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Blattgeflüster – Können Pflanzen überhaupt kommunizieren?

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»Pflanzen bilden Allianzen und kommunizieren untereinander.«

– Florianne Koechlin, Biologin und Wissenschaftsjournalistin3

Als ich begann, an diesem Buch zu schreiben, veröffentlichte ich die Zeilen und Absätze, die Sie soeben gelesen haben, auf Facebook. Ich wollte ihre Wirkung auf die Leser testen. Neben Interesse und Neugierde wurde mir auch Skepsis entgegengebracht. Ein Benutzer namens Hanspeter, der meine früheren Sachbücher gelesen hatte, stellte Mutmaßungen über den Inhalt dieses Buches an und verfasste folgenden Kommentar:

»Äh. Das Buch ist definitiv keines von deinen, oder? Hab ich was übersehen? Nein, ich will kein Buch lesen, in dem behauptet wird, Pflanzen würden ohne Berührung mit meinem Immunsystem oder Unterbewusstsein kommunizieren. Das ist esoterischer Schrott und keiner weiteren Beachtung wert.«

Esoterischer Schrott? Keiner weiteren Beachtung wert? Damit lag Hanspeter einfach falsch. Ich bezog mich auf wissenschaftliche Fakten. Und die sind auf jeden Fall der weiteren Beachtung wert. Sie könnten unser Gesundheitswesen von Grund auf revolutionieren.

Es entwickelte sich auf Facebook eine hitzige Debatte unter den Benutzern und innerhalb von nur zwei Stunden hatten sich fast 200 Kommentare angesammelt. Fast im Sekundenrhythmus klickte jemand auf »Gefällt mir«. Die meisten Benutzer hatten kein Problem mit dem Begriff Kommunikation bei Pflanzen. Hanspeter und eine Hand voll anderer aufmerksamer Leser lehnten sich aber weiterhin dagegen auf, dass ich von Kommunikation geschrieben hatte. Ihr Tenor: Wer behauptet, Pflanzen könnten kommunizieren, egal, ob untereinander oder mit dem menschlichen Organismus, sei entweder unseriös und weltfremd oder wolle einfach medienwirksam die Werbetrommel rühren. Aber ist das wirklich so?

Möglicherweise unterlagen Hanspeter und seine Mitstreiter einem fundamentalen Irrtum, der gut nachvollziehbar ist und den ihnen niemand vorhalten kann. Im Alltag benutzen wir den Begriff »Kommunikation« meistens dann, wenn wir eine Unterhaltung zwischen Menschen meinen. Wir reden miteinander, schreiben einander E-Mails und Briefe und genießen es ab und zu, uns am Straßenrand auf ein bisschen Klatsch und Tratsch einzulassen. Keine Frage: Wenn wir mit Kommunikation nur diese Art des sozialen, zwischenmenschlichen Austauschs durch Sprache meinen, dann mutet es natürlich mehr als verwegen an, zu behaupten, Pflanzen hätten die Fähigkeit, zu kommunizieren. Hanspeter hätte vermutlich nichts dagegen gehabt, wenn ich auf Facebook geschrieben hätte, dass Hunde oder Katzen sowohl untereinander als auch mit uns Menschen kommunizieren können. Katz und Hund sind zwar der menschlichen Sprache nicht mächtig, finden aber meistens Mittel und Wege, ihre Bedürfnisse und Stimmungslagen uns gegenüber zu vermitteln. Diese nonverbale Kommunikation funktioniert sogar sehr gut, wie die meisten Hunde- und Katzenliebhaber gewiss bestätigen können.

Was bei Tieren noch vorstellbar ist, scheint bei Pflanzen unmöglich. Pflanzen haben keine verbale Sprache und auch keine Stimmorgane, mit denen sie Laute von sich geben können, wie das bei Hunden der Fall ist. Sie haben keine Augen, mit denen sie herzzerreißend dreinschauen können und verfügen über keinerlei Mimik, die wir irgendwie interpretieren könnten. Die meisten Pflanzen können sich nicht einmal aktiv bewegen und in der Regel sitzen sie angewurzelt immer am selben Fleck fest. Wer könnte es Hanspeter verdenken, dass er es als äußerst unseriös wahrnimmt, wenn jemand ausgerechnet bei Pflanzen von Kommunikation spricht?

Das Problem lässt sich schnell orten: Unser Verständnis von Kommunikation ist alltagssprachlich einfach zu sehr eingeschränkt. Das sollten wir ändern, um die Welt in all ihrer Komplexität zu verstehen. Kommunikation ist weit mehr als Miteinander-reden oder Einander-zuwedeln, um beim Beispiel des Hundes zu bleiben. Ein führendes Wörterbuch der Psychologie definiert Kommunikation als Informationsübertragung zwischen einem Sender und einem Empfänger4. Das ist selbsterklärend: Der eine sendet Information aus und der andere empfängt und entschlüsselt sie. Und das beherrschen Pflanzen sogar ausgesprochen gut. Sie sind wahre Meister im Aussenden, Empfangen und Entschlüsseln von Informationen. Und somit sind sie Meister der Kommunikation.

Damit Kommunikation funktioniert, muss die Information in irgendeiner Form kodiert werden. Wir Menschen tun das zum Beispiel durch Sprache. Bestimmte Wörter tragen bestimmte Bedeutungen. Und über diese Bedeutungen sind wir uns zumindest so weit einig, dass sprachliche Kommunikation im Alltag funktioniert. Die Information, die wir einander schicken, kann aber auch ganz anders codiert werden. Von Computer zu Computer wird beispielsweise mit endlosen Reihen von Nullen und Einsen kommuniziert. Und wie machen das unsere grünen Gefährten?

Pflanzen kommunizieren, so wie Insekten, über chemische Substanzen miteinander. Sie senden Moleküle aus, das sind winzige chemische Einheiten dieser Substanzen, die aus Atomen bestehen. Diese Moleküle können durchaus mit der menschlichen Sprache verglichen werden, denn genauso wie unsere Wörter, tragen sie in der Welt der Pflanzen bestimmte Bedeutungen und somit Information. Es sind »Pflanzenvokabeln«. Die Pflanze, die ein solches Molekül abgibt, ist der Sender. Die Pflanze, die das Molekül empfängt und versteht, ist der Empfänger. »Verstehen« bedeutet in diesem Fall, dass die Pflanze mit der Botschaft etwas anzufangen weiß. Sie weiß, was damit gemeint ist und kann darauf angemessen reagieren. Solche Vorgänge erfüllen alle Kriterien, die uns die Definition von »Kommunikation« vorgibt.

Diese Substanzen entwischen den Pflanzen keinesfalls nur beiläufig. Pflanzen geben ihre Kommunikations-Moleküle zweckgerichtet ab und nicht unkontrolliert. Der Klassiker: Wenn sie von Schädlingen angegriffen werden, geben viele Pflanzen Substanzen ab, die andere Pflanzen in ihrer Nachbarschaft alarmieren. Diese Substanzen tragen die Information »Achtung Fressfeinde« sowie genauere Angaben über diese Feinde, wie wir gleich sehen werden. Ohne selbst schon in Kontakt mit diesen Schädlingen gekommen zu sein, bilden dann die alarmierten Pflanzen aus der Nachbarschaft, welche die Botschaft empfangen haben, vorsorglich Abwehrstoffe gegen die jeweiligen Schädlinge. Ihr Immunsystem reagiert also auf die Botschaft und wird aktiviert. Doch damit nicht genug. Dieselben Kommunikations-Moleküle alarmieren nicht nur andere Pflanzen, sondern locken auch natürliche Feinde der Schädlinge an. Diese Nützlinge rücken dann zum großen Schädlings-Schmaus heran. Auf diese Weise kommunizieren Pflanzen also nicht nur untereinander, sondern auch mit Tieren. Mehr noch: Ihre chemischen Botschaften enthalten sogar Information über die Art der Angreifer und das Ausmaß des Befalls. Darauf stellen sich die Empfänger der Botschaft ein. Andere Pflanzen produzieren genau die Abwehrstoffe, die in der speziellen Situation notwendig sind und die Nützlings-Armee stellt ihren Trupp ebenfalls nach den Bedürfnissen der »Pflanzen in Not« zusammen.

»Pflanzen können über Düfte unerhört komplexe Informationen versenden und untereinander austauschen«, erklärte Wilhelm Boland, Professor für organische Chemie an der Universität Karlsruhe und am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, gegenüber dem Spiegel5. »Wir hoffen, diese Sprache zu entschlüsseln«, führ der Professor fort. Den Professor in Karlsruhe begeistert besonders, dass »Pflanzen nicht nur sagen, ich bin verletzt, sie sagen sogar ganz genau, wer sie verletzt hat.« Die Schweizer Biologin, Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin Florianne Koechlin, schätzte im Interview für die Fachzeitschrift Ökologie und Landbau die Kommunikation der Pflanzen in Zahlen ein: »Man kennt inzwischen an die 2000 Duftstoff-Vokabeln aus 900 Pflanzenfamilien,« erklärte sie6. Wir können davon ausgehen, dass die Wissenschaft noch unzählige weitere Pflanzenvokabeln entschlüsseln wird. Die meisten dieser chemischem »Wörter« gehören zu der Stoffgruppe der Terpene. Das ist eine sehr große Gruppe der sekundären Pflanzenstoffe mit fast 40.000 Vertretern7, die eine Vielzahl verschiedener Funktionen erfüllen. Terpene sind außerdem in den ätherischen Pflanzenölen zu finden. Terpene sind manchmal auch sichtbar: Vielleicht haben Sie bei heißem Wetter über den Wäldern schon einmal einen blauen Dunst wahrgenommen. Wenn es heiß ist, schützen sich die Bäume damit vor der Sonneneinstrahlung. Pflanzen geben Terpene nicht nur als Sonnenschutz ab, locken Insekten oder andere Tiere damit an, wenn sie deren Dienste benötigen, oder warnen andere Pflanzen vor Schädlingen, damit diese ihre Abwehrkräfte mobilisieren. Sie produzieren Terpene auch als Gift, um Schädlinge damit aktiv zu töten oder um Fressfeinde durch schlechten Geschmack abzuschrecken. Sie jagen sogar Konkurrenzpflanzen damit fort, wenn diese nicht mit ihnen verwandt sind. Pilze kommunizieren untereinander ebenfalls mit Terpenen, um ihren Geschlechtszellen den Weg zu einem passenden Geschlechtspartner zu weisen. Pilze haben eine sehr seltsame Art, sich fortzupflanzen.

Pflanzen können also kommunizieren. Das steht jetzt fest. Dass diese Kommunikation etwa mit einem Bewusstsein verbunden sei, das dem menschlichen Bewusstsein ähnelt, ist damit natürlich nicht behauptet. Wir wissen zum Beispiel auch, dass unsere Organe untereinander und mit dem Gehirn kommunizieren, ja dass sogar jede einzelne Körperzelle mit benachbarten Zellen kommuniziert, und dennoch müssen wir den Organen zu diesem Zweck kein eigenes Bewusstsein zuschreiben. Auch bei Pflanzen wird die Kommunikation durch hoch komplexe Regelkreise der Natur gesteuert, für die kein pflanzliches Bewusstsein vorausgesetzt werden muss. Es ist die Intelligenz der Natur, die tätig wird. Vielleicht ist es so etwas Ähnliches wie die »Grünkraft«, an die Hildegard von Bingen glaubte. Noch ein Detail: Inzwischen haben Biologen herausgefunden, dass Pflanzen auch über Knackgeräusche miteinander kommunizieren, die sie mit ihren Wurzeln erzeugen. Diese sogenannten bio-akustischen Signale konnten aber bislang noch nicht entschlüsselt werden.

Hanspeter auf Facebook dürfte spätestens jetzt einen Teil seiner Bedenken wieder fallen gelassen haben. Pflanzen können kommunizieren und sie tun das, indem sie Terpene abgeben. Aber was soll das, wie eingangs erwähnt, mit unserem Immunsystem zu tun haben? Ist es nicht doch wieder Aberglaube, zu behaupten, Pflanzen würden mit Systemen des menschlichen Körpers kommunizieren, ohne dass wir diese Pflanzen berühren, essen oder als Arzneien zu uns nehmen müssen? Fangen wir diese Thematik mit einer japanischen Tradition an.

Der Biophilia-Effekt

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