Читать книгу CONVOCO! Podcast - Corinne Michaela Flick - Страница 12
Оглавление5.
Wirtschaftliche Herausforderungen
in der heutigen Krise
Corinne M. Flick im Gespräch mit Monika Schnitzer, Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München, am 12. April 2020
Corinne Michaela Flick: Die ökonomischen Kosten des Lockdown sind immens. Können wir die Auswirkungen auf die Wirtschaft bereits abschätzen?
Monika Schnitzer: Das ist aktuell noch sehr schwer abzuschätzen. Es hängt vor allen Dingen davon ab, wie erfolgreich die Maßnahmen sein werden, die wir ergriffen haben, um die Infektionsgefahr einzudämmen. Aber es gibt verschiedene Beispielrechnungen. Der Sachverständigenrat hat vor Kurzem ein Sondergutachten veröffentlicht, in dem verschiedene Szenarien diskutiert werden. Die zwei wesentlichen Szenarien sind das sogenannte V-Szenario und das U-Szenario. Was unterscheidet sie? Beim V-Szenario geht man davon aus, dass die Maßnahmen nicht mehr allzu lange beibehalten werden müssen. Dann kommt es zu einer raschen Erholung, einer Normalisierung schon im Sommer. Die Wirtschaftsleistung würde zwar jetzt kurzfristig massiv sinken, dann aber auch wieder schnell steigen. Je nachdem wie lange die Maßnahmen andauern, wird dieses „V“ stärker oder weniger stark ausgeprägt sein. Wenn sich die Maßnahmen hinziehen, dann wären wir bei einem langen U-Szenario. Gerade in diesem Fall besteht dann durchaus die Gefahr, dass Unternehmen in größerem Umfang insolvent werden und es deswegen möglicherweise zu negativen Rückkoppelungen auf die Finanzmärkte und das Bankensystem kommt. Deswegen gilt es, insbesondere diese Insolvenzen zu vermeiden.
CMF: Die staatlichen Hilfsprogramme sind die größten, die es jemals in der Bundesrepublik bzw. in der EU gegeben hat. Erreichen die zahlreichen Hilfsprogramme die betroffenen Unternehmen und Privatpersonen rechtzeitig?
MS: Es war ein großer Kraftakt und gut und richtig, dass die Politik überhaupt so schnell ein derart umfangreiches Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht hat – das größte, das wir je in dieser Form gesehen haben. Die Maßnahmen sind so angelegt, dass sie tatsächlich rasch bei den Betroffenen ankommen. Was ist beschlossen worden? Unter anderem hat man das Kurzarbeitergeld erweitert und verlängert. Das ist aus meiner Sicht eine ganz wichtige Maßnahme, mit der die Unternehmen entlastet und Personalkosten gesenkt werden. Das Kurzarbeitergeld ist ein bewährtes Instrument, das bereits bei der Finanzkrise sehr gut funktioniert hat und das wir in Deutschland den anderen Ländern voraushaben. Denken Sie einmal an England, dort musste ein solches Instrument jetzt auf die Schnelle eingeführt werden. Die USA hat ein solches Instrument überhaupt nicht. Dort werden die Beschäftigten in die Arbeitslosigkeit geschickt. Das hat große Nachteile, weil die Unternehmen die Bindung zu ihren Arbeitskräften verlieren. Nach der Krise müssen erst mühsam neue Arbeitskräfte gewonnen und wieder eingestellt werden. Neben dem Kurzarbeitergeld gibt es jetzt Maßnahmen für Selbstständige und Kleinstunternehmen sowie umfangreiche Kreditinstrumente, um die Liquidität von Unternehmen zu sichern. Es gibt Instrumente wie Steuerstundungen, Garantien, Bürgschaften. Was vielleicht noch fehlt und was man noch stärker ausbauen sollte, sind Hilfestellungen für den Mittelstand, die über Kredite hinausgehen. Warum? Weil Kredite allein zwar Liquidität schaffen, aber nicht die Insolvenzgefahr abwenden und möglicherweise das Risiko mit sich bringen, dass man am Ende überschuldet ist. Deswegen wäre es wichtig zu überlegen, ob man den Mittelstand zum Teil mit direkten Unterstützungsmaßnahmen, beispielsweise durch Steuererlässe, unterstützen kann.
CMF: Wie lange können wir die Wirtschaft in diesem künstlichen Koma am Leben erhalten? Wie kommen wir aus dem Lockdown zurück?
MS: Die entscheidende Frage ist, wie schnell wir die einschränkenden Maßnahmen zurücknehmen können und die Wirtschaft trotz hoher Infektionszahlen schon vorher stufenweise aus diesem Lockdown zurückholen können. Welche Bereiche, in denen die Infektionsgefahr gering ist, können wir öffnen? Welche Bereiche müssen wir länger geschlossen halten?
CMF: Wenn ich Sie richtig verstehe, muss uns jetzt eigentlich allen klar sein, dass es nur stufenweise geht.
MS: Richtig, es muss stufenweise passieren und es muss Unterstützungsmaßnahmen geben. Denken Sie beispielsweise an das Thema Homeoffice. Die Bereiche, die gut im Homeoffice arbeiten können, sollten das auch tun. Dafür brauchen sie aber die notwendige Ausstattung. Ich habe leider von Behörden gehört, die nicht genügend Computer haben, um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten zu lassen. Da gilt es, schnell nachzubessern.
CMF: Als Folge der Corona-Pandemie ist eine internationale Rezession, vielleicht sogar eine Depression, zu befürchten. Auch die Emerging Markets sind betroffen. Müssten starke Wirtschaftsnationen, insbesondere die USA, China, Frankreich und Deutschland, eine stärkere Vorreiterrolle einnehmen? Wie sollte diese aussehen?
MS: Alleine durch ihre Wirtschaftskraft werden diese Staaten eine wichtige Rolle dabei spielen, die Weltwirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Sie werden die Impulse setzen. Aber auch hier gilt, dass das erst funktionieren kann, wenn Staaten das Infektionsgeschehen in ihrem Land in den Griff bekommen. Gerade die USA stehen noch ganz am Anfang der Epidemie. Insofern ist es wichtig, dass diese Staaten Impulse liefern, aber wie gut diese Impulse aufgenommen werden, hängt wiederum von der Situation anderer Staaten ab. Wir müssen auf diese Verflechtungen achten und allen helfen, die Krise zu überwinden.
CMF: Dieses Jahr sprechen wir bei Convoco über „New Global Alliances“. Muss es jetzt zu Verbindungen und Kooperationen kommen, die wir bisher gar nicht im Blick haben?
MS: Wir erkennen jetzt noch deutlicher als sonst, wie eng die ganze Welt verflochten ist. Keine Region kann einfach abgeschrieben werden. Wenn das Virus in Entwicklungsländern einschlägt und massive Verwerfungen erzeugt, dann wird uns das am Ende auch betreffen, selbst wenn wir mit manchen dieser Regionen wirtschaftlich kaum verbunden sind.
CMF: Haben die Technokratien Asiens einen Vorteil in der Bewältigung dieser wirtschaftlichen Folgen?
MS: Sie haben zumindest den Vorteil, dass sie viel massivere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie durchführen können. Das haben wir in China gesehen. Dort wurde sehr früh, sehr radikal abgeriegelt. Die Chinesen haben die Menschen in ihren Wohnungen mehr oder weniger eingesperrt, und man konnte nur nach Tests, nach Fiebermessen, das Haus verlassen. Ob das bei uns auch so möglich wäre, das wage ich sehr zu bezweifeln. Die Hoffnung ist, dass es andere Möglichkeiten gibt, um das weniger invasiv, aber trotzdem effektiv, zu handhaben.
CMF: Weniger invasiv verlangt natürlich auch mehr Einsicht der Bürger.
MS: Da habe ich bei manchen von unseren Bürgerinnen und Bürgern ein bisschen Sorge, aber ich hoffe, dass die Menschen sich jetzt vernünftig verhalten.
CMF: Kann man aus der bereits beginnenden Erholung Chinas Rückschlüsse ziehen, wie sich eine wirtschaftliche Erholung in Europa gestalten wird?
MS: Das ist nicht ganz einfach einzuschätzen, gerade weil China aktuell damit konfrontiert ist, dass die Handelspartner Europa und USA ausfallen. Man kann hoffen, dass bei uns die Erholung rascher funktioniert, denn wenn bei uns und in den USA die Pandemie voll zuschlägt, wird sich China schon wieder auf dem Weg der Erholung befinden. Daher bin ich sogar optimistisch, dass es bei uns besser laufen wird. Es sei denn, es kommt in China zu einer zweiten Welle. Ob es weitere solcher Wellen geben wird und wie stark diese ausgeprägt sein werden, das hängt ganz davon ab, wie konsequent die Maßnahmen jetzt weiterverfolgt werden.
CMF: Zu Ihren wissenschaftlichen Schwerpunkten zählen auch Wettbewerbsfragen. Insolvenzen von Unternehmen scheinen unvermeidlich. Ein Ausweg sind hier oft nur Übernahmen durch Wettbewerber, diese sind aber durch das Kartell- und Fusionsrecht stark reguliert. Müssen wir hier jetzt flexibler sein, um Arbeitsplätze zu retten?
MS: Wir müssen alles dafür tun, Arbeitsplätze zu retten. Die Frage ist immer, was das richtige Instrument ist. Wenn man jetzt Kartellrechtsfragen mit dem Argument, dass eine Fusion Unternehmen rettet, einfach so beiseiteschiebt, hätte ich Sorge, dass uns das irgendwann auf die Füße fallen würde. Wenn die Krise vorbei ist und wir dann stark konzentrierte Märkte haben, wird das möglicherweise auch den Aufschwung behindern. Insofern sollte man darauf achten, welche Investoren bereit sind, Unternehmen zu übernehmen. Wenn es Auswahl gibt, sollte man auf die Investoren setzen, die nicht unmittelbare Konkurrenten sind, sondern beispielsweise in ganz anderen Märkten arbeiten. Man sollte, wenn nötig, Auflagen machen. Das ist ein gängiges Verfahren bei Fusionen, wenn die Gefahr besteht, dass die Konzentration zu stark steigt: Die Genehmigung der Fusion wird davon abhängig gemacht, dass bestimmte Teile abgespalten werden müssen, damit die Konzentration nicht zu stark wird. Besser wäre es möglicherweise, dass man Insolvenzen vermeidet, indem man entsprechende Bürgschaften und Garantien gibt. Möglicherweise auch, indem der Staat sich für eine gewisse Zeit durch Eigenkapitalbeteiligungen einbringt. Nur muss es an dieser Stelle klare Exit-Strategien geben, denn eine solche Beteiligung darf nicht dauerhaft sein. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer.
CMF: Bei der Commerzbank ist der Staat seit der Finanzkrise dabei, obwohl er sich auch zurückziehen wollte.
MS: Das ist ein abschreckendes Beispiel. Man sollte erst klären, wie man es schaffen kann, dass genau das nicht passiert. Insofern sind auch viele Experten skeptisch und setzen lieber auf Kredite. Wenn es aber darum geht, Konzentrationstendenzen zu vermeiden, ist das eine Abwägung von verschiedenen Übeln, um das angestrebte Ziel zu erreichen, Unternehmen, die eigentlich überlebensfähig sind, nicht insolvent gehen zu lassen. An dieser Stelle will ich aber auch sagen: Unternehmen, die schon vor der Krise in Schwierigkeiten waren, sollten nicht unterstützt werden. Wichtiger ist es, dass nach der Krise neue Unternehmen entstehen.
CMF: Innerhalb der EU fordern viele Staaten die Einführung sogenannter Corona-Bonds. Deutschland lehnt diese ab, wie auch die Eurobonds in der Euro-Krise. Was denken Sie?
MS: Länder wie Italien oder Spanien sind im Moment durch die Krise besonders hart getroffen. Sie haben einen sehr hohen Schuldenstand im Vergleich zu uns. Das erschwert ihnen besonders, die Mehrausgaben, die sie jetzt haben, durch weitere Kredite zu finanzieren. Deswegen ist es ganz zentral, dass wir eine Lösung finden, wie man diesen Staaten helfen kann, ohne dass sie sich zu stark überschulden und dadurch in die nächste Eurokrise schlittern bzw. für uns alle die nächste Eurokrise vorprogrammieren. Darüber besteht Einigkeit. Der Dissens besteht in meinen Augen vor allem darin, was die richtigen Instrumente sind.
In diesem Zusammenhang werden jetzt Corona-Bonds diskutiert. Die Idee ist, die europäischen Staaten geben Corona-Bonds aus, verschulden sich damit gemeinsam und haften dann auch gemeinschaftlich für die Zinsen und Rückzahlung. Das hätte für Länder wie Italien oder Spanien den Vorteil, Kredite zu günstigeren Zinsen zu bekommen und sich so auch weniger zu verschulden. Die Schuldenlast insgesamt würde geringer sein, weil starke Länder wie Deutschland mithaften würden. Das ist in vielerlei Hinsicht attraktiv, hat aus meiner Sicht aber den Nachteil des Zeitfaktors. Es dauert lange, dieses Instrument auf den Weg zu bringen. Man hat hohe institutionelle und rechtliche Hürden. Beispielsweise muss alles durch die Parlamente gehen – ganz abgesehen davon, dass man sich europäisch erst einmal einigen muss.
Aus meiner Sicht spricht allein vom Zeitfaktor her schon einiges dafür, dass man auf bestehende Instrumente wie den europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) setzt. Den hat man in der Finanzkrise entwickelt, damals für die Banken. Man müsste den ESM natürlich auf die konkrete Situation hin anpassen. Einige Staaten lehnen das aber ab, insbesondere Italien. Warum? Sie fürchten, dass dieses Instrument stigmatisierend wirken könnte. Bisher wurde das immer nur dann verwendet, wenn ein Land in Schwierigkeiten geraten ist, und es ist mit Auflagen verbunden. Schon im Falle Griechenlands kam es gar nicht gut an, wenn die Troika kam und sagte: „Das und das müsst ihr jetzt machen.“ Deshalb muss man sich überlegen, wie man die Stigmatisierung vermeiden kann und welche Auflagen wirklich nötig und möglich sind. Vielleicht müssen wir uns alle an die gleichen Auflagen halten, sodass sie nicht nur ein Land stigmatisieren, oder aber man überlegt sich ganz andere Lösungen. Die EU-Kommissionspräsidentin Frau von der Leyen hatte vorgeschlagen, dass man die Zahlung des Kurzarbeitergeldes durch die EU finanzieren könnte und dafür gemeinsame Kredite aufnimmt. Das hätte einen ähnlichen Effekt wie die Corona-Bonds. Ich kann nicht einschätzen, ob es dazu politische Einigkeit geben wird.
Schließlich sollte man an Lösungen denken, mit denen direkte Zahlungen an die betroffenen Länder geleistet werden können. Beispielsweise wird diskutiert, Zahlungen an den EU-Haushalt für die Länder auszusetzen, die jetzt besonders schlimm betroffen sind. In diesem Fall müssten deren Ausfälle durch andere Staaten, die es sich besser leisten können, kompensiert werden. Auch das wäre eine Möglichkeit. Aus meiner Sicht ist es entscheidend, dass wir rasch eine europäische Lösung finden. Das ist nicht nur ein Gebot der Solidarität, es ist am Ende auch in unserem eigenen Interesse. Wir sind in Europa wirtschaftlich so stark miteinander verbunden, dass wir alle betroffen sind, wenn ein Land durch die Krise in die finanzielle Schieflage gerät.
CMF: Wie wird sich unsere Gesellschaft durch die Krise verändern? Was ist Ihre größte Befürchtung? Was ist Ihre größte Hoffnung?
MS: Meine Sorge ist, dass wir eine Rückkehr zu nationalem Denken erleben werden. Wir erleben im Moment die Schließung der Grenzen, was seine Berechtigung und Notwendigkeit hat. Dieses Einigeln im eigenen Land kann aber auch dazu führen, dass die Solidarität innerhalb Europas und innerhalb der Welt abnimmt. Natürlich ist klar, dass die Politik zunächst einmal dafür sorgen muss, dass die eigene Bevölkerung geschützt wird. Das ist ihre Pflicht. Darüber hinaus darf man aber nicht vergessen, dass wir in den letzten Jahren in Europa deswegen so friedlich miteinander gelebt haben, weil wir so eng zusammengewachsen sind. Es geht uns nur deshalb so gut, weil wir unsere Wirtschaft international verflochten haben – von den Reisen in alle Welt und von den Produkten, die wir aus aller Welt beziehen und die unseren Alltag bereichern, ganz abgesehen. Wer jetzt nur an sich selbst denkt, der gibt viel von dem auf, was unsere Gesellschaft ausmacht, im Kleinen wie im Großen. Ich hoffe sehr, dass das nicht passieren wird. Meine Hoffnung ist, dass sich die Menschen auf die Solidarität in der Gemeinschaft besinnen und dass sie zu schätzen lernen, worauf sie jetzt gerade verzichten müssen: die Begegnung und den Austausch mit anderen Menschen über den Familienkreis und auch über das eigene Land hinaus. Wenn die Krise dazu beiträgt, dass wir uns darauf besinnen, was uns wirklich wichtig ist, und wenn wir diese Einsicht auch in die Zeit nach der Krise mitnehmen, dann wäre das ein großer Gewinn für uns.
Zu diesem Thema:
Gespräch 3: Rudolf Mellinghoff
Gespräch 6: Arend Oetker
Gespräch 9: Gisbert Rühl