Читать книгу Schiffselektriker – Werft, Schiffe, Seeleute, Funkbuden – Jahrgang 1936 - Conrad H. von Sengbusch - Страница 8

Berufsfindung und Stellensuche, 1953

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Die nun anstehende Stellensuche verlief wohl ähnlich wie heutzutage. In Physik und Chemie hatte ich „sehr gute“ Noten und war auch in der Mathematik nicht unbeholfen. So war der Weg in einen technischen Beruf praktisch vorgezeichnet. Schon von früher Jugend an faszinierte mich die Radiotechnik, und so war es mir auch schon einige Male gelungen, unseren altersschwachen Volksempfänger bis in die 50er-Jahre hinüberzuretten und immer wieder zum Spielen zu bringen. Erfolgserlebnisse dieser Art ließen mich vom ursprünglichen Schiffbauer-Gedanken abschweifen, um mich nun mit Macht der Elektrotechnik in allen ihren Facetten zuzuwenden. Schon bald trat ich in den „Allgem. Radio Bund Deutschlands e.V.“ ein, der sein Vereinslokal in einem kleinen Haus am Schleusenpriel in Cuxhaven hatte. Hier war ich für ein halbes Jahr Mitglied, trat dann aber enttäuscht aus, und das hatte seinen Grund: Als Schüler war ich immer auf der Suche nach geeignetem Bastelmaterial für meine Radio-Bauvorhaben. In der Bernhardstraße gab es damals ein öffentliches Versteigerungslokal, und dorthin zog es mich immer wieder. Ich hatte nämlich erfahren, dass man dort manchmal günstig „Notradios“ finden könnte. Das waren abenteuerlich zusammengeschusterte einfache Rundfunkgeräte, die aus Bauteilen von ausgeschlachteten Wehrmachtsfunkgeräten gleich nach dem Krieg entstanden waren. Nun, fündig wurde ich nie, und mit dem Karton voller Senderöhren der Type RS 291 konnte ich auch nicht direkt etwas anfangen. Aber ich traf auf den damaligen Gaslaternenanzünder, der in Cuxhaven abends mit dem Fahrrad durch die Straßen fuhr, um Laternen, die nicht gezündet hatten oder durch böse Buben durch einen Tritt gegen den Laternenpfahl außer Betrieb gesetzt wurden, wieder anzuzünden. Dieser Mann suchte, wie ich, nach alten Radios und erzählte mir, er hätte noch einen Kurzwellenempfänger der einstigen Kriegsmarine. Unmittelbar nach dem Krieg war der Besitz von solchen Nachrichtengeräten bei Todesstrafe verboten, das Verbot wurde aber bald aufgehoben. In Cuxhaven konzentrierte sich viel an solcher Technik, gab es doch rings um den Stadtkern die Basis der Marine, Scheinwerferstände, verschiedene Forts, Horch- und Peilstellen, eine V-2-Abschußstelle, Arsenale und einen Flugplatz in Nordholz auf dem halben Wege nach Bremerhaven. Schutenweise wurde damals Nachrichtenmaterial auf Anordnung der Engländer „verklappt“, und was es noch an Restbeständen gab, das wurde zerlegt.


Typische Funk(FT)-Anlage der 1930er bis 50er-Jahre: Die 40/70-Watt-Station

Wie es immer so ist, gibt es aber auch Menschen, die diesen Raubbau an der Technik nicht ertragen können. Auch lebten damals etwa 40 Funkamateure in Cuxhaven, die lieber mit intaktem Gerät sendeten, als sich aus Teilen eine Station selber aufzubauen. Kurzum, der Laternenanzünder lebte in der Marienstraße, die parallel zu unserer Wohnstraße verlief. Ich solle mal vorbei kommen, was ich mir nicht zweimal sagen ließ. Sein Keller war gut sortiert, da stand nicht nur ein Kurzwellenempfänger, sondern gleich mehrere. Mein Taschengeld war aber nach Groschen bemessen, so dass ich für die geforderten fünf DM etwas sparen musste. Schließlich schleppte ich einen kompletten TELEFUNKEN-Empfänger E 382 bF nach Hause. Es war ein Meisterwerk der Technik, das einst zur Anlage „FuG III“ oder „FuG V“ gehörte, wie sie bei der Kriegsmarine und bei der Luftwaffe verwendet wurde. Es fehlte nur ein Netzteil zur Stromversorgung. Also begab ich mich samt Gerät zum „ARBD e.V.“ und hoffte auf aktive Unterstützung. In dem schmalen Raum werkelten damals zwei Mann, von denen ich die Namen aber vergessen habe.

Einer griff sich gleich mein Gerät, hatte blitzschnell einen Seitenschneider zur Hand und kniff sich unbekümmert die Bauteile heraus, die er für sein Projekt gebrauchen konnte. Gerade vernahm ich noch, dass er nuschelte „solch ein Gerät darfst Du gar nicht haben“. Ich war schlicht „überfahren“ oder „über den Tisch gezogen“ worden, wagte mit meinen 14 Jahren aber keinen Widerspruch. Innerlich trennte ich mich aber voller Enttäuschung von dem Verein, als ich dann abends unverrichteter Dinge mit meinem Geräterest wieder heimwärts zog.

Im gleichen Jahr war ich dann Gast beim „Deutschen Amateur-Radio-Club e.V.“.


Ein alter Marinefunker, Ernst Reinartz, betrieb im gleichen Haus wie der ARBD e.V. eine kleine Werkstatt, in der er Fahrräder reparierte oder aus Schrottteilen wieder aufbaute, des weiteren Radios und Nähmaschinen und sich mit vielen anderen technischen Dingen beschäftigte. Es war hier eine sehr interessante Umgebung, in der ich viel für meinen zukünftigen Beruf lernen konnte, zumal OM Reinartz auch eine JOHNSEN-Funknlage unter seinem Rufzeichen DL6QT betrieb. Doch davon berichte ich noch später. Die Stellensuche war vordringlicher.

Als Nachkomme einer alten baltischen Reederfamilie war ich natürlich auch seefahrtsbegeistert, zumal ich täglich Tonnage aller Art, wie Fischdampfer, Kutter, Tanker, Segelschiffe, sowie Dampf- und Motorschiffe auf der Elbe an Cuxhaven vorbeiziehen sah. Kein Tag verging, an dem ich nicht irgendwann die wenigen Schritte zum Deich ging, um auf der Deichkrone das Schauspiel zu beobachten. Stundenlang konnte ich später an der „Alten Liebe“ stehen, um einen nach dem anderen der Aufkommer und der ablaufenden Schiffe abzuwarten, die dann später auch mit weiteren Informationen über Lautsprecher angekündigt wurden.

Ich hätte also gerne einen Beruf gewählt, der Seefahrt und Funktechnik vereinigt. Die DEBEG, eine Betriebsgesellschaft, die damals Funkanlagen auf Schiffen installierte, diese auch wartete und reparierte und mitsamt den Funkern an die Reedereien vermietete, schien mir die geeignete Firma zu sein. Doch die brauchten gerade keine Lehrlinge, und die einzige Konkurrenz am Ort, die den Service für die HAGENUK-Anlagen, sowie für die dänischen Fabrikate JOHNSEN, PEDERSEN und ELEKTROMEKANO machte, auch nicht.

So musste ich umdisponieren und notfalls auch „außer Landes“ gehen. Ich bewarb mich bei einem großen Elektrokonzern in Hamburg. Bei einem Nachzüglertermin erhielt ich noch eine Chance, aber es war damals so ähnlich wie heute: 50 Leute kamen und fünf wurden gebraucht... Es mussten hässliche Fragen beantwortet werden. In den naturwissenschaftlichen Fächern konnte ich gut mithalten, bei der Allgemeinbildung versagte ich aber. Doch, Hand aufs Herz, hätten Sie, übertragen auf heutige Verhältnisse die Geburtsdaten von Gerhard Schröder und Johannes Rau gewusst, die Namen aller Ministerpräsidenten der Bundesländer und den Schöpfer der „Unvollendeten Neunten“? Hier rächte sich das uns damals von den Alliierten aufgezwungene föderalistische Bildungssystem, das in letzter Konsequenz dazu führte, dass es in den 70er-Jahren allein in Hamburg 20 verschiedene Lesebücher für Erstklässler gab. Jedes Bundesland nutzte seine Bildungshoheit und setzte eigene Prioritäten. Übrigens wollte es das Schicksal, dass ich nach der Lehrzeit und dem Studium bei ebendieser Firma als Laboringenieur anfing und einige der damals fünf Auserwählten wieder antraf. Wie sie mir im Nachhinein augenzwinkernd mitteilten, wussten sie von Gönnern, Bekannten und Schulfreunden, die diese Prozedur schon hinter sich hatten, in etwa, was sie bei der Auswahlprüfung erwartete. Da hatte ich als „Provinzler“ natürlich „schlechte Karten“. Mein „Wissen“ war damals sehr lückenhaft, wurde es mir durch die Kriegs- und Nachkriegsereignisse doch in neun (!) verschiedenen Schulen vermittelt, die nationalsozialistische, kommunistische oder westliche (amerikanisch orientierte) Ziele verfolgten.

Also wieder heim nach Cuxhaven und weiter gesucht. Das Arbeitsamt lud zum Test. Primitive Fragen waren zu beantworten: „Welche Handwerkzeuge kennen Sie?“ Aus Kolonnen von Zahlen waren nach der Stoppuhr immer die gleichen anzustreichen. Ein Modell einer Wasserpumpe musste aus Einzelteilen zusammengesetzt werden, wobei bei meinem Bausatz ein Teil fehlte. Der Drehsinn mehrerer gekoppelter Zahnräder sollte markiert werden. Schließlich waren komplizierte Zeichnungen seitenverkehrt darzustellen und zum Schluss noch Geld zu zählen. Alles natürlich unter Zeitdruck. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Tests noch jahrzehntelang in gleicher Art von den Arbeitsämtern als „Eignungsuntersuchung“ durchgeführt wurden.

Was hat sich da in den vergangenen Jahrzehnten doch alles getan, was haben die Jugendlichen von heute für Angebote und Chancen! Anfang der 50er-Jahre gab es nichts von alledem, weder Berufsfindungspraktika noch die breite Palette der Berufsberatungsliteratur, die Unterstützung durch die Ämter, Gewerkschaften, Banken oder sonstiger Institutionen. In den 70er-Jahren gab es dagegen in Hamburg schon den „Gleisplan Bildung“, der es theoretisch ermöglichte, auch als Sonderschüler noch seinen Weg bis zum Professor zu gehen. Fachoberschulen, Fernuniversitäten, diese nützlichen Dinge für den „Zweiten Bildungsweg“ gaben Spätentwicklern noch manche Chance. Uns blieb nur der Weg über eine Staatliche Ingenieurschule und einen Abschluss mit „gut“ als Zugang zu Universitäten.

Doch so weit mochte ich gar nicht denken. Immerhin bekam ich meine technische Begabung bestätigt und gleich eine „Laufkarte“ ausgehändigt. Diese Karte war wörtlich zu nehmen, musste man sich doch zu den vom Arbeitsamt vorgegebenen Lehrfirmen begeben und sich einer Prüfung stellen. Ich musste mich bei dem Inhaber einer Werkstatt für Elektrogerätereparaturen vorstellen. Der Lehrherr war stadtbekannt für grundsolide, erstklassige Arbeit, galt aber als humorlos und äußerst streng. Das Testergebnis vom Arbeitsamt genügte Roland G. natürlich nicht. Er hatte sich seinen eigenen mathematischen Spezialtest ausgedacht und siebte alle Bewerber nochmals gnadenlos. Sein Vorrat an hässlichen, eingekleideten Trickaufgaben war unerschöpflich. Listig musterte er mit stechendem Blick aus seinen tiefliegenden Augen den unglücklichen Aspiranten und sagte mit leiser, fast gehauchter Stimme: „Ein Baumstamm ist in zehn Teile zu zersägen, wie viele Sägeschnitte sind dazu notwendig?“ Das war aber nur der Einstieg. Dann ging es aber Schlag auf Schlag: Es folgten zusammengesetzte Dreisatzaufgaben und ganz üble Aufgaben aus der Kombinatorik von der Art: „Ein Fahrzeug soll 15 Arbeiter von Punkt A nach B bringen. 17 Mann können befördert werden. Drei Personen steigen unterwegs aus, zwei an einem anderen Ort dazu, noch drei sollen am Punkt C abgeholt werden, etc.“ Irgendwann lief der unglückliche Bewerber in die Falle, weil er sich die vielen Details im Kopf nicht merken konnte und zu irgendeinem Zeitpunkt das Fahrzeug überbesetzt war. Es konnten ja nur 17 Personen befördert werden. Mit Fahrer oder ohne? Man hätte da vorher fragen sollen, unterließ es aber. Schriftliche Notizen gab es nicht, und das Finale waren dann Aufgaben, die hart an der Grenze zur Minima-Maxima-Rechnung angesiedelt waren. Zur Lösung solcher Aufgaben müsste ich heute meine alten Mathematik-Kollegs heraussuchen und sehr, sehr lange nachdenken, falls ich das noch schaffte. Immer, wenn ich mal wieder „ins offene Messer“ gelaufen war, zog der Meister bedächtig seine Stirn kraus, schüttelte bedenklich mit dem kurz geschorenen Graukopf so, als wollte er sagen, „so geht das aber nicht“ und ließ durch herabhängende Mundwinkel Verachtung und Desinteresse an meiner Person erkennen. Und schon hatte er hinter grauen, teilnahmslosen und kalten Augen schon wieder die nächste Aufgabe parat. Heimlich kostete er wohl die Niederlage des Aspiranten voll aus.

Parallel zum Bewerbergespräch hatte er natürlich durch die Fenster seiner verglasten Meisterbude die Aktivitäten in der Werkstatt voll im Blickfeld und unter Kontrolle. Ihm entging nichts. Die wenigen Leute arbeiteten ohne sichtbare Freude und ohne zu scherzen oder zu singen, stoisch vor sich hin und waren ganz auf ihre Arbeit konzentriert. In dieses freudlose Dasein wollte ich mich nicht einreihen und brauchte es zum Glück auch nicht. Eine der Werften am Ort hatte mir eine Praktikantenstelle zugesagt, so dass ich bei Roland G. „außer Konkurrenz“ antrat, was natürlich mein Geheimnis blieb. Was er letztlich auf der Laufkarte notierte, das blieb dann sein Geheimnis, denn ich musste einen verschlossenen Umschlag mit Laufkarte wieder beim Arbeitsamt abgeben.


Schiffselektriker – Werft, Schiffe, Seeleute, Funkbuden – Jahrgang 1936

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