Читать книгу Luna's Töchter - Claudia Trapka - Страница 5

Der Auftrag

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Dann geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte, eine Krähe kam in meine Küche geflogen und setzte sich mitten auf den Frühstückstisch.

„Guten Morgen“, fistelte sie.

Ich funkelte sie etwas böse an: „Guten Morgen, schön das Ihr jetzt auch wieder mit mir redet, aber mitten auf dem Frühstückstisch finde ich Dich etwas unpassend.“

Erschrocken hüpfte die Krähe an den Rand des Tisches und fragte entschuldigend: „So besser?“

Ich lachte, ich konnte den Tieren einfach nicht böse sein. „Ja, viel besser. Also, was hast Du uns zu sagen? Möchtest Du etwas Brötchen?“

Die Krähe lehnte dankend ab. Dann erzählte sie uns, während wir frühstückten, was wir finden sollten:

„Vor vielen hundert Jahren gab es hier in dieser Gegend ein Königreich, welches mit Güte, Liebe und Respekt den Lebewesen gegenüber regiert wurde. Der damalige König hatte dafür gesorgt, dass seine Nachkommen in seinem Sinne weiter regieren würden. Er hatte fünfzehn Töchter, eine schöner und intelligenter als die Andere. Der Überlieferung zu Folge sollen alle Töchter, Töchter der Mondgöttin Luna gewesen sein.

Luna war nicht nur die Mondgöttin, sie war auch eine sehr schlaue Frau. Sie sorgte dafür, dass ihr König seine Töchter weise aufzog. Sie selbst wurde von der Bevölkerung niemals gesehen. Aber der König hatte auch niemals eine Frau, nur seine wunderschönen Töchter. So glaubte man der Legende, dass die Mädchen von der Göttin Luna abstammten.

Als nun der König zu alt wurde und er sein Reich an seine Töchter übergab, ließ er verkünden, dass niemals Eine allein etwas zu entscheiden hatte, sondern dass die Mädchen durch mehrheitliche Abstimmung entscheiden mussten. Zunächst hielten sich alle an den Wunsch des Königs. Er war im Grunde der Erfinder der heutigen Demokratie. Nur leider funktioniert die Demokratie heute nicht mehr so wie damals.“ Die Krähe unterbrach kurz.

Ich nutzte die Gelegenheit: „Wie ist es weiter gegangen? So, wie Du es im Moment erzählst, hätte dieses Reich heute noch existieren müssen.“

Die Krähe genoss es sichtlich, dass sie im Mittelpunkt stand. „Grundsätzlich hast Du recht. Leider heiratete ein Mädchen einen Mann mit großer Machtgier und geriet unter dessen schlechten Einfluss.“ Die Krähe holte tief Luft. „Luna musste eingreifen. Sie beschloss, dass von diesem Moment an keine der Töchter mehr regieren sollte und schloss ihre Seelen in fünfzehn magische Gegenstände ein. Sie hinterließ eine heilige Stätte in dem Wald, in dem Ihr gewesen seid. Dort wo die Stätte heute ist, hat damals etwa das Schloss gestanden.

In den Reihen der Tier- und Pflanzenwelt heißt es, dass diese Stätte überwuchert ist.“

Jo und ich nickten, diese Information hatte uns ja schon mein Bäumchen gegeben. Die Krähe fuhr fort, stibitzte jedoch vorher ein paar Brötchenkrümel vom Tisch. Ich musste unwillkürlich lächeln, sagte jedoch nichts.

„Ihr sollt nun diese Stätte finden und sichern. Wenn Ihr sie freilegt, werden wir wissen, um was für Gegenstände es sich handelt. Es heißt, die Gegenstände sind Schlüssel, die vereint die Befreiung der Töchter bewirken. Dann sollt Ihr diese suchen und zur Stätte bringen.“

„Liebe Krähe, darf Jo dann wieder mit mir sprechen, wenn wir die Stätte gefunden haben? Weißt Du, es lässt sich manches leichter koordinieren, wenn man richtig miteinander sprechen kann. Außerdem verstehe ich nicht so ganz, dass wir sie suchen müssen. Die Pflanzen müssten doch wissen, wo genau dieser Ort ist. Sie können doch kommunizieren?“

Die Krähe überlegte. „Soweit ich weiß, haben die Pflanzen von der Stätte nichts mehr gehört, seit Luna die Seelen verborgen hat. Und offensichtlich gibt es ein paar Pflanzen, die sich an Lunas Schweigepflicht halten. Doch wir müssen den Schrein finden. In der Welt muss etwas passieren, damit die Menschen begreifen, was sie gerade mit der Natur tun. Und nur wenige Menschen haben begriffen, und diese kommen offensichtlich nicht weiter mit dem Rest der Bevölkerung. Oder sie wählen den falschen Weg, um es begreiflich machen zu wollen.

Doch wir, die Tiere und auch die Pflanzen glauben, dass Luna uns helfen kann. Wegen Jos Schweigepflicht werde ich die Ältesten fragen und Euch Bescheid geben.“

Die Krähe wollte schon wieder abfliegen, als ich noch schnell fragte: „Warum darf er nicht sprechen? Hat er der Natur etwas getan?“

Die Krähe zuckte richtig zusammen. „Wenn er wieder sprechen darf und die Zeit dafür reif ist, erhält er die Erlaubnis, es Dir zu erzählen.“

Ich schaute sie irritiert an. „Dagi, wenn ich es Dir jetzt sage, dann weiß ich nicht, ob es stimmt. Ich muss erst noch einiges in Erfahrung bringen. Wir wissen auch nicht alles. Sowohl die Pflanzen, als auch alle Tiere helfen Euch, wo wir können.“ Dann flog die Krähe fort.

Minutenlang aßen wir schweigend weiter. Dann schauten wir uns an und fingen fröhlich an zu lachen. Ein Abenteuer, wir waren auserwählt, ein Abenteuer zu erleben und symbolisch eine Zeitreise zu machen.


Dieses Mal betraten wir den Wald mit ganz anderen Augen. Natürlich erfreuten wir uns an der Natur und an den Erzählungen, die wir hörten. Aber wir hörten anders hin. Denn wir wussten beide, eigentlich wussten die Pflanzen, wo die heilige Stätte war. Wir mussten nur ihren Hinweisen folgen.

Wir drangen immer tiefer in den Wald ein, kein Weg oder Pfad führte uns. Denn soviel war uns klar, wenn dieses Monument irgendwo war, dann garantiert nicht an einem Weg. Uralte Wege mussten zugewachsen sein. Alles andere ergäbe keinen Sinn.

Die Pflanzen, vor allem meine geliebten Bäume, führten uns tatsächlich. Schon nach etwa einer Stunde hatten wir eine Stelle gefunden, wo die Pflanzen besonders undurchdringlich erschienen.

„So Ihr Lieben“, sprach ich die Pflanzen an, „wie kommen wir jetzt weiter, ohne Euch zu verletzen?“

Ohne großes Federlesen, wichen die Farne und Efeu-Pflanzen zur Seite. Als hätten sie nur auf uns gewartet! – Hatten sie ja eigentlich auch. – Schon von außen blieb mir mein Mund offen stehen. Und mit einem kleinen Seitenblick auf Jo stellte ich beruhigt fest, ihm ging es ähnlich.

Der Bau war aus ganz alten Steinen gebaut und in uralter Bauweise nur Stein auf Stein gesetzt. Kein Mörtel hielt die Steine zusammen. Es saß einfach so. Es wirkte alles, als machten wir tatsächlich eine Zeitreise. Direkt vor mir muss hier mal eine Burg oder ein Schloss gestanden haben, genau wie die Krähe es gesagt hatte. Ob unsere Heimatkundler von diesem Objekt wussten? Wenn alles vorbei war, könnte man es ja mal im Heimatkunde-Museum erwähnen.

Ehrfurchtsvoll betraten Jo und ich die Ruine. Nur um festzustellen, dass eigentlich nur noch ein riesiger Raum existierte. Dieser war zwar ohne Dach aber ansonsten vollständig erhalten. Allein diese Tatsache ließ unsere Bewunderung nur noch weiter wachsen. Die alten Baumeister hatten wirklich etwas von ihrem Handwerk verstanden.

Als wir uns weiter umsahen, fanden wir immerwieder im Raum große Spalten. Zunächst schauten wir nicht weiter nach oben. Denn das, was wir auf Blickhöhe entdeckten, war für uns schon spannend genug. Im Stein waren neben diesen Spalten wunderschöne Reliefs mit Symbolen eingearbeitet. Die Symbole waren jeweils mit verschiedenen Edelsteinen versehen. Ein alter Durchgang, der früher zu einem anderen Teil des Schlosses oder der Burg geführt haben musste, war völlig zugewuchert. Die Ranken gaben jedoch den Blick auf die Öffnung und den Gang frei, als ich darauf zuschritt. Ein kurzer Blick hindurch sagte mir jedoch, dass vom Rest der Burg nicht viel übrig geblieben schien. Ich konzentrierte mich wieder auf diesen so gut erhaltenen Raum. Es wirkte, als hätten die Pflanzen im Laufe der Jahrhunderte das Dach ersetzt. Zumindest wirkten weder der steinerne Tisch noch die Säulen verwittert.


Unermüdlich suchten wir nach der Information, die uns erklärte, um was für Schlüssel es sich handelte. Hätten wir an den Spalten nur ganz leicht nach oben geschaut, wäre es uns eher aufgefallen! Doch dann griff Jo irgendwann endlich nach meinem Arm und deutete an einer Wand eine Spalte lang nach oben. Es war ergreifend, was ich nun sah.

„Jo die Spalten sind Einlassungen in Stein von Schwertklingen. Das sind eindeutig Schwerter. Als gehörte hier in jede Spalte je ein Schwert! Das ist Wahnsinn. Die müssen ja riesig sein. Schau, dort ist noch so eine Aushöhlung. Und sieh Dir das an, jedes Schwert scheint einen anderen Griff mit kleinem Schild zu haben.“ Ich konnte nicht aufhören zu reden: „Wow, die kann man, wenn man die Größe bedenkt bestimmt nur mit beiden Händen halten. Die sind sicher recht schwer.“

Dann hielt ich inne und suchte Jos Blick. Erschrocken sahen wir uns an.

Ich sprach aus, was Jo eindeutig auch dachte: „Wir müssen die Schwerter finden und hier einsetzen!“

Ich musste mich setzen, das war zuviel für mich. Wenn wir diese Schwerter finden mussten und ich das immer nur in meinem Urlaub machen konnte, dann würde es Jahre dauern, bis wir alle gefunden hatten...


Lange saßen wir auf dem steinernen Boden in der heiligen Stätte und bewunderten die Bauweise. Und langsam wurde uns bewusst, das konnte kein Mensch erbaut haben. Diese Stätte musste Lunas Werk gewesen sein.


Mir wurde etwas kalt, noch war der Frühling nicht in vollen Zügen da, und ich saß vermutlich seit einer Stunde auf dem Steinboden.

Ich stand auf und versuchte etwas herum zu hüpfen, damit mir wieder etwas wärmer wurde. Doch irgendwie gelang es mir nicht.

„Jo, wollen wir einen Kaffee trinken gehen, mir ist etwas kalt, und ich muss das hier erst mal verdauen.“

Jo sprang auf und rannte auf mich zu. Und noch bevor ich richtig begriff, was er tat, hatte er mich in seinen Armen und rieb mir meine Arme. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.

„Jo, Du bist unmöglich. Aber ich mag Dich, so wie Du bist. Bist Du immer so?“ Und etwas theatralisch fügte ich hinzu: „Frauen dieser Welt! Einen wie Jo müsst Ihr wirklich festhalten. So was gibt’s nur selten.“

Dann schmiegte ich mich etwas an seine Schulter. Es fühlte sich gut an. Wie lange hatte ich keinen Menschen mehr so nah an mich heran gelassen?

Kaum hatte ich diese Gefühle, passierte etwas merkwürdiges, Jo ließ mich los und wies auf die Tür, durch die ich nur kurz hindurchgeblickt hatte.

Dort leuchtete es plötzlich. Das Licht, welches uns von dort entgegen kam, wirkte klar und weich, aber doch etwas kühl, wie eine Vollmondnacht im Frühling.

Das Licht wurde größer und klarer. Aus diesem Licht entstand ganz deutlich eine Gestalt. Ich weiß, es klingt verrückt, aber manchmal geschehen halt Dinge, die unglaublich erscheinen.

Innerhalb weniger Minuten stand eine wunderschöne Lichtgestalt vor uns.

Die Frau hatte wunderschöne lange weißblonde Haare. Ihr Gewand wirkte, wie aus einer lang vergangenen Zeit. Es war silbergrau und fließend. Ihre Ausstrahlung war majestätisch und doch gütig und anmutig. Ihre Bewegungen waren engelsgleich. Es gab für mich keinen Zweifel, Luna stand leibhaftig vor uns. Wenn man es leibhaftig nennen konnte.


Jo kniete augenblicklich nieder. Mit aufgerissenen Augen blieb ich stehen.

Luna lächelte: „Erhebe Dich. Deine Gefährtin ist völlig überrascht. Weiß sie nicht, dass Du mich schon mal gesehen hast?“

Jo schüttelte den Kopf. „Ach, ja ich hatte Dir ja das Versprechen abgenommen, mit den Menschen nicht zu sprechen. Nun, dann will ich es ihr erklären.“ An mich gewandt erklärte sie: „Meine Liebe, ich habe unserem jungen Freund hier verboten, mit den Menschen zu sprechen, bis die Zeit reif ist. Ich denke aber, dass ich ihm erlauben kann, wenigstens mit Dir zu sprechen. Denn Ihr zwei sollt für mich meine Töchter finden und her bringen. Damit wir gemeinsam durch die Kraft meiner Mondenergie die Natur vor der Bedrohung retten können und den Menschen den Sinn des Lebens neu definieren können. Denn leider sind die meisten Menschen nur noch auf Macht aus.“

Bei diesen Worten deutete sie auf die Schwerteinlassungen in den Wänden.

Jo hatte sich inzwischen erhoben und seine wunderbare warme Stimme klang nun zum ersten Mal auch für mich.

„Danke Luna, ich weiß dieses Zugeständnis sehr zu schätzen. Obwohl Dagi und ich uns auch so recht gut verstanden haben, so macht es das alles jetzt viel leichter. Zumal ich unsere Aufgabe ja bis heute auch nicht kannte.“

Seine Stimme ließ mich fast dahinschmelzen, mir wurde augenblicklich etwas wärmer. Wie konnte ein Mensch eine so herrliche Stimme haben und vor anderen verborgen halten? Ich hätte so viele Fragen an Jo, aber ich wusste, ich musste sie zurückstellen. Jetzt war Luna dran. Und auch an sie hatte ich jede Menge Fragen und ich wusste, sie würde mir nicht alle beantworten.

Aber eine, die musste ich einfach jetzt sofort loswerden: „Warum durfte Jo bisher eigentlich nicht sprechen?“ Und zu Jo gewandt: „Heißt Du wirklich Jo?“

Luna lachte, „Er hat mir versprochen, erst wieder zu sprechen, wenn er mir eine Aufgabe erfüllt hat, die ich ihm stelle. Ich sehe aber ein, dass ich dieses Versprechen so nicht annehmen kann. Er bat mich vor einigen Jahren in einem Gebet, ihm zu helfen, damit seine Schwester gesund wird. Sie litt an einer seltenen Krankheit, bei der sie nur bei Mondlicht an die Luft gehen konnte. Er sagte damals in diesem Gebet, er würde erst wieder sprechen, wenn sie gesund wäre und er seine Schuld beglichen hätte.

Ich schickte ihn, nach seiner Lehrzeit in die Welt, um die Auserwählte zu suchen, die in der Lage sein würde, mit ihm gemeinsam diese Stätte zu finden und das Rosenschwert zu führen. Ob Du das kannst, sehen wir leider erst, wenn Ihr das Schwert gefunden habt. Das Rosenschwert ist das Wichtigste der Schwerter. Und nur die Auserwählte ist in der Lage, es an seinen Platz hier im Schrein zu stellen und es im Kampf zu führen. Die Auserwählte allein wird die Burg der Einigkeit auferstehen lassen und danach ihr Schicksal erfüllen.“

Ich konnte nicht anders, ich musste dazwischen quatschen: „Und wieso sollte ich das sein? Und wieso im Kampf? Warum sollte es zu einem Kampf kommen? Und in der heutigen Zeit kämpft man sowieso nicht mehr mit Schwertern. Die Supermächte werfen einfach eine Bombe auf den Feind und fertig.“

Der letzte Satz von mir klang eher verzweifelt.

Doch Luna lächelte und gab zurück: „Warte einfach ab. Wenn die Zeit reif ist, wirst Du alles wissen. Erst einmal muss ich Euch noch etwas erzählen, damit Ihr weitere Details kennt.“

Wie von Zauberhand erschienen drei Stühle aus weißem Marmor mit drei wunderbar weichen Kissen. Als wir uns setzten, stellte ich fest, dass das Kissen ganz leicht wärmte. Etwa so, als säße man auf einer Wärmflasche.

Jo grinste: „Jetzt noch einen heißen Tee oder eine heiße Schokolade, und es wird richtig gemütlich.“

Luna schnipste mit den Fingern. Ein kleiner Bistrotisch mit drei herrlich dampfenden Tassen Schokolade stand vor uns.

„Wie Euch die Krähe ja schon erzählte, sind in den fünfzehn Schlüsseln, welche die Schwerter hier sind, die Seelen meiner fünfzehn Töchter verborgen. Wobei jede Tochter eine besondere Fähigkeit hatte, die auch auf die Schwerter übertragen wurde. Dass heißt, jedes der Schwerter hat eine besondere Fähigkeit. Wenn Ihr genau hinschaut, geben die Reliefs neben den Schwerteinlassungen einen Hinweis auf die jeweilige Fähigkeit des Schwertes beziehungsweise der Tochter. Auch die Edelsteine in den Reliefs würden Euch bei der Suche helfen. Das dreizehnte Schwert ist das Dunkelste, weil dieses die Seele der Tochter beinhaltet, die sich auf die Seite der Machtgier ziehen ließ. Mit diesem Schwert müsst Ihr besonders achtsam umgehen, damit die Macht nicht von Euch Besitz ergreift.

Das fünfzehnte Schwert ist der Schlüssel zur Wiedervereinigung. Es ist das Schwert, meiner jüngsten, aber auch mächtigsten Tochter. Es ist das Schwert das alle regieren kann. Aber nur wer nicht alle regieren will, wird mit diesem Schwert wirklich zu wahrer Macht gelangen.“

Luna nippte an ihrem Kakao und fuhr fort. „Niemand weiß heute, wo diese Schwerter verborgen sind. Sie können überall sein. Und seit ich meine Mädchen in die Schwerter geschlossen habe, kann ich ihre Seelen nicht mehr ohne weiteres aufspüren. Nur die Auserwählte, die eine direkte Nachkommin der fünfzehnten Tochter und damit eine Ururenkelin von mir ist und somit all meine Fähigkeiten und Macht geerbt hat, ist in der Lage, mit ihrem Einfühlungsvermögen ihre Urgroßtanten und Urgroßmutter zu finden.“

Ich blickte sie entsetzt an.

„Keine Sorge, die Macht wächst langsam, und ich helfe Dir, sie zu beherrschen, wenn Du wirklich meine Verwandte bist.

Wenn hier alle fünfzehn Schwerter wieder vereint werden, dann kann ich gemeinsam mit der Auserwählten und ihrem Gefährten, sollte die Zeit dafür reif sein, meine fünfzehn Töchter erlösen.“

Mir wurde ganz mulmig, ich eine Nachfahrin von Luna? Nein, niemals. Ein solches Märchen in der heutigen Zeit.

„Aber, was passiert, wenn die Töchter erlöst werden?“

„Dann sind wir alle gemeinsam in der Lage, die Natur wieder zu heilen und die Menschheit vor dem Schlimmsten zu bewahren.“

Ich bezweifelte, dass die Menschheit das zu schätzen wusste. In den Nachrichten war zwar immer von gewolltem Klima- und Naturschutz die Rede, aber wüssten die Menschen ein solches Geschenk zu schätzen?

Luna schien meine Zweifel zu kennen: „Die Menschen lernen, und deshalb sind sie es wert, diese Chance zu erhalten.“

Andächtig trank sie ihre Schokolade, welche inzwischen kalt war. Mit einem Schnipsen wärmte sie unsere Tassen alle wieder auf.

Nachdem wir unseren Kakao getrunken hatten, räumte Luna die Tassen magisch beiseite und verabschiedete sich mit den Worten: „Ruft mich, wenn Ihr mich braucht. Ich werde versuchen, Euch zu helfen.“

Dann ging sie auf die Tür zu und mit jedem Schritt in diese Richtung wurde sie durchsichtiger, bis sie schließlich verschwunden war.


Nachdem wir uns einigermaßen gefasst hatten und uns die Reliefs noch einmal angeschaut hatten, machten wir uns wieder auf den Weg nach Hause. Wir schwiegen den ganzen Weg über. Jo hatte zwar die Genehmigung zu sprechen, aber irgendwie schienen wir beide unseren Gedanken nachzuhängen. Die Bäume sprachen unablässig mit uns, doch wir hörten kaum zu. Ich würde später noch einmal nachfragen, was sie uns gesagt hatten. Sie würden mir sicher nicht böse sein, schließlich hatten sie ja gerade auch mitbekommen, was unsere neue Aufgabe war.


Vor meiner Wohnung fand ich meine Sprache wieder.

„Jo, wie heißt Du nun wirklich? Und meinst Du, Du darfst mir Deine Geschichte vollständig erzählen, oder sollten wir da lieber noch einmal fragen?“

Gewohnheitsgemäß setzte er seinen Hundeblick auf und zuckte die Schultern. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. In der Wohnung schaute ich ihn dann fragend an. Erst jetzt schien er zu begreifen, er hatte vergessen, dass er ja mit mir reden durfte. Nun musste Jo auch lachen. Seine herrliche Stimme durchströmte mich wie eine warme Welle.

„Ich denke, wir können bei Jo bleiben,“ erklärte er verschwörerisch. „Mein Name ist Johann-Thomas von Abendburg. Aber ich finde, das klingt so altmodisch.“

Sein Grinsen werde ich vermissen, dachte ich in dem Moment, sagte aber: „Wenn Du adlig bist, dann kommt Dir meine kleine Wohnung sicher schäbig und mickrig vor.“

Ich schämte mich in dem Moment fast für meine Wohnung. Er schüttelte den Kopf.

„Blödsinn, ich weiß, wie es ist, kein Geld zu haben und sich über Wasser halten zu müssen. Meine Familie ist zwar adlig, hat aber bereits viele Krisen durchleben müssen. Die Arztkosten für meine Schwester waren ziemlich hoch und auch die Firma meines Großvaters läuft im Moment nicht so recht.“ Er schaute mich an und ergänzte: „Ich bin glücklich, Dich kennen gelernt zu haben und stolz darauf, mit Dir zusammen unseren Planeten retten zu dürfen.“

Dabei verneigte er sich vor mir und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: „Außerdem...wie es aussieht, bist Du auch von edlem Geblüt, liebste Prinzessin Dagmar von Luna.“

Ich war verwirrt. Er hatte Recht, wenn das alles stimmte, dann wäre ich eine Prinzessin und wüsste das nicht. Dummerweise hatte ich keine Verwandten mehr, um dies zu erfragen. Mir blieb in dieser Hinsicht nur der Weg zum Geburtenregister. Und meine nächste eigene Aufgabe wäre dann ein wenig Ahnenforschung.

Aber das musste warten. Oder ich musste auf das Urteil Lunas vertrauen.

Zunächst musste ich irgendwie erreichen, dass wir in Ruhe die Schwerter suchen konnten, ohne dass ich arbeitslos wurde. – Ich weiß, ich machte mir verrückte Gedanken. Als ob ich noch jemals wieder arbeiten gehen würde, wenn die Presse von unserer Aufgabe Wind bekäme. Ich musste unwillkürlich Lächeln.

„Weißt Du Jo, wenn ich mir vorstelle, wie uns die Presse zerreißt, wenn wir ein Schwert nach dem Anderen in die heilige Stätte bringen, werde ich wohl auswandern müssen, oder?“

Er lachte. „Keine Sorge, das mit der Presse bekommen wir in den Griff. Wir bitten meine Familie um Hilfe. Aber Du musst sprechen, ich darf nicht. Und außerdem halte ich es für geschickter, wenn wir so vorsichtig arbeiten, dass die Presse nichts davon erfährt. Es könnte unangenehme Gesellen anziehen, wenn zu viele von unserer Aufgabe erfahren.“

Mir wurde ganz anders. Erst erfuhr ich, dass ich eine Adlige war, dann erklärte Jo mir, er wäre auch adlig und dann sollte ich seine Familie auch noch kennenlernen. Das war zuviel Abenteuer für einen Tag. Ich schwankte. Jo fing mich auf, setzte mich behutsam auf meine Couch und holte mir ein Glas Wasser.

„Keine Sorge, Eure Hoheit, Sie schaffen das schon.“ Dabei lachte er mich herzlich an.

„Jo, ich glaube, ich muss das wirklich erst einmal verdauen. Warum sollte ich eine Adlige sein? Na, egal, wie kläre ich das jetzt bei meinem Chef? Und wo fangen wir an, nach den Schwertern zu suchen?“

Jo überlegte einen Moment, dann antwortete er: „Nun, ich fürchte, auf die Dauer musst Du ohnehin kündigen. Da wir viel und lange reisen müssen. Also kannst Du es genauso gut auch gleich tun.“

Entsetzt und enttäuscht gab ich zurück: „Das habe ich befürchtet. Ich mache meinen Job eigentlich gern.“ Schulterzuckend gab ich aber zu: „Aber Du hast recht. Spätestens, wenn ich mehr als drei Wochen am Stück Urlaub haben möchte, muss ich kündigen. Und ich befürchte, die werden wir brauchen. Aber vielleicht habe ich Glück und mein Chef stellt mich wieder ein, wenn wir zurück sind.“

Jo lachte: „Ich glaube nicht, dass Du danach noch in einem Büro arbeiten gehst. Erstens wird uns dann die Presse tatsächlich eine Weile nicht in Ruhe lassen und zweitens denke ich, dass Luna für Dich auch etwas anderes geplant hat.“ Und lächelnd fuhr er fort: „Oder glaubst Du, sie lässt ihre Nachfahrin wirklich noch mal normal arbeiten?“

Zugegeben, er hatte Recht. Wenn ich wirklich eine Nachfahrin Lunas war, was ich nicht glauben konnte, dann hätte ich nach der Erlösung von Luna’s Töchtern garantiert andere Aufgaben.

„Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, eine Adlige zu sein. Und wenn ich ehrlich bin, will ich das auch nicht.“

„Da spricht eine echte Adlige. Denn die gehen mit ihrem Titel nicht hausieren.“ Mit diesen Worten beendete er dieses Thema einstweilen.


Schweren Herzens ging ich am Montag ins Büro. Ich musste kündigen, mir blieb gar keine Wahl. Ich wusste zwar nicht, wovon ich dauerhaft leben sollte, aber Jo versprach, mich zu unterstützen, bis ich es wusste. Meine Ersparnisse würden ganz sicher dafür drauf gehen. Aber wir hatten eine große Aufgabe und Luna brauchte unsere volle Aufmerksamkeit.


So stand ich also bereits am frühen Morgen vor dem Büro meines Chefs und traute mich nicht so recht bei ihm zu klopfen. Leider kam er mir zu Hilfe. Er öffnete seine Tür, um sich einen Kaffee zu holen.

Nachdem wir beide mit Kaffee bewaffnet in seinem Büro Platz genommen hatten, eröffnete ich ihm, dass ich kündigte.

Entsetzt wollte er wissen: „Aber Dagi, Sie sind meine beste Kraft, zahle ich Ihnen nicht genug?“

Wehmütig gab ich zurück: „Wenn es das wäre, würde ich Sie einfach um eine Gehaltserhöhung bitten.“ Und mit etwas mehr Selbstbewusstsein und Stolz fügte ich hinzu: „Nein, Chef, mir wurde eine übergeordnete Aufgabe übertragen, die nicht mit meinem Job vereinbar ist. Ich werde demnächst viel reisen müssen und weiß noch nicht, ob und wann ich zurückkehre. Ich kann nicht von Ihnen verlangen, mir unbezahlten Urlaub auf unbestimmte Zeit zu gewähren.“

Irritiert schaute er mich an, nickte aber. „Ich verstehe.“

„Nein, Chef, das glaube ich Ihnen nicht. Aber Sie werden verstehen, wenn die Zeit dafür reif ist. Ich kann Ihnen nur empfehlen, in den nächsten Wochen aufmerksam die Nachrichten zu verfolgen, ich verspreche Ihnen, Sie werden von mir hören. Ganz bestimmt. Entweder von mir, beziehungsweise etwas das mit mir zu tun hat, oder irgendwann wird meine Aufgabe bekannt, es ist nur eine Frage der Zeit.“

Ich ließ meinen Chef mit vielen Fragezeichen in seinem Blick zurück. Er gewährte mir meinen gesamten Jahresurlaub, obwohl wir noch nicht einmal März hatten und bat mich, mich zu melden, wenn ich wieder eine Arbeit suchte. Ich versprach es ihm.

Ich ging schon eine halbe Stunde nach diesem Gespräch nach Hause. Ich verließ meinen Arbeitsplatz zum letzten Mal, denn ich wusste, Jo hatte Recht. Und unter Tränen machte ich mich auf den Heimweg. Ich mochte meinen Job und meinen Chef, aber so war es das Vernünftigste.

Luna hatte ganz gewiss nicht geplant, dass ich nach unserem Abenteuer wieder einer ‚normalen’ Arbeit nachging. Wobei Luna nicht die Einzige mit Plänen für mich war.


Auf dem Heimweg grübelte ich, wo wir das erste Schwert suchen könnten, aber mir wollte nichts einfallen. Als ich zu Hause ankam, erklärte Jo mir, dass er auch noch keine Idee hatte.

„Jo, ich glaube, wir sollten noch mal zum heiligen Raum zurückgehen. Vielleicht sehen wir dort einen Hinweis auf das erste Schwert. Wenn alle Schwerter besondere Fähigkeiten haben, dann haben sie vielleicht auch bestimmte Merkmale, die es uns etwas erleichtern, sie zu finden?“ Und nach kurzer Pause fügte ich hinzu: „Müssen wir eigentlich die Reihenfolge einhalten?“

Jo blickte mich verwirrt an, er schien noch weniger Durchblick über die Situation zu haben, als ich.

„Dagi, wenn ich das wüsste. Ich habe es nur so verstanden, dass wir die Schwerter in der richtigen Reihenfolge einsetzen müssen.“

Das war plausibel. Zumal ja das letzte Schwert der Schlüssel zu allem sein sollte.

Wir schwangen uns auf die Drahtesel und fuhren wieder zum Wald. Ich fühlte mich frei. Kein Chef, der auf mich wartete, kein Büro voller Arbeit, einfach frei. Leider schlich sich immer wieder der Gedanke dazwischen, wie ich auf die Dauer überleben sollte. Aber darüber wollte ich mir im Moment keine Gedanken machen. Mein Chef hatte mir versprochen, mich bis April weiter zu bezahlen. Und bis dahin fiel mir vielleicht etwas ein. (Manchmal ist es wirklich ein großer Vorteil, wenn man Überstunden hat.)

Und wenn ich wieder bei ihm anfangen wollte, wollte er mich ja auch wieder einstellen. Eigentlich bestand also gar kein Grund zur Sorge. Trotzdem war es ein ungewohntes Gefühl, keine Verpflichtungen mehr zu haben. – Lunas Auftrag sah ich mehr als Abenteuer, denn als Verpflichtung.


Auf dem Weg in den Wald fuhren wir an einigen Geschäften vorbei. Viele kleine Straßen kreuzten unseren Weg. Zum ersten Mal seit Jahren schaute ich auch auf die Gebäude, die in meiner Stadt standen. Es war eine traurig bunte Mischung aus Fachwerk, Bauhaus und Spiegelglas-Stil. Es wirkte alles halbfertig. Keines der Häuser passte in die Zeit, in die wir symbolisch gerade reisen wollten. Meine Gefühle spielten verrückt, mir liefen die Tränen über die Wangen, ohne das ich wirklich wusste warum. Nur eines war mir klar, es hatte mit meiner fernen Vergangenheit zu tun, von der ich so wenig wusste.


Am Waldrand schlossen wir die Räder an eine Laterne und machten uns auf den Weg querfeldein. Ganz bewusst konzentrierte ich mich auf die Lieder der Vögel und den Gesang der Pflanzen. Ich hoffte, bei ihnen einen Hinweis auf eines der Schwerter zu finden. Aber leider verstand ich die Lieder nicht. Ihr Sinn wollte sich mir nicht eröffnen. Vielleicht würde ich sie verstehen, wenn die Zeit dafür reif wäre.

Luna's Töchter

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