Читать книгу Schiffselektriker – Werft, Schiffe, Seeleute, Funkbuden – Jahrgang 1936 - Conrad H. von Sengbusch - Страница 10
„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, 1. Lehrjahr, 1953/1954
ОглавлениеArbeitsmäßig ging es so an: Wir begannen mit einfachen handwerklichen Tätigkeiten. So waren „Sonnenbrenner“ zu reparieren. Das sind die großen, transportablen, schwarzen Emailleschirmlampen, die auf der Innenseite einen weißen Reflektor haben. Sie wurden mit 300- oder 500-Watt-Glühlampen bestückt und überall auf der Werft eingesetzt, wo es etwas zu beleuchten gab. Zum Reparaturgut gehörten auch Verteiler, Kraftkabel (Drehstromkabel), Verlängerungskabel, Schweißkabel, Kabellampen, Bohrmaschinen und die Unterstützung des Betriebselektrikers bei der Installation und dem Auswechseln von Leuchtstoffröhren. Auf der Werft herrschte ein ungemein rauer Betrieb, und entsprechend viele Reparaturen fielen an. Ein oder zwei Mann in unserer E-Werkstatt waren ständig mit solchen Arbeiten ausgelastet.
Mit den Gesellen gingen wir auch schon mal an Bord der Havaristen. Die stets wechselnde Umgebung, der Umgang mit Seeleuten aus aller Welt und die oft nicht dokumentierte Technik, die dennoch unter Zeitdruck repariert werden musste, waren für mich bunt und aufregend. Gefragt war hier eine Kombination aus Fachwissen, Einsatzfreude und zeitweise auch Englisch. Mit einem erfahrenen Gesellen war das auch zu schaffen.
Natürlich bekamen wir Lehrlinge im ersten Jahr nicht immer die sauberste Arbeit zugewiesen. Unbeliebt war z.B. die Gewinnung von Bindedraht. Dieser wurde benötigt, um bei den Marinekabeln, wie wir sie verlegten, einen galvanisch gut leitenden Übergang zwischen dem äußeren Stahlgeflecht und dem innen liegenden Bleimantel zu bekommen. Dazu wurden mehrere Windungen des verzinnten Bindedrahtes, ausgehend vom Bleimantel und übergehend auf das Stahlgeflecht, aufgebracht und mittels einer TINOL- oder Lötlampe und Zinn verlötet. Anfang und Ende des Bindedrahtes wurden trickreich verdrillt und dann mit den Stopfbuchsenverschraubungen mittels kleiner Gewindeschrauben verbunden.
Den Bindedraht gewannen wir aus den verseilten Adern von altem, ausgeschlachteten Marinekabel. Die mageren Jahre der Vorwährungszeit lagen erst fünf Jahre zurück, und die Leute waren es noch gewohnt, zu improvisieren und mit einem Minimum an Material auszukommen. Ein Kabelrest wurde zwischen zwei Schraubstöcken eingespannt und mit dem Kabelreißer das Stahlgeflecht auf der ganzen Länge, meistens Enden von zwei oder drei Metern Länge, aufgerissen. Dann wurde der Bleimantel mit dem Kabelmesser eingeritzt, abgezogen und schließlich die Isolation entfernt. Lag dann die verseilte Kabelseele frei, dann ließen sich einzelne Drähte über die ganze Länge abstreifen. Diese Drähte wurden anschließend einseitig in den Schraubstock gespannt und leicht in der ganzen Länge gestreckt, so dass sie gerade wurden. Zum Schluss wurden die Drähte zu kleinen Vorratsringen von etwa 10 cm Durchmesser aufgeschossen und dem „Budenviz“, damals Ernst K., für sein Handlager übergeben. Der „Budenviz“ war ein Geselle, der ständig in der Werkstatt war, der das Handlager führte und Material für die Reparaturen auslieferte, der aber auch der Verbindungsmann zum Meister war und die Lehrlinge betreute, wenn sie in der Werkstatt eingesetzt wurden. Bleibt an dieser Stelle noch zu erwähnen, dass es für die Arbeit an den Kabeln, die mit vielen „Fleischhaken“ am teilweise beschädigten Stahlgewebe übersät waren, natürlich keine Lederhandschuhe gab!
Nicht gerade beliebt war auch das Auswaschen und Füllen der großen NiFe-(Nickel-Eisen)-Sammler, auch als Stahl-Akkumulatoren bezeichnet, die als Notstromversorgung auf den Schiffen eingebaut waren. Das „Auswaschen“ musste sehr überlegt geschehen und wurde nur angewandt, wo es unumgänglich war, weil sich dabei die Platten voll Wasser sogen. Füllte man dann neue Lauge ein, wozu wir einen Gummieimer und einen Krug aus dem gleichen Material benutzten, dann konnte es sein, dass die Laugendichte nicht mehr stimmte. Günstiger war es in jedem Fall, gleich wieder mit Lauge aufzufüllen. Dann war die geforderte Dichte von mindestens 1.18 (min. 1,16, max. 1,20) auch zu erreichen, und man ersparte sich das erneute Ausgießen der verdünnten Lauge und das Wiederauffüllen mit konzentrierter. Durch die Ladung erhöht sich nämlich kaum die Konzentration. Das sind Erfahrungen, die man selbst gemacht haben muss.
Bei diesen Stahl-Akkumulatoren wurde also nicht einfach erneuert, sondern gepflegt und erhalten, solange es nur irgendwie ging. Die alte Kalilauge gossen wir damals in einen Zementbottich, wo sie über Bleirohre im Abfluss „entsorgt“ wurde. Durch Überladung aufgeblähte Zellen wurden wieder zusammengepresst. Neue Lauge wurde aufgefüllt und die Zellen wieder geladen. Wir lernten damals, dass man mit 1/10 der Kapazität in Ah auflädt und die Dichte der Lauge prüft um festzustellen, wann der Ladevorgang beendet ist. Zwischendurch wurden an Bord die großen Stahlbehälter, in welche die Batterien eingesetzt wurden, sauber entrostet, mit roter Mennige vorgestrichen und dann mit Asphaltlack „konserviert“, wie der Werftmann sagt. Wo es nötig war, wurden die Anschlusskabel neu mit Ölgewebeleinen umwunden und mehrfach mit Isolierlack zusätzlich bestrichen. Schließlich wurden alle Brückenverbindungen zwischen den Elementen wieder hergestellt und die Leitungen zum „Zellenschalter“ angeschlossen. Der Zellenschalter bot die Möglichkeit, bei Bedarf bei teilentladener Notbatterie noch einige zusätzliche Zellen zuzuschalten, so dass die Betriebsspannung für die angeschlossenen Geräte wieder stimmte. Die Batteriearbeiten an NiFe-Zellen hatten die üble Nachwirkung, dass es sich trotz der Gummihandschuhe nicht vermeiden ließ, dass etwas Lauge an die Hände kam. Die Haut weichte dabei auf, fühlte sich zunächst seifig an, wurde dann papierdünn und schmerzte elendig.
Auch die schweren 180-Ah-Bleiakkumulatoren hatten wir zu warten. Sie wurden für die Notbeleuchtung, FT-Anlagen usw. benötigt. Wir wuchteten sie aus den Maschinenräumen der Kutter, Küstenmotorschiffe und Dampfer, balancierten sie von Reling zu Reling, dann mit mehreren Leuten hinauf zum Kai und schließlich in den „Akkuraum“. Wenn wir Glück hatten, dann waren die schwarzen Hartgummi-Batteriegehäuse heil und hatten keine Risse. Es kam aber auch vor, dass solche Batterien Säure verloren und tropften. Dann waren garantiert am nächsten Tag wieder ein paar Löcher in den Drillichstoff des Overalls gefressen, und Mutter bereitete schon die nächsten Flicken vor. Im Akkuraum folgte dann wieder die gleiche Prozedur: In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde mit allen Mitteln versucht, Akkumulatoren solange wie möglich zu erhalten. Da wurden dann auch noch neue Platten und Separatoren (isolierte Trennwände zwischen den Platten) eingesetzt und alles wieder mit Asphalt vergossen. Diese Arbeit blieb uns erspart, auch mit dem giftigen Kleesalz wurde nicht mehr gearbeitet, das die Akkumulatoren noch etwas auffrischen sollte. Wir beschränkten uns damals auf das Auswaschen der Batterien, wobei der Schlamm, der sich am Boden absetzt und die Zellen kurzschließt, entfernt wurde. Nach heutigen Maßstäben würden solche Akkumulatoren gleich ausgemustert werden, damals wurden die Zellen aber mit Destillat ausgewaschen, gleich darauf neu gefüllt und in einem langen Ladevorgang nochmals aufgefrischt. Die Sammler erfüllten dann noch für ein paar Reisen ihren Zweck. Nach dem Laden und der Überprüfung der Kapazität mit dem „Zellenprüfer“ ging die ganze Tour wieder zurück an Bord.
Wo sich etwas dreht oder bewegt, da gibt es Verschleiß, und so hatten wir viel mit Generatoren und Motoren jeglicher Größe zu tun. Der Ein- und Ausbau dieser Aggregate war Knochenarbeit. Besonders in den engen Maschinenräumen der Fischkutter mussten wir sehr einfallsreich sein: Mit seemännischer Finesse, Hubzügen, Blöcken und der Hilfe von stehendem und laufendem Gut, wurden die schweren Elektromaschinen durch enge Niedergänge an Bord gehievt, um dann mit der zweirädrigen „Schott´schen Karre“ über holperiges Kopfsteinpflaster zur Werkstatt gebracht zu werden. Der Umgang mit dieser kippeligen Karre wollte gelernt sein, und man musste höllisch aufpassen, dass einem die E-Maschine nicht von der Ladefläche rutschte.
In der Werkstatt begannen wir mit dem Zerlegen der Maschinen. Mit dem Körner wurden die Positionen der Lagerschalen und der Bürstenbrille markiert. Dann wurden die Elektromaschinen in ihre Einzelteile, wie Anker, Lagerschalen, Lager, etc. zerlegt. Die Einzelteile kamen dann in große Blechwannen. Die verdreckten Wicklungen und Lager wuschen wir mit Testbenzin und trockneten danach mit Pressluft. Wir lernten dabei, wie Kugellager geprüft werden, indem wir den inneren Ring zwischen Daumen und Zeigefinger nahmen und sorgfältig beim Durchdrehen fühlten, ob vielleicht eine Kugel gebrochen war oder ob z.B. ein Sandkorn den Lauf beeinträchtigte. Weiter durfte zwischen Außen- und Innenring kein Spiel vorhanden sein. Man konnte das Drehverhalten der Lager auch kurzzeitig mit Pressluft prüfen. Damit war die Prüfung beendet. Defekte Lager wurden ersetzt, da die Überholung der E-Maschinen zeitaufwendig war. Da wurde nicht gespart. Die Stator- und Rotorwicklungen bekamen einen neuen doppelten Isolierlack-Anstrich. Bei gleicher Gelegenheit wurden auch die Kohlen erneuert. Zwischendurch war Hans M. aktiv geworden und drehte den Kollektor ab, um die durch die Kohlen eingelaufenen Rillen zu entfernen. Die einzelnen Lamellen des Kollektors waren mit MIKANIT gegeneinander isoliert. Unsere Aufgabe war es nun, diese Zwischenstege von etwa 0,50 bis 1,00 mm Breite „auszustechen“. Dafür gab es ein spezielles Sägeblatt. Wehe dem Unglücksraben, der dabei ausrutschte und die frisch überdrehten Lamellen verkratzte!
Nach diesen Vorarbeiten wurde wieder zusammengebaut. Wälz- und Kugellager wurden zu ¾ mit dem Spezialfett „SHELL FL 4“ gefüllt, bei zu reichlicher Fettgabe wären die Lager sonst heißgelaufen. Nach dem Zusammenbau wurden die Gehäuse gespachtelt und feingeschliffen und zum Schluss mit grauer Marinefarbe gestrichen. Der Beruf des Schiffselektrikers, damals als „Starkstromelektriker“ bezeichnet, war sehr vielseitig. Ein wesentlicher Teil des täglichen Arbeitspensums war reine Schlosserarbeit.
Montags gingen wir zur Berufsschule. Im ersten Lehrjahr waren wir noch zusammen mit Lehrlingen verschiedenster Metall verarbeitender und Elektroberufe. In unserer Klasse waren Wagner, Karosseriebauer, Schiffbauer, Elektriker, Radiomechaniker und andere Gewerbe, um die Grundlagen der Metallberufe zu erlernen. Der Unterricht dauerte 7 Stunden. Verpflegung gab es in der Schule nicht. Für die restlichen 1 ½ Stunden mussten wir wieder zurück zur Werft, um dort weiter zu arbeiten. Täglich wurde die Werkstatt von den Lehrlingen des ersten Jahres aufgeräumt und das eine halbe Stunde vor Feierabend! Natürlich liebten wir diese Arbeit nicht, hatten aber keine andere Wahl. Sie wissen doch noch: Renitentes (aufsässiges) Verhalten galt als „Meuterei“, wurde wie ein Verbrechen geahndet und führte, wie Diebstahl, zum Rausschmiss. Unsere Werkstatt war uralt. Die Werkbänke waren aus dicken, schwarzen Eichenbohlen grob gezimmert, und Eichenbohlen, nur mit breiteren Fugen, bildeten auch den in Jahrzehnten ausgetretenen Bodenbelag. Wehe, wenn am Abend nicht alles sauber gefegt war! Der Meister kontrollierte selbst, nachdem einer von uns die „Fertigmeldung“ abgegeben hatte. Fand er noch irgendeinen übersehenen Kabelrest, dann reagierte er allergisch und beschwerte sich beim „Budenviz“: Der griff sich dann die „Muskiste“, die mit Tausenden von unsortierten Muttern, Schrauben, Unterlegscheiben und sonstigen Kleinteilen aus Reparaturen oder ausgeschlachtetem Gerät gefüllt war und schüttete sie auf dem Boden aus. Was half es, die Gesellen feixten schadenfroh und gingen, wie auch der Meister, pünktlich nach Hause. Wir sollten dann bis 19.00 Uhr bleiben (Feierabend war um 16.00 Uhr), um den ganzen Segen nach Art und Größe zu sortieren. Klar, dass wir, sobald der Meister außer Sicht war, händeweise einen Teil des Schraubenschrotts in den Taschen verschwinden ließen, um ihn auf dem Heimweg im nächsten Gully zu versenken. Das durfte natürlich nicht auffallen, und so achteten wir fortan darauf, dass diese Kiste nie zu voll wurde...
Aus dem Schlepperprogramm der Mützelfeldtwerft: Hier der Schlepper „FARGE“ der Unterweser-Reederei-AG., Bremen, 1950er Jahre
Täglich machten wir nun Fortschritte in der Ausbildung. Wir erlernten das Aufsetzen von Kabelschuhen auf Schweißkabel, Arbeiten an Umformern und Schalttafeln und die vielen kleinen Tricks, die die Erfahrung im erlernten Beruf ausmachen.
Welch tückisches Material war doch der Marmor, der damals noch für Schalttafeln verwendet wurde. Äußerlich wurde er in glatt polierten Platten geliefert, in ihm gab es aber harte und weiche Zonen. Man musste die Tafeln mit sehr viel Liebe und Verständnis behandeln, damit die Löcher, die wir für die Sicherungselemente und Schalter bohrten, auch wirklich senkrecht verliefen und nicht nachgefeilt werden mussten.
Die 1950er-Jahre waren im Schiffbau eine sehr interessante Zeit. Wir Deutschen durften auf Beschluss der Siegermächte ja nur Schiffe unter 1.000 BRT bauen. So lebten die Werften dann von den Reparaturen der überalterten Handelsschifftonnage, Staatsaufträgen, kleinen Neubauten und von der Überholung von Beuteschiffen der Engländer aus ehemaligem Kriegsmarinebestand sowie dem Beutegut, das die Engländer zur Verschrottung freigegeben hatten. Unsere Mützelfeldtwerft hatte sich auf kleine Hafenschlepper-Neubauten, Küstenmotorschiffe, Schiffsverlängerungen, Umbauten usw. spezialisiert. Der Bau der Schlepper, die nach Bremen, Hull und Newcastle on Tyne gingen, wie ich mich erinnere, beschäftigte uns über Jahre.
Die Staatsaufträge waren das Metier von Hans M.. Hier war saubere Arbeit ohne Akkord gefragt. Die Staatsdampfer, das waren kleine Hafenschlepper, Vermessungsschiffe, Bereisungsdampfer, Tonnenleger, seegehende Schlepper und die Feuerschiffe in der Elbmündung. Alle diese Schiffe waren an ihrem gelben Schornstein mit dem schwarzen oberen Rand zu erkennen.
Lotsentender MS „GREIF“
Ich erinnere mich an kleinere Lotsentender (Zubringer) und Reededampfer, wie die „ALTE LIEBE“, die beim gleichnamigen Anleger immer unter Dampf lag und Lotsen und Seeleute zu den elbauf- oder –abwärts fahrenden Schiffen brachte und abholte, an die „GRODEN“ und die „CUXHAVEN I“.
Der Lotsentender MS „GREIF“ und die Lotsendampfer „KERSTEN MILES“, „SIMON VON UTRECHT“ sowie der Tonnenleger „NEUWERK I, der auch ersatzweise als Lotsentender eingesetzt wurde, lagen abwechselnd auf Seeposition bei den Feuerschiffen.
Weiter gehörten dazu die Feuerschiffe „ELBE 3“, „ELBE 2“ und „ELBE 1“, der uralte Lotsendampfer „CAPTAIN KARPFANGER“, der Bereisungsdampfer „SCHARHÖRN“ und andere.
Bereisungsdampfer „SCHARHÖRN“
Diese Dampfer und die Feuerschiffe kamen jedes Jahr zur Überholung, wobei die Arbeiten auf verschiedene Werften verteilt wurden. Die „Kundschaft“ durfte keinesfalls verprellt werden. Der „Meister“ eines solchen Schiffes oder Bootes, eigentlich der verantwortliche Maschinist oder Ingenieur, war sich seiner Position bewusst. Das konnte so weit gehen, dass einige Meister gleich Hans M. anforderten, sobald der Dampfer auf der Werft festgemacht hatte. Menschen hatten sich gesucht und gefunden: Hans, der akkurate Arbeiter und alte Preuße und der Meister, der Typ eines Beamten. Ich war an Bord der misstrauisch beäugte „newcomer“, der sich erst noch zu bewähren hatte. Wenn ich mir meine alten Berichtshefte ansehe, lernte ich hier die gesamte Palette der Elektrikerarbeiten an Bord kennen:
Dazu gehörten z.B. die Überprüfung und Wartung der Generatoren für das Bordnetz, die Stromversorgung der UKW-Anlage, Positionslampen, Zolllampen, Decksleuchten, Scheinwerfer, Lichtmaschinen, die 110-V-Batterie und dann noch die allgemeine Überprüfung der E-Anlage. Der Meister kontrollierte meine Arbeit nach dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Nach Abschluss der Arbeiten gab es Geld für die Werft, und wir bekamen vom Meister eine neue „Order“. Eine Order war ein Arbeitsauftrag, wie überhaupt viele seemännische Ausdrücke in die Werftsprache übernommen wurden.
Dampfer „HARALD OTTENS“, Nord- und Ostsee-Tonnage aus den Jahren 1900-1920, wie sie in der Nachkriegszeit noch sehr verbreitet war
Wochenlang ging das nun weiter mit den Reparaturen, und ich kam schon im ersten Lehrjahr auf einige Schiffe. Meistens waren es Fischkutter, wie z. B. der „NC 300“ oder auf den französischen Havaristen „RIEN SANS MAL“ mit einem interessanten elektrischen Schaltgetriebe, aber auch Fischdampfer, wie die „ARKTIS“, kleine Ostseedampfer und die „FRIEDA PETERS“, die bei uns auseinander geschnitten, verlängert und zum Motorschiff umgebaut wurde. 40 % der damaligen Welttonnage waren damals noch Dampfschiffe, auf unserer Werft die Mehrzahl der Havaristen.
Natürlich arbeiteten wir damals auch samstags von 07.00 bis 12.30 Uhr. Für uns Lehrlinge bedeutete dieser Tag „Großreinemachen“. Wir fegten dann die Räume der 6-kV-Hochspannungsstation in denen es stets gespenstisch brummte und summte, säuberten und ölten die großen Gleichspannungsumformer, die wir für die Landanschlüsse der auf der Werft liegenden Schiffe mit Bordnetzen aller Art brauchten und reinigten den Kompressorraum. Das E-Lager und die Werkstatt mussten aufgeräumt werden, sowie Sauerstoff- und Azetylenflaschen bei Bedarf gewechselt und neu angeschlagen werden.
Die Hochspannungs-Transformatorzellen waren ein unheimlicher Ort: Knisternde Spannung lag in der Luft, dazu das monotone Summen der Trafos. Es wurde immer wieder erzählt, dass wir einmal einen Kabelbrand in der Schiffbauhalle hatten. Ich muss aber betonen, das war vor meiner Zeit und ich kann nur vermuten, dass an der Geschichte etwas wahr war. Es musste also schnellstens die Werkhalle vom Netz getrennt werden, wofür in der Halle an den Verteilern entsprechende Hauptschalter vorgesehen waren. Auf der Werft wurden aber in Notsituationen immer „ganze Einsätze“ bevorzugt, also die rabiateste Lösung gesucht: In der Transformatorstation gab es unter der Decke Stromschienen, bei denen man durch einen Messer-Trennschalter die ganze Anlage für Wartungs- und Reparaturarbeiten abschalten konnte. Dieser Schalter war durch ein Gestänge und ein Vorhängeschloss gegen unsachgemäße Eingriffe gesichert. Nun, unser Meister soll nicht lange gefackelt haben, schloss das Vorhängeschloss auf, griff sich die lange, gegen Hochspannung isolierte Stange, die wie eine mittelalterliche Turnierlanze aussah, hielt sich seine Mütze als Blendschutz vor die Augen und ... zog den Trennschalter unter voller Last. Das soll man nicht tun, aber „Not kennt kein Gebot“. Der Zeitzeuge berichtete und überlieferte, dass es einen riesigen Knall und Blitz gab und flüssiges Metall von den geschmolzenen Messerkontakten von der Decke regnete. Der Meister hatte die Situation wahrlich „im Griff“ gehabt!
Schauder jagte einem auch der Aufenthalt im Kompressorraum ein: Hier wurde die Pressluft erzeugt, die überall auf der Werft zum Säubern, Bohren, Nieten und mehr gebraucht wurde und die stets auf Druck gehalten werden musste. Ganz still war es hier. Doch urplötzlich und nie im Voraus berechenbar, aber immer dann, wenn im Windkessel der Druck abfiel, sprangen mit einem peitschenartigen, unwahrscheinlich lautem Knall die schweren KJELLBERG-Kompressoren an. Es war, als hätte einem heimlich Gevatter „Hein Klapperbeen“ von hinten auf die Schulter geklopft, und man fuhr unwillkürlich in sich zusammen. Meinen Lehrkollegen erging es da nicht anders. Hielt man sich länger in diesem Raum auf, dann glaubte man, in dem gewaltigen Geräuschpegel Stimmen zu hören.
Nach einigen weiteren Wochen bekamen wir neue Aufgaben. Für den Betrieb reparierte ich jetzt Kraftkabel und lernte das Verzinnen von Kupferschienen. Die Kupferschienen wurden für den Schalttafelbau benötigt. Dazu wurden sie in den Schraubstock gespannt und das überstehende Ende mit „FIXOTIN“, einer grauen Flüssigkeit bestrichen, die eine lötwasserähnliche Substanz enthielt, in der Lötzinn in Pulverform enthalten war. Dann wurden die Kupferschienen von unten vorsichtig mit dem Schweißbrenner erwärmt, und wenn sich auf der Oberfläche ein Brodeln abzeichnete, mit einem Lappen die ganze Fläche in einem Arbeitsgang abgewischt. Das ergab dann ein gleichmäßiges silbern glänzendes Bild.
Immer mehr wurden wir gefordert. Nun ging es auch schon mal öfter an Bord der Havaristen. Das Motorschiff MS „ARKTIS“ der EDWG (Erste Deutsche Walfang-Gesellschaft) meldete die E-Anlage unklar. Hier reparierten wir die Speisewasserpumpe und den Hilfskompressor und brachten auch den 32-kW-Umformer wieder zum Laufen.
Dann mussten zur Abwechslung mal wieder Kabel auf Neubauten verlegt werden, eine reine Schlosserarbeit, zumindest auf den Schiffen. Hierzu mussten oft Hunderte von 5,2-mm-Löchern gebohrt werden, dann wurden M-6-Gewinde geschnitten oder je nach Verlegungsart auch Kabelbahnen, Böcke und Kabelschellen gefertigt. Die Kabel wurden je nach Montageart in wohlgeordneten Bündeln direkt auf den Schotten verlegt, und dort, wo Schotten nicht angebohrt werden sollten, auch auf Kabelböcken oder auf Kabelbahnen, die mit den angeschweißten Böcken verschraubt wurden.
Das Verlegen der Kabel, das Anfertigen der dazu benötigten Schellen auf dem Schellenbock in der Werkstatt, das Anfertigen der Böcke und das Absetzen und Einführen der Kabel in die Armaturen (Schalter, Brennstellen, Verteiler, Motoren usw.) war Sache der Lehrlinge. Die Gesellen behielten sich das Verdrahten vor, was natürlich die interessantere und verantwortungsvollere Arbeit war.
Ab und zu gab es mal wieder einen außergewöhnlichen Auftrag: Unser Werftchef hatte sich mit den amerikanischen Lizenzgebern von COCA-COLA liiert und war mit einer Abfüllanlage in das Getränkegeschäft eingestiegen. Über das Wochenende mussten wir die elektrischen Arbeiten an der Abfüllanlage erledigen, die hinter dem Deich in der Nähe der Kugelbake (Cuxhavens Wahrzeichen) aufgebaut worden war. Zwar kostete damals eine Flasche COCA-COLA nur 25 Pfennige, aber entsprechend gering war auch unser Lehrlingslohn. Alle Werftleute hatten nun eine Zeitlang das Glück, täglich drei Flaschen des erfischenden Getränks umsonst zu bekommen. Der Grund für die Freizügigkeit unseres Firmeninhabers war das knallharte amerikanische Prinzip des „Franchising“. Das bedeutete für den Lizenznehmer, dass er täglich mindestens 25.000 Flaschen absetzen musste, und das zu jeder Jahreszeit! Nun braucht ja jede neue Firma erst einmal eine Anlaufzeit, aber darauf nahmen die Amerikaner keine Rücksicht. Im Sommer gab es bei den 40.000 Kurgästen kein Problem mit dem Absatz, im Herbst und Winter mussten wir dann aushelfen und taten es gerne. Bei 700 Mann Belegschaft wurden so täglich 2.100 Flaschen des coffeinhaltigen Getränks verteilt.
Zu Zeiten mit weniger Arbeitsanfall wurden wir auch mal tage- oder wochenweise „verborgt“. So kam ich dann eines Tages zur DEBEG (Deutsche Betriebs-Gesellschaft für drahtlose Telegrafie), die ja vorher keine Lehrstelle für mich hatte. Auf dem FD (Fischdampfer) „Österreich“ mussten Kabel für die Stromversorgung der FT(Funk-Telegrafie)-Anlage neu verlegt werden. Arbeiten auf Fischdampfern waren nicht sonderlich beliebt, besonders dann, wenn Reparaturen im Laderaum anstanden. Obwohl die Räume nach dem Löschen mit Heißdampf gewaschen wurden, haftete noch eine glibberige, streng nach Fisch riechende Masse an den hölzernen Verschalungen, und hierauf wurden dann in Rohren die Kabel zum Vorschiff verlegt. Der Fischgeruch haftete penetrant in den Haaren, auf der Haut, in der Kleidung und selbst an den Schuhsohlen. Da konnte man sich abends dreimal die Hände mit unserem aggressiven Reinigungsmittel „P 3“, dass bei kleinen Riss- und Schürfwunden so gemein brannte, die Hände waschen, der Geruch blieb und verfolgte uns auch noch nach Feierabend.
Die Zuarbeit zur DEBEG war sehr angenehm. Ich arbeitete an der Funkanlage, kam natürlich in die Funkbuden und mit den Funkern ins Gespräch und war meinem Hobby sehr nahe. Das Morsen hatte ich noch in der Schulzeit beim schon erwähnten Ernst Reinartz, einem alten Marinefunker, gelernt. Als Gegenleistung half ich ihm in den Ferien aus, in denen wir natürlich nicht verreisten, wovon auch? Aber wir lebten ja in einem Kurort und konnten an allen Veranstaltungen für die Kurgäste teilhaben. Ernst Reinartz hatte immer Aufgaben für mich: Ich reparierte für ihn Fahrräder, während er sich mit der Reparatur von Nähmaschinen und Radiogeräten befasste. Auch ein kleines Taschengeld bekam ich von ihm, nämlich ganze zwei (!) Mark pro Woche! Schließlich kam er auf den Gedanken, dass ich auch die Außenstände, natürlich nur bei den besonders harten säumigen Zahlern, für ihn eintreiben könnte. Seine damals nicht gerade vermögende Kundschaft wohnte in einer gefürchteten Ecke unserer Stadt, die damals als „Klein Moskau“ verschrien war. Eigentlich war es nur ein tristes, langes, grau verputztes Wohngebäude, eher eine Mietskaserne. In diesem Haus fristeten unglückliche Existenzen und Familien mit vielen Kindern ein freudloses Dasein. Als ich dann in dieser Umgebung bei einer resoluten, rothaarigen Dame die ausstehenden 12,50 Mark einforderte, zeigte sie sich sehr freundlich und bezahlte, merkte sie vielleicht auch, dass R. mich vorgeschickt hatte. Ich bekam das Geld problemlos, quittierte den Erhalt und lieferte es bei dem Oldie ab. Schlitzohrig erzählt er so nebenbei, dass die Kundin gerade aus dem Gefängnis entlassen worden sei. Sie hatte ihrem Mann im Streit Pfeffer in die Augen geblasen... Fortan sagte ich Ernst R., würde ich lieber auf solche Botengänge verzichten...
Doch wieder zurück an Bord: Mit den Funkern hatte ich immer ein gutes Verhältnis. Das waren in der Mehrzahl sensible, hagere Typen. Meistens waren sie über alle Maßen nervös und oft nach fünfzehn Jahren Dienst „am Ende“. Sie rauchten viel. Einige waren in ihrer Freizeit auch Funkamateure wie ich. Auf den isländischen Fischdampfern war es sogar üblich, dass auch Frauen an Bord mitfahren durften, sei es als Stewardessen, manchmal auch nur als Ehefrauen der Besatzungsmitglieder, später auch als Funkerinnen. Auf deutschen Schiffen wurde das erst später geduldet. Frauen an Bord brächten Unglück, war die Meinung der abergläubischen Seefahrer. Die Funker an Bord waren in einzelnen Fällen auch gleichzeitig „storekeeper“ und „purser“. Sie versorgten das Schiff auf Anforderung mit Proviant und verwalteten das Freilager (Alkohol, Zigaretten, Tabak, etc.). Auch waren sie die „Bank“ an Bord und versorgten die Mannschaft gegen einen „Ziehschein“ (Quittung für die Belastung des Heuerkontos) in den Häfen mit Devisen. Sympathien sind eine gute Sache, und Funkamateure waren damals noch handverlesen. Da kam es schon mal vor, dass für mich eine angebrochene Schachtel „Chesterfield“-, „Philipp Morris“-, „Camel“- oder „Senior Service“-Zigaretten abfiel. Die Gesellen durften das nicht mitbekommen. Das klappte leider nicht immer, denn kaum hatten wir den Zoll passiert, der gleich fragte, wie viele Zigaretten wir dabei hätten, meldeten sie sich schon bei mir und sagten, wir dürften eh nicht rauchen. Da nutzte es auch nichts, dass ich sagte, mein Vater sei Raucher und würde sich auch freuen. Mit dem Zoll musste man umgehen können, gab es da doch feste Regeln zu beachten, aber das lernte man in den 3 ½ Jahren.
Unter allen Funkern, denen ich begegnete, war auch ein Genie. Der Mann fuhr auf der „MEERKATZE“.
Das war ein früherer Marinetender, der nach dem Krieg zum Fischereischutzboot umgebaut worden war. Er hatte auf See stets zwei Empfänger in Betrieb und benutzte einen Kopfhörer, bei denen er jeweils eine Muschel an einen Empfänger angeschlossen hatte. So verfolgte er mit einem Ohr den Bord-zu-Bord-Sprechfunkverkehr und mit dem anderen die verschlüsselten gemorsten Wettermeldungen. Diese entschlüsselte er im Kopf und tippte sie im Klartext in die Schreibmaschine. Das wäre heute reif für eine Eintragung ins Guinness-Buch der Rekorde. Eine Meisterleistung der Konzentration und grenzend an Bewusstseinsspaltung.
Schade war nur, dass der Meister nichts von meiner Passion für die Funkerei wissen durfte. Da verstand er keinen Spaß, war er doch der felsenfesten Meinung, dass die Lehre des Elektrohandwerks das Interesse für die Funktechnik ausschließen müsse.
Nach diesem Job gab es wieder Einsätze auf Lotsenversetzdampfern, wo wir z. B. die Kühlanlage auf der SIMON VON UTRECHT reparierten und auf einem inzwischen fertiggestellten 999-BRT-Neubau unserer Werft. Es war ein Kühlschiff. Die Konstruktion der „CARIBIA“ war nicht ganz frei von Problemen.
„CARIBIA“
Ich kann mir zwar kein Urteil darüber erlauben, und so will ich mal vermuten, dass das Schiff leichte Stabilitätsprobleme hatte. Ich erinnere mich, dass wir für Restarbeiten vor der Ablieferung und im Maschinenraum waren. Die Schiffsführung war gerade bei den Krängungsversuchen. Dabei wurden Betonquader mit dem eigenen Ladegeschirr von der Pier aufgenommen und der auftretende Krängungswinkel gemessen. Bei 45° ist der kritischste Punkt erreicht, denn dann kentert das Schiff. Bei den Versuchen wurden wohl 20°-30° erreicht. Auf alle Fälle verließen wir alle den Maschinenraum über die schon bedenklich schräg stehende Stahltreppe.
Zu den Restarbeiten gehörte auch das Verkitten der Stopfbuchsen der E-Armaturen. Bei +27 °C Außentemperatur stiegen wir durch eine Schleuse hinab zum Betriebsgang im Laderaum. An Backbord und Steuerbord abgeschottet lagen die Kühlboxen. Trotz der dickwandigen Isolation herrschten hier Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Wir kneteten verbissen den „GURU“-Kitt, den wir zum Abdichten der Stopfbuchsen benötigten, der aber bei diesen Temperaturen und dem Einsatz der Körperwärme nicht weich werden wollte. Im harten Zustand ließ er sich aber nicht verarbeiten. Mit feinfühliger Unterstützung durch die Flamme der Lötlampe war es dann doch noch zu schaffen. Erfahrung ist alles.
Das Schiff machte seinen Konstrukteuren noch weitere Sorgen: Bei der Abnahme durch den ‚Germanischen Lloyd’ stellten die Experten u. a. fest, dass die Kühlanlage so optimal funktionierte, dass das Wasser in den Peilrohren fror. Aber auch dieses Problem wurde gelöst, indem elektrische Heizelemente, so genannte „Bakerrohre“ in die Peilrohre eingebaut wurden. Ob das die optimalste Lösung war, ist nicht überliefert. Aber unser Meister, ein allseitig geschätzter Fachmann, hatte letztlich auch dieses Problem gelöst. Er hatte damit bewiesen, dass er noch viel kompliziertere Situationen beherrschen konnte. Bei der Übergabe eines Neubaus, bei den Standproben (Prüfung der Maschinenleistung bei festgemachtem Schiff) und den GL-Abnahmen sind übrigens nur die Meister der verschiedenen Gewerke an Bord. Jeder hofft dabei, dass sein Arbeitsbereich fehlerfrei übergeben werden kann, aber sicher ist man da nie und auch sehr einsam, wenn tatsächlich Probleme auftreten. Diese müssen dann nämlich unter Zeitdruck gelöst werden, denn gleich nach der Jungfernfahrt will der Reeder mit dem Schiff Geld verdienen.
Die wirklich letzten Restarbeiten auf der CARIBIA waren noch die Montage eines Ölvorwärmers, ein paar zusätzliche Steckdosen, Schaltkästen und ein Anschluss für das Bordtelefon in der Eignerkammer. Hier hatte ich den Verstärkerkasten für das eigentlich „stromlose Telefon“ einzubauen und damit auch einmal eine kleine Aufgabe, die ganz entfernt mit Elektronik zu tun hatte.
Dann folgte die Betriebserprobung. Die Seeleute froren Schellfisch bei minus 40 °C ein und prüften das Kühlgut, indem sie die bretthart gefrorenen Fische einfach über der Deckskante zerschlugen. Die Fische platzten wie Glas, und die Auftraggeber waren zufrieden. Nun wurde das Schiff an die Eigner übergeben. Das geschieht in einer kleinen Zeremonie, wo es nach vielen guten Sprüchen heißt „Hol nieder Werftflagge, heiß vor Reedereiflagge“. Natürlich sind dabei nur Ehrengäste und die hochrangigen Vertreter der Werft an Bord. Das Schiff machte unter seinem norwegischen Eigner wohl nur eine Reise als Kühlfrachter. Wie der „Küstenklatsch“ zu berichten wusste, wurde es dann zur Beförderung von Stückgut umgerüstet, durch Änderungen an den Aufbauten stabilisiert und zu meiner Zeit bis Ende 1956 nicht mehr auf der Werft gesehen.
Dafür legten interessante andere Schiffe an. Oft kam die „ELSE SIEG“, ein hölzerner, schwarzer Viermastschoner mit dem Danziger Wappen am Bug. Der Schoner war aber schon abgetakelt und fuhr nun als Motorschiff mit teilweise gekappten Masten. Oder es legte ein kleiner Binnentanker „HANSEAT“ vom Rhein an, der Wein geladen haben sollte. So etwas sprach sich im Nu herum. Blitzschnell prüften findige Werftleute, ob noch verwertbare Restbestände im Tank waren. Das Zeug war aber schon umgeschlagen und sauer, es war wohl für die örtliche Essigfabrik bestimmt gewesen.
Zu unseren Aufgaben gehörte auch die Entmilitarisierung ehemaliger Tonnage der Kriegsmarine. Die Engländer und Amerikaner hatten nach Kriegsende große Beute gemacht und verfügten nun neben größeren Einheiten über ehemalige Flugsicherungsboote, Räumboote, KFK (Kriegsfischkutter), Vermessungsboote, Tender, Schlepper, Wachboote und mehr. Im Zuge der Minenräumaktionen wurden die Schiffseinheiten mit eingefahrenen deutschen Ex-Besatzungen wieder in Dienst gestellt.
Da die deutschen Werften die Ersatzteile für diese Marineschiffe noch am Lager hatten, verblieben die Einheiten in Deutschland und wurden hier gewartet. Das am meisten gebaute und kleinste Marineschiff, von dem gut 600 Exemplare abgeliefert wurden, war der KFK (Kriegsfischkutter), der als „Reichsfischkutter“ schon so konzipiert war, dass er nach dem Krieg auf ein ziviles Fahrzeug umgerüstet werden konnte.
Kriegsfischkutter Vs 132, KFK 143, 1944-1945 in Sonderburg/DK
Einige Schiffe und darunter die meisten KFK wurden bei der Auflösung der Räumflottillen der Bundesregierung überlassen.
Minensuchboot der Bundesmarine „SKORPION“, ex. R 120 der Kriegsmarine. Boote dieser Art wurden nach dem Krieg für zivile Zwecke umgebaut, als Wohnboote hergerichtet oder abgewrackt.
Es bestand aber die Auflage, die Boote zu entmilitarisieren, woran mehr als 60 Werften beteiligt waren. An diesen Schiffen haben sicher einige Werften gut verdient. Ein uraltes, ungeschriebenes Gesetz sagt, dass das Material, das auf der Werft ausgebaut wird, der Werft gehört. Auf den KFK-Kuttern verblieb ein Teil der Einrichtung. Ausgeschlachtet wurden bei uns speziell Räumboote. Wenn ein Boot bis auf den Rumpf „entkernt“ wurde, dann fiel eine Menge an wieder verwertbarem Ausbaumaterial an: So bauten wir sorgfältig Schalttafeln, Schaltschränke, Schaltkästen, MES(Minen-Eigen-Schutz)-Anlagen, Echolote, Generatoren, Umformer, Anlasser, Telefone, Kommando- und Funkanlagen, Positionslampen, Schalter, Scheinwerfer, Klarsichtscheiben, Regler, Gruppenhorchgeräte (GHG) und weiteres Material aus und demontierten auch die Kabel.
Alles Material wurde sorgfältig abgeborgen und kam dann auf unser reichlich sortiertes E-Lager, das auf dem Boden über der Maschinenbauhalle eingerichtet wurde. In flauen Zeiten wurden diese genormten Sachen aufgearbeitet und dann zu irgendeinem Zeitpunkt an unsere KFK-Fischerkundschaft als Ersatzteil verkauft.
Aus einem ehemaligen R-Boot der Kriegsmarine entstand, entmilitarisiert, die „HANSA VI“, DDG „Hansa“, Bremen, 1950er Jahre
Nach dem Abschluss der Minenräumaktion konnten deutsche Fischer bei den Alliierten die umgebauten KFK-Kutter chartern und sie später von der Bundesregierung kaufen. Die in Komposit-Bauweise (Stahlskelett mit Holzbeplankung) gefertigten Kutter wurden während des Krieges universell als Räum-, Vorposten-, Wachboote und U-Jäger eingesetzt und hatten sich als sehr seetüchtig erwiesen. Etwa 24 der ursprünglich gut 600 gebauten Boote sind noch bis heute (2004) in Fahrt!
Die ausgeschlachteten Rümpfe der Flugsicherungs-, Räum- und Schnellboote fanden zahlreiche private Interessenten. Eine Partie ging als Wohnschiffe nach Duisburg, wo sie im Parallelhafen 36 festmachen sollten, andere wurden von vermögenden Bremer Kaffeeröstern zu schnittigen Motoryachten umgebaut. Die beiden 750-PS-MAYBACH-Motoren verhalfen den Schiffen zu hohen Geschwindigkeiten, und so schauten wir bei unseren sonntäglichen Spaziergängen schon ein bisschen wehmütig zu, wenn diese Lustyachten an sonnigen Pfingsttagen mit hübschen Mädchen an Bord dicht unter Land vorbeizogen. Die Eigner begleiteten mit ihren Booten die Regatta der Hochsee-Segelyachten auf deren Tour nach Helgoland. Andere betuchte Leute, auch solche aus der Showbranche, liebten es ruhiger. Die ließen sich dann ehemalige KFK-Kutter zu hochseetüchtigen Segelyachten umrüsten.
Kriegs-U-Jäger „KUJ 12“, schon zur Nachkriegsverwendung als Fischdampfer geplant
Bei den Demontagen passierten auch manchmal kleine Pannen. Um die Maschinen auszubauen, musste erst einmal das ‚Skylight’, die Abdeckung des Maschinenraumschachtes, abgebaut werden. Der Kranhaken mit dem Stropp war schon angeschlagen, und die meisten Bolzen der Verschraubung entfernt worden. Die Werftleute machten Feierabend. In den Abendstunden erschütterte eine lautes Poltern und Rumoren unseren Ort, so, als wären zwei Güterwaggons in voller Fahrt aufeinander gekracht. Was war geschehen? Das Skylight hing noch an zwei Bolzen. Als dann Ebbe lief, hing kurzzeitig das ganze Räumboot an unserem 27-m-Turmdrehkran. Die Bolzen scherten ab, und der nun plötzlich entlastete Kran erschütterte in seinen Fundamenten. Seine holländischen Erbauer hatten gute Arbeit geleistet, der Kran blieb intakt!
Schon vor meiner Zeit bekamen wir einen ehemals deutschen „KUJ“ (Kriegs-U-Jäger) aus belgischer Beute. Mit ihrer modernen und soliden Konstruktion, die schon den Nachkriegseinsatz als Fischdampfer vorsah und der Eisverstärkung am Steven und am Heck, bildeten diese Schiffe eine ideale Grundsubstanz zum Umbau in ca. 550-BRT-Fischdampfer für den Grönlandeinsatz.
„OTTO F.C. BERTRAM“
Aus dem „KUJ 12“ entstand bei Mützelfeldt der FD „OTTO F. C. BERTRAM“. Diese fast noch komplett ausgerüsteten Einheiten waren Fundgruben für Ausrüstungen aller Art. Allein in der E-Anlage fiel eine Menge an wieder verwertbarem, neuwertigem Material, wie Generatoren, Motoren, Schalttafeln etc. an. Für mich war das Ausbaugut ein Hort ständiger Versuchung, aber ich musste hart gegen mich selbst bleiben. Der Meister hatte inzwischen wohl herausbekommen, dass ich mich sehr für Funkanlagen interessierte. Von meiner spärlichen Ausbildungsvergütung von 35 Mark im Monat konnte ich mir natürlich keine Funkanlage leisten.
Mit Hilfe von Ernst Reinartz hatte ich mich nämlich schon seit einem Jahr auf die Prüfung als Funkamateur vorbereitet und im Februar 1954 diese zum frühest möglichen Zeitpunkt mit 18 Jahren bei der Oberpostdirektion in Hamburg bestanden.
Und gerade mich beauftragte der Meister bei späteren Abbau-Aktionen immer wieder, die gesamte FT-Anlage, Ortungsgeräte, Kommandoanlagen und mehr sicherzustellen. Gleichzeitig erinnerte er mich bei jedem Auftrag immer wieder daran, sollte ich auch nur ein Teil des Ausbaugutes an mich nehmen, dann wäre meine Zukunft ruiniert. Manche Versuchungen nahmen mir einzelne Werftleute ab, die grundsätzlich alles privat gebrauchen konnten. Einer von ihnen verbreitete, dass die „Matratzen“-Antennen der Funkmesseinrichtungen aus purem Silber seien. Innerhalb kürzester Zeit waren Bolzenschneider zur Hand, und die „Experten“ zerlegten in Windeseile diese filigranen Metallkonstruktionen in handliche Schrottpartien. Am nächsten Tag hörte ich, dass es nur eine seewasserfeste Legierung gewesen sei. Da hatten wohl schon einige Leute den Verkauf versucht. Wieder andere Interessenten sicherten sich die Einschübe und den Inhalt des ganzen ELA(Elektro-Akustik-Anlage)-Gestells mit dem 70-W-Kommandoverstärker, dem Plattenspieler, den Schallplatten, dem Bedienteil und dem großen TELEFUNKEN-Gemeinschaftsempfänger ELA 1012. Wie sie diese Geräte aus der Werft herausschafften, ist mir heute noch ein Rätsel. Vielleicht hatte der Meister ja auch die Zustimmung gegeben. Werftarbeiter hielten zusammen.
Sie konnten manches gebrauchen, und im Tausch konnte man von den Leuten auch einiges bekommen. Die Keller und Schreberbuden waren damals gut für manche Überraschung. Immerhin, das nun leere Gestell der ELA-Anlage war noch vorhanden, das durfte ich dann auch noch ausbauen. An den Einrichtungen der Funkanlagen war außer mir niemand interessiert. Die wunderschönen Kurz- und Langwellensender, UKW-Bord-zu-Bord-Funksprechgeräte, Empfänger, Peiler, Funkmess- und Sichtgeräte, Umformer, Morsetasten, Kopfhörer, Ersatzteile und weiteres reichhaltiges Zubehör, nicht zu vergessen die ENIGMA-Verschlüsselungsmaschine (heutzutage ein Wert von 20.000 €) wogen ja auch Zentner. Ich baute also die gesamten Partien aus und verbrachte sie zu unserem Lager „Ostseite“. Da standen schon in langen Reihen Geräte gleicher Art und Type aus früheren Abbau-Aktionen. Man darf heute als geläuterter alter Funker über diese Zeit nicht nachdenken: Vermögende Sammler blätterten heute allein für die funktechnischen Geräte, die auf unserer kleinen 700-Mann-Werft anfielen, ohne nachzudenken den baren Wert eines Zweifamilienhauses in guter Lage hin. Kurzum, eines Tages erhielt ich vom Meister die Order, für einen seiner Bekannten diverse Teile aus diesen Geräten auszubauen. Es tat mir in der Seele weh, hier intakte Substanz mit Seitenschneider, Kombizange und Schraubendreher plündern zu müssen, blieb für meine Funkbude dabei doch nichts übrig. Von Zeit zu Zeit bekam ich (wer sonst?) dann den Auftrag, die Geräte auf den Lkw des örtlichen Schrotthändlers H. zu verladen. Der zahlte der Werft nur drei Pfennige pro kg Funkschrott und maulte noch, weil die Kabelbäume aus den Geräten noch nicht herausgeschnitten waren und damit Spritzguss und Kupfer schon mal getrennt waren. Andererseits war er auch viel zu gerissen, um mir auch nur eines der Geräte günstig zu verkaufen. Aus der Traum. Für die Ausrüstung meines „Funkshacks“ musste ich andere Quellen finden.
Kleinlaut nahm ich wieder Kontakt mit unserem Laternenanzünder auf, den ich ab und an traf und ihm von meinem Malheur mit einem Mitglied des damaligen „Allg. Radio-Bund Deutschlands e.V.“ berichtete. Er war mir wohl gesonnen. So wurde ich kurz darauf für ganze 5 Mark Besitzer des PHILIPS-Allwellenempfängers „H2L7“ nebst zugehörigem Universalnetzteil. So konnte ich schon mal als Hörer dem örtlichen Funkverkehr am Sonntagmorgen lauschen. Etwas später bekam ich aus der gleichen Quelle für 35 Mark, also einem ganzen „Monatslohn“, einen weiteren PHILIPS-Kurzwellenempfänger, den „HMZL 34 okm“. Dieses Gerät der ehemaligen Kriegsmarine hatte noch weit mehr Möglichkeiten und konnte mit dem gleichen Netzteil wie der „H2L7“ betrieben werden konnte. Stolz schleppte ich den etwa 40 kg schweren Empfänger nach Hause. Nun, da ich einen Superhet der Spitzenklasse hatte, gehörte ich zur „Creme“ der Besitzenden unter den Funkamateuren in Cuxhaven. Es fehlte nun nur noch der Sender, aber davon später mehr. Der Grundstock für eine eigene Funkstation war jedenfalls schon mal geschaffen.
Doch zurück zum Werftalltag: Pünktlich am Montagmorgen mussten die Berichtshefte abgeliefert werden. Darauf legte der Meister großen Wert. Immerhin gab es auch damals unter den Lehrlingen einige, die sich sehr gehen ließen und die abzugleiten drohten. Viele Kinder wuchsen ohne Vater auf, der gefallen, vermisst oder noch in Gefangenschaft war, und manche Ehe hatte auch nicht gehalten und wurde geschieden. Die allein erziehenden Mütter baten dann den Meister „an Vaters statt“ die Erziehung mit zu übernehmen. Für diese Aufgabe fanden sich neben dem Meister auch immer ein paar Gesellen, denen der Ruf nach „Zucht und Ordnung“ noch sehr vertraut war. War also am Montagmorgen das Berichtsheft nicht vorhanden, dann fragte der Meister sofort, ob der Bericht denn geschrieben sei. Nur einmal sagte Uwe S., dass der Bericht fertig geschrieben zu Hause läge und er ihn nur vergessen habe. Meister L. gab ihm wortlos sein Fahrrad und den Budenviz als Begleitperson gleich mit dazu und sagte, er, Uwe, hätte 20 Min. Zeit für die Hin- und Rückfahrt. Uwe holte das Heft, natürlich ohne den Bericht. Es war klar, dass in so kurzer Zeit der Text von einer Seite in Normschrift nebst Zeichnung und Unterschrift der Mutter nicht zu schaffen war. Wieder zurück, setzte es eine gewaltige Ohrfeige vom Meister, dazu als Dreingabe saftige, grobe Flüche und noch eine weitere, wesentlich härtere Strafe: Uwe musste sich am folgenden Sonntagmorgen um 09.00 Uhr auf der Werft einfinden, um dort den Bericht nachzuschreiben. Hier hatte er dann so lange zu bleiben, bis es dem Meister gefiel, bei seinem Sonntagsspaziergang mal hereinzuschauen. Es wurde später Nachmittag, bis der Meister kam. Für Uwe war „der Tag gelaufen“, und es war eine schmerzliche Erfahrung, die er da machte. Der heilige Sonntag war unser einziger ganz freier Tag, auf den wir uns schon im Voraus freuten. Wir hatten damals noch die 48-Stunden-Woche und arbeiteten am Sonnabend bis 12.30 Uhr.