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Per Runzelfratze

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Erst wagte er nicht, sich umzudrehen, dann zog er das Messer aus der Scheide und wirbelte herum.

"Na, na, langsam, mein, junger Freund."

Es war ein alter Mann. Nach dem Aussehen zu urteilen, mußte er mehrere hundert Jahre alt sein.

Er hielt immer noch mit der einen krummen Hand Balders Ärmel fest. Die andere hielt er schützend vor sein Gesicht, beim Anblick des Messers.

"Sei so nett, und laß mich los," bat Balder.

Der Alte entblößte sein zahnloses Zahnfleisch mit einem starren Lächeln. Aber es erreichte nicht seine Augen, die hart und hinterlistig waren. Seine ganze uralte Fratze verschwand in tiefen Falten.

Es war etwas an ihm, an den Augen, dachte Balder. Vielleicht war es bloß, weil sie grün waren, vielleicht war es ein Gefühl, das er irgendwo in seinem Bewußtsein hatte. Er fühlte eine innere Unruhe, wenn er in die harten Augen des Fremden sah.

Das Messer glühte schwach und zischend.

"Das ist ja..." begann der Greis. Dann schwieg er und ließ Balders Arm los.

"Das ist was?" fragte Balder und drückte fest den Schaft.

"Ach, gar nichts." Er schüttelte gleichgültig den Kopf. Dann warf er einen schiefen Blick auf das Messer und kratzte sich mit seiner groben, runzligen Hand am Kinn.

"Bist du allein?" fragte er neugierig.

"Warum fragst du?" fragte Balder.

"Du kannst nachts nicht über die Brücke gehen," sagte er heiser. "Wenn Vollmond ist streifen sie herum."

Während er sprach, runzelte er die Brauen und schaute über den Fluß und weiter über die Wiesen.

"Wer streift herum?"

"Die Wölfe, Bursche. Die Wölfe von Wolftal. Die nächste Stelle um Schutz zu suchen, ist Braunhöhe, aber das ist jetzt für dich zu weit. Sie finden dich lange bevor du es erreichst." Er nickte kräftig um den Ernst von dem, was er gesagt hatte, zu unterstreichen.

"Hmmm.. dachte Balder. Was nun?

"Du kannst bis morgen bei uns in der Mühle bleiben. Mutter kann dir eine Portion warme Grütze machen, wenn du etwas für die Mahlzeit arbeitest."

"In Ordnung." antwortete Balder. "Ich bin hungrig genug."

Der Greis setzte wieder sein starres, zahnloses Lächeln auf. "Packst du dann nicht das widerliche, zischende Messer weg?"

Balder steckte es in die Scheide. Es protestierte mit einem Aufflackern, aber erst in der Scheide.

"Brennt es?" fragte der Alte unschuldig.

"Nein." Balder schüttelte den Kopf. "Aber es glüht, wenn Gefahr im Anzug ist."

Der Alte hielt ihn wieder am Arm fest.

"Nun sollten wir lieber hineingehen. Da bist du in Sicherheit bis morgen. Wie heißt du eigentlich?"

"Balder. Wie heißt du?"

"Per Runzelfratze nennt man mich. Komm, es ist bald dunkel wie in einem Grab."

Während sie auf das mit Fensterläden geschlossene Gebäude zugingen, hielt er ihn weiter am Ärmel fest. Fast, als ob er Angst hatte, daß er entwischen würde, dachte Balder.

Innen in der Mühle hinter den verschlossenen Fenstern traf er Per Runzelfratze's Frau, Ylda. Sie sah aus als wäre sie mindestens ebenso alt wie Runzelper, gleichzeitig war sie eine kleine, dicke Person mit aschgrauen Haaren, das in einem Knoten im Nacken endete. Sie hatte dieselben harten, grünen Augen, aber sie lächelte nicht.

"Komm und grüß Balder," sagte Per Runzelfratze und schlug die Hände aufeinander. Sie begnügte sich damit, uninteressiert zu nicken und starrte auf Balders Messer am Gürtel. Danach stellte sie einen extra Blechteller auf den Tisch an der Feuerstelle und trug die Grütze herein.

Per Runzelfratze schloß die Türen und verriegelte sie. Danach verkeilte er einen soliden Balken vor jeder von ihnen, sodaß sie von außen nicht aufgesprengt werden konnten.

"So, jetzt können wir in Frieden essen," murmelte er zufrieden.

Ylda hatte schon die Grütze aufgefüllt. Sie zeigte auf einen Stuhl - dort sollte Balder sitzen.

Während sie aßen, bemerkte Balder, daß sie ihn beobachtete. Sie sagte nicht ein einziges Wort, starrte ihn aber jedes Mal, wenn er den Löffel zum Mund führte, abschätzend an.

Balder verschlang alles, so gut er es konnte, denn die lange Wanderung hatte ihn ordentlich hungrig gemacht.

Per Runzelfratze wollte wissen, wo er herkam? Wo er hin wollte? Ob jemand hinter ihm her war? Ob er vielleicht ein schlimmer Bursche war, der etwas angestellt hatte und nun von zu Hause weggelaufen war? Wie alt er war? Und als er antwortete, daß er sechzehn sei - im Frühjahr siebzehn würde, redete Per Runzelfratze darüber, wie es vor vielen Jahren gewesen war, als er selbst sechzehn gewesen war.

Es flimmerte vor Balders Augen.

Er sah Ylda an und versuchte, sie mit seinem Blick festzuhalten. Ganz langsam wurde sie undeutlich...

Runzelfratze redete und redete. Seine Worte wurden ein monotones, verzerrtes Gemurmel im Hintergrund, verwirrend und stumpfsinnig.

Er betrachtete den Löffel in seiner Hand mit einem apathischen Blick.

Er verschwand, wurde ein glitzerndes Stück Metall aus dem die Grütze dampfend Form annahm und zu einem lebenden Wesen wurde, das zu ihm sprach und ihn verhöhnte, mit Per Runzelfratze's entnervender Stimme.

Langsam sank er in ein schwarzes Loch, ohne Bewußtsein, ohne Willen.

Ylda knallte hart den Löffel auf den Tisch.

Balder sprang auf. Seine Hand schnellte zum Messer hinunter, das zischend aus der Scheide fuhr. "So, so," schrie Per Runzelfratze triumphierend. "Du hast dich wohl einfach überfressen, mein junger Freund."

Balder stand unsicher auf den Beinen und schwankte vor und zurück.

Ihm fielen die Worte des Schwarzen Sarons ein, die letzten, die er gesagt hatte, bevor sie sich trennten:

"Vertraue nie jemandem. Niemandem, außer Javer."

Das Messer glühte in seiner Hand.

"Ich will hier nicht schlafen!" rief er laut.

"Hmmm, na - doch nicht, vielleicht," murmelte Runzelper und blinzelte zu Ylda. Sie stand mit einer Bratpfanne in der Hand auf der anderen Seite des Tisches.

"Ich gehe jetzt," sagte Balder. "Wenn du versuchst, mich daran zu hindern, dann töte ich dich alten Aasgeier." Er hielt drohend das Messer vor sich.

"Und dich auch," zischte Balder an Ylda gewandt.

Per Runzelfratze Paßte ständig auf, daß er genug Abstand von ihm hatte.

Seine kleinen, blinzelnden Augen bewachten das Messer.

"Ich meine es so," drohte Balder.

Ylda stellte mit einem Seufzer die Bratpfanne auf den Tisch, und Runzelper setzte eine verständnisvolle Miene auf.

"Du kannst draußen in der Scheune schlafen. Die frische Luft da draußen wird dir gut tun."

Balder nickte stumpfsinnig. "Du nimmst meinen Rucksack."

Er zeigte mit dem Messer auf Per Runzelfratze.

Ylda blieb beim Tisch stehen mit einem enttäuschten Ausdruck im Gesicht.

Schließlich lag er im Heu mit dem Messer an der Seite und dem Kopf auf dem Rucksack.

Per Runzelfratze wünschte ihm eine gute Nacht und schloß das Tor von außen.

Er hörte, wie ein Riegel vor das Schloß geschoben wurde, danach Runzelfratze lahmende Schritte über den Hofplatz.

Balder hob sich langsam auf die Ellbogen und schleppte sich dann zum Tor. Etwas später lag er wieder im Heu mit dem Kopf auf den Rucksack gestützt und geschlossenen Augen. Der Balken, der fest verkeilt war, knarrte leicht, als der Wind zunahm. Er war eingeschlossen, aber sie waren auch ausgeschlossen.

Dann fiel er langsam in einen unruhigen Schlaf.

Die Kinder der Wellen

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