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Braunhöhe

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Noch einmal ließ er sich viel Zeit, obwohl er sich am liebsten nur so auf das Licht und die Wärme und die Sicherheit, nicht mehr länger allein zu sein, gestürzt hätte.

Er horchte, aber es war niemand in der Nähe. Er zog das Messer hervor und sah die Klinge an, sie reflektierte das bleiche Licht des Mondes auf ihrer kalten Oberfläche.

Dann schlich er aus seinem Versteck, eilte über ein offenes mit Gras bewachsenes Stück Land und lief weiter nach Braunhöhe, in Richtung auf das Haus mit den erleuchteten Fenstern.

Zehn Minuten später wanderte er auf das Gebäude zu, das sich gegen den Himmel auftürmte. Es lag im Verhältnis zu den anderen Häusern etwas abseits.

In allen Fenstern stand eine Kerze, die brannte. Draußen auf jeder Seite der schweren, soliden Tür hingen brennende Fackeln in rostigen Haltern aus Eisen.

Über der Tür, schräg an die Mauer geneigt, damit man es leichter lesen konnte, hing ein Schild mit der Aufschrift: Braunhöhe, Herberge & Gastwirtschaft. Das Schild war verblichen und von Wind und Wetter gezeichnet.

Balder schlich sich zu einem der Fenster, stellte den Rucksack auf die Erde und stellte sich auf ihn. Als er so stand, war er gerade groß genug, um hineinsehen zu können.

Drinnen war ein großer Raum. Auf der rechten Seite an der Wand entlang war eine lange Theke. Hinter der Theke stand ein großer, beleibter Mann mit einem mächtigen, roten Vollbart und trocknete ein Glas ab. An den ganzen Wänden entlang hingen Fackeln in den gleichen Haltern wie draußen.

Ganz hinten im Raum war eine große Feuerstelle. Es war Brennholz aufgelegt und ein warmes, knisterndes Feuer warf einen gemütlichen Schein in das Lokal.

Der große, hohe Raum war voller Tische, leeren Tischen.

Aber auf allen standen dieselben Kerzen wie in den Fenstern und brannten mit derselben flackernden, warmen Flamme.

Balder stieg vom Rucksack hinunter, schleuderte ihn um die Schulter und machte sich daran, an die Tür zu klopfen.

Als keiner kam und aufmachte, öffnete er selbst und trat hinein.

Der Mann hinter der Theke sah auf, stellte das Glas vor sich auf den Tisch und kam auf ihn zu. Während er ging, trocknete er seine großen Hände in einer Schürze, die um seinen dicken Wanst gebunden war.

Er blieb vor Balder stehen, sah ihn kurz an und ging dann an ihm vorbei und schaute aus der Tür. Dort stand er kurz und horchte, zuckte mit den Schultern, schloß die Tür und ging zurück.

Er stellte sich mit gespreizten Beinen und den Händen fest an den Hüften hin und der gewaltige Bauch ragte drohend vor Balder.

"Was verschlägt dich zu dieser Zeit der Nacht hierher?" fragte er mit tiefer Stimme.

"Ich bin hungrig," sagte Balder.

Der Wirt sah ihn mit einem forschenden Blick an, sah seine nasse Kleidung, die schlammigen Stiefel und die Tannennadeln in seinem Haar.

"Hmmm..." grunzte er dann. "Komm mit."

Darauf drehte er sich um und ging vor ihm zu einem Tisch nahe der großen Feuerstelle.

"Setz dich hier." Er zeigte auf einen Stuhl, der unter dem Tisch hervorgezogen war.

Balder stellte den Rucksack von sich an das Tischbein, hängte die Jacke über die Rückenlehne und rückte sich müde auf dem Stuhl zurecht.

Der Wirt ging fort zur Theke mit schweren, entschlossenen Schritten.

Kaum war er allein, da schlich der Schlaf sich zu ihm.

Sein Kopf war auf einmal so schwer und die Beine schmerzten nach dem langen Ritt in dem unwegsamen Gelände. Er war wund an dem einen Fuß, weil er ihn sich, unterwegs nach Braunhöhe, verstaucht hatte.

Er lehnte sich schwer über den Tisch mit dem Kopf auf den Händen ruhend und schloß die Augen. Einen Augenblick später schlichen sich Gedanken in ihn, Bruchstücke verwirrender Szenen.

Die Flucht von Dorntal, Saronrogn, der zahm nach ihm winkte, ein letztes Mal, während das Pferdegedonner zwischen den Bäumen zunahm. Dann grinste Per Runzelfratze sein schadenfrohes Grinsen, während er aus den Augenwinkeln Ylda schwach erkennen konnte, die die Bratpfanne zum Schlag hob. Darauf das schrille Geheule der Nachtwanderer und die Flammen, die durch das Dach tosten, es fast hochhoben, bis das Gebäude mit einem ohrenbetäubenden Krachen zusammenbrach, das über die Hügel widerhallte.

"Wach auf, junger Mann."

Irgendjemand klopfte ihm hart und andauernd auf die Schulter. Er setzte sich mit einem Ruck auf und glotzte sich verwirrt um. Dann erinnerte er sich, wo er war und rückte die Hand ein wenig näher zum Messer.

Der Wirt stellte eine Schale voll dampfenden, warmen Essens vor ihn hin. Neben die Schale legte er einen Löffel. Er zog ein grobes Brot unter dem Arm hervor und legte es an die Seite der Wasserkanne.

Die ganze Zeit studierte er Balders Gesicht mit einem unergründlichen Ausdruck in den Augen.

"Danke…" murmelte Balder.

"Iß jetzt erst einmal," sagte er. "Und erzähl mir dann hinterher, wer du bist, und warum du zu diesem unchristlichen Zeitpunkt herkommst."

"Was soll ich erzählen," dachte Balder und begann, zu essen. "Ich habe ja selbst fast keine Ahnung?"

Es gab Getobtes, Fleisch und Kartoffeln. Balder stopfte es sich in den Mund, ohne an etwas anderes zu denken, als nur satt zu werden, je schneller, je besser.

Der Wirt zog einen Stuhl hervor und setzte sich ihm gegenüber.

Balder aß und vermied, ihn anzusehen. Er war groß und stark, und es hatte etwas drohendes, die Art und Weise, wie er sich aufführte.

Er hatte gelernt, niemandem zu trauen.

Die braunen Augen des Wirts verweilten auf den blauen von Balder. Sie bemerkten sein blondes Haar und die schlanken Finger, die den Löffel hielten.

Und als Balder das erste Mal in seine Augen unter den schwarzen, buschigen Augenbrauen aufsah, entdeckte er Freundlichkeit in dem Blick des Anderen.

"Wen suchst du?" fragte der Wirt leise.

Balder dachte kurz nach, schüttelte dann vorsichtig den Kopf und aß weiter.

"Mein Name ist Jord Faro," sagte der Mann. "Jord Faro von Braunhöhe. Ich bin in weitem Umkreis bekannt, weil ich diese Stelle hier habe. Alle Reisenden dieses Reiches kommen mindestens einmal in ihrem Leben hier vorbei."

"Kennst du sie alle beim Namen?" fragte Balder.

"Nicht alle," sagte Jord Faro. "Aber die meisten. Alle die aus Dandar kommen, will ich meinen. Gibt es einen an dem du ganz speziell interessiert bist, von ihm zu hören?" Er legte den Kopf etwas schräg und lächelte listig.

"Javer," sagte Balder. "Erzähl mir von einem, der Javer heißt."

Jord Faro erstarrte, drehte dann den Kopf und schaute zur Tür, entspannte sich und sah Balder wieder an. Dann lehnte er sich über den Tisch, sodaß das Licht flackernde Schatten auf sein rotwangiges, massiges Gesicht warf und die Augen wie in zwei tiefen, dunklen Löchern erscheinen ließ.

"Was weißt du von Javer, Bursche?" Er klang nicht unfreundlich, sondern mehr unendlich mißtrauisch.

Balder fühlte, daß genau hinter diesem Mißtrauen ein mächtiger, allesüberschattender Zorn lauerte.

"Nicht recht viel," antwortete er fromm. "Nichts anderes, als daß ich ihn finden soll. Warum weiß ich nicht, noch nicht."

Er legte den Löffel von sich und schob die Schale mitten auf den Tisch.

"Danke für das Essen."

Jord Faro erhob sich, schob den Stuhl zurück und pflanzte seine geballten Fäuste auf die Tischplatte.

"Was soll ich mit dir machen, Bursche? Was soll ich mit einem machen, der die Frechheit besitzt, mitten in der Nacht hier herein zu brausen und nach Javer zu fragen?"

Balder schob seinen Stuhl rückwärts nach hinten auf die offene Feuerstelle zu, außerhalb Faros Reichweite. Gleichzeitig zog er das Messer.

Die Kinder der Wellen

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