Читать книгу Die Prophezeiung - Claudia Rack - Страница 8

6. Kapitel

Оглавление

Ariana schreckte aus dem Schlaf. Stimmen drangen durch ihre verschlossene Tür. Es war mitten in der Nacht. Ariana schlich zur Tür, um sie heimlich einen Spalt zu öffnen. Die Männerstimmen arteten in einen Streit aus. Wenn sie nicht alles täuschte, gehörte eine der Stimmen eindeutig zu Jazar. Die andere Stimme gehörte zu Ramael. Ariana lauschte angespannt.

„Das hatten wir nicht abgesprochen. Diese Entscheidung hättest du mir überlassen sollen, Jazar“, brüllte Ramael ihn an.

„Wann hätte ich das deiner Meinung nach tun sollen, hm? Bei deinem Gespräch mit der Polizei?“ Blanker Hohn und reine Wut sprachen aus Jazar. Ariana erschrak. Sie erkannte eine andere Seite an Jazar. Seine Wut beschleunigte ihren Herzschlag und die Nervosität stieg.

„Das ist nicht witzig, Jazar! Sie sollte das Buch nicht bekommen, auf keinen Fall. Das hatte ich dir von Anfang an gesagt.“ Ariana hörte, Jazar einen missbilligen Laut ausstoßen. Redeten sie von ihr? Ging es um ihr Geburtstagsgeschenk von Jazar? Sie verstand den Zusammenhang noch nicht.

„Es ist die beste Variante, um ihr zu erklären, worum es geht, Ramael. Mit Worten ist das schwer zu beschreiben. Ich frage mich, weshalb du dich aufregst? Was ist verkehrt daran, wenn sie es liest?“ Genau, was ist verkehrt daran? Ariana war auf Jazars Seite.

„In diesem Buch steht mehr, als du denkst. Es geht nicht nur um das Mädchen oder das Portal. Wie bist du überhaupt in dessen Besitz gelangt?“ Der Drang darin zu lesen, wurde dringender, desto länger sie die beiden belauschte. Ariana sah ins Zimmer und suchte nach ihrem Rucksack. Er stand neben ihrem Bett auf dem Boden. Erleichtert wandte sie sich erneut den Stimmen zu.

„Ist das wichtig?“, weichte Jazar aus. Ariana konnte wahrhaft spüren, wie Ramaels Wut zunahm.

„Du bist mir unterstellt!“, brüllte Ramael. „Zum Teufel nochmal, ich habe von deinen Alleingängen allmählich genug, Jazar. Für welche Seite kämpfst du? Kann ich dir noch vertrauen?“ Die Antwort von Jazar verstand sie nicht. „Na schön, soll sie in dem verdammten Buch lesen, wenn es dir hilft. Sie wird es nicht verstehen. Ab sofort verlange ich einen täglichen Bericht. Noch ein Aussetzer von dir und ich entziehe dich diesem Auftrag. Es gibt viele unter uns, die diese würdevolle Aufgabe übernehmen wollen. Denk nicht, dass du der Einzige bist, der infrage kommt, Jazar.“ Nach Ramaels Ausbruch wurde es ruhig. War er gegangen? Zu gern wollte Ariana nachsehen, vor allem wollte sie sehen, ob es Jazar gut ging. Sie unterdrückte diesen Willen und schloss die Tür. Ariana schlich zurück ins Bett und holte das Buch aus ihrem Rucksack. Ehrfürchtig fuhr sie mit einer Hand über den Deckel. Das Buch schien bedeutsamer, wie anfangs gedacht. Schlafen wollte sie jetzt nicht mehr. Ariana schaltete die Nachttischlampe. Sobald sie das Buch aufschlug, spürte sie eine seltsame Aura von ihm ausgehen. Sie fand die Stelle, an der sie aufgehört hatte. Die Passage über die seltsamen Fähigkeiten, die Jazar erwähnte, interessierte sie. Da stand irgendetwas von besserem Hörvermögen. Zusätzlich ausgeprägte Sehkraft und Teleportation. Ein Traum vieler Menschen dachte Ariana. Vorstellen konnte Ariana sich das allerdings nicht. Sprach das Buch wahrhaftig von ihr? Sie zweifelte daran. Von Neugierde erfüllt, was das Buch noch für Offenbarungen enthielt, blätterte sie um. Stirnrunzelnd sah sie genauer hin. Die Schrift veränderte sich. Sie konnte nicht lesen, was darin geschrieben stand. Was war das für eine Sprache? Wie sollte sie darin lesen, wenn sie die Sprache nicht verstand? Ob Jazar helfen konnte? Verärgert schlug sie das Buch zu und verstaute es in ihrem Rucksack. Sie stieß mit den Fingern an ihr Handy. Genau, sie erinnerte sich daran, dass sie mit Nicholas sprechen wollte. Eilig überflog sie die verpassten Nachrichten und erschrak. Sechs Anrufe in Abwesenheit und alle von Nicholas. Eine Nachricht davon auf dem Anrufbeantworter. Ariana wählte ihre Mailbox und hörte die aufgeregte Stimme von ihm:

„Ari? Wo steckst du? Ich kann dich nicht erreichen. Ich muss dringend mit dir reden. Geht es dir gut? Ich hoffe, dass mit deinen Eltern ist nicht wahr. Bitte melde dich, sobald du das hörst!“ Nicholas wusste vom Tod ihrer Eltern. Mit Tränen in den Augen löschte sie die Nachricht. Es war vier Uhr in der Nacht, er schlief mit Sicherheit schon. Einen Anruf schloss sie aus. Ariana gab eine Nachricht für ihn ein: Hey Nick, mir geht es gut, sorry das ich nicht antworten konnte. Wir müssen uns dringend sehen!!! Morgen in der Bibliothek um zwölf Uhr. LG Ari! Hoffentlich konnte sie Jazar abschütteln, um ungestört mit Nicholas zu reden. Sie brauchte eine passende Ablenkung.

Kaffeeduft und der Geruch von frischen Brötchen ließ Ariana mit einem knurrenden Magen aufwachen. Sie blinzelte, vom Tageslicht geblendet. Sobald ihre Augen sich daran gewöhnten, starrte sie die weiße Decke an. Es war kein Traum. Sie befand sich im Escala, zusammen mit Jazar, ihrem persönlichen Leibwächter. Allerdings hatte sie keinen Bodyguard verlangt. Sie stand auf und ging ins angrenzende Bad. Es lag nicht an der Überwachung, die an diesem Morgen auf ihre Laune schlug. Es lag an der Erinnerung, dass sie von jetzt an eine Waise war. Es gab kein Zuhause mehr. Irgendetwas hatte Ramael gestern getan, sodass sie nicht nach Hause durfte. Ariana schwor, Jazar darauf anzusprechen. Sie wollte wissen, was Ramael getan hatte. Gestern war Jazar ihr ausgewichen. Weshalb? Sie hatte ein Recht darauf, es zu erfahren. Ihr Spiegelbild starrte ihr entgegen. Keinerlei Veränderungen. Die Angst davor, was mit ihr geschah, brachte sie noch um den Verstand. Ihre nächsten Gedanken kreisten um Nicholas. Was sollte sie ihm sagen? Dass sie von Männern mit Flügeln gejagt wurde? Das war lächerlich. Jedoch entsprach es der Wahrheit, zumindest wenn sie Jazar glauben sollte. Gedämpfte Stimmen störten sie. Wo kam das her? Ariana sah sich im Bad um, außer ihr war niemand dort. Sie hörte eindeutig mehrere Stimmen von Personen, zwar dumpf und unmöglich auseinanderzuhalten, aber sie bildete sich das nicht ein. Genervt hielt sie sich die Ohren mit den Händen zu, als ob das Linderung verschaffen würde. Ariana zuckte, sobald die Geräusche übermäßig laut wurden. Mit zusammengekniffenen Augen hielt sie sich am Waschbecken fest. Schwindel setzte ein und sie schwankte bedenklich. Das waren zu viele Geräusche. Panik ergriff sie. Weshalb hörte das nicht auf? Sie hörte ein Paar, welches stritt. Die Geräusche vom geschäftigen Treiben auf der Straße. Ein Taxifahrer rief verärgert einem Fahrgast hinterher, der nicht bezahlen wollte. Babygeschrei, eine Schießerei aus einem Fernseher, einen Staubsauger, zwei Frauen, die angeregt über ihre Männer sprachen. Sie hielt das nicht aus. Die Hände verzweifelt auf ihre Ohren gedrückt, lief sie im Badezimmer auf und ab. Ariana stellte die Dusche an, in der Hoffnung die Geräusche damit zu überdecken. Als das nicht reichte, kam der Wasserhahn vom Waschbecken hinzu. Nichts, was sie versuchte, half. Panisch gab sie auf und kroch in die hinterste Ecke des Badezimmers. Die Arme über den Kopf geschlagen, begann Ariana zu singen. Auf ihre Stimme konzentriert, sang sie lauter.

„Ariana?“ Jazar wunderte sich, weshalb sie nicht reagierte. Er hatte mehrmals nach ihr gerufen. Er hatte sich mit dem Frühstück viel Mühe gegeben. Er hatte gehört, dass die Menschen das Frühstück als die wichtigste Mahlzeit erachteten. Ariana kam nicht aus dem Zimmer. Sorgenfalten zierten Jazars Stirn. Sie war nicht weggelaufen, oder? Er schloss kurz die Augen und konzentrierte sich. Als er ihre Aura wahrnahm, entspannte er sich wieder. Sie war noch in der Wohnung. Genug geschlafen, entschlossen ging Jazar zu ihrem Zimmer und klopfte an. Nichts geschah. Er hielt das Ohr gegen die verschlossene Tür und runzelte die Stirn. Sang sie? Was zum Teufel … Er riss die Tür auf und stolperte in ihr Zimmer. Das Bett war zerwühlt. Ihr Gesang kam aus dem Bad. Ohne darüber nachzudenken, steuerte er darauf zu. Das Bild noch vor Augen, wie sie singend unter der Dusche stand, nackt und unschuldig, wurde seine Vorstellung jäh zerstört. Sofort erfasste er die Lage. Ariana hockte in der Ecke des Badezimmers. Sie wiegte vor und zurück, die Ohren zuhaltend, und sang. Sie konnte ihn nicht sehen, da sie die Augen zuhielt. Alarmiert ging er in die Hocke. Behutsam legte er die warmen Hände auf ihre. Erschrocken riss Ariana die Augen auf und stoppte mit ihrem Gesang. Ihr gequälter Blick aus ihren dunkelbraunen Augen fraß ihn auf. Er sprach zu ihr. Ariana sah die Lippenbewegung, hörte ihn jedoch nicht. Jazar nutzte eine seiner Gaben und drang in ihr Unterbewusstsein ein. Auf diese Weise stellte er den Kontakt zu ihr her. Zum Schutz zog Ariana sich zurück und reagierte regelrecht apathisch.

„Ariana hör mir zu!“, versuchte er mit ihr zu kommunizieren. „Du musst dich auf ein Geräusch konzentrieren und die anderen versuchen, auszublenden, hörst du? Du kannst es kontrollieren, ich weiß es.“ Sein zuversichtlicher Blick gab ihr Mut. Sie wusste nicht, wie sie das anstellen sollte. Ihre fragender Blick gab ihm zu verstehen, was los war. „Konzentriere dich auf die Geräusche in dieser Wohnung. Du kannst alles, was im Moment unwichtig ist, ausblenden. Denk nicht darüber nach und tu es, Ariana!“ Mit Jazars Hilfe schaffte sie es, sich nur auf die Geräusche zu konzentrieren, die sie hören wollte. Es wurde erträglicher, sodass Ariana sich beruhigte. Jazar half ihr auf die Beine und führte sie zur Küche. Beim Frühstück saß sie ihm gegenüber. Sie saßen auf Barhocker und vor ihnen war ein üppiges Buffet auf der Theke angerichtet. Ariana konnte sich zuerst nicht entscheiden, womit sie beginnen sollte, was Jazar ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Sie fand das Lächeln umwerfend. Sie errötete und rutschte auf dem Ledersitz nervös hin und her. Sie biss in ein Croissant und beobachtete ihn. Er befüllte den Teller mit Obst.

„Isst du kein Croissant oder eines von den Brötchen?“, fragte sie verwundert. Lächelnd sah er sie direkt an.

„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mir nicht gut bekommt“, meinte er.

„Kaffee scheinst du zu mögen“, deutete sie auf die dritte eingeschenkte Tasse. Er lachte.

„Erwischt. Kaffee kann ich ständig trinken, er schmeckt mir gut.“ Ariana sah ihn interessiert an. „Was ist?“, fragte er.

„Bist du ein Mensch?“, platzte es aus ihr heraus. Jazar verschluckte sich und fing an zu husten. Volltreffer! Es gab keine schonende Variante, es anzusprechen. Ariana wollte wissen, was genau Jazar war, ein Mensch mit Sicherheit nicht. Flügel sah sie an ihm auch nicht, dennoch verfügte er über spezielle Fähigkeiten. Er schob den Teller beiseite und lehnte sich zurück. Todernst betrachtete er sie. „Das ist nicht leicht zu erklären“, begann er.

„Wieso habe ich das Gefühl, dass mir die Antwort nicht gefallen wird?“

„Ich bin ein Engel.“ Ariana sah ihn skeptisch an. Als er keine Anstalten machte, darüber zu lachen, wusste sie, dass er nicht scherzte. Ihre Augen flogen über seine Statur, auf der Suche nach einem Beweis. In Schwarz gekleidet, saß er vor ihr. Ein dunkles Shirt, schwarze Jeans und die dunklen Stiefel, fehlte noch der Ledermantel. Mit Sicherheit streifte er ihn über, sobald er das Haus verließ. Und alles an ihm saß perfekt. Sie fand ihn attraktiv zum wiederholten Mal. Bisher machte sie sich nichts aus Männern. Seitdem sie Jazar über den Weg gelaufen war, war alles anders. Ihre Gefühlswelt spielte Streiche mit ihr. Speziell die Tagträume mit ihm verursachten ihr jedes Mal ein Kribbeln in der Bauchgegend. Ariana fühlte sich dauernd ertappt, sodass ihr die Röte in die Wangen stieg. Sie verdrängte das aufkommende Bild vor ihren Augen, indem sein Mund näher kam, bereit für den Kuss. Sie musste sich konzentrieren.

„Ein Engel? Wo sind die Flügel?“, fragte sie provozierend.

„Oh ich habe welche, nur nicht hier auf der Erde. Sie kommen im Himmel zum Vorschein. Ich habe die Menschengestalt angenommen, um nicht aufzufallen.“ Wie er aussah, fiel er ständig auf. Die Frauen mussten ihm regelrecht zufliegen. „Was ist so amüsant?“ Ariana räusperte sich und schüttelte den Kopf.

„Nichts“, wich sie seiner Frage aus. „Und die Männer … wie hast du sie genannt? Die Gefallenen? Sie sind Engel, oder nicht?“ Er nickte.

„Einst waren sie genauso wie ich, im Grunde gehören sie ebenfalls zu den Engeln. Wie ich dir schon sagte, gibt es zwei Seiten. Die guten Engel und die schlechten.“ Sie dachte darüber nach. Wieso ergaben sich ständig weitere Fragen, sobald sie irgendetwas von ihm erfuhr? „Hast du keine Fragen zu dem, was vorhin geschehen ist?“ Sie wägte ab, ob dem so war.

„Ich weiß, was los war. Ich habe sämtliche Geräusche gehört, die im Umfeld waren. Es war erschreckend und ich konnte es nicht abstellen. Das hat mir Angst gemacht“, ergänzte sie. Den Kopf gesenkt, erinnerte sie sich, wie er ihr im Bad geholfen hatte. Mit Sicherheit wäre sie ohne seine Hilfe durchgedreht.

„Ziemlich nüchtern beschrieben. Die erste deiner Fähigkeiten hat sich gezeigt. Ab jetzt bist du in der Lage besser zu hören. Dein Gehör ist dem der Menschen überlegen. Du wirst lernen, damit umzugehen und es für deine Zwecke zu nutzen.“

„Für meine Zwecke? Wofür soll das gut sein, außer das es ständig nervt?“ Ihre ablehnende Haltung wunderte ihn nicht.

„Du wirst es noch zu schätzen wissen. Du bist somit in der Lage eine Bedrohung viel schneller zu erkennen. Und du wirst sie heraushören, sobald sie in der Nähe sind.“ Sie bekam eine Gänsehaut, wenn er so sprach. Nicht wegen dem, was er sagte, sondern wegen der Bedeutung darin. Sie hörte es also, wenn sie kamen, um sie zu holen. Das baute Ariana nicht auf. „Bald entwickelst du ein Gespür, wenn sie in der Nähe sind.“ Ariana wollte nicht daran denken.

„Diese Menschengestalt von dir ist nicht echt? Ich meine, du siehst für andere zwar so aus, aber du bist es nicht, korrekt?“

„Damit scheinst du ernsthafte Probleme zu haben, nicht wahr?“ Sein scharfer Blick durchbohrte sie. Ihr Herz fing an zu rasen, sobald ihre Blicke sich trafen. Bemerkte er das ebenfalls? Diese Spannungen zwischen ihnen? Oder konnte er nichts empfinden? Liebte ein Engel? Gott, ihr Kopf spielte verrückt! Sie musste damit aufhören. Wenn sie nicht aufpasste, verliebte sie sich noch in ihn. Und das war definitiv nicht das, was er wollte. Sie blieb ihm eine Antwort schuldig. Die brauchte es nicht, er wusste es. „Meine Gestalt auf der Erde ist real. Ich finde noch heraus, was es bedeutet.“ Ariana kam zu der Überzeugung, dass ihr Engel es nicht genau wusste. Jazar blieb ihr ein Rätsel. Stirnrunzelnd sah sie auf.

„Kannst du Gedanken lesen?“ Argwöhnisch sah sie ihn an. Sein belustigter Blick traf sie.

„Und wenn es so wäre?“, neckte er sie. Schamröte legte sich über ihr Gesicht. Er brach in Lachen aus und schüttelte den Kopf. „Keine Sorge, diese Fähigkeit habe ich nicht“, ergänzte er. Erleichtert lächelte Ariana ihm zu. Ihre Gedanken waren vor ihm verborgen.

„Und Ramael? Ist er ein Engel, wie du?“, hakte sie nach. Jazar nickte kurz. Mit nachdenklicher Miene fing er an, den Tisch abzuräumen.

„Ramael ist älter als ich und weitaus erfahrener. Er bildete mich aus und ist mein Mentor. Zu jener Zeit war er anders.“ Ariana beobachtete ihn beim Aufräumen und hatte Schwierigkeiten ihm zuzuhören. Seine galanten Bewegungen lenkten sie ab. Jedes Mal wenn sich seine Bizeps anspannten, schluckte sie schwer. Seine dunklen schulterlangen Haare waren leicht gewellt. Sie ertappte sich dabei, wie sie gern mit ihren Händen durch sein Haar fahren würde. „Er war nicht so verbissen und autoritär, wie heute“, hörte sie ihm zu. „Ich schätze, das bringt seine Stellung mit sich. Er trägt viel Verantwortung auf den Schultern. Manchmal muss ich ihn beschwichtigen, bevor er explodiert. Aber im Grunde ist er ein guter Engel und kämpft für die richtige Seite.“ Sie erinnerte sich an den Streit der beiden. Wollte er sich selbst überzeugen? Sie konnte ihr Misstrauen gegenüber Ramael nicht ablegen.

„Kannst du mir sagen, was genau er getan hat?“, versuchte sie in Erfahrung zu bringen. Jazar beendete abrupt das Einräumen des Geschirrspülers. Aha, das scheint ein heikles Thema zu sein. Sie befürchtete es. Jazar sah kurz zu ihr, suchte in ihren dunklen Augen und seufzte. Er setzte sich ihr gegenüber.

„Es wird dir nicht gefallen, Ariana“, fing er vorsichtig an. Ihr Herz pochte vor Aufregung. Mutig nickte sie.

„Ich muss es wissen, bitte“, flehte sie ihn an.

„Ramael ist in der Lage die Realität zu ändern. Unter gewissen Umständen verändert er sie, sodass es keine Probleme gibt oder keine unangenehmen Fragen aufkommen.“ Ariana runzelte die Stirn. „Als die Polizei kam, mussten wir uns beeilen. Es blieb keine Zeit mehr. Also hat Ramael die Realität verändert, sodass deine Eltern niemals ein Kind hatten. Für die anderen sieht es aus, als ob sie bei einem Einbruch umkamen. Niemand wird sich daran erinnern, dass du dort gelebt hast. Niemand wird dir Fragen stellen oder dich damit in Verbindung bringen.“ Gespannt wartete er auf ihre Reaktion. Zuerst sagte sie kein Wort und starrte ihn entsetzt an.

„Niemand? Nicht einmal Nicholas?“, fragte sie verwirrt.

„Ich weiß nicht, wie weit Ramael es ausgedehnt hat. Es ist gut möglich, dass er nur die Polizei täuschte.“ Das musste sie erst einmal verdauen. Es konnte sein, dass Nicholas sie nicht als die Tochter der Garets kannte. Was war sie dann für ihn? Dass er sie nicht vergessen hatte, wusste sie. Sonst hätte er sich nicht bei ihr gemeldet. Ariana warf einen Blick auf ihr Handy und sprang abrupt auf.

„Ich muss mit ihm reden“, meinte sie und lief zur Tür.

„Stop!“, hörte sie Jazar rufen. Langsam drehte sie sich zu ihm um. „Du gehst nirgendwohin, Ariana. Das ist im Moment viel zu gefährlich. Dein Freund muss warten.“ Das klang wie ein Befehl. Wütend schaute sie Jazar an.

„Du kannst mir nicht vorschreiben, was ich tun darf und was nicht, Jazar“, meinte sie schnippisch.

„Und ob ich das kann“, entgegnete er entschieden. „Solange du bei mir bist, kann dir nichts geschehen. Bis deine Fähigkeiten nicht ausgeprägt sind, bleiben wir in diesen vier Wänden, hörst du?“

„Nein“, entgegnete sie ihm trotzig. „Ich denke nicht daran. Du wirst mich schon beschützen. Nicholas wartet auf mich. Ich versetze ihn nicht.“ Um ihren Willen zu unterstreichen, ergriff sie die Türklinge und öffnete die Tür. Bevor sie wusste, wie es ihr geschah, knallte die Tür vor ihr zu. Überrascht starrte sie erst die Tür an und anschließend Jazar. Sein stechender Blick bewies ihre Vermutung, dass er die Schuld daran trug.

„Ich lasse dich nicht gehen, Ariana“, meinte er selbstsicher. Sie wusste nicht, wie er das gemacht hatte, sie fühlte sich in die Enge getrieben, wie ein Tier in der Falle. Ihre Wut kochte über und sie schnaubte. Erneut öffnete sie die Tür. Sofort wurde sie ihr entrissen und Jazar knallte sie mit seinen telepathischen Fähigkeiten erneut zu. Das Spiel wiederholten sie noch drei Mal. Jazar blieb eisern und konnte das stundenlang tun, wenn es nötig war. Sie würde auf keinen Fall diese Wohnung verlassen, selbst wenn er sie fesseln musste. Sobald sie einen Schritt durch seine Tür setzte, würde sie wie eine rote Leuchtreklame für die Gefallenen zu sehen sein. Er beobachtete Ariana und stand breitbeinig hinter der Theke mit verschränkten Oberarmen. Es kostete ihn keine Anstrengung die Tür jedes Mal zufallen zu lassen, sobald sie diese öffnete. Und mit jedem Schließen der Tür spürte er, wie sie wütender wurde. Da war noch irgendetwas anderes, was er nicht deuten konnte. Ariana schien ihn nicht mehr wahrzunehmen. Besorgt sah er sie an. Gerade, als er sie fragen wollte, ob alles in Ordnung war, löste sie sich vor seinen Augen in Luft auf. Überrascht ließ er die Arme fallen und rannte zur Tür. Er sah kurz auf den Flur und ging dann wieder in die Wohnung. „Ariana?“, rief er nach ihr. Keine Antwort. Sie hatte doch nicht …? Nein! Das konnte nicht sein. Hatte sie sich direkt vor seinen Augen teleportiert? Verdammt! Sie war in Gefahr. Er hatte angenommen, dass das Teleportieren als Letztes an der Reihe war. Er hatte sich verkalkuliert. Die Angst um ihr Wohlergehen schwächte die Wut. Vermutlich hatte sie es nicht bewusst getan. Das erklärte, weshalb sie sich so seltsam benahm. Er hoffte, dass er sie fand, bevor es zu spät war.

Die Prophezeiung

Подняться наверх