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|33|III „Vollendete Gymnasial-Bildung“
Lennés Schulzeit

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Peter war zum Zeitpunkt der Besetzung Bonns vier Jahre alt, beim Sturz Napoleons 24. In diesen zwanzig Jahren war die Existenzangst ständiger Begleiter der Familie. Die gewohnten Sicherheiten waren dahin. Leib und Gut waren fortwährend bedroht. Eine provisorische Regierungsform folgte auf die andere, es war völlig offen, wovon man morgen leben sollte. Die Armee schleppte Krankheiten ein. Unmittelbar neben der Orangerie befand sich im Rheinflügel des Schlosses ein Lazarett. Peter erkrankte schwer an den Pocken. Sein Gesicht gab davon zeitlebens Zeugnis, und es liegt nahe, dass er Kompensation suchte.

Ob er die 1785 gegründete Stadtschule besuchte, ist nicht bekannt. Die französischen Besatzer reüssierten im Bildungswesen nicht. Es kam vielmehr gegenüber den Reformen des Kurfürsten Max Franz zu einem „deutlichen Rückschritt“1. Max Franz hatte die Schulpflicht vom 6. bis 10. Lebensjahr eingeführt. Die Franzosen hielten nicht daran fest. Das niedere Schulwesen wurde „auf Wissensvermittlung über das neue politische System reduziert“.2

Seinem eigenen Lebenslauf nach absolvierte Peter „die Gymnasial-Studien in seiner Vaterstadt“. Diese Aussage ist allerdings fragwürdig, weil er gleichzeitig eine Gärtnerlehre beim Vater gemacht haben will und für den Gärtnerberuf der Gymnasiumsbesuch entbehrlich war. Als Vorbereitung auf den Universitätsbesuch wäre der fünfjährige Besuch des Gymnasiums plausibel gewesen. Vielleicht hat Vater |34|Lennés langjährige Nebenbeschäftigung mit Botanik ihn auf den Gedanken gebracht, Peter Naturwissenschaften studieren zu lassen.

Das alte Bonner Jesuitengymnasium war nach Aufhebung des Ordens 1774 eine kurfürstliche Anstalt mit geistlichen Zügen geworden, die im Wesentlichen aus den ehemaligen Jesuitengütern finanziert wurde. Seit der Gründung der Universität im Gebäude des Gymnasiums 1786 befand es sich auf der anderen Seite der Bonngasse im ehemaligen Jesuitenkolleg. Im Erdgeschoss wurde unterrichtet, in den Obergeschossen wohnten die Lehrer, je einer für Mathematik und Geschichte, Rhetorik, Poesie, Syntax sowie zwei für die beiden Vorbereitungsklassen. Sie trugen das geistliche Habit, und auch die Schüler mussten schwarz tragen. Die lateinische Sprache stand im Mittelpunkt der Lehre.

Nach der Flucht des Kurfürsten 1794 hielten die Lehrer den Betrieb der Schule so weit wie möglich aufrecht. Das Schulgebäude wurde von den Franzosen nicht beansprucht. Da sich die Lehrer aber am 3. Dezember 1797 weigerten, der Republik die Treue zu schwören, beschlagnahmte die Intermediärkommission den Universitätsfonds, aus dem sie hätten bezahlt werden sollen. Sie mussten nun mit der geringen Summe auskommen, „welche die Schüler für die Überwachung bei ihren Arbeiten im sog ‚Silentium’ zu zahlen hatten“.3

Als Zeitpunkt für den Eintritt Peters käme Ostern 1800 in Frage, als er zehn Jahre alt war. Manche Gymnasien nahmen schon achtjährige Schüler auf. Die beiden Vorbereitungsklassen (Quinta und Quarta) scheinen allerdings in Bonn gar nicht mehr betrieben worden zu sein. Das provisorisch in Privatinitiative weitergeführte Gymnasium wurde am 18. März 1803 als École secondaire anerkannt, ohne dass die Finanzierung geklärt war, und bestand als solche bis Herbst 1806.4 Da Peter in den Schülerlisten des Gymnasiums nicht verzeichnet ist, scheint es zweifelhaft, ob er es tatsächlich besuchte. Dagegen spricht auch, dass sich Karoline Schulze, die Tochter des Potsdamer Gartendirektors, später über Lennés mangelnde Lateinkenntnisse mokierte und bemerkte: „Er hatte etwa die Schulbildung erlangt, wie sie auf preußischen Gymnasien in Quarta ertheilt wird.“5

Rudler wollte in Bonn seit 1798 eine École centrale errichten. Dieser Schultyp diente hauptsächlich der Ausbildung von Ärzten und |35|Juristen. Naturwissenschaftlicher Unterricht spielte eine starke Rolle. An jeder Schule war ein Garten vorgeschrieben. Der Bonner Schule wurden die Kurfürstliche Anatomie und der Botanische Garten zugeteilt. Das Personal sollte sich großteils aus dem der ehemaligen Universität rekrutieren, den Professoren Joseph Claudius Rougemont (Medizin), Ferdinand Wurzer (Naturwissenschaften), Udalrich Odenkirchen (alte Sprachen), Christ (Mathematik), Tribolet (Französisch), dem Prosektor Tils, dem „Botaniker“ Lenné und dem Pedell Schmitt. Der Regierungskommissar Shée nannte das Verzeichnis „der seltnen und nützlichen Pflanzen, die im botanischen Garten durch die Sorgfalt des Direktors desselben, Bürger Lenné aufbewahrt werden“, ausdrücklich als ein Motiv, die Schule in Bonn zu etablieren.6 Die Schulgärten gehörten zu den wenigen Gärten, die in den neuen Departements überhaupt vom französischen Staat unterhalten wurden.

Für Vater Lenné in seiner Funktion als Botanischer Gärtner war die École centrale daher nicht ohne Bedeutung. Ihre Einrichtung zog sich jedoch noch zwei volle Jahre hin – einerseits, weil die Professoren den Eid auf die Republik, der Voraussetzung für eine Anstellung war, verweigerten; andererseits, weil die Gehälter nicht aufgebracht werden konnten. Ein Teil der bisherigen Einkunftsquellen lag rechts des Rheins und war daher dem Zugriff der französischen Behörden entzogen. Das volle Professorengehalt betrug 1.200 Francs, stand aber nicht für alle zur Verfügung, da insgesamt für die Schule nur 7.300 Francs ausgewiesen waren und vier weitere Professoren angestellt wurden. So schlug der Regierungskommissar Geich dem alten Personal unter Berufung auf die „Vaterlandsliebe“ vor, sich das Gehalt mit den neuen zu teilen. „Wurzer, Christ, Odenkirchen und Tils willigen darein, Garten Inspector Lenné begnügt sich mit 300 Francs, und der Pedell Schmitt mit 250. Tribolet reservirt sich sein volles Gehalt.“ 7 Als am 28. Frimaire (18. Dezember 1798) der Eid gefordert wurde, war Vater Lenné, dem eigentlich 500 Francs zustanden, unter denen, die schworen. Seine Tätigkeit, die mit „Aufsicht über den botanischen Garten“ bezeichnet wird, umfasste weiterhin keine Lehraufgaben. Zumindest bekam er ein kleines Gehalt, auch wenn es zum Leben nicht ausreichte. Im Sommerhalbjahr |36|1800 gelang es dem Präfekten Bouqueau, die École centrale tatsächlich in Betrieb zu setzen.8

Lenné selbst schrieb 1853: „Frühzeitig durch die Stellung seines Vaters auf botanische Studien hingewiesen, fand er darin bei dem Universitätslehrer Dr. Crefeld wirksame Unterstützung.“ 1858 heißt es gar, er habe sich „an der Universität umfassende botanische Kenntnisse“ angeeignet. Allerdings gab es von 1794 bis 1815 gar keine Universität in Bonn. Es kann sich also allenfalls um die École centrale gehandelt haben. Das Aufnahmealter betrug zwölf Jahre. Lenné hätte seinen 12. Geburtstag im September 1801 abwarten müssen, um sie ab Frühjahr 1802 besuchen zu können.

Verbürgt ist, dass der Arzt Johann Heinrich Crevelt (1751–1818) seit 1798 auf eine Anstellung an der École centrale wartete, aber erst am 28. März 1800 zum Professor ernannt wurde. Er sollte den Unterricht in Spezialtherapie, Naturgeschichte und Botanik erteilen. Klebe aber schrieb 1801, weder erhielten die Professoren „richtig ausgezahlte Besoldungen“, noch kämen Schüler, „da fast niemand in und um Bonn herum“ wüsste, dass diese Schule überhaupt existierte.9 Nach dem Vorlesungsverzeichnis vom Sommer 1801 lehrte Crevelt lediglich in Privatlektionen Arzneimittellehre nach Conrad Moench. Irgendwie mag Vater Lenné erreicht haben, dass Peter bei Crevelt zuhören durfte.

Das Schulgesetz (Loi générale sur l’instruction publique) vom 11. Floréal X (1. Mai 1802) schrieb die Abschaffung der aus dem Geist der Revolution entstandenen Zentralschulen und die Einführung wiederum anderer Schultypen vor. Schulgärten waren nicht mehr vorgesehen. Auf diese Neuigkeit hin beklagte sich Vater Lenné bei André Thouin (1747–1824), dem Leiter des Pariser Jardin des Plantes, und bat um seine Unterstützung, um den Rang des Jardinier botaniste behalten zu können.10 Die Regierung hatte erneut angeordnet, die alten Orangenbäume aus Bonn abzuziehen. Vater Lenné versuchte dies mit dem Hinweis auf mögliche Transportschäden zu verhindern, doch musste er Ende August 1802 40 kurfürstliche Orangenbäume zum Stadtpalais des Präfekten Boucqueau in Koblenz bringen.11 Einige kamen dann von dort an den Jardin des Plantes.

|37|Der Betrieb der École centrale wurde im Herbst 1803 eingestellt.12 Maximal anderthalb Jahre hätte Peter sie also besuchen können. Den Botanischen Garten scheint Vater Lenné dennoch weiter gepflegt zu haben. Die damalige Stimmung in Bonn wird in einer Eingabe der Professoren an Boucqueau deutlich:

„Ganze Familien wandern aus, um anderswo ihren Lebensunterhalt zu suchen, den sie hier nicht mehr finden können. Der empfindsame Wanderer flieht den Ort in Eile, um nicht die Klagen der Einwohner hören, um nicht in ihr Angesicht schauen zu müssen, dem der Stempel des Elends aufgeprägt ist.“13

Ein Bildungsdefizit Lennés ist nicht von der Hand zu weisen. Die deutsche Rechtschreibung beherrschte er, als er nach Potsdam kam, tatsächlich nur mangelhaft, verbesserte sie aber im Lauf der Jahre bedeutend. Er war klug und ehrgeizig genug, um sich die Kenntnisse anzueignen, die er benötigte. Auffallend oft betonte Lenné seine gute Bildung. Der „für seinen Stand sehr gebildete“ Vater, seine „Gymnasial-Studien“, die „vollendete Gymnasial-Bildung“, seine „very competent education“ oder gar sein Universitätsbesuch entpuppen sich jedoch als Fiktionen. Seine geringe Bildung muss ihn, der viel mit gebildeten Menschen umging, sehr belastet haben, zumal er selbst von seinen Schülern den Gymnasialabschluss verlangte. Er konnte diesen Mangel unmöglich preisgeben.

Der Gartenkünstler Peter Joseph Lenné

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