem Fenster war spektakulär, dennoch erfreute sie sich im Moment nicht daran. Ariana setzte sich auf das Bett und ging die Unterhaltung mit Jazar noch einmal durch. Er meinte jedes Wort bitterernst. Das wusste sie. Und sie glaubte ihm. Es war für sie ein Schlag ins Gesicht, zu erfahren, dass sie der Grund war, weshalb ihre Welt zusammenbrach. Nichts war mehr, wie zuvor. Jazar zufolge war das erst der Anfang. Was würde noch passieren? Welche Fähigkeiten sollte sie erhalten? Wollte sie das? Ariana war angespannt. Gleich morgen wollte sie Antworten, und zwar alle. Sie schwor, Jazar auszuquetschen, auch wenn es ihm unangenehm war.