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Der Fluch

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Ein kalter, feuchter Wind jagte durch den Wald, wand sich zwischen den Bäumen hin und her...

Die Stämme waren dick und knorrig. Sie waren so alt wie die Welt selbst, sagte man. Sie standen so majestätisch da. Etwas gebeugt, wenn man genau hinsah, aber nichtsdestotrotz war etwas Stolzes an ihnen. Am Ufer des Sees hörte ihre Verbreitung auf.

Das Wasser gluckerte zwischen den Steinen, und der Wind erzählte im Schilf mit seiner flüsternden Stimme.

Und weil es Herbst war, fielen die Blätter von den großen Baumkronen und legten sich wie ein dämpfender Teppich über den Waldboden und wie kleine Boote auf die Kräuselungen des Sees.

Weil es früher Abend war, war die Sonne hinter den Baumspitzen untergegangen und hatte oben am Himmel einen flammenden Feuerschein hinterlassen. Die Dunkelheit lauerte zwischen den Bäumen und hinter dem Wald, wartete darauf, daß die Sonne verschwinden würde und sie hervorkommen ließ. Der Herbst, stark in seinen kräftigen Farben, erfüllte die Luft mit Düften und erinnerte daran, daß der Winter nicht mehr weit war.

Das Geräusch von schleppenden Füßen hallte zwischen den Bäumen wieder, nahm langsam zu und hallte über den See. Schwere, müde Schritte waren von einem zu hören, der sich durch die feuchten Blätter schleppte.

Er lief stöhnend zwischen den Bäumen davon, so müde, daß er manchmal die Balance verlor und mit der Schulter oder einem Arm gegen die grobe, knorrige Rinde eines der großen Bäume schlug. Dann stieß er einen leisen Fluch aus, hielt an, blieb etwas stehen, um sich zu erholen, keuchte nach Luft und lief weiter.

Er war ein alter Mann.

Seine runzligen Hände zogen den Hut um das Gesicht mit den tiefblauen Augen und dem dichten, grauen Bart zusammen, der unter der Nase und an den Mundwinkeln leicht vergilbt war.

Er lauschte. Die Augen warfen furchtsame Blicke in die Schatten. Zusammengekniffen, spähend...

Er hörte es. Dröhnenden Hufschlag von Pferden - vielen Pferden in hitzigem Tempo auf dem Weg hinter ihm. Er hoffte auf die Dunkelheit. Die Dunkelheit, die ihn verstecken und von den Verfolgern befreien könnte.

Er lief weiter mit dem schwarzen Mantel, der in der Luft hinter ihm her flatterte. Den Hut hielt er mit der einen Hand zusammen, während er versuchte, mit der anderen die Äste beiseite zu schieben.

Dann mußte er stehenbleiben.

Die Augen wurden groß und suchten unter dem Hut nach einem anderen Weg fort von hier. Aber es gab keinen.

Ein See lag vor ihm wie eine große, spiegelblanke Fläche und setzte eine Grenze, wie weit er gelangen sollte.

Er drehte sich um und versuchte, zu entspannen. Es war überstanden. Langsam richtete er sich auf und fand die Würde wieder. Darauf zog er seine gekrümmte Hand aus dem Mantel, hob eine Kristallkugel hoch und starrte in sie hinein. Aber da war nichts - sie war leer.

Er seufzte leise.

Reiter sprengten zwischen den Bäumen hervor. Der Lärm nahm zu, ein Getöse in der Dämmerung verkündete seinen Tod, wie den von so vielen anderen vor seinem.

Er schloß die Augen, lächelte still vor sich hin, während das Gedonner der Pferde an Stärke zunahm, ihn umschloß und einen Augenblick so stehen ließ, allein mit seinen eigenen Gedanken.

Der Junge - ihn hatte er an einem sicheren Ort versteckt. Dort würden sie ihn niemals finden. Ihm fehlte nur das letzte - den Fluch auszusprechen...

Er öffnete die Augen - langsam, wie jemand, der aus einem Traum erwacht.

Sie hatten um ihn herum Aufstellung genommen, zehn - zwölf Meter weg. Vierzig schwarze Pferde erreichten in einem Halbkreis das Ufer zu beiden Seiten seiner gekrümmten, einsamen Gestalt. Sie rasselten mit dem Zaun zeug, eine letzte Symphonie zu Ehren von ihm.

Er brauchte seine Sinne, sandte seine unsichtbaren Fühler aus, las was sie dachten und fühlten, als sie ihm begegneten – Angesicht zu Angesicht.

Sie fürchteten ihn, und die Furcht machte sie unentschlossen. Nur die Angst vor dem Führer trieb sie mit einer furchtsamen, bebenden Wut voran.

Der größte von ihnen lehnte sich vor mit seiner einen Faust, die in einem Handschuh steckte, in die Seite gedrückt.

Er schimmerte blank an den Stellen seines Körpers, die sein schwarzes Gewand nicht bedeckte. Nur sein Gesicht mit dem kräftigen Unterkiefer war nicht von dem Panzerhemd bedeckt.

"Worüber grinst du, alter Mann?" Das war er, den sie Lothar nannten. Lothar Hug, wenn man es genau wissen will.

"Hmmm…" seufzte der Alte. Das war seine Antwort.

"Alter Narr," sagte der Große auf dem Pferd. "Wir haben eine Rechnung offen. Aber erst sollst du mir noch etwas erzählen."

Der Alte schloß die Augen, fühlte die glatte, kühle Kristallkugel zwischen seinen schlanken, runzligen Fingern.

Die Pferde schlugen mit den Hufen. Es waren ungeduldige Pferde, ungeduldig, wie ihre Reiter.

"Töte ihn," flüsterte einer.

Er hörte es ganz deutlich - hörte jeden einzelnen von ihnen seinen Tod durch die zunehmende Dunkelheit flüstern.

"Wo ist der Bengel?" fragte der Anführer.

Der Alte antwortete ihm nicht sofort.

"WO IST ER HIN?" rief er, sodaß es zwischen den Bäumen dröhnte.

Der Alte öffnete die Augen, sah auf die Räuber, seine Mörder und die Pferde...

"Er ist außerhalb deiner Reichweite," antwortete er leise. Dann hellte sich sein müdes, zerfurchtes Gesicht auf mit einem zufriedenen Lächeln, das bis zu den Augen reichte.

"Du findest ihn nie, auch wenn du dein ganzes Leben dafür brauchst."

Die Pferde stampften die Hufe in die weiche Erde.

Es sang in der Luft, ein harter Ton mit einem harten Klang, als Lothar sein Schwert aus der Scheide zog und es drohend über seinen Kopf hob.

Der Himmel war rot wie Blut zwischen den schwarzen Armen der Baumkronen, die sich nach oben streckten, ohne etwas zu erreichen.

Die anderen machten es wie er. Zogen die Schwerter mit dem gleichen, kalten Geräusch in der Stille.

"Ich bin jetzt König," sagte Lothar und sah sich um. Die anderen nickte zustimmend.

Der Alte sah ihn an und schüttelte traurig den Kopf.

"Du wirst nie König," sagte er mit Nachdruck. "Es gibt nur einen König..."

Lothar entblößte seine gelben Zähne mit einem breiten Grin-sen.

"Es gab!" triumphierte er. "Er ist tot. Mein Schwert ist immer noch blutig."

Die anderen zeigten ihre Zähne und machten seine Art, zu Grinsen, nach.

Die Klingen schimmerten in der Dämmerung. Es war so still an diesem Abend am See.

"Ich gebe keinen Heller für dich und deine Zauberkünste," sagte Lothar hart. "Du kannst dich jetzt nicht mehr selbst befreien."

"Hast du Angst vor mir?" fragte der Alte.

"Ha!" antwortete Lothar.

"Ich kann einen Fluch über dich und deine Söldner verhängen," sagte der Alte langsam. "Wenn du wagst, es mich tun zu lassen..?"

"Mach was du willst," spottete Lothar. "Ich fürchte niemanden."

Der Zauberer hob die Hand mit der klaren Kristallkugel hoch über seinen Kopf, während er sie beobachtete.

Die Reiter bewegten sich unruhig im Sattel, während sie verstohlene Blicke auf Lothar warfen. Sie fürchteten den Zauberer, genau wie sie Lothar fürchteten.

"So prophezeie ich..." begann der Zauberer. "Der Tag wird kommen, da du hier stehen wirst, wo du heute stehst - und er wird hier stehen, wo ich stehe. Und wenn du auch glaubst, daß du ihn töten kannst, er wird Hilfe bekommen."

Mit diesen Worten wandte er ihnen den Rücken zu und hob die Kugel über den See.

"Ich verfluche Lothar Hug und seine schlechten Gesellen. Ich schwöre beim Spiegel dieser Zeiten, daß der Tag kommen wird, an dem er, der Prinz, die Hilfe der 'Kinder der Wellen' erhalten wird." Das abnehmende Licht blitzte in einer Flut aus Farben von der Kristallkugel in seiner Hand.

"Kinder der Wellen?" flüsterten die Räuber.

Lothar ignorierte sie. Er zeigte auf jeden Fall seine Furcht nicht, sondern trocknete die Klinge mit seinem Handschuh.

"Hört ihr mich..?" rief der Zauberer mit heiserer Stimme.

Ein plötzlicher Windstoß fegte über den See, auf dem sich Wellen bildeten. Der Wind flüsterte durch die Baumkronen, flüsterte mit seiner tonlosen Stimme, daß es nicht vergessen werden würde.

Der Zauberer drehte sich um. "Ich habe das Meine getan, nun ist meine Zeit um - in dieser Welt. Ich bin bereit..."

Er betrachtete die Baumkronen über ihren Köpfen mit traurigen Augen. Mit einem Blick, der die Sehnsucht des Abschieds und des Schmerzes enthielt, aber gleichzeitig mit der Ruhe, die der Erkenntnis entspringt. Er hatte keine andere Wahl - und er sah es ein.

"Dann stirb!" rief Lothar und spornte sein Pferd. Er trat dem Pferd die Hacken in die Flanken, sprengte voran auf das Ufer zu und hob das Schwert zum Schlag. Die Reiter warteten mit den Waffen im Anschlag.

Mit der Aufbietung seiner letzten Kräfte schleuderte der Zauberer die Kristallkugel auf die Erde, genau vor seine Füße. Die Kugel zersplitterte auf einem Stein und hüllte ihn in einen dichten, stickigen Rauch.

Lothars Pferd bäumte sich auf, und er hatte genug damit zu tun, sich im Sattel zu halten.

Als der Rauch zwischen das Schilf forttrieb, lag der Mantel des Zauberers auf der Erde. Er war leer...

Sie suchten überall nach ihm. Sie suchten am Ufer entlang und zwischen dem Schilf am Wasser, aber er war weg.

Lothar schimpfte und wütete, aber es half nichts.

Der Zauberer war verschwunden und mit ihm verschwanden all seine Hexenkünste von dieser Welt.

Vielleicht konnte er doch etwas zaubern, meinten die schwarzen Reiter. Aber sie wagten nicht, vor Lothar darüber zu sprechen. Sie brachen auf, spornten ihre Pferde und galoppierten durch den Wald.

Der letzte, der den Ort verließ, war Lothar. Zwischen den Bäumen hielt er das Pferd an und blickte ein letztes Mal zurück auf den See.

Das Wasser war rot - wie Blut.

Das Schilf stand in dichten Büscheln, aber es war kein Schilf mehr. Es waren Speere mit langen, blanken Spitzen, die im Mondlicht glänzten. Tausende von Speeren, die durch den Schlamm aufgeschoßen waren und warteten.

Lothar schwitze. Es zitterte leicht um seine Mundwinkel, als er mit der Rückseite des groben Stahlhandschuhs den Schweiß vom Gesicht trocknete. Sein Blick flackerte den See auf und ab, betrachtete das Schilf, das kein Schilf mehr war.

Die Worte des Zauberers klangen immer noch vor seinem inneren Ohr. Schließlich fiel ihm ein, daß die Reiter zwischen den Bäumen auf ihn warteten. Er wurde zornig, zornig über seine eigene Angst und zornig darüber, daß sie sich darüber klar waren.

Dann steckte er sein Schwert in die Scheide, drehte um, gab dem Pferd sie Sporen und verschwand zwischen die Bäume.

Der Mantel des Zauberers blieb am Ufer zurück liegen.

Keiner hatte gewagt, ihn anzurühren.

Um ihn herum lagen die kleinen Scherben der Kristallkugel und schimmerten feucht.

Die Kinder der Wellen

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