Читать книгу Sechs utopische Thriller - Conrad Shepherd - Страница 24
8. Kapitel
ОглавлениеDie Tanzbar des Maniloa International war so früh vor Mitternacht gut besucht. Von Europäern, von Chinesen und Indern im traditionellen Smoking; mehr oder minder grazile Vertreterinnen der anderen Hälfte der Spezies Homo sapiens bewegten sich in exklusiven Abendroben wie exotische Schmetterlinge zwischen ihnen.
Conroy warf einen Blick in den indirekt beleuchteten Raum, ehe er seine Schritte zu den Aufzügen lenkte.
Irrte er sich, oder hatte er tatsächlich jemanden gesehen, der ihn an einen Polizisten erinnerte? Jedenfalls stand ein Mann in der Halle, der, obwohl er alleine war, die Lippen bewegte. Cops der Metropolizei bedienten sich in der Regel winziger Ohrimplantate für die Internverständigung untereinander.
Mit einem dünnen Grinsen auf den Lippen öffnete er die Tür zu seinem Apartment, wobei seine Linke nach oben langte und die Fingerspitzen nach dem haarfeinen Draht tasteten, den er beim Weggehen dort befestigt hatte.
Er war zerrissen!
Sein Grinsen vertiefte sich.
Die Luft im Raum kam ihm warm entgegen, und mit ihr ein fremder Geruch.
Conroy ging zum Fenster, öffnete es. Frische Luft strömte herein. Er atmete tief ein. Die Sterne funkelten über Schrinagar. Für einen Augenblick blieb er gegen das Fensterbrett gelehnt stehen.
Wie würden sie es wohl anfangen?
Die Frage beantwortete sich von selbst, als es an der Tür klopfte.
Conroy ging zur Tür.
»Was gibt es?«, fragte er.
»Der Etagenboy, Sir. Ich habe etwas für Sie.«
»Dann nichts wie herein in die gute Stube«, sagte Conroy und öffnete die Tür.
Augenblicklich bohrte sich ihm die Mündung einer großkalibrigen Waffe in den Bauch. Sie lag in der Hand eines großen, braunhäutigen Mannes, der auf den ersten Blick einen sympathischen Eindruck machte – bis auf den zynischen, desillusionierten Zug, der in seinen Mundwinkeln nistete.
»Los, zurück mit Ihnen!«, drängte er mit rauer Stimme.
Conroy folgte dem Druck der Waffe und ging rückwärts bis in die Mitte seines Apartments.
»Keine Sperenzchen«, befahl der kräftige Nepalese, »und halten Sie Ihre Hände ruhig!«
Conroy folgte dem Befehl; von einem Wissenschaftler war kein heldenhaftes Reagieren gefordert und wurde von dem Eindringling auch nicht erwartet, da er die Sache ziemlich ruhig anging.
Die Pistole dirigierte ihn an die Wand neben der Tür zum Bad.
»Gesicht zur Wand, Hände dagegen, Beine auseinander!«, kommandierte Conroys ungebetener, wenn auch nicht gänzlich unerwarteter Gast im besten Filmstil. Sicher hockte er in seiner kargen Freizeit nur vor der TV-Scheibe.
Conroy lehnte sich gegen die Wand.
Eine große Hand klopfte ihn gekonnt und rasch ab, fand nichts. »Du kannst reinkommen«, sagte Conroys Gast laut; die Tür wurde bewegt und eine zweite Person trat ein.
»Sie können sich jetzt wieder umdrehen, Mister, aber Hände in den Nacken!«
Sie waren zu zweit. Natürlich. Polizisten traten nur als Team auf. Beide waren Angehörige jener Mischrasse, die sich aus der Verbindung Nepals mit Indien ergeben hatte. Der zweite Mann ähnelte mehr einem Mungo und hatte ein unruhiges Flackern in den Augen.
Während der erste seine Waffe bereits wieder eingesteckt hatte, starrte Conroy genau in das schwarze Loch der Mündung der Kanone des zweiten.
Conroy grunzte: »Polizei?«
»Detektiv-Sergeant Malabar, Metropolizei. Merkt man es so deutlich?«
Conroy zuckte die Schultern.
Malabar sagte: »Das ist Sergeant Nathu.«
»›Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen‹, kann ich wohl nicht sagen.«
»Ist auch nicht vonnöten.«
Ihre Augen blickten unbeteiligt. Die Polizisten waren weder böse noch besonders freundlich. Was sie hier taten, war ihre Arbeit, nichts weiter. Der Größere ging um Conroy herum, während Nathu ihn in Schach hielt. Die beiden waren ein gutes Team. Aufeinander eingespielt, ergänzten sie sich großartig. Hände klopften den SY.N.D.I.C.-Agenten ab, fanden natürlich nichts. Malabar trat zur Seite und gesellte sich wieder zu Nathu.
»Sie sind Doktor Morton Conroy?«
»Das ist mein Name«, bestätigte Conroy nickend. »Darf man erfahren, was Sie von mir wollen?«
»Wir nichts.«
Die unruhig flackernden Augen Nathus waren stur auf Conroy gerichtet, als sein Vorgesetzter durch den Raum ging und etwas zu suchen schien.
»Brauchen Sie deshalb diese Zimmerflak?«
»Steck sie endlich weg, Nathu!«, befahl Malabar aus einer Ecke.
Lustlos versenkte Nathu die Waffe unter der Achsel. Conroy erklärte er: »Sie können die Arme wieder herunternehmen. Einen Rat: An Ihrer Stelle würde ich keine Schwierigkeiten machen.«
»Erwarten Sie denn welche?«
Conroy erhielt keine Antwort. »Was jetzt?«, erkundigte er sich und löste die Hände vom Nacken. Er bewegte die Schultern, um die leicht verkrampften Muskeln zu lockern.
»Wir werden eine Fahrt unternehmen.«
»Wohin?«
»Die Fragen stellen wir«, machte ihm Malabar klar.
»Gut. Was wollen Sie eigentlich von mir?«
»Sie fragen ja schon wieder!« Der Detektiv-Sergeant schüttelte tadelnd den Kopf. Doch dann bequemte er sich doch zu einer Antwort: »Der Lieutenant möchte ein paar Worte mit Ihnen wechseln, Doktor.«
»Wenn's unbedingt sein muss«, seufzte Conroy. Er war zu müde, um sich gegen die beiden aufzulehnen. Außerdem verkörperten sie Recht und Ordnung in Schrinagar. Und der gute Angus Santana hatte ihm eingeschärft, alles zu unterlassen, was ihn in eine Konfrontation mit den örtlichen Behörden bringen würde.
»Gehen wir«, entschied Malabar.
Nathu betrachtete Conroy vier Sekunden lang mit distanziertem Interesse und fügte mahnend hinzu: »Keine Tricks!«
*
Der Schein einer Arbeitslampe hüllte die kleine Bronzestatue der Göttin Schiwa auf der zerschrammten Schreibtischplatte wie in Sonnenlicht. Der Mann dahinter widmete diesem Bild einige Sekunden lang seine ungeteilte Aufmerksamkeit, was Morton Conroy Gelegenheit gab, ihm die seine zuzuwenden
Lieutenant Hoja war ein derbknochiger Inder in einem modernen Anzug. Sein samthäutiges Gesicht war viereckig und wie von ungeschickter Hand aus Ton modelliert. Dunkle Augen lagen unter zerfransten Brauen verborgen. Damit es ja keine Zweifel an seiner Wichtigkeit gab, sagte ein hochglanzpoliertes Metallschild zwischen all den Terminals auf seinem Schreibtisch jedem, der es wissen wollte, dass der Mann dahinter Polizeioffizier Nam Hoja war. Jetzt hob er den Blick
»Eine unglückliche Sache, Doktor Conroy«, sagte er mit leiser, milder Stimme und einem Ausdruck permanenter Traurigkeit auf dem Gesicht.
Morton ließ sich davon nicht täuschen; es galt, auf der Hut zu sein.
»Inwiefern?«
Hoja blätterte in den Legitimationen des SY.N.D.I.C.-Agenten.
»Setzen Sie sich doch... bitte!« Mit einer knappen Geste deutete er auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
Conroy setzte sich, legte die Hände auf die abgewetzten Armlehnen und stellte fest, dass der Stuhl äußerst unbequem war. Nun, Delinquenten, die zum Verhör hierher gebracht wurden, hatten wohl keinen Komfort zu erwarten.
Der Lieutenant lehnte sich zurück, so dass sein Gesicht aus dem Lichtkreis der Lampe verschwand. Sein Blick musterte Morton Conroy. Schließlich sagte er: »Nachdem Sie jetzt sitzen, würde ich vorschlagen, alles zu erzählen, Sahib Conroy. Versuchen Sie erst gar nicht, mich anzulügen. Ich bin durchaus in der Lage, kontrollieren zu können, ob es den Tatsachen entspricht, was Sie aussagen.«
Das bezweifle ich, dachte Conroy und sagte laut: »Ich verstehe nicht... was möchten Sie von mir?«
»Eine Aussage!«
»Worüber?«
Hoja blickte den SY.N.D.I.C.-Agenten einen Moment lang starr an. Dann senkten sich wieder die Wimpern. Noch klang seine Stimme sanft, als er erwiderte: »Das Problem ist... ähm... dass jemand vor kurzem anrief und unserer Dienststelle eine Schießerei in den alten Hafenanlagen meldete.
»Und?«
»Stellen Sie sich vor, wir fanden sogar vier Leichen, als wir die angegebene Adresse, Mahin Road 354, erreichten.«
»Ich sehe noch immer keinen Zusammenhang zwischen Ihren angeblichen Leichenfunden und meiner Person. Tut mir leid, Lieutenant, aber was Sie brauchen, ist die Adresse eines Leichenbestatters, weiter nichts.«
Hoja schüttelte betrübt den Kopf. Der traurige Ausdruck auf seinem Gesicht verstärkte sich.
»Sie machen es einem aber auch schwer, Doktor. Dieser anonyme Anrufer gab uns auch den Tipp, einmal die Gästedateien des Hotelcomputers aus dem Maniloa International zu überprüfen sowie die Gespräche, die von dort geführt wurden. Dabei ergab sich, dass Sie mit einem der späteren Toten telefoniert haben, ja sogar eine Verabredung mit ihm ausmachten. Sie haben zwar das Hotel weit vor der verabredeten Zeit verlassen, aber das kann mit Absicht geschehen sein. Wir werden sicher auch noch den Fahrer des Citycabs auftreiben, der Sie in die Mahin Road kutschierte. Was sagen Sie nun?«
»Zufall«, bemerkte Conroy ungerührt.
»Ach nein!«
»Ach ja.«
Der Lieutenant schnappte hörbar ein.
»Hören Sie, es gibt verschiedene Arten, einen Mann zum Reden zu bringen«, warnte er, »wie es auch verschiedene Arten von Männern gibt.«
Conroy gab sich gelassen. »Ich höre!«
Die Traurigkeit auf Hojas Gesicht war verschwunden. Er stand auf, stützte die Hände auf die Schreibtischplatte und beugte sich vor.
»Die einen sind freundlich und aufgeschlossen. Mit denen haben wir keine Schwierigkeiten. Dann gibt es eine zweite Sorte von Leuten, die sich für intelligent halten. Diese betrachten es für unter ihrer Würde, der Polizei zu helfen. Solche Burschen kann ich auf den Tod nicht ausstehen. Denen muss man schon mit gewichtigen Argumenten kommen, ehe sie anfangen zu reden.«
»Was soll das? Wollen Sie mir drohen?«
»Nehmen Sie's, wie Sie wollen.«
»Jetzt hören Sie mir mal zu«, sagte Conroy frostig. »Sie vergaßen die dritte Sorte, Lieutenant. Jene, die partout beweisen möchten, dass sie die stärkere sind. Die können es nicht verkraften, wenn es einmal nicht nach ihrem Kopf geht. Und das, Lieutenant, ist die schlimmste Sorte von allen.«
Ein Knurren drang aus Hojas Kehle. Conroy hatte den Eindruck, als würde der Leiter dieser Station explodieren. Nur mit Mühe fing er sich wieder.
»Ich kann Sie nicht zum Reden prügeln«, sagte er gepresst. »Aber ich kann Sie festnehmen lassen. Aus einer ganzen Reihe von Gründen, die zu widerlegen Ihnen schwerfallen dürfte. Sehen Sie das ein?«
Morton sah es ein.
»Okay. Schließen wir einen Kompromiss, Lieutenant. Ich beweise Ihnen, dass ich nie in der Mahin Road war und demzufolge nicht der Mörder sein kann, und Sie lassen mich gehen.«
»Ich höre.« Hoja lehnte sich zurück. Mit einer Handbewegung löschte er die Deckenbeleuchtung. Nun brannten nur noch zwei Lampen. Eine über einer holographischen, mehrere Quadratmeter großen 3-D-Stadtkarte von Schrinagar. Die andere über dem Schreibtisch.
Conroy schüttelte den Kopf. »Sie haben die Fragen zu stellen, nicht ich, Lieutenant.«
»Gut. Sie kennen einen gewissen Barbo Skorrow?« Nicht ohne Grund war der Schirm der Tischlampe so gedreht, dass Hoja außerhalb des Lichtkreises saß.
»Nur per Telefon, er hatte seinen Sichtmodus nicht aktiviert.«
Der Lieutenant kicherte. Das passte weder zu seiner Stimme noch zu seinem Äußeren. In dem abgezirkelten Lichtkreis, den die Lampe auf die Platte zeichnete, erschien eine Hand mit kräftigen Fingern; sie waren dicht behaart.
»Wirklich? Überlegen Sie genau, was Sie sagen!«
Die Hand schlug klatschend auf die Platte.
Conroy kniff die Lider zusammen. Das grelle Licht ließ ihn blinzeln. Ein dumpfer Schmerz hinter dem rechten Ohr verursachte leichte Übelkeit; Nachwirkung des Kampfes am Kai.
»Nun?« Die scharfe Stimme hinter dem Licht hatte alle Verbindlichkeit verloren.
»Es ist so, wie ich Ihnen sage«, murmelte Conroy. Er war müde und gereizt. Er hätte Hoja hassen mögen. Aber etwas erinnerte ihn daran, dass der auch nur seine Arbeit tat. Und deshalb redete er weiter: »Ich verabredete mich zwar mit diesem Skorrow, hielt die Verabredung dann aber nicht ein, weil mir etwas dazwischenkam.«
Schweigen. Durch eine offene Tür hinter seinem Rücken hörte Conroy eine halblaut geführte Unterhaltung. Ein Fenster wurde geräuschvoll geöffnet. Jemand lachte.
»Sie lügen, Freundchen!«
Als Conroy zu einer Erwiderung ansetzte, unterbrach ihn der Polizeioffizier heftig.
»Die Sache ist die, dass vier Männer tot sind. Umgebracht auf höchst merkwürdige Arten. Es muss ein Messer im Spiel gewesen sein, und eine Schusswaffe. Mit einem dieser Männer waren Sie verabredet, Mister. Finden Sie nicht, dass dies zu allerlei Vermutungen Anlass gibt?«
Hojas Miene war lauernd. Er beugte sich wieder über den Tisch. Voll beleuchtete ihn jetzt die Lampe. Die Augen in dem viereckigen Gesicht blickten eiskalt.
Conroy erwiderte: »Alles, was Sie mir vorwerfen können, ist, dass ich Ihnen nicht mehr erzählen kann. Dann möchte ich noch darauf hinweisen, dass ich mich in offizieller Mission für das Rimtec-Institut in Ihrem Land aufhalte. Ich glaube, man wird wenig Verständnis dafür aufbringen, wenn man einen Repräsentanten dieser erdumspannenden Institution über Gebühr festhält – noch dazu unter äußerst fadenscheinigen Verdachtsmomenten.«
»Sie sind hier nicht bei der Heilsarmee. Vergessen Sie das nicht, Mr. Conroy! Lassen Sie also diese unterschwelligen Hinweise auf diplomatische Verwicklungen. Ich weiß selber genau, wie weit ich zu gehen habe.«
»Hoffentlich!«, knurrte Morton Conroy.
Ein Zeigefinger stach in seine Richtung.
»Noch einmal in aller Deutlichkeit: Vier Morde sind geschehen. Sie sind für mich eine Art Verbindungsglied, bis sich nicht andere Verdachtsmomente ergeben. Solange Sie mir nicht lückenlos nachweisen können, was Sie seit gestern Mittag in Schrinagar gemacht haben, kommen Sie nicht aus diesem Zimmer, diesem Gebäude heraus.«
Da Conroy nicht die Absicht hatte, die restliche Nacht auf dem äußerst unbequemen Stuhl zu verbringen, redete er. Als er damit fertig war, stand eine steile Falte über Hojas Nasenwurzel.
»Noch einmal«, sagte er voller Misstrauen. »Wann haben Sie Skorrow angerufen, dass Sie die Verabredung nicht einhalten könnten?«
»Gegen 20.45 Uhr.«
»Vom Hotel aus?«
»Nein.«
»Aha! Haben Sie Zeugen für dieses Gespräch?«
»Aber natürlich. Als ich absagte, meldete sich der elektronische Gesprächsaufzeichner in Skorrows Büro. Ich hinterließ einen neuen Termin und ging dann zu der Verabredung, die mir dazwischengekommen war.«
»Vermutlich eine Frau«, bemerkte Hoja anzüglich. »Und vermutlich können Sie als Kavalier deren Namen nicht preisgeben.«
»Nicht doch! In welchem Jahrhundert leben Sie den, Lieutenant? Selbstredend nenne ich Ihnen den Namen der Dame. Es handelt sich um die stellvertretende Leiterin des Rimtec-Institutes, Nomi McIrnerny.«
Hojas Gesicht war die personifizierte Skepsis. »Das soll ich Ihnen abkaufen?«
»Wenn Sie die Dame anrufen würden, könnten Sie meine Angaben verifizieren. Sie würden auch feststellen, dass ich gar nicht in Skorrows Büro gewesen sein konnte. Einfach deshalb, weil die Zeit nicht übereinstimmen würde. Ich kann doch schlecht an zwei Orten gleichzeitig sein, oder?«
»Das kann man nicht wissen. In dieser Hinsicht habe ich schon die tollsten Sachen erlebt.«
»Hören Sie zu.« Morton Conroys Stimme war flach, fast tonlos. »Nur weil Sie einen Mörder suchen und ich zufällig mit einem der Ermordeten zuletzt – nach Ihren Worten, die nicht unbedingt stimmen müssen – gesprochen habe, glauben Sie, mich unter allen Umständen überführen zu müssen. Aber das können Sie nicht. Erstens habe ich kein Motiv, das Sie mir unterschieben könnten, zweitens existiert kein einziger konkreter Hinweis darauf, dass ich das Büro Skorrows jemals betreten hätte. Und drittens fehlt jede Art von Waffe, mit der die vier umgebracht worden sind. Ihre Spürhunde haben nichts bei mir gefunden. Oder? Na, sehen Sie! Und wenn Sie sich endlich die Mühe machen würden, die Dame anzurufen, könnten Sie leicht feststellen, dass ich zu dem Zeitpunkt, an dem die vier getötet wurden, bei Miss McIrnerny war. Ende der Durchsage!«
Lieutenant Hoja schien zum zweiten Mal explodieren zu wollen. Seine Stirn lief dunkel an. An der rechten Schläfe zeigte sich überdeutlich eine dicke, pulsierende Ader. Er öffnete den Mund, schloß ihn aber wieder. Ohne etwas zu sagen, beugte er sich nach vorn und langte nach dem Bildtelefon.
Der Schein der aufleuchtenden Bildscheibe illuminierte sein Gesicht.
»Schaffen Sie mir eine Verbindung mit folgendem Anschluss...!» rief er. »Wie? Woher soll ich das wissen?«
Einige Male wechselte das Licht auf Hojas Gesicht, während die Vermittlung im Präsidium die Verbindung herstellte. Als er endlich Nomi McIrnerny auf dem Display hatte, sagte er: »Ma'am! Entschuldigen Sie die späte Störung. Aber Sie könnten wesentlich zur Klärung eines Tatbestandes beitragen...«
Conroy verstand nichts von dem, was Nomi sagte. Aber am Gesicht des Polizeioffiziers erkannte er, dass sich Nomi an das hielt, was er mit ihr vereinbart hatte.
Wenn Hoja enttäuscht war, so verbarg er es meisterlich. Nur seine Augenbrauen sträubten sich, als er sagte: »Wie war das noch einmal?... Und Sie irren sich nicht, Ma'am? So, so... na gut!«
Er legte auf, hob den Blick und musterte Morton Conroy eine Weile schweigend. Schließlich sagte er: »Fürs erste sieht es aus, als hätten Sie die Wahrheit gesagt.«
»Meine Rede«, erwiderte Conroy.
»Geben Sie sich keiner falschen Hoffnung hin, Mr. Conroy. Wir werden Sie nicht aus den Augen verlieren. – Worauf warten Sie noch? Verschwinden Sie!«
*
Gegen zwei Uhr morgens kehrte Conroy zum Hotel zurück. In der Lobby war es ruhig; der Portier hinter der Rezeption ging irgendwelchen Tätigkeiten nach und blickte nur kurz hoch, als Conroy vorbeiging. In der Tanzbar herrschte nach wie vor lebhafter Betrieb. Die Party schien kein Ende nehmen zu wollen. Farbiges, stroboskopisches Licht fiel aus den weit offenstehenden Flügeltüren, die Klänge exotischer Musik drangen heraus. Conroy blinzelte bei dem Anblick. Für Sekundenbruchteile begriff er nicht, wo er sich aufhielt. Er hatte das Gefühl, an einem Ort zu sein, der aus der Geschichte herausgelöst war und sich ebensogut auf einem fremden Planeten befinden konnte. Dann war der Spuk vorbei; er atmete tief ein. Zum Teufel damit.
Kopfschüttelnd verschwand er im Lift und verließ ihn eine halbe Minute später und einundzwanzig Stockwerke höher. Seine Schritte waren auf dem Kunstfaserbelag unhörbar.
Gleich darauf war er vor der Tür seines Apartments angelangt.
Sie waren von oben gekommen. Mit einem Hoverjet. Über die Dachplattform. Und dann die restlichen paar Etagen die Treppe herunter. Der eine sicherte den Fluchtweg weiter oben, der andere näherte sich ihm nahezu unhörbar. Er hatte die Hälfte des Korridors durchquert. Lautlos schlich er näher...
Conroy schob die Chipkarte ins Schloss.
Der Mann hinter ihm hob den Arm...
Während Conroy auf das Öffnen der Tür wartete, erahnte er am Rande seines Gesichtsfeldes das Zucken einer Bewegung.
Er reagierte in der Zeitspanne eines Wimpernschlages und ließ sich fallen. Der Schlag wischte an seiner Wange vorbei, und ein heftiger Schmerz flammte in seiner Schulter auf.
Er rollte weg und stieß sich von der Wand in Richtung seines Angreifers ab, eine ausschließlich reflexartige Reaktion. Der Mann war ihm unbekannt, ein kräftiger, untersetzter Bursche mit einem kurzen Knüppel in der Hand. Conroys Aktion überraschte ihn völlig, er verlor das Gleichgewicht, flog über den Flur, krachte voll gegen die Korridorwand und sprang wieder auf die Füße. Sein Fehler – er hätte lieber abhauen sollen, wie jeder anderer vernünftige Mensch.
Conroy war zu diesem Zeitpunkt schon längst wieder auf den Beinen. Unter den gegebenen Umständen war er sehr schnell. Sein Fuß peitschte aus und traf den Angreifer seitlich am Knie; das Geräusch der brechenden Knochen hallte unnatürlich laut durch die Stille.
Conroy hörte nur das Ächzen ausgestoßener Luft, als sich sein Angreifer mit vom Schmerz gezeichnetem Gesicht umdrehte; Conroy ließ ihm keine Chance zu einem weiteren Angriff; er drosch ihm die stahlharten Fingerknöchel seiner Linken gegen die Schläfe.
Sein Gegner wurde augenblicklich besinnungslos und sackte zusammen wie eine Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hatte. Zu diesem Zeitpunkt hetzte Conroy bereits die Treppe zum Dach hinauf, wohin der zweite Mann sich verabschiedet hatte, nachdem er erkannt haben musste, dass seinem Partner kein Erfolg beschieden war.
Er hatte fast die oberste Etage erreicht, als er ein Geräusch hörte: Jemand hatte den Durchgang zur Dachplattform geöffnet.
Sekunden später erreichte er die breite Tür, die ins Freie hinausführte. Sie war offen. Er wartete sekundenlang mit angehaltenem Atem, dann glitt er vorsichtig durch die Öffnung und sofort zur Seite. Bruchteile eines Augenblicks brauchte er, um sich zu orientieren. Vor ihm lag das Flachdach, unterbrochen nur von der erhöhten Landeplattform auf ihrer Stützkonstruktion, den Liftausgängen sowie den Kaminen der Geothermik, mit denen das Hotel klimatisiert wurde. Die Antikollisons-Warnlampen an den Eckpylonen spendeten mattes Licht, außerdem war die Plattformbeleuchtung in Betrieb.
Auf der Plattform selbst standen ein paar Fluggeräte, offenbar gehörten sie Gästen der Bar. Ansonsten war das Dach leer, soweit Conroy erkennen konnte, bot aber genügend dunkle Ecken für jemanden, der sich verbergen wollte.
Wo war der zweite Mann? Conroy erlaubte sich die kurze Überlegung. Dann huschte er gebückt über die mondbeschienene freie Fläche. Er bewegte sich so schnell wie möglich und jede erdenkliche Deckung ausnutzend, mochte sie noch so unbedeutend erscheinen. Schließlich tauchte er in das Dunkel unterhalb der mannshohen Leichtstahlstützen der Landeplattform ein, jede Sekunde darauf wartend, dass von irgendwoher ein Schuss auf ihn abgefeuert wurde. Doch nichts dergleichen geschah.
Die Nacht war kühl; ein lauer Wind strich über die Dachfläche und erzeugte surrende Geräusche an Ecken und Vorsprüngen. Dann mischte sich in diese Geräusche ein anderer, raschelnder Ton. Es kam von links, nahe der Brüstung, hinter der es senkrecht hundert Meter in die Tiefe ging. Conroy fuhr herum – seine Hand glitt zum Holster, doch da war keine Waffe, Mist! – aber es waren nur ein paar wirbelnde Blätter, die von den aufsteigenden Thermikwinden nach oben getragen worden waren und... er übersah den Schatten und überhörte das Geräusch.
Eine dunkle Gestalt trat blitzschnell wie ein Schemen hinter einer der Plattformsäulen hervor, riss Conroys linken Arm nach hinten und oben und schlug ihm gleichzeitig wuchtig mit einer eisenharten Handkante gegen die Halsschlagader. Der Hieb hätte einem weniger vorbereiteten Mann sicher die Halswirbel gebrochen. Doch Conroys antrainierte Reflexe und sein gedankenschnelles Reagieren vereitelten dieses Vorhaben. Er zog die rechte Schulter hoch, trat nach hinten aus. Traf etwas und registrierte befriedigt das unterdrückte Grunzen in seinem Rücken.
Unmittelbar darauf drosch ihm der Angreifer eine Faust zwischen die Schulterblätter. Der Schlag war einer von denen, die einem das Rückgrat brechen konnten.
Conroy stolperte nach vorn. Versuchte, sein Gleichgewicht zurückzugewinnen. Steckte einen zweiten Hieb ein, der ihn von den Füßen riss. Er fiel mit dem Gesicht auf den nach Hydraulikflüssigkeit und Kerosin stinkenden Dachbelag. Aus den Augenwinkeln sah er einen Stiefel auf sich zukommen und wich zur Seite hin aus. Er rollte weiter, richtete sich halb auf. Im Hocken schoss er einen Vorwärtstritt auf die Gestalt ab, die ihm auf den Fersen blieb. Der Spann traf aber nur die Außenseite des Unterschenkels. Conroy selbst musste einen Tritt in den Solarplexus einstecken, der ihm die Luft nahm. Keuchend krümmte er sich zusammen, würgte, streckte die Hände aus und grub die gespreizten Finger wie Dolche in die Weichteile seines Gegners. Eine Hand wischte durch die Luft und traf ihn an der Schläfe. Funken sprühten scheinbar vor seinen Augen. Sein Versuch, sich aufzurichten, wurde von einem weiteren Tritt zunichte gemacht. Doch Conroys Reaktionen, in hartem Training geübt und bei vielen Kampfeinsätzen zur Vollendung gebracht, verhinderten Schlimmeres. Er rollte sich hin und her, um dem Fußtritt seines Angreifers zu entgehen. Im Zurückrollen packte er das Standbein seines Gegners und warf ihn mit einem Ruck um.
Dann standen sie sich leicht keuchend gegenüber.
Conroy machte schmale Augen, als er sah, wer da im zuckenden Schein der Kollisionsbefeuerung vor ihm stand. Der Angreifer war mindestens so groß wie er und unglaublich muskulös. Das glatte Gesicht wirkte auf eine obszöne Art nackt, bis Conroy bemerkte, dass der Mann keine Augenbrauen besaß. Zu weiteren Überlegungen ließ ihm sein Gegner keine Zeit.
Mit einem Schnauben warf er sich auf ihn, die Faust vorgestreckt wie ein Rammbock.
Conroy glitt zur Seite, machte eine halbe Körperdrehung, weg vom Gegner, und holte aus. Wie eine Schwertklinge schnitt seine Linke durch die Luft und schlug auf den rechten Unterarm des heimtückischen Angreifers. Dessen Schraubstockfinger packten jedoch Mortons Handgelenk, wobei er sich gleichzeitig auf ein Knie fallen ließ und dabei um seine Körperachse drehte. Der Abwehrgriff ließ Conroy über das Dach fliegen. Einer der Plattformpylone stand im Weg. Morton fing sich mit den Händen ab, wartete einen Herzschlag lang und duckte sich dann blitzschnell.
Die Faust des Angreifers, die auf sein Genick zielte, rammte gegen die Säule und brachte sie dumpf zum Erklingen, unter das sich das splitternde Geräusch des brechenden Handknochens mischte.
Der Mann schrie auf.
Eine Mischung aus Überraschung, heißer Wut und Schmerz. Das erste wirklich laute Geräusch auf dem Dach des Maniloa International. Trotz aller Erbitterung hatte sich der nächtliche Kampf nahezu lautlos abgespielt.
Die linke Hand des Mannes griff unter die Achsel, fand die schwere Waffe und riß sie hervor.
Doch da stand Conroy bereits neben ihm und schlug zu. Die Handkante traf die Halsschlagader und fällte den Mann endgültig.
Conroy atmete tief ein und aus. Seine Lungen brannten.
»Verdammt!«, stieß er hervor und tastete seinen Körper ab; es schien alles heil zu sein. Er betrachtete den reglosen Körper zu seinen Füßen. Schließlich bückte er sich, krallte seine Hände in den Stoff und zerrte den Mann hoch; er war schwer wie ein Bulle. Er lehnte ihn gegen die niedrige Brüstung der Dachbegrenzung und schlug ihm mit der flachen Hand mehrmals ins Gesicht. Als der Mann einigermaßen wieder bei Besinnung war, preßte ihm Conroy die Mündung der eigenen Waffe unters Kinn.
»Rede!«, herrschte er ihn an. »Weshalb dieser Überfall?«
»Geh zu Hölle«, würgte der Kerl hervor und wischte sich über die Lippen.
»Komm, spuck's schon aus!«
»Ich...«
Zwei Dinge geschahen nahezu zeitgleich, eigentlich sogar drei.
Das Knacken eines Sicherungsflügels klang wie eine kleine Detonation durch die Nacht, eine Feuerzunge löste sich von der Dachlandeplattform – und einer der Fahrstuhltüren zum Dachausgang öffnete sich. Grelles Licht schuf eine scharf begrenzte Bahn, in der sich die Schatten von Personen abzeichneten. Der Schuss war nur ein halblautes Zischen – schallgedämpft! durchzuckte es Conroy – das ebensogut vom Wind verursacht sein konnte. Die Hohlkörperkugel der AutoMag fetzte an der Stelle in den Dachbelag, wo Conroy sich Sekundenbruchteile vorher noch befunden hatte.
Er hatte sich beim schon beim Geräusch des Sicherungsflügels zur Seite geworfen, lag jetzt mit dem Gesicht nach unten und die Arme schützend über den Kopf gelegt unter der Plattform. Von oben nicht sichtbar, und auch den Blicken der Männer und Frauen verborgen, die, laut und aufgekratzt sich unterhaltend und nichts von dem Schuss mitbekommend, die wenigen Stufen zum Dachlandeplatz enterten.
Die Zeit schien den Atem anzuhalten.
Dann heulte das Startgeräusch mehrere Hover gleichzeitig über die Plattform. Die Hubrotoren pfiffen und sirrten. Unmittelbar darauf erhob sich der ganze Pulk wie ein Schwarm aufgeschreckter Sperlinge in die Luft und schwang sich hinaus in die Nacht.
Conroy erhob sich auf die Knie, warf einen schnellen Blick um sich, konnte niemanden erkennen, auch nicht den Angreifer. Die Stelle, an der er vor wenigen Sekunden noch gelegen hatte, war leer!
Conroy lief zum Plattformrand, sprang hoch, hielt sich mit beiden Händen fest und zog sich langsam über die Kante; die Fläche vor ihm war ebenfalls leer. Also hatte sich der Schütze mitsamt seinem Kumpel aus dem Staub gemacht! Im Schutz der anderen startenden Fluggeräte, deren Insassen sicher nichts anderes in ihm gesehen hatten als einen weiteren Hotelgast.
Conroy ließ sich auf den Beton herab.
Er klopfte vorsichtig Staub und Dreck von seiner Kleidung; sein Körper bestand zur Zeit nur aus Schmerzen, die glühende Pfeile an seine Nerven schickten. Nach zwei, drei Minuten hatte er sich soweit erholt, dass er seine nächsten Schritte überdenken konnte. Er ging die Treppe hinab zum einundzwanzigsten Stockwerk. Er fluchte lautlos; auch der Kerl, dem er das Knie gebrochen hatte, war verschwunden!
Conroy saugte überlegend an seinen Zähnen, eine ganze Weile lang. Dann zuckte er die Schultern und ging in sein Apartment.
Diesmal fing ihn niemand ab, als er die Tür aufschloss, auch kein Polizist. Als er eintrat, wich er unwillkürlich zur Seite aus. Dann grinste er und kam sich ein bisschen albern vor.
Es lag auch kein fremder Geruch in der Luft. Er fühlte, wie die Spannung in ihm nachließ. Nachdenklich rieb er sich eine juckende Stelle hinter dem Ohr und stöhnte unterdrückt auf. Der plötzliche Schmerz trieb ihm Schweiß auf die Stirn.
Er ging ins Bad und zerrte die Kleider herunter. Als er sich vor den wandhohen Spiegel stellte, sah er die Spuren des Kampfes gegen Sorich und dessen Handlanger. Stirnrunzelnd betastete er die rot und blau unterlaufenen Stellen seines Körpers. Dann drehte er die Hähne auf. Mit geschlossenen Augen ließ er sich vom heißen Wasser überströmen, duschte eine Weile abwechselnd heiß und kalt. Schließlich bewegte er den Kaltwasserhahn bis zum Anschlag. Erst als er unter den eisigen Strahlen zu zittern begann, drehte er ab und stellte sich vor den Trockner. Auf die Dienste des mechanischen Masseurs verzichtete er wohlweislich.
Kurz darauf hockte er im kurzen weißen Bademantel aus der Wäschekammer des Hotels auf dem Bett. In der einen Hand ein Glas Whisky, in der anderen eine Zigarette und analysierte die Geschehnisse der letzten Stunden.
Was lief hier ab?
Das Handgemenge im Getto konnte er noch einordnen: Er war ohne sein Zutun in einen Konflikt zwischen Skorrow und Syndikatsleute geraten. Der Mord an Skorrow warf nur ein Licht auf die Brutalität und Gründlichkeit, mit der das hiesige Syndikat operierte. Er verriet weiter, dass kein Pardon gegeben wurde bei diesen Auseinandersetzungen, in die Conroy unbeabsichtigt geraten war. Skorrow war auf keinen Fall umgebracht worden, weil er, Conroy, Verbindung mit ihm aufgenommen hatte.
Schade nur, dass sie nun keine Kenntnis mehr darüber erlangen konnten, wie aufschlussreich Skorrows Informationen über Basis Alpha für die FSA wirklich gewesen wären.
Andererseits erhob sich die Frage, wer der Unbekannte war, der offensichtlich jeden seiner Schritte verfolgte und ihm die Polizei auf den Hals gehetzt hatte. Das führte unweigerlich zu einer weiteren Frage: Wer wusste über ihn Bescheid? Welche Maschinerie hatte er seit seiner Ankunft in Schrinagar in Gang gesetzt? Zu viele Ungereimtheiten. Zu viele unbeantwortete Fragen. Und es bedeutete, dass die bevorstehende Aufgabe sogar für ihn nicht einfach war. Nicht dass er das erwartet hatte. Eigentlich rechnete er überhaupt nicht damit, dass sich ein Auftrag als einfach, angenehm oder gar ungefährlich erweisen würde.
Conroy starrte in sein längst leergewordenes Glas.
Im Zimmer war es kühler geworden.
Die Balkontür stand offen. Ein frischer Luftzug bewegte die Vorhänge. Erste Geräusche des neuen Tages drangen herauf: Motorenlärm, vereinzelte Rufe vom Fluss, Gongschläge aus einem nahegelegenen Tempel. Das charakteristische Surren einer Gubgubi-Trommel, die die ersten Gläubigen zum Gebet rief.
Er musste SY.N.D.I.C. von seinem Fehlschlag beim Kontakt mit Skorrow in Kenntnis setzen, und davon, dass es offenbar jemanden gab, der jeden seiner Schritte verfolgte.
Er merkte, dass sein linker Arm eingeschlafen war. Er bewegte die Finger, spannte den Bizeps. Das Kribbeln verschwand.
Wieder begann er zu überlegen. Nach einer Weile erkannte er, dass seine Gedanken sich im Kreise drehten. Er löschte das Licht und lehnte sich zurück.
Er glaubte nicht, dass er schlafen konnte.
Trotzdem schlief er ein.
*
Morton Conroy schlief, wie er es sich vorgenommen hatte, nur drei Stunden. Dazu benötigte er keinen Wecker; auf seine innere Uhr war Verlass.
Ein pelziges Gefühl im Mund verursachte Übelkeit. Er warf die Decke von sich, setzte sich auf. Sein Kopf schien ein praller Ballon zu sein.
Auf bloßen Füßen schlurfte er ins Bad. Mit beiden Händen spritzte er sich eiskaltes Wasser ins Gesicht, dann streckte er den Kopf ganz unter den Strahl. Prustend und triefend nass griff er sich ein Handtuch, rieb sich Gesicht und Haar trocken und spürte seinen Magen knurren.
Er saß noch beim Frühstück, das er sich aufs Zimmer hatte bringen lassen, als das Bildtelefon zirpte. Er erwartete, Nomi auf dem Schirm zu sehen, die ihm einen guten Morgen wünschen wollte. Dann verfinsterte sich sein Gesicht.
»Hätte ich mir ja denken können«, murrte er unfreundlich, »dass Sie es sind. Wer sonst würde mich zu so früher Stunde stören!«
»Höre ich da vielleicht einen sarkastischen Unterton heraus, Doktor Conroy?« Hoja schob sein wuchtiges Kinn angriffslustig vor.
»Von mir aus«, erwiderte Morton lapidar, »hören Sie, was immer Sie wollen. Trotzdem bezweifle ich, dass Sie wirklich ein so feines Ohr haben. Was wollen Sie?«
»An Ihrer Stelle würde ich mich nicht so aufsässig benehmen. Ich schätze keine Ironie.« Der Polizeioffizier fixierte den SY.N.D.I.C.-Agenten mit kalter Förmlichkeit. Dann fuhr er mit scharfer Stimme fort: »Wollen Sie nicht begreifen, dass ich es mir nicht leisten kann, auf ungelösten Fällen sitzenzubleiben?«
»Ich sehe keine Veranlassung...«
Hoja unterbrach Conroy.
»Das Gefühl, einen eventuellen Mörder frei in unserer Stadt herumlaufen zu lassen, verschafft mir Magengrimmen«, gestand er mit säuerlichem Lächeln; seine Augen blickten kalt wie Bachkiesel.
»Verschaffen Sie sich doch ein Medikament aus der Drogerie«, riet ihm der Agent. »Ich weiß inzwischen, dass Sie überzeugt sind, ich hätte die vier getötet. Glauben Sie mir, ich bin es leid, ständig das Gegenteil beteuern zu müssen. Können Sie mich nicht in Frieden lassen?«
»Was beschweren Sie sich? Habe ich Sie vielleicht belästigt? Habe ich Sie auf der Straße angerempelt? Man wird doch noch ein Gespräch führen können. Ein gewisses Recht an Vorsorge müssen Sie mir schon zugestehen. Ich bin immer gern darüber informiert, was meine Schützlinge gerade so machen.«
Conroy lächelte humorlos.
»Wozu?«, erkundigte er sich. »Sicher sitzt gerade einer Ihrer Leute in der Nähe und beobachtet mich. Vielleicht ist es der Boy, der mein Zimmer saubermacht. Oder jemand, der ein Apartment auf dem gleichen Flur hat. Weshalb also die persönliche Konfrontation? Ich bin dafür, dass wir dieses Gespräch beenden.«
Lieutenant Hoja schaute Conroy starr an. Eine lange Minute verstrich. Man konnte sehen, wie es in seinem Gesicht arbeitete. Dann unterbrach Hoja unvermittelt die Übertragung. Das Bild erlosch.
Conroy starrte noch eine Weile auf den dunklen Schirm.
Hojas verbissene Hartnäckigkeit konnte zu einem Problem werden und im schlimmsten Fall sogar die Mission in Frage stellen.
Er hatte den Satellitenfahrplan von WATCHDOG im Kopf.
Die Verbindung stand...
Ein paar Sekunden verstrichen, dann erschien ein Gesicht auf dem kleinen Karree des Schirms und meldete sich mit einem unverbindlich »Ja?«
»Sie, Oberst Sheehy?«, wunderte sich Conroy.
»Wer sonst? Die Königin von Saba vielleicht?«, gab Richard Sheehy im fernen New Washington zurück und sah ihn auf eine Weise an die man für ein Lächeln hätte missdeuten können, aber nur, weil er die Zähne zeigte.
»Dazu fehlt Ihnen ein ganz entscheidendes Detail, glaube ich«, erwiderte Conroy leichthin. »Nur fragen Sie jetzt bloß nicht, welches.« Es war nicht einmal Galgenhumor, sondern nur ein schwacher Versuch zu scherzen, ausgelöst durch die Ereignisse der vergangenen Stunden.
»Papperlapapp! Was ist geschehen, Herr Oberleutnant?«
»Da ist ein Problem. Eigentlich zwei. Ich wurde erwartet.«
»Bekannte?«
Conroy begegnete achselzuckend Sheehys Blick. »Keine Bekannten.«
»Erzählen Sie!«
In knapper Form berichtete Conroy in chronologischer Folge über die letzten Ereignisse. Abschließend sagte er: »Was soll ich unternehmen?«
Oberst Sheehy überlegte keine Minute, nachdem Conroy geendet hatte.
»Okay«, sagte er. »Wir sorgen dafür, dass Sie gegen diesen Polizeioffizier abgeschirmt werden. Das ist alles, was ich im Augenblick von hier aus für Sie tun kann. Sie müssen sich vor diesen ominösen Verfolgern so lange selbst schützen, bis wir herausgefunden haben, wer sich dahinter verbergen könnte. Schaffen Sie das?«
Conroy verzog nur die Mundwinkel und verzichtete auf eine Antwort.
»Schön, wenn Sie es so sehen, Morton. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Aufgabe. Wann geht's los?«
»In Kürze«, erwiderte Conroy.
»Viel Glück!«
Die Verbindung erlosch.
»Danke, Oberst Sheehy«, murmelte Conroy gegen die blinde Scheibe. »Vielen herzlichen Dank...«