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Deutschland

„So ein Mist! Schon wieder diese Tür!“ Jeden Tag blieb Jette mit dem Ärmel an der Haustür hängen. Gerade an diesem Morgen, an dem der Kaffee schon nicht schmeckte und die Sonne sich hinter den Wolken aufhielt. Sie verschloss die Haustür und überlegte, ob sie das kurze Stück zum Büro nicht mit dem Fahrrad fahren sollte. Ein Blick in den Himmel und sie entschied sich. „Ich fahre mit dem Auto!“ Der Weg ist keine fünf Minuten lang, aber warum sich anstrengen. Sie fuhr in ihrem Kleinwagen los und stand auch schon an der ersten roten Ampel. Jette hatte mit ihren 25 Jahren einen Bürojob und verdiente gerade so viel, wie sie zum Leben benötigte. Eine Mietswohnung, ein eigenes Auto und etwas zum Leben. Bereits nach kurzer Zeit stand sie vor dem Bürogebäude. „Na typisch, kein Parkplatz!“ Sie fuhr eine Runde um das Gebäude und fing wieder an zu fluchen. Zweite Runde und noch immer nichts. Wäre ich bloß mit dem Fahrrad gefahren, dachte sie! Dieser Tag fing ja nun wirklich gut an! Endlich fuhr ein älterer Herr mit Hut aus einer Parklücke. Zumindest versuchte er es. Sie setze den Blinker und wartete. Ein Panzer hätte dort rausfahren können!

Der Tag zog sich dahin und zum Feierabend regnete es schon wieder. Jette war nun doch froh, in ihr Auto einsteigen zu können, statt auf dem Fahrrad nass zu werden. Zu Hause hatte sie zwei Anrufe auf dem Anrufbeantworter. Jette wollte erst einmal ihre Sachen loswerden und es sich dann auf dem Sofa bequem machen, als das Telefon klingelte. „Ja?“ „Man hast Du eine Laune“, schepperte es ihr entgegen. Jette´s beste Freundin Susanne rief leider meistens zum falschen Zeitpunkt an oder sie ahnte die schlechte Stimmung von ihr. Jette erzählte ihr von dem Tag.“ Du jammerst auf sehr hohem Niveau.“ Bemerkte Susi. Ha! Ich? Nicht schon wieder eine Predigt, ärgerte sich Jette, aber Susi ließ nicht ab. „Jetzt zieh dir mal etwas Nettes an und wir gehen aus. Das Wochenende stand kurz bevor und Jette hatte heute echt keine Lust darauf sich irgendwo hin zu setzen und sich von fremden Menschen anquatschen zu lassen. Wie es immer so ist, ließ sich Susi nicht davon abbringen und sie machten einen Treffpunkt aus. Jette nahm die Fernbedienung von dem Fernseher und schaltete durch die Programme. Immer nur Berichte über andere Kulturen oder Sendungen von Krankheiten. Sie wollte Spaß oder dumpfe Unterhaltung. Sie blieb auf einem Kanal, der gerade über die Townships in Südafrika berichtete. Die Armen! Aber was sollte sie von hier austun? Sie machte den Fernseher wieder aus und ging ins Bad. Sie hatte noch nie ihrem Leben Urlaub im Ausland gemacht. Was heißt hier Ausland? Sie hatte es vielleicht gerade 300 Kilometer weit geschafft und wenn andere etwas von ihrem Skiurlaub oder Mittelmeerurlaub erzählten, dachte sie an Höhenangst und Sonnenallergie. „Nein danke, sie blieb lieber hier in ihrem gewohnten Bereich.“

Am nächsten Morgen tat Jette nicht nur der Kopf weh, sondern auch die Füße. Sie war abends nach Hause gelaufen, da der letzte Bus schon weg war. Aus Frust legte sie die ganze Strecke zu Fuß zurück und das in ihren neuen Schuhen. Blasen an den Füßen und Kopfweh vom billigen Wein. Immer dasselbe. Wenn sie nur zu Hause geblieben wäre. Sie musste nun aber los, sie war schon sehr spät dran. Sie wollte gerade die Haustür zuziehen, als sie mit dem Ärmel wieder hängen blieb. Fahrrad oder Auto? Nennt man das nicht Dejavu? Bin ich schon in dem Alter, wo sich nichts mehr verändert, dachte sie?

An diesem Freitagabend ging Jette mit Susi in ihre Stammdiskothek. Wie immer standen sie an dem kleinen runden Tisch in der Ecke, als ein junger Mann ihnen einen Drink hinstellte und ihnen zuprostete. „Cheers“. Jette griff zum Glas und sagte „Prost“. Ein Freund von ihm stellte sich dazu und gemeinsam hatten sie sie eine Menge Spaß zusammen an diesem Abend. Irgendwann fiel das Wort Namibia. Jette musste sehr unglaubwürdig geguckt haben und Susi fragte sofort nach. „Wo ist das?“ „Das liegt zwischen Angola und Südafrika und wir leben dort.“ Ja, klar. Sie leben dort und kommen jedes Wochenende hier in die Diskothek! So ein Blödsinn hatten sie schon lange nicht mehr gehört. Sie wendeten sich ab und Jette zeigte den Beiden noch einen Vogel. Auf einmal lag ein Reisepass vor ihr. Da stand tatsächlich Namibia. Jette dachte das in Afrika alle Menschen eine dunkle Hautfarbe hätten. Aber hier standen zwei blonde Typen, die überhaupt nicht afrikanisch aussahen und auch nicht so sprachen. Zu viert hatten sie dann noch einen tollen Abend und bevor die beiden Frauen nach Hause gingen, tauschten sie gegenseitig die Telefonnummern aus.

Am nächsten Morgen wachte sie auf und dachte an die beiden Männer vom gestrigen Abend. Es war schwer zu glauben, dass sie wirklich von dem schwarzen Kontinent kamen. Es ist doch schon merkwürdig, dass sie gerade diese beiden hier in ihrer Kleinstadt traf. Jette hatte noch einen alten Weltatlas zu Hause liegen und schlug die Seiten mit dem afrikanischen Kontinent auf. Tatsächlich, da gab es ein Land mit dem Namen Namibia. Gar nicht mal so klein. Deutschland konnte sich da drin ein paar Mal verstecken. „Gab es noch ein Leben außerhalb ihres Horizonts“, lachte sie. Sie machte sich erst einmal einen Kaffee und überlegte, was sie noch unternehmen sollte. Da klingelte das Telefon. „Jette hier“, meldete sie sich. Sie hatte sich den Nachnahmen abgewöhnt. Erstens ging es niemanden etwas an und zweitens klang es einfach besser. „Hey! Hier ist Ringo. Wir haben uns gestern kennengelernt.“ Oh man, sie war sprachlos. Das ging aber schnell. „Wir machen heute ein afrikanisches Braai und wollten dich und Susi dazu einladen. Wäre mooi, wenn ihr um 15 Uhr am Beach seid.“ „Ähm ja, vielleicht aber was ist mö und brei?“ Ringo lachte. „Sorry, das heißt mooi und bedeutet schön und Braai ist eine Art Grillen nur wir legen das Fleisch direkt auf das Holz und wir haben etwas anderes Fleisch dabei, als ihr es gewohnt seid.“ Gut, aber sie musste erst mit Susi sprechen. Außerdem wollte sie auf keinen Fall alleine dorthin. Was wusste sie schon von einem afrikanischen Braai? Jette rief ihre Freundin an und sie war natürlich Feuer und Flamme für die Aktion. Somit war der Tag schnell verplant und sie ließ sich mit ungutem Gefühl überraschen.

Sie kamen zum Beach. Ein Lokal etwas außerhalb der Innenstadt an einem kleinen See. Jette liebte die Menschen dort. Alle waren so entspannt. Sie zog gleich ihre Schuhe aus und ging Barfuß durch den herrlich weißen Sand. An den ersten Tischen saßen Familien mit kleinen Kindern, die freudig im Sand buddelten. Ein paar Tische weiter saß eine Ausflugsgruppe, die mit ihren Fahrrädern eine Pause einlegten. Rechts neben den Liegen sah sie ein Feuer. Das musste es sein. Dort saß eine kleine Gruppe von Menschen, die lachten und miteinander sangen. Sie gingen auf die Gruppe zu und schon winkte Ringo sie zu sich. Jette hatte ihre kurze Jeans an und einfach nur ein T-Shirt und setzte sich in den Sand. Susi hatte da schon mehr Probleme. Mit kurzem Rock und der Bluse war es nicht so einfach, es sich bequem zu machen. Sie drängelte sich zwischen zwei Typen, die auf einen Baumstamm saßen und machte es sich gemütlich. Jette musste grinsen, da diese beiden sie ziemlich verdutzt anstarrten. Das bewunderte Jette an ihrer Freundin. Sie passte sich jeder Situation an. Ringo gab Jette ein Bier. Sie hasste Bier. Wie konnte man nur dieses Zeug trinken. „Du entschuldige bitte, aber ich trinke kein Bier.“ „Wie keinen Alkohol“, fragte er. „Doch, aber kein Bier. Ich gehe eben zur Bar und hole mir einen Longdrink.“ Sie stand auf und lief los. Was sollte sie hier, dachte sie auf den Weg zur Bar. Ist dieser Mann etwas für mich? Er war ganz nett, aber sie wollte sich auf gar keinen Fall mit einem Afrikaner einlassen. Sie schaute die Menschen an der Bar an, die sich dort unterhielten und zusammen lachten. Das konnte sie den ganzen Tag machen. Einfach nur sitzen und gucken. Sie bestellte sich einen Rum mit Cola. Viel zu früh für Alkohol, aber sie musste lockerer werden in dieser Gruppe. Langsam schlenderte sie zurück und hörte schon vom weitem, wie Susi sich amüsierte. Sie war so ungezwungen und konnte mit jedem ein Gespräch beginnen. Außerdem war sie blond. Ja, Jette hatte mit ihren roten Haaren immer etwas mehr Probleme und die Haut war weiß und mit Sommersprossen übersät. So sehr sie die Sonne liebte, sie verbrannte sie gnadenlos. Sie setzte sich wieder zu der Gruppe und das erste Fleisch lag auf dem Feuer. Ringo erklärte ihr, dass in Namibia viel Rind und Wild gegessen wird und kaum Schwein. Es wurde Boerewurst und Springbock ins Feuer gelegt. Boerewurst ist eine Bratwurst der Buren in Südafrika erklärte man ihr. Sie enthält andere Zutaten als die deutsche Wurst wie Lamm und Koriander. Ringo gab ihr ein großes Stück und stellte seine Freunde vor. „Da drüben sitzt der Daniel. Der hat das ganze Fleisch organisiert. Er macht in Deutschland eine Ausbildung zum Metzger und da hat er irgendwelche Kontakte“. „Kommen hier alle aus Namibia?“ fragte sie. „Nein, nur Daniel mit seiner Freundin Melly, Mark, Tom und ich.“ „Aber was macht ihr in Deutschland?“ Jetzt wollte sie es wissen. „Wir sind alle Deutsche mit dauerhaftem Aufenthalt in Namibia. Da es bei uns keine anständigen Ausbildungsberufe gibt, kommen wir hier her. Wir leben bei unseren Verwandten und machen unsere Ausbildung. Danach gehen fast alle zurück. Einige versuchen ihr Glück noch in England, aber wir werden in Europa nicht glücklich. Das Wetter ist zu nass und die Menschen sind etwas zu ernst.“ „Was heißt hier zu ernst“ fragte sie. Er schaute ihr ins Gesicht und lächelte. “Du warst doch bestimmt schon mal im Süden. Dort ist die Lebensphilosophie eine andere.“ Nein, dachte sie. Ich war noch nie im Süden und kann auch nicht verstehen was du meinst. Sie sprach es aber nicht aus. Zum Glück kam gerade ein Teller mit Fleisch. Sie probierte erst nur ein kleines Stück von der Wurst. Jette fand sie etwas ungewöhnlich, aber sie schmeckte gut und erst das Springbockfleisch. So zart und lecker. Sie war total begeistert. Dazu gab es Knoblauchbrot. Was auch gut war, denn es kamen die ersten Mücken. Alle saßen dicht zusammen und Jette und Susi hörten immer wieder Wörter, die sie nie zuvor gehört hatten. Die Namibianer sprachen eine Mischung aus Deutsch und Afrikaans, wo sie hin und wieder Schwierigkeiten hatte etwas zu verstehen. Es ging aber sehr lustig zu und als alle aufbrachen, fragte Susi Ringo, was er an Geld dafür bekam. „Nein, ihr Beide seid unsere Gäste und damit eingeladen.“

Alle schlenderten in Richtung Parkplatz, wo Daniel sein Auto parkte. Es wurden die Restbestände eingeladen und die gefüllte Mülltüte. Susi schrie. “Iiihh, konntet ihr den Müll nicht dort lassen!“ „Nein, konnten wir nicht“ antwortete Daniel genervt. „So typisch Deutsch. Das können doch andere weg machen“ sprach er mit piepsiger Stimme und Susi war es sichtlich peinlich, dass er so reagierte. Melly, die Freundin von Daniel erklärte es ihr. „In Namibia gehen wir fast täglich zum Braai und jeder nimmt seinen Müll wieder mit. In der Wüste gibt es keine Müllabfuhr. Ihr Europäer seid so verwöhnt!“ Das saß. Ihr Europäer! Ich bin Deutsche und fühle mich nun nicht gerade wie ein Europäer, ärgerte sich Jette. Sie versuchte sich nicht einzumischen, obwohl ihr ein blöder Spruch auf der Zunge lag. Ringo rettete die Auseinandersetzung, indem er Susi und Jette einhakte. „Meine Damen, ich bringe euch jetzt nach Hause, da es schon dunkel wird und die Straßen hier sind auch nicht so sicher wie alle es immer sagen.“ Er blinzelte Jette zu und sie merkte erst jetzt, dass die Dämmerung schon angebrochen war. Es war so herrliche Luft, dass sie Lust hatte nach Hause zu schlendern und dabei mehr von diesem außergewöhnlichen Mann zu erfahren. Die drei gingen los und Ringo hakte sich tatsächlich bei den Beiden ein. Sie lachten und Susi hatte die andere Sache schon wieder vergessen, als ihr Handy klingelte. Sie blieb stehen, sprach ruhig in ihr Telefon und beendete das Gespräch. „Ich werde gleich abgeholt“, sage sie zu Jette. Oh nein! Nicht wieder von ihm. Als ob sie die Gedanken der Freundin lesen konnte meinte sie nur. „Ja, von dem, den du nicht magst.“ Es war nicht Jette ihr Problem, aber sie wusste, dass sie sich das Gejammer wieder anhören konnte, wenn Frank sie wieder mal versetzte. Dieser Mann war verheiratet und Susi kam nicht von ihm los. Was mochte sie nur an diesem Menschen, der andere so hintergeht und ihnen weh tut, aber es war nicht Jette ihr Problem. Ringo und Jette gingen alleine weiter und sie war so froh, dass er keine Fragen stellte. Sie hatte sowieso das Gefühl, das er anders erzogen wurde als die Männer, die sie bisher so kennengelernt hatte. Er nahm ihre Hand und beide gingen Hand in Hand weiter. „Sag einmal, was lernst du hier“, fragte Jette. Ringo schaute in den Himmel. „Bei uns kann ich die Milchstraße sehen und viele andere Sterne. Das vermisse ich hier. Deutschland ist einfach viel zu hell.“ Sie schauten beide hoch und Jette fand, dass es einen herrlichen Sternenhimmel zu sehen gab. Er schaute sie an und antwortete dann doch sehr ausführlich auf ihre Frage. „Ich lebe seit fast einem Jahr bei meiner Tante. Ich wollte nicht nach Deutschland, aber meine Familie musste mich wegschicken, weil ich nur Partys im Kopf hatte. Nun mache ich eine Ausbildung zum Klempner. Das liegt mir gar nicht, aber der Schwager meiner Tante hat ein eigenes Geschäft und da haben sie mich reingesteckt. Ich werde das nicht schaffen. Wenn ich schon Rohre sehe, drehe ich durch.“ Sogar Menschen von einem anderen Kontinent, haben die gleichen Probleme wie wir, dachte Jette nachdenklich.

Ich fliege zu Weinachten nach Hause und werde dann mit meinem Vater sprechen. Er finanziert mir hier mein Leben und er sollte wissen, wie ich mich fühle.“ Ringo schaute auf den Boden und ging in Gedanken weiter. Weihnachten… Das ist erst in vier Monaten. Jette empfand es als verschwendete Zeit noch so lange zu warten. „Warum rufst du ihn nicht an und klärst das?“ „Nein, nicht bei meinem Vater! Er hat dafür kein Ohr. Weihnachten ist die Familie zusammen und sein Unternehmen hat dann auch Urlaub und da passt es einfach besser. Zwischen Weihnachten und Neujahr fahren bei uns sehr viele Menschen an die Küste. Im Inland ist es einfach zu heiß und somit auch nichts los. Die meisten Geschäfte machen Urlaub.“ „Wieso heiß? Wir frieren uns hier den Hintern ab und ihr schwitzt?“ „Ja, wir haben genau das gegenteilige Klima von euch. Naja und Herbst und Frühjahr ist auch nicht dasselbe. Wir haben keine Laubbäume die alles verlieren und Blumen die im Frühjahr überall zu sehen sind, sind auch Mangelware.“ Sie schaute Ringo an. Sein Gesichtsausdruck wirkte sehr ernst oder täuschte es? Dieser Mann machte sie neugierig. Nicht nur auf ihn, sondern auch auf das Land, dem sie noch nie Beachtung in ihrem kleinen Leben geschenkt hatte. Beide gingen einige Zeit schweigend nebeneinander her. Plötzlich blieb Ringo stehen und schaute sie an. Er nahm ihren Kopf in seine Hände und küsste zärtlich ihre Lippen. Ein warmer Schauer lief durch ihren Körper und im Bauch tanzten Schmetterlinge. Sie hatte sich verliebt! In einen Menschen, den sie gar nicht kannte und den sie hier nicht lieben konnte. Wer weiß, ob er nach dem Gespräch zu Hause wieder nach Deutschland kam. Sie gingen weiter und als ein Taxi vorbeifuhr, hielt Ringo es an und sie fuhren zu Jette. Vor der Haustür küsste er sie kurz auf die Wange. “Ich rufe dich an.“ Und er fuhr in dem Taxi wieder davon. Jette schaute ihm noch hinterher und spürte ein leichtes kribbeln in ihrem Magen.

Biltong zum Frühstück

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