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Irgendwo in Namibia

Auf einen anderen Kontinent, ca. 10.000 Kilometer entfernt von Jette, saß ein kleines Mädchen im Garten auf der Farm und spielte mit einem kleinen Welpen, der gerade mal laufen konnte. Die Nanni war im Haus und bereitete gerade das Abendessen, als sie einen Schrei hörte. Sie rannte in den Garten und sah, wie ein Honigdachs um das Kind herumschlich und es anknurrte. Der Welpe lag neben dem Kind und blutete. Er war bereits Tod, als die Nanni sich zwischen dem Kind und dem Honigdachs stellte. Der Honigdachs überlegte nicht lange und griff an. Er erwischte das Kind nur leicht am Bein, bevor die Nanni es hochriss. Sie rannte los, auf das Haus zu, als das Tier wieder angriff. Diesmal biss es in ihre rechte Wade. Sie schrie und hielt das Kind weiterhin hoch. Doch der Honigdachs ließ nicht locker. Er griff wieder an und die Nanni fiel. Das Kind an ihre Brust gedrückt, blieb sie liegen und wartete was passiert. Sie spürte den Schmerz in der Wade und Tränen liefen in den heißen Sand. Plötzlich fiel ein Schuss! Das Tier erschrak, rannte über das Grundstück in die Büsche und war weg. Die Nanni drehte sich zitternd um und sah wie Core mit dem Gewehr ihres Vaters vom Parkplatz kam. „Lidia! Alles gut mit dir und der Kleinen? Er ist weg. Du kannst hochkommen!“ „Core, ich bin so froh, dass du da bist!“ Lidia stand humpelnd auf und gab Core ihr die kleine Schwester. „Wir müssen zum Arzt! Die Bisswunden müssen behandelt werden!“ Die Nanni schüttelte den Kopf. „Nein keinen Doktor. Das ist zu teuer“ „Was soll das! Wir fahren jetzt zum alten Morris. Der kennt sich mit diesen Verletzungen aus.“ Core legte ihre Schwester auf die Rückbank und küsste sie. Sie weinte still vor sich hin, da sie noch unter Schock stand. Die Nanni rutschte daneben und drücke ihr Halstuch gegen die Wunde der Kleinen, während ihr eigenes Blut das Bein runter lief.

Was hätte Core jetzt für einen Handyempfang gegeben! Leider war es auf der Farm nicht möglich und Zeit noch ins Haus zu gehen um ihre Mutter anzurufen, war nicht da. Sie musste jetzt sehr schnell zum alten Morris. Er war hier im Umkreis der einzige Arzt und nach Windhoek war es einfach zu weit. Gute zwei Stunden und das über Nebenstraßen. Sie sprang hinter das Lenkrad und gab Gas. Keine 15 Minuten später, mit einer Vollbremsung vor der Haustür des Arztes, rannte sie raus und nahm ihre kleine Schwester Amelie aus dem Auto und lief zur Tür. Dr. Morris hatte die Vollbremsung gehört und öffnete schon die Tür. „Hallo Core, was ist passiert?“ „Ein Honigdachs hat Amelie angegriffen. Ich habe Angst, dass etwas in der Wunde ist.“ „Lege sie hier hin. Ich schaue mir das einmal an.“ Lidia kam auch langsam reingehumpelt, sagte aber nichts. „Diese verdammten Viecher.“ Er untersuchte das Bein von Amelie und gab der Kleinen ein leichtes Schmerzmittel. Er reinigte die Wunde und verband das Bein. „Sie hat Glück gehabt. Das Tier hat sie nur leicht gestreift.“ Er blickte auf die Nanni. „Was ist mit ihr?“ Er brauchte keine weiteren Fragen, als er sah, wie das Blut am Bein runter lief. „Oh Gott! Das sieht schlimm aus. Das Tier hat sie mit voller Kraft erwischt. Sie muss nach Windhoek ins Krankenhaus. Ich kann bis auf die Knochen schauen.“ „Nein Core! Ich nicht gehen in das Hospital der Weißen!“ „Beruhige dich. Ich kann dich auch nach Katatura bringen. Du weißt aber, dass du dort sehr lange warten musst.“ „Nein! Ich gehe nicht dahin! Ich muss unsere Medizin nehmen.“ „Bitte Lidia, werde doch vernünftig! Das muss genäht werden und nicht mit Hokuspokus behandelt“, schrie Core fast. Aber Lidia war nicht davon abzubringen. Sie hatte Angst vor den Geistern der Weißen. Immerhin nahm sie einen Verband von Dr. Morris entgegen und wickelte ihn im Auto um ihr Bein. Core konnte sie nicht überzeugen. Sie wollte nur noch nach Hause.

Lidia´s Hütte war in der Nähe und Core brachte sie nach Hause. Es war nicht üblich, dass die Angestellten nach Hause gebracht wurden und deshalb kamen aus den anderen Hütten die ganzen Familien. Lidia ihr Mann kam zum Auto und öffnete die Tür. Er sah die rote Bandage und fing an in ihrer Stammessprache auf Lidia einzureden. Core konnte nichts tun. Sie wollte schnell nach Hause und ihre kleine Schwester ins Bett legen und einen Rooibuschtee mit ihrer Mutter trinken. Lidia humpelte, gestützt von ihrem Mann, in ihre Hütte. Dahinter ging der Medizinmann mit seinem Beutel. Core setzte sich hinter das Lenkrad und fuhr nach Hause.

Schon als sie auf der langen Einfahrt zur Farm entlangfuhr, kam ihr Vater ihr entgegen. Mit einer großen Taschenlampe leuchtete er in das Auto. Die Nacht war sehr schnell gekommen und man sah ohne Licht nichts mehr. „Was ist passiert? Wir sind nach Hause gekommen und haben unseren kleinen Welpen hier liegen sehen. Was war passiert? War das wieder ein Honigdachs?“ Core hielt an und schon sah sie ihre Mutter. Sie kam so schnell angelaufen, dass sie den kleinen Durchgang zum Parkplatz übersah und gegen den großen Stein lief, der dort lag. „Aua! Was ist mit Amelie!“ „Mama, beruhige dich. Sie schläft hinten auf der Rücksitzbank. Sie hat nicht viel abbekommen, bei Lidia sieht das schon anders aus.“ Core´s Mutter Klara nahm vorsichtig ihre Kleinste aus dem Auto und brachte sie ins Haus. Core erzählte alles ihrem Vater, während sie zum Haus gingen. „Dann muss ich morgen zu Lidia hin. Es kann nicht sein, dass sie sich wieder mal auf diesen Medizinmann verlässt. Das ging letztes Mal schon fast schief, als sie Malaria hatte.“ Core`s Vater war sehr aufgewühlt. Er konnte nicht verstehen, dass sie sich schon wieder in die Obhut ihrer Familie begibt um solche Bisswunden zu heilen. Wenn er Lidia damals nicht mit Gewalt in das Krankenhaus von Windhoek gebracht hätte, wäre sie an Malaria gestorben. Es hatte sie sehr schlimm erwischt und die Kräuter des Medizinmannes halfen ihr nicht. „Ich fahre hin, wenn es hell ist.“ Das war gerade beschlossen. Das brauchte auch niemand mehr mit Ludwig diskutieren.

Am frühen Morgen wurde Core vom Schreien der Zebras wach. Diese Tiere konnten aber auch laut sein. Sie kroch aus dem Bett, durch ihr Moskitonetz und roch schon den Kaffee aus der Küche. Ihre Eltern waren schon auf. Sie zog sich einen Pullover über und ging nach draußen um die kühle Morgenluft einzuatmen. Wie herrlich es war. Core setzte sich auf den Stuhl vor dem Haus und genoss die Ruhe. Ihre Mutter kam mit einem Kaffee raus und setze sich zu ihr. „Guten Morgen mein Schatz. Hast du gut geschlafen, nach der ganzen gestrigen Aufregung?“ Sie gab ihr den heißen Becher. „Danke Mom. Ja, ich habe geschlafen wie ein Stein. Ich musste nur noch einmal aufstehen und das Moskitonetz über mein Bett hängen. Die Moskitos sind schon wieder unterwegs. Das heißt, es wird wieder wärmer.“ „Amelie geht es wieder besser. Sie hat die Nacht auch durchgeschlafen. Dann brauche ich nicht mehr mit ihr nach Windhoek“, meinte ihre Mutter. „Ach, ist Papa schon losgefahren?“ Sie wusste, dass er mit den ersten Sonnenstrahlen aufsteht und bestimmt auch schon auf den Weg nach Windhoek mit Lidia war. „Ja, dein Vater ist schon um 6 Uhr losgefahren. Wenn alles gut geht, ist er um 8:30 Uhr im Krankenhaus in Windhoek mit Lidia.“ „Wenn sie mitgeht“, lachte Core. Sie gingen Beide in die Küche, wo der kleine Ofen brannte. Es war noch Winter und die Temperaturen waren um die Zeit erst um die 5 Grad.

Nach einem gemütlichen Frühstück kam auch Sonja zum Arbeiten. Sie war das Hausmädchen auf der Farm. Sie gehörte zur Familie von Lidia. Die Familie lebte hier mit auf dem Farmland und fast alle arbeiteten hier. Die Farm sicherte somit das Einkommen mehrere Familien in Namibia. „Hallo Sonja“ sagte Mom „Hat Ludwig Lidia mit nach Windhoek bekommen?“ Sonja lachte nur. „Ja, Klara. Aber das war großes Theater. Lidia hat sich fast Tod gestellt, damit sie nicht in das Auto steigen musste“. Sonja war als Kind auf eine Schule in Windhoek gegangen und hatte dort lesen und schreiben gelernt. Ihre Familie hatte sie dann wieder auf die Farm geholt, damit sie die Familie unterstützt konnte. Sonja wollte in Windhoek bleiben, aber sie hatte nicht das Recht, dies alleine zu entscheiden. Ludwig wollte ihre Ausbildung weiterhin finanzieren, aber es war nicht möglich. Jetzt bekam sie ein kleines Gehalt, um für ihre eigene Zukunft zu sorgen. Core konnte sich gut vorstellen, was da los war! Typisch Lidia! Sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

Es war Samstag und Core brauchte heute nicht zur Schule. Sie lebte in der Woche im Internat in Windhoek und fuhr nur am Wochenende und in den Ferien auf die Farm zu ihren Eltern. Es war ihr Abschlussjahr und ihr Vater erwartete, dass sie dann nach Europa ging. Das war so üblich in der Familie Benton. Ihre ältere Schwester Heike studierte auch gerade in England.

Sie zog sich ihre Reitsachen an und ging in den Stall. Peppito wartete schon ganz aufgeregt. Sie sattelte ihn und ritt los. Sie ritt zu ihrem Lieblingsplatz am großen Felsvorsprung. Dort konnte sie die ganze Farm überblicken und nahm sich die Zeit um nachzudenken. An diesen Vorsprung waren alte Buschmannzeichnungen und jedes Mal, wenn sie hier war, glitt ihre Hand darüber, und sie verspürte einen Zauber. Diese Geschichte faszinierte sie. Was wollten diese Menschen mit ihren Zeichnungen sagen? Die Farm lag am Rande der Kalahari und deshalb hatten sie viele von diesen Zeichnungen hier. Core dachte an ihre Zukunft. Was sollte sie nur machen? Sich wie ihre Schwester mit Touristen rumärgern? Das Gemecker anhören, wenn nicht gleich fließend Wasser aus dem Hahn kam? Oder die Buschmänner hinstellen für ein Foto mit einem Touristen? Nein, das wollte sie nicht! Sie musste für sich einen anderen Weg finden.

Sie ritt wieder nach Hause. Ihre kleine Schwester rannte ihr am Stall schon entgegen. Amelie war gar nicht ihre richtige Schwester. Sie war die Tochter von ihrem Vater seinem Bruder. Der hatte sich erschossen, als seine Frau bei einem Autounfall ums Leben kam. Es war erst vor zwei Jahren passiert. Tom hatte lange alleine gelebt, als er bei einem Treffen der Rinderzüchter seine zukünftige Frau kennen lernte. Sie war 15 Jahre jünger als er und sie zog sehr schnell zu ihm auf die Farm. Sie bekamen Amelie und ein Jahr später wollte Angie nur schnell zum Nachbarn als sie hinter einer Kurve in eine Rinderherde fuhr. Durch das plötzliche bremsen überschlug sie sich und war sofort Tod. Tom hatte ein halbes Jahr versucht mit dem Schmerz zu leben, aber es war zu viel. Eines morgens hörte sein Farmarbeiter einen Schuss. Er fand ihn hinter dem großen Schuppen mit seinem Gewehr. Er hatte vorher die Farm an Amelie überschrieben und jetzt führte ein deutscher Verwalter diese, bis Amelie 18 Jahre alt war.

Na mein Engel. Wie geht es deinem Bein?“ Du rennst ja schon wieder!“ rief Core ihr zu. „Ja, es tut auch nicht weh. Daddy ist wieder da und Jill hat auch schon angerufen“, rief sie vergnügt. Heute Abend war die Geburtstagsfeier von Jill. Sie wohnte auf der Nachbarfarm und die Beiden gingen zusammen in das Internat. Dort traf sie alle ihre Freunde und sie freute sich schon auf diese Party. Sie gab Peppito dem Stalljungen und ging zum Farmhaus.

„Hallo Vater. Na wie war es in Windhoek? Hast Du Lidia gut versorgen lassen?“ lächelnd stand sie ihrem Vater gegenüber. „Hör bloß auf! Diese Frau ist der einzige Horror!“ Er war sichtlich genervt. Ihre Mutter musste lachen und bekam einen liebevollen Blick von Ludwig. Wie sehr sich die beiden liebten. “Ich habe Lidia heute Morgen eine geschlagene Stunde überzeugen müssen mit mir zu fahren. Sie hatte auch schon Fieber, aber nein, sie wollte nicht. Dann habe ich mir, in den zwei Stunden zur Klinik, das Gejammer anhören müssen, weil sie als einheimische nicht in ein Krankenhaus für Privatpatienten gehen wollte. Das war mal früher einmal so, aber heute gibt es das nicht mehr. Nein, sie wolle davon nichts wissen. Dann ist alles viel zu teuer und so weiter“. Ihr Vater war wirklich gestresst von dem Tag. Er wollte doch immer nur das Beste für seine Farmarbeiter.

Auf einer Farm in der Nähe, hatte der Farmbetreiber seine Arbeiter geschlagen. Eines morgens wachte er nicht mehr auf und das Haus stand in Flammen. Die Einheimischen hatten an dem Abend zuvor ein großes Fest gefeiert und sehr viel getrunken. Man nahm an, dass die Farmarbeiter das gewesen waren, aber man hatte den Brandstifter nie gefunden. Nun hatten die Farmarbeiter keinen Job mehr und konnten ihre Familien nicht ernähren. Sie sitzen den ganzen Tag vor ihren Hütten und trinken ihren selbst gebrannten Schnaps, der sie im Kopf durchdrehen lässt.

Ihr Vater trank einen Schluck Kaffee. „Nun sitzt sie wieder in ihrer Hütte, weil sie nicht dortbleiben wollte im Krankenhaus und ist beleidigt. Sie haben ihr eine Tetanusspritze gegeben und die Wade mit wenigen Stichen genäht. Ich hoffe sie hält sich an die Regeln, das sie dann erst in einer Woche noch die Salbe benutzt. Wer weiß was ihr der Medizinmann noch auf die Wunde schmiert.“ „Ludwig, da pass ich schon drauf auf. Ich werde jeden Tag ins Dorf gehen und nach ihr sehen“, meinte Klara und drehte sich nach Core um “Jill hat angerufen. Du möchtest bitte heute um 17 Uhr da sein. Dann könnt ihr noch vor Sonnenuntergang das Feuer anzünden.“ Core sah auf die Uhr. Dann wurde es Zeit. Sie hatte 2 Stunden und wollte noch eine Runde im Pool schwimmen.

Ihr Vater schaute sie an. „Core wir müssen morgen über deine Zukunft reden. Du hast noch ein Vierteljahr im Internat und ich muss jetzt endlich den Flug buchen nach Europa. Du musst mir endlich sagen, was du in Zukunft machen willst.“ Cores Vater klang sehr ernst. Sie wusste das sie es nicht mehr herausschieben konnte. Was sollte sie aber nur tun?

Biltong zum Frühstück

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