Читать книгу Der Gartenkünstler Peter Joseph Lenné - Clemens Alexander Wimmer - Страница 9
|26|II „Die schönsten Erinnerungen und Erlebnisse“
Lennés Kindheit
ОглавлениеPeter Joseph Lenné d.J. wurde nach eigenen Angaben am 29. September 1789 geboren. Der Taufeintrag vom selbigen Tage im Kirchenbuch von St. Remigius zu Bonn lautet: „Dominus Petrus Josephus Lenné Hortulanus Aulicus et Domina Catharina Pottgitters conjuges/29ua 7bris Petrus Josephus/D. Petrus Josephus Brandts Praetor in Güchen cujus loco, D. Josephus Clemens Wey et Anna Margaretha Lenné.“1 Lenné trägt seine Vornamen also nicht nach seinem Vater, sondern nach seinem Paten, dem Schultheiß Brandts aus Jüchen.
Gemäß einer Volkszählung von 1790 lebten im Haus am Alten Zoll neben Vater und Mutter Lenné zwei Söhne, zwei Töchter, ein Bruder, zwei Schwesterkinder und zwei Mägde.2 Der Bruder muss der damals 18-jährige Johann Joseph, der spätere Vikar, gewesen sein, zu dem Lenné ein enges Verhältnis hatte. Das eine Schwesterkind war Max Friedrich Weyhe aus Brühl, den Vater Lenné am 29. Juni 1789 in die Lehre genommen hatte. Den Kindern wurde nach höfischer Sitte beigebracht, Eltern und Verwandte zu siezen.
Lennés Kindheit war von gravierenden Umbrüchen, Krieg und Not geprägt. Kurz vor seiner Geburt war in Frankreich die Revolution ausgebrochen: Dem Sturm auf die Bastille folgten die Abschaffung der Adelsprivilegien, die Erklärung der Menschenrechte, der |27|Aufstand der Pariser Poissarden und die Verstaatlichung der geistlichen Besitztümer. Einige hohe Adlige flohen aus Frankreich nach Bonn und trafen im leerstehenden Poppelsdorfer Schloss ein, darunter der Graf von Artois, ein Bruder Ludwigs XVI., und das Statthalterpaar der Niederlande. Am 20. April 1792 erklärte Frankreich dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation den Krieg. Die Franzosen eroberten Mainz und Aachen. Kurfürst Clemens Wenzeslaus von Trier flüchtete aus seiner Residenz Koblenz. Der Kurfürst von Köln verließ Bonn im Dezember 1792 und ging in seine Nebenresidenz Münster. Am 23. Dezember sicherten kaiserliche Truppen Bonn.
Max Weyhe hatte seine Lehre bei seinem Onkel Joseph Lenné am 29. Juni 1792 beendet.3 Nun galt es, den Jungen aus Kriegshandlungen herauszuhalten und ihm gute Chancen für seine weitere Laufbahn zu verschaffen. Seine Reiseroute führte im März 1793 über Karlsruhe nach München und Wien, wo Max mehrere Jahre blieb. Anlaufstelle war Joseph Lennés Freund Boos, den Kaiser Joseph II. ab 1783 als Pflanzensammler in Übersee eingesetzt hatte. Seit 1790 war er Direktor der Schönbrunner Menagerie und des „Holländischen Gartens“. Zum Glück hatte man Beziehungen.
Am 21. Januar 1793 wurde Ludwig XVI. hingerichtet. Da das Kriegsglück aber auf Seiten der Kaiserlichen schien, kehrte der Kölner Kurfürst am 20. April 1793 nach Bonn zurück und blieb auch dort, als am 16. Oktober 1793 seine Schwester Marie Antoinette umgebracht wurde. Max Weyhe traf Ende 1793 im sicheren Wien ein. Im Sommer 1794 wurden die Österreicher über den Rhein zurückgedrängt, der Kurfürst floh am 2. Oktober für immer, und sechs Tage später wurde Bonn besetzt. Im Hofgarten stellte man Kanonen und Wagenburgen auf. Als Vater Lenné die Orangerie einwintern wollte, attackierten Soldaten die Pomeranzenbäume. Joseph Lenné sah das gärtnerische Lebenswerk seiner Familie aufs Höchste gefährdet.
In den Augen der Revolution waren die Gärten des Adels und des Klerus nutzloser Luxus, den es abzuschaffen galt. Seit 1794 plante man vielerorts, Ziergärten und Orangerien durch Getreidefelder, Kartoffeläcker, Obst- und Gemüseanlagen zu ersetzen. Vater Lenné |28|hatte große Mühe, den Zerstörungen der Gärten Einhalt zu gebieten. Im November/Dezember 1794 wurde das Eigentum des Kurfürsten verstaatlicht, die Hofgärten hießen jetzt Nationalgärten. In den Schlössern von Bonn und Poppelsdorf lagen im Winter 1794/95 die Schwerverwundeten und Sterbenden.4 Aus Brennholzmangel vergriffen sich Bauern, Soldaten, Krankenwärter und Wäscherinnen an den Alleebäumen und Hecken in den Promenaden, im Hofgarten und vor der Stadt. Dieses Drama wiederholte sich in den beiden nächsten Wintern. Allenthalben musste Vater Lenné Verbote einholen, Wachpersonal erbitten und Bestechungsgelder einsetzen, um die Schäden zu begrenzen.
Unter den Bonner Gärten schien der französischen Verwaltung allein der Hofgarten für die Zwecke der Republik geeignet. Das einstige Herzstück der kurfürstlichen Repräsentation ließ sich nach Entfernung der Blumenrabatten und Wasserkünste trefflich zu prosaischen Zwecken nutzen: als Tuchbleiche und Rinderweide und außerdem als ein Ort für die zur Durchsetzung der revolutionären Ideale erforderlichen Propagandaveranstaltungen.
Die meisten kurfürstlichen Gärten galten als entbehrlich und wurden im Frühjahr 1795 auf drei Jahre zur Verpachtung ausgeschrieben. In der Auktion am 26. Mai waren die Citoyens Joseph Lenné und sein Bruder Johann die Meistbietenden. Johann bot 410 Livres für sein Revier, den Poppelsdorfer Obst- und Gemüsegarten. Joseph bot für den „Gemüsegarten am Wachthaus des Martinsthores“, den „Weingarten auf dem Wall neben dem Buenretiro“ und den „Garten hinter der Hofgartenmauer gegenüber der Vogelsbleiche“ insgesamt 260 Livres.
Für den „Garten an der Bastion mit den Mistbeeten und Treibhäusern“, also die Anlagen am Alten Zoll, wagte wegen der hohen Unterhaltungskosten niemand zu bieten. So erklärte Vater Lenné, „wenn man ihm seine bisherige Wohnung belassen wolte, seye er erböthig die Unterhaltung der orangerie und fremden Gewächse“ kostenlos zu übernehmen. Die Einnahmen werde er den Ausgaben gegenüberstellen und den Überschuss behalten. So vermied er, vor die Tür gesetzt zu werden oder Miete zahlen zu müssen und konnte überdies noch Produkte aus der Treiberei und Zierpflanzen verkaufen.5
|29|Bis zum 20. März 1797 bestand der Kurstaat auf dem Papier weiter, und Vater Lenné erhielt Geld vom kurfürstlichen Hofstaat, der sich in Recklinghausen eingerichtet hatte. Letztlich gelang es ihm, das Schlimmste zu verhindern und die Alleen und Gärten weitgehend vor der Axt zu bewahren.
Am 21. März 1797 übernahm eine Commission intermédiaire unter Leitung von Henri Shée die Regierung in den linksrheinischen Gebieten. Sie setzte die deutschen Verwaltungen wieder ein und betrieb die Gründung einer selbständigen Cisrhenanischen Republik. Mit Verordnung vom 28. August 1797 gestand Frankreich den Schlossgärtnern zu Bonn und Brühl einen geringen Etat zu. Den größten Teil sollten sie wie bisher aus dem Verkauf von Gartenprodukten selbst erwirtschaften.6
Die Einwohner der alten Residenzstadt Bonn waren schwerer zu gewinnen als die anderer Städte. Nachdem der Bonner Hofgarten zu einem Platz für republikanische Massenveranstaltungen umfunktioniert worden war, hielt Shée dort am 10. August 1797 eine Rede, es wurde ein Freudenfeuer abgebrannt, und man sang patriotische Lieder. Bereits zu dieser Zeit dürfte sich der Garten als die einheitliche Rasenfläche präsentiert haben, die er bis heute ist. Am Ende des Hofgartens entstand anstelle der sogenannten Hauptwasserkunst der Altar der cisrhenanischen Freiheitsgöttin.7 Fortan fanden viele revolutionäre Feste im Hofgarten statt. Gefeiert wurden die Hinrichtung des Königs, der Sturm auf die Bastille, die Gründung der Republik, das Fest der Volkssouveränität, das Fest der Dankbarkeit, das Fest der Jugend, das Fest der Eheleute und das Fest der Alten.
Mit dem Frieden von Campo Formio vom 3. Oktober 1797 erkannte Kaiser Franz II. den Rhein als Ostgrenze Frankreichs an. Das Directoire ließ daher die Idee einer eigenen Cisrhenanischen Republik fallen. Am 4. November 1797 wurde der elsässische Jurist Franz Joseph Rudler zum Commissaire du gouvernement dans les pays conquis entre Rhin et Meuse, et Rhin et Moselle ernannt, und die Commission intermédiare stellte ihre Arbeit ein. Rudler war dem Justizminister unterstellt und hatte die Aufgabe, eine französische Verwaltung aufzubauen. Anlässlich des Festes der Neuorganisation am 3. Dezember 1797 wurde in Bonn von den Beamten ein „Eid der |30|Treue an Frankreich“ gefordert. Die meisten verweigerten ihn, wie der Chronist Jakob Joseph Lamberz schreibt, darunter die Professoren der Universität. Die Folge war, dass sie „ihre Amts-Verrichtungen ohne weiteres einstellen mussten“8.
Rudler schlug seinen Sitz am 6. Dezember zunächst in Bonn auf, zog aber am 11. Januar 1798 nach Mainz, wo er weniger Widerstand vorfand. Damit war Bonn auch als Verwaltungssitz erledigt. Am 4. Pluviose VI (23. Januar 1798) bildete Rudler vier neue Departements, darunter das Département Rhin-et-Moselle mit der Hauptstadt Koblenz, zu dem Bonn gehörte. Am 20. März 1798 wurden im Hofgarten die kurfürstlichen Insignien verbrannt. Am 8. August 1798 bestimmte Rudler die Schlosskapelle unter Entfernung des Altars und der christlichen Darstellungen zum Dekadentempel, wo im Namen der Vernunft Gesetze und Verordnungen verlesen und „patriotische Reden“ gehalten wurden. Zur Eröffnung am 2. Pluviose VII (21. Januar 1799), dem sechsten Todestag Ludwigs XVI., mussten die Beamten erscheinen und den republikanischen Eid schwören. Zur Ausschmückung des Raums wurden die kurfürstlichen Orangenbäume verwendet. Der Orangeriebestand – 241 Orangenbäume verschiedener Größe in Kästen, 13 Orangenbäume in Spalierform, 22 große Lorbeerbäume, 19 Granatbäume, 7 Ölweiden, 20 Myrten sowie 48 kleine Orangen- und „Cedernbäume“ in Töpfen – sollte nach einer Verfügung der Zentralverwaltung vom 4. Messidor VII (22. Juni 1799) verkauft werden. Die öffentliche Auktion war für den 1. Brumaire VIII (23. Oktober 1799) anberaumt. Hiergegen erhob sich unter den Einwohnern Widerstand. Sie wandten sich an den Nationalkonvent, und nach einem Jahr hob Shée, inzwischen Regierungskommissar geworden, die Verfügung wieder auf.9
Die große Mehrheit der Bevölkerung verharrte „durch das negative Auftreten der Franzosen und die positive Erinnerung an Max Franz in Treue zum Kurfürsten“10. Zeitgenössische Quellen zeichnen übereinstimmend ein düsteres Bild dieser Periode Bonns: Die Stadt habe durch den Rückzug adliger und reicher Familien sowie durch die Zerstörung höfischen Eigentums ihre alte Pracht, ihren Frohsinn und damit auch ihre frühere Attraktivität verloren. Im Herbst 1800 bemerkte Albert Klebe, Bonn sei jetzt „ein todter stiller |31|Ort, der nichts mehr hat, was den Fremden noch anziehen könnte, als die Ruinen seines ehemaligen Glanzes“. 11
Der Friede von Lunéville (9. Februar 1801) legalisierte die Annexion der vier linksrheinischen Departements völkerrechtlich. Mit Gesetz vom 9. März 1801 wurden sie zu Teilen Frankreichs erklärt. Das Département Rhin-et-Moselle bekam mit Philippe Joseph Marie Boucqueau einen Präfekten, der den Pariser Ministerien unterstand. Seit dem 23. September 1802 galt hier die Verfassung der Französischen Republik. Darin hieß es ausdrücklich:
„Art. 3. … Die Gleichheit lässt keinen Unterschied der Geburt, keine Erblichkeit der Gewalten zu.
Art. 176. Blutsverwandte in auf- und absteigender gerader Linie, Brüder, Oheim und Neffe, und Verschwägerte in gleichen Graden, können nicht zu gleicher Zeit Mitglieder der nämlichen Verwaltung sein, noch darin aufeinander folgen, außer nach einer Zwischenzeit von zwei Jahren.
Art. 355. Es gibt weder Privilegien, noch Meisterschaft, noch Zunft, noch Innung der Handwerker …“12
Für die Hofgärtner galt demnach: Das alte Protektionssystem am Hof war nur noch eine schöne Erinnerung. Verwandtschaft, Adjunktion und schöne Lehrbriefe nützten nichts mehr. Die ungeschriebenen Regeln, denen die Hofgärtner ihre Existenz verdankten, waren abgeschafft.
Die schon länger geplante Säkularisation wurde nun von den Franzosen zügig durchgeführt. Die Familie Lenné war davon unmittelbar betroffen, da Max Hubert Lenné Canonicus in Köln und Johann Joseph Lenné Stiftsvikar in Bonn war. Viele Geistliche gerieten in große Not. Der Familie Lenné gelang es aber, die Häuser, in denen „Ohm Canonicus“ und „Ohm Vicarius“ wohnten, selbst zu erwerben, so dass beide ähnlich weiterleben konnten wir bisher.
Der kleine Peter scheint von den Sorgen der Erwachsenen erstaunlich wenig bemerkt zu haben. Er verband mit seiner Bonner Kindheit, besonders mit dem Vikarshaus, „die schönsten Erinnerungen und Erlebnisse“.13 Ihm wie Heinz Schönemann eine Gesinnung anzudichten, die von seiner Jugend „in der freiheitlichen |32|Atmosphäre des von der französischen Revolution geprägten Rheinlandes“ bestimmt gewesen sei, erscheint abwegig. Auch wenn es Vater Lenné gelang, manchen Schaden abzuwehren, so machte doch die französische Annektion die Hofgärtner über Nacht arbeitslos, und eine Wiederherstellung der früheren Verhältnisse wäre ihnen nur willkommen gewesen. Einen Anlass, „freiheitlichen“ Ideen zu folgen, gab es für sie nicht. Entscheidend war, das Ansehen der Familie zu wahren und standesgemäß zu leben, möglichst noch etwas höher aufzusteigen als die Voreltern. Wenn es keinen Hof mehr gab, musste man andere Mittel und Wege finden.