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|7|Auf den Spuren Lennés

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Von der Grabstätte Thouin auf dem Père Lachaise, 11. Abteilung, konnte man einst über Paris schauen. Heute verstellen Bäume die Aussicht, und junge Efeuranken bedecken einen Teil der Grabschrift. Nur mit Mühe kann ich sie lösen. André war als Erster gestorben, gefolgt von seinen drei Brüdern und seiner Schwägerin. Durch den Besuch am Grab in diesem Frühjahr weiß ich, dass der jüngste Bruder Jean Gabriel hieß und 1754, nicht 1747 geboren wurde, wie man überall lesen kann. Aber ob Lenné ihn jemals getroffen hat, als er in Paris war, und ob er sich von ihm anregen ließ, wie alle behaupten, werde ich wohl nie erfahren.

Manche Fragen zum Leben Lennés sind offen, auch wichtigere. Welche der zahllosen ihm zugeschriebenen Gärten hat er wirklich entworfen? Stammen nicht die meisten Entwürfe von seinen Mitarbeitern? Welche der großen Bäume, die wir heute bewundern, gehen auf ihn zurück?

Auf dem Weg nach Charlottenhof komme ich an einem uralten Trompetenbaum vorbei, der Stamm liegt gewunden auf der Erde. Hier befand sich die Sanssouci-Baumschule, die Lenné durch eine landschaftliche Gartenpartie ersetzte. Der Baum könnte der letzte Rest dieser Anlage sein, in der die Mutterbäume alphabetisch auf einer Rabatte angeordnet waren. So steht es auf der Tafel, die Gerd Schurig von der Gartendirektion aufgestellt hat. Aber er könnte auch von Lenné oder einem seiner Nachfolger gepflanzt worden sein. Erst wenn der Baum gefällt ist, kann man die Jahresringe zählen. Sofern er nicht hohl ist.

Das meiste, was bisher über Lennés Leben geschrieben wurde, beruht auf seinen eigenen Angaben. Er selbst wünschte sich eine Biographie, |8|durch die sein Wirken der Nachwelt überliefert wird. Wie er sich dargestellt wissen wollte, hatte er 1853 in seinem Lebenslauf für die Akademie der Künste angedeutet und diversen Gesprächspartnern nahegebracht. Seine besten Lebensjahre lagen in der Zeit der Romantik. 1814 hatte Lenné in Wien beschlossen, den Gärtner hinter sich zu lassen und Künstler zu sein, Gartenkünstler mit allen Attributen des Unabhängigen und Genialen, wie es die Zeit liebte.

Aus seinen Selbstauskünften entstanden die ersten Würdigungen in Zeitungen und Zeitschriften. Die biographischen Angaben in Kopischs Geschichte der Königlichen Gärten 1854, in der Leipziger Illustrirten Zeitung 1858, in Dietrichs Encyclopädie der Gartenkunst 1860, in Karl Kochs Nachruf 1866 und in der Deutschen Gärtnerzeitung 1878 ähneln Lennés eigenen Worten derart, dass ihr Ursprung unverkennbar ist. Auch der biographische Aufsatz des Musikers Hermann Wichmann (1887) „Peter Lenné hinter dem grünen Gitter“ geht auf Erzählungen Lennés zurück.

Lenné-Denkmäler gibt es viele. Das älteste unter ihnen, die marmorne Lenné-Herme von 1848, steht in einem abgelegenen Teil des Parks von Sanssouci, der von Touristen kaum besucht wird. Nach einigem Suchen finde ich sie auf einer leichten Bodenerhöhung unter Eichen. Hierher soll Lenné all seine Besucher geführt haben? Die Sonne steht im Süden, für die richtige Beleuchtung zum Fotografieren muss ich noch etwas warten. Irgendetwas stimmt nicht. Die Inschrift „Peter Josef Lenné“ sieht aus, als stamme sie aus den 1930er Jahren. Ich recherchiere. Jörg Wacker schreibt, dass die Herme 1938 umgesetzt wurde. Nach dem Erscheinen des Lenné-Buchs von Gerhard Hinz 1937 muss Gartendirektor Georg Potente der Ansicht gewesen sein, hier komme sie besser zur Geltung als an ihrem Originalstandort. In den Papieren der Familie Lenné finde ich ein Schreiben von ihm an Lennés Urgroßneffen vom 10. Januar 1938. Es bestätigt meine Annahme.

1979 kaufte ich, damals Student der Garten- und Landschaftsgestaltung, die neue Lenné-Biographie von Hinz im Taschenbuchformat. Meine Bemerkungen am Rand müssen auch aus dieser Zeit stammen. Fünf Jahre später kam ich als Volontär der Berliner Schlösserverwaltung erstmals nach Bonn. Neben meiner dienstlichen Aufgabe |9|besuchte ich Edith Allinger. Ihr vor zehn Jahren verstorbener Mann hatte 1966 eine Lenné-Ausstellung in Bonn organisiert. Sie sprach viel von ihm und überließ mir am Ende sein Exemplar des ersten Lenné-Buchs von Hinz. Gustav Allinger hat seinen Namen mit Bleistift hineingeschrieben. Im gleichen Jahr erteilte mir Prof. Martin Sperlich den Auftrag, die Schenkung zu inventarisieren, die der Augenarzt Dr. Heinz Lenné der Berliner Schlösserverwaltung übergeben hatte: Ölgemälde, einen vergoldeten Lorbeerkranz, eine Meerschaumpfeife, Lennés Visitenkarte aus Gelatine, Briefe sowie Zeugnisse auf Papier und auf Pergament.

Im Berliner Geheimen Staatsarchiv liegt die handgeschriebene, 600 Seiten starke Geschichte der Verwaltung der Königlichen Gärten von Karoline Schulze. Erstmals las ich sie 1988 im Zuge der Vorbereitungen zur Lenné-Ausstellung. Später hielt ich in Oldenburg weitere Manuskripte von Karoline Schulze in der Hand, darunter auch vier Pamphlete über Lenné, die vor Anklagen und Bosheiten nur so strotzen. Hiernach war Lenné ein intriganter Schmeichler, ruhmsüchtiger Schurke und Betrüger. Alle Biographen Lennés haben um diese Autorin und ihre Texte einen großen Bogen gemacht. Natürlich, wer persönliche Animositäten pflegt, ist unglaubwürdig. Aber hatte sie nicht 50 Jahre in Lennés Nachbarschaft gelebt, vieles gesehen und gehört?

Aus der Privatkorrespondenz Lennés ist eine Reihe von Briefen des Vaters an den jungen Peter erhalten. Sie sind schwer zu transkribieren, weil er sich mit Satzbau und Rechtschreibung keine Mühe gab, wenn kein offizieller Anlass vorlag. Nach ihrem wiederholten Studieren im Potsdamer Neuen Palais meine ich, dass auch sie einiges über Lenné verraten, während seine eigenen Briefe fehlen. Die Ratschläge des Vaters konzentrieren sich auf drei Dinge: Verfolge Deinen Vorteil, achte auf gutes Einkommen, und sei ein guter Schauspieler. „Eine erfolgreiche bürgerliche Erziehung im Geist der Aufklärung“, wie eine Verwandte Lennés kürzlich schrieb, kann ich nicht herauslesen.

Im Mai 1989 fand im Theater des Neuen Palais ein internationales Kolloquium zum 200. Geburtstag Lennés statt. Wie mir später Freund Heinrich Hamann erklärte, war auch die Stasi dabei und |10|beobachtete alle. Der Vortrag des DDR-Historikers Ulrich Reinisch fiel aus dem Rahmen, weil er keine der üblichen Lenné-Huldigungen darstellte, sondern eine ungewohnt kritische Einschätzung. Eingehende Studien in den Archiven waren vorausgegangen. Der später gedruckte Beitrag ermutigte mich, den eingeschlagenen Weg einer Lenné-Revision fortzusetzen.

Die Verherrlichung Lennés hatte Gründe. Nach seinem Tod griff eine Gruppe von Absolventen der Potsdamer Gärtnerlehranstalt den von ihm selbst geschaffenen Künstlermythos für eigene Zwecke auf. Unter der Vorgabe, „das von ihm Geschaffene in seinem Sinne auszubauen“, gründeten sie 1887 den Verein deutscher Gartenkünstler, dessen Aufgabe laut Satzung die Wahrnehmung der persönlichen Interessen der Mitglieder und die Förderung der Gartenkunst, insbesondere nach den von Lenné und seinem Schüler Gustav Meyer aufgestellten Prinzipien, war. Einige wollten sogar „die Lenné-Meyersche Richtung zu der für Deutschland allein maßgebenden“ machen. Ein Abgehen von den in Meyers Lehrbuch festgelegten Grundsätzen schien ihnen undenkbar. Zum 100. Geburtstag pries Lennés früherer Mitarbeiter Bethge ihn als „den größten Landschaftsgärtner seiner Zeit“, und sein Schüler Heinrich Fintelmann rühmte ihn als Künstlernatur und ein Genie, das auch anderen Erfolg gönnte. Der Mythos wurde gefestigt.

1891 veröffentlichte der Erfurter Verleger Ludwig Möller eine böse Satire über die Lenné-Meyersche Schule, die er den „Potsdamer Schablonen-Gartenstil“ nannte: Einem Schuster sei aufgefallen, dass in den Gartenplänen, welche die Zöglinge der Gärtnerlehranstalt zum Einwickeln ihres reparaturbedürftigen Schuhwerks benutzt hatten, „die Ausführung aller Anlagen in einer ewig gleichen, schablonenartigen Weise erfolgt war.“ Zusammen mit einem Klempner habe der Schuster daraufhin sieben Blechschablonen angefertigt und patentieren lassen.

Die Lenné-Meyersche Schule geriet ins Abseits. Stattdessen gewann um 1900 der architektonische Garten mit seinen strengen Formen an Bedeutung. Die beginnende Geschichtsschreibung der Gartenkunst bekrittelte die historistische Formensprache in Lennés späten Entwürfen.

|11|Allein Heinrich Wiepking (1891–1973) hielt an Lenné als Vorbild fest, dessen in die Landschaft ausgreifende Arbeitsweise er bewunderte. Schon 1927 empfahl er „ein Vertiefen in die Anschauungsweise dieses großen Landschafters“. Nachdem er 1933 zum Ordinarius für Gartengestaltung an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin berufen worden war und die Landschaftsgestaltung in die Lehre eingeführt hatte, betrachtete er sich als Nachfolger Lennés im Lehramt. Anlässlich der Olympischen Spiele fand 1936 eine Ausstellung „Große Deutsche in Bildnissen ihrer Zeit“ statt. Lennés Porträt war dabei, und Wiepking würdigte ihn in der gleichzeitig erscheinenden Reihe „Die großen Deutschen“. Seine Werke trügen als landschaftliche Anlagen „das Antlitz besten deutschen Geistes“. Die kritisierten geometrischen Elemente in Lennés Gärten verschwieg er. Bei seiner Planung für das Olympische Dorf in Priort berief sich Wiepking auf Lenné, und bei seinen Richtlinien für die Gestaltung der eroberten Gebiete in Polen und Russland, die er 1942 in seiner Landschaftsfibel festlegte, war Lenné ebenfalls ein leitendes Vorbild.

Heute wohne ich unweit von Lennés Wirkungsstätte und betrete fast täglich Wege, die auch er ging. Wenn die Maulbeeren reifen, fahre ich mit dem Rad auf die Bornimer Feldflur. Mein Blick streift zwischen den dicken Stämmen der Alleelinden über die sanft gewellten Felder zum Bornimer Kirchturm. Rechts zweigt die rekonstruierte Maulbeerallee ab. Seit 2001 weisen Informationstafeln dieses besondere Stück Agrarlandschaft als „Lennésche Feldflur“ aus. Was die Verantwortlichen übersahen: Diese Zuschreibung geht auf Wiepking zurück, der 1944 die Feldflur als Vorbild für die künftige „deutsche“ Landschaftsgestaltung im Osten sowie als ideale „Wehrlandschaft“ hinstellte. In Wirklichkeit ist die Feldflur von Hermann Sello.

Wiepking machte 1934 Hinz zu seinem Assistenten. Hinz lehrte Technik der Gartengestaltung, Planzeichnen und Geschichte der Gartenkunst. Lenné schrieb er ein „warmes soziales Empfinden“ zu und erläuterte, sein Schaffen habe „nie dem Einzelnen, sondern immer dem ganzen deutschen Volke“ gedient. Als er die Bepflanzung des Reichsparteitagsgeländes übernahm, gab er an, „nach direktem Muster des großen P.J. Lenné“ zu arbeiten.

|12|Im königlichen Hausarchiv in Charlottenburg, Repositur 114, in den unschätzbar reichhaltigen Aktenbeständen der Hofgartendirektion und der einzelnen Hofgärten, las Hinz den dienstlichen Schriftwechsel Lennés. 1941 wurden die Akten neu verzeichnet. Bei der Auslagerung 1943 blieben sie zurück und verbrannten nach einem Bombentreffer 1944 restlos. Inzwischen sind nur noch Kopien seiner Auszüge der Charlottenburg betreffenden Briefe greifbar, die mir Hinz 1983 freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Lenné und seine bedeutendsten Schöpfungen in Berlin und Potsdam ist der Titel seiner Dissertation, die 1937 im Deutschen Kunstverlag erschien. Die von Hinz geplante Ausstellung zu Lennés 150. Geburtstag 1939 fiel wegen des Kriegsbeginns aus.

Die Renaissance der Lenné-Verehrung in den dreißiger Jahren wurde nach 1945 in beiden deutschen Staaten ähnlich unkritisch fortgesetzt. Lenné galt weiterhin als Volksbeglücker und Vorbild, sowohl in der sozialistisch als auch in der kapitalistisch geprägten Gesellschaft. 1985 erschien im Verlag für Bauwesen das große Lenné-Buch von Harri Günther, einem von Lennés Amtsnachfolgern, mit großer Umsicht verfasst, gut gedruckt und trefflich formuliert.

Noch heute bewohnt Dr. Günther Lennés Wohnung. Er empfängt uns unkompliziert und bietet uns einen Platz mit der Aussicht auf die Terrassen von Sanssouci an. Viele Anekdoten über Lenné kann er berichten. Die Hofgärtnertöchter, die sie ihm vor 60 Jahren erzählt haben, mögen sie von Menschen gehört haben, die Lenné noch kannten. Manches Detail aber, das uns brennend interessieren würde, lässt sich nicht mehr klären.

Unter den vielen Publikationen, die zu Lennés 200. Geburtstag 1989 auf den Markt kamen, war auch das um seine späteren Studien erweiterte Lenné-Buch von Hinz, der das Erscheinen noch erlebte. Seitdem entstanden vielerorts verdienstvolle Einzelstudien zu Lenné wie auch die populären Darstellungen von Heinz Ohff und Christa Hasselhorst.

Bis heute ist das Bild Lennés von Mythen geprägt. Kritische Stimmen aus seiner Zeit und aus der Gegenwart werden gern überhört, der objektive Blick auf Person und Werk ist verstellt. Lenné gilt in |13|Deutschland vielen immer noch als der größte deutsche Gartenkünstler aller Zeiten. Mit seinem Namen schmücken sich Gaststätten und Immobilienverwerter. Im allgemeinen Bewusstsein ist Lenné der Schöpfer zeitlos schöner Gärten, den man nur lieben und bewundern kann. So idyllisch wie seine Gärten stellt man sich auch sein Leben vor, und ihr Urheber, so glaubt man, kann nur Idealist gewesen sein. Doch das Reich Lennés hinter dem Grünen Gitter erscheint nur Touristen idyllisch. Es war rau und prosaisch, ein Schauplatz oft erbitterter Kämpfe.

Den verbalen Bekenntnissen zum Trotz war der praktische Umgang mit Lennés Erbe seinen Anlagen oft abträglich. Im Schlossgarten Charlottenburg etwa wurde die wichtige Sichtachse, die Lenné vom Schloss zu seinem Aussichtshügel im Fasanengarten geschlagen hatte, 1952 wieder zugepflanzt. Im Lustgarten von Sanssouci wird bis heute die Prämisse Potentes verfolgt, dass der Zustand unter Friedrich II. denkmalwürdig sei, die unter Lenné entstandene Gestaltung dagegen nicht. Andernorts wurde Lennés Werk von der Denkmalpflege mit Sorgfalt herausgeschält wie in dem 1979 musterhaft wiederhergestellten pleasure ground von Klein-Glienicke.

Meine schönste Aufgabe zum Lenné-Jahr 1989 bestand darin, die Luiseninsel im Charlottenburger Schlossgarten so wiederherstellen zu dürfen, wie sie zur Zeit Lennés aussah. Bei unserem letzten Besuch fanden wir Stauden- und Uferpflanzungen leider stark vernachlässigt. Die Pappelgruppe ist seitdem zur vollen Größe herangewachsen, und die Bronzefiguren stehen wieder da, wo Lenné sie vorgesehen hatte. Meine Bank aus Robinienholz hat sich gut gehalten. Von dort hat man den Amor im Blick.

Lennés 150. Todestag bietet den Anlass dafür, eine Biographie auf dem neuesten Stand der Forschung zu liefern. Es wäre so einfach, nur die dürren Angaben wiederzugeben, die Lenné selbst über seine Ausbildung machte: Er verließ das Gymnasium, ging nach Brühl in die Lehre und reiste dann nach Süddeutschland, in die Schweiz und nach Paris. Fertig. Ich hätte anderes zu tun, im eigenen Garten warten dringend große Arbeiten. Doch nahezu jedes Mal, wenn ich einen Themenbereich aus Lennés Leben näher untersuchte, zeigte sich, dass etwas anders war als bisher angenommen. |14|Schrieb nicht der Vater an die Mutter, Peter sei zu Hause, als er in Brühl sein sollte? Weitere Recherchen sind nötig, um Licht in die Sache zu bringen.

Insbesondere die personellen und wirtschaftlichen Strukturen, in denen Lenné wirkte, wurden in den Darstellungen bisher ausgeklammert, die persönlichen Interessen Lennés und anderer Beteiligter zu wenig berücksichtigt. Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp schlug jüngst im Tagesspiegel vor, das Leben Botticellis nicht länger „als einen gelebten Traum, sondern als eine Konfliktgeschichte zu schreiben, aus der die Kunst eine nochmals gesteigerte Dimension bezog.“ Dasselbe gilt für Lenné. Denn entsteht nicht Gartenkunst, mehr noch als Malerei oder Bildhauerkunst, immer im Dialog vieler?

„Böse Briefe: Gärtner beschimpfen Gärtner“ habe ich einmal eine Lesung in meinem Garten überschrieben. Gelesen wurden auch Briefe von Lenné und Pückler. Die Gäste mögen es als kurios empfunden haben, dass ich ausgerechnet die bösen ausgewählt hatte. Ich finde, sie lassen tiefer blicken als die netten und sagen uns, was die betreffenden Personen wirklich wollten.

„Ihre Aversion gegen Lenné trieft aus jedem Satz“, hörte ich, nachdem ich mein Manuskript vorab zeigte. Wo bleiben denn die Verdienste, die er sich in der Gartenkunst erwarb? Bei seinem großen Erfolg müsse er doch auch angenehme Eigenschaften gehabt haben. Das will ich nicht bestreiten. Der Mythifizierung als singuläres Künstlergenie aber ist nicht mehr zeitgemäß. Lenné war zweifellos ein charismatischer Beamter und ein fähiger Gartenkünstler. Soweit ich weiß, werden Denkmäler mittlerweile, wenn überhaupt, in Augenhöhe errichtet.

Immer wenn ich vom Potsdamer Hauptbahnhof Richtung Westen fahre, setze ich mich auf die rechte Seite und klebe an der Scheibe. Nach Überquerung der Havel sieht man das wiedererbaute Stadtschloss über dem Wasser leuchten, dann das Neptunbecken im Lustgarten, idyllische Kleingärten und die begehrten Bootsliegeplätze an der Neustädter Havelbucht, die Villengärten am Rand des Parks Sanssouci, den herausgeputzten Kaiserbahnhof und die herrliche Lindenallee hinter dem Neuen Palais. Wer weiß heute noch, dass Lenné an der Planung dieses Streckenverlaufs beteiligt war?

|15|Im vorliegenden Buch geht es vorrangig um eine Annäherung an Lennés Person, seinen Charakter, seine Ziele und seine Beziehung zu seinen Mitmenschen. Besonderes Augenmerk wird dabei auf seine eigenen Äußerungen sowie auf jene von Menschen gerichtet, die ihn gut kannten. Lennés Schaffen wird nur in wenigen ausgewählten Beispielen behandelt.

An schönen Abenden gehen wir hin und wieder auf den Bornstedter Kirchhof. Eine quietschende Eisenpforte führt in den Selloschen Privatfriedhof. Viele der hier beigesetzten Menschen kenne ich aus der Geschichte, einige auch persönlich. Am Grabe Lennés steht wieder eine einfache Holzbank, an derselben Stelle, wo sie sein Freund Hermann Sello aufgestellt hat. Wir setzen uns, sehen von ihr über Lennés Grab auf das von Sello und sinnieren. Lenné – wer war er?

Bornstedt, den 1. Oktober 2015

Der Gartenkünstler Peter Joseph Lenné

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