Читать книгу Nur ein Flirt zur Weihnachtszeit - Crystal Lacy - Страница 6
Bennett
ОглавлениеEr sieht gut aus.
Das ist der Gedanke, der mir durch den Kopf schießt, als Jake sich nach vorn beugt und sein Atem über mein Gesicht streicht, heiß und nach Minze und Gin riechend. Ich frage mich, ob er nach seinem Drink schmeckt, wenn ich …
»Ich …«, versuche ich es noch einmal. Erneut bleibt mir die Luft weg und ich kann meinen Satz nicht beenden. Jakes dunkelblaue Augen sind einfach präsent und so nah, dass ich die Abstufung von Blau zu Gold um seine Iris herum erkennen kann. Sein Gesicht hat nur ein paar Bartstoppelchen, wodurch er aussieht wie der Held aus einem dieser Liebesromane, die meine Schwester so sehr geliebt hat. Mein Schwanz reagiert auf eine Art und Weise, die ich ihm nicht zugetraut habe, wenn man bedenkt, dass ich erst vor ein paar Stunden von meiner Freundin verlassen wurde. »Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist«, flüstere ich. »Ich bin im Moment zu betrunken, um zu wissen, was ich will.« Zumindest glaube ich, dass ich zu betrunken bin, um es zu wissen. Es ist alles ein bisschen verschwommen.
Eine von Jakes Augenbrauen hebt sich und er beugt sich noch ein kleines bisschen mehr nach vorn, sodass unsere Nasen beinahe aneinanderstoßen. »Bist du das?«, flüstert er zurück. »Das ist aber schade.«
Das Flüstern jagt mir einen undefinierbaren Schauder über den Rücken. Gerade als ich Scheiß drauf sagen und das letzte Stückchen Luft zwischen uns überwinden will, zieht sich Jake zurück und setzt sich gegen die Lehne seines Sitzes. Er seufzt und ich möchte mit ihm seufzen.
»Du hast natürlich recht. Es ist besser, dich nicht auszunutzen, wenn du so bist. Du siehst aus, als würdest du gleich ohnmächtig werden.«
»Ich könnte wahrscheinlich etwas Schlaf gebrauchen«, sage ich, denn ich kann mir keine weiteren drei Stunden dieses Hin und Her mit diesem Mann vorstellen, der mich so leicht in Versuchung führt.
»Ruh dich etwas aus. Und wenn du aufwachst, bist du vielleicht mutig genug, mich zu küssen.« Er sagt es mit einem neckenden Grinsen auf den Lippen.
Ich will ihm sagen, dass ich es nicht tun werde, aber die Worte kommen mir nicht über die Lippen. Sie wären sowieso nicht wahr und ich denke, wir beide wissen das. Ich meine, ich habe ihm gerade von dieser Nacht auf dem College erzählt. Ich habe nie jemandem davon erzählt, nicht einmal Pearl. Ich habe nie jemandem gegenüber laut zugegeben, dass ich, obwohl nichts passiert ist, seit diesem Moment verändert bin. »Ja, okay«, stimme ich zu. »Schlafen.« Ich verschränke meine Arme und versuche, es mir bequem zu machen, während ich die Augen vor Jakes amüsiertem Lächeln schließe.
***
Eine Hand auf meiner Schulter und eine Frauenstimme, die »Sir?« sagt, holen mich aus meinem Schlummer.
Ich blinzle schnell gegen die zu helle und zu leise Kabine an. »Entschuldigung«, murmele ich und reibe mir die Augen. »Landen wir?«
Die Flugbegleiterin tritt zurück, die Lippen verziehen sich zuckend zu einem Lächeln. »Wir sind bereits gelandet, Sir. Die anderen Passagiere sind schon ausgestiegen, und wir warten nur noch auf Sie, um die Kabinen für den nächsten Flug reinigen zu können.«
Ich unterdrücke ein Fluchen, blicke auf den leeren Sitz neben mir und erinnere mich an Jakes funkelnde, dunkelblaue Augen, als er sich in meine Richtung gelehnt hat. Ich kann fast den Gin seines Atems riechen, der warm über meinen Mund gestrichen ist.
»Sir?«
Nun ist da ein ungeduldiger Unterton in der Stimme der Flugbegleiterin und sie wirkt, als überlege sie, die Security zu rufen. Ich schnalle mich ab, greife meinen Rucksack unter dem Sitz und trete schnell auf den Korridor und zum Ausgang des Flugzeugs.
Warme Luft trifft mich, als ich durch das Gate gehe und den Schildern durch den Flughafen zur Gepäckausgabe folge. Der Gang wird von offenen Balkonen flankiert und der Himmel am späten Nachmittag strahlt in einem wunderschönen Orange-Rosa, das schon in Richtung Violett der Dämmerung geht. Ich kann den Anblick nicht einmal genießen, denn der Gedanke an das, was im Flugzeug passiert ist, beschämt mich.
Ich bin zu betrunken, um zu wissen, was ich will.
Das stimmte überhaupt nicht. Im Moment bin ich ziemlich nüchtern und möchte ihn immer noch küssen. Wahrscheinlich werde ich ihn aber nie wiedersehen und das ist auch gut so, denn ich sollte keine beliebigen Typen in Flugzeugen küssen, auch wenn mich meine Freundin verlassen hat. Was Pearl angeht …
Ich durchsuche meine Taschen nach meinem Handy und schalte den Flugzeugmodus aus, ohne mir sicher zu sein, ob ich von ihr irgendwelche Nachrichten haben möchte oder ob ich einfach nur in Ruhe gelassen werden will. Es ist egal, denn es gibt keine Nachrichten. Als ich das Handy wieder in meine Tasche schiebe, spüre ich allerdings etwas anderes darin. Eine ordentlich gefaltete Serviette. Auf dem Papierquadrat steht in einer leicht abgehackten Schrift eine Telefonnummer geschrieben. Darunter die Worte: Für den Fall, dass du ein bisschen mutig wirst.
Mein Herz klopft in meiner Brust. Ich erinnere mich an den Geruch seines würzigen Parfüms; etwas mit unterschwelligem Zimt. Wie es mich dazu gebracht hat, mich weiter zu ihm zu lehnen und schnuppern zu wollen … Ich erinnere mich an den Schwung seiner Lippen, als er mich amüsiert angelächelt hat, aber auch so, als wolle er mich auffressen. Wie wäre es wohl, wenn ich ihn gewähren ließe?
***
Als ich im Waikiki Sheraton Hotel ankomme, erinnere ich mich, dass ich die Flitterwochen-Suite für uns gebucht hatte. Da ich vorgehabt habe, ihr in unserem Urlaub einen Heiratsantrag zu machen, ist es mir passend erschienen. Jetzt ist es nur eine weitere Erinnerung an das, was ich nicht mehr habe. Wen ich nicht mehr habe. Ich dachte, Pearl sei die Richtige, aber jetzt kann ich nur noch an all die Arten denken, auf die wir uns auseinandergelebt haben. Mit den Jahren sind wir selbstgefällig geworden und haben den Funken in unserer Beziehung verschwinden lassen. Dieser Urlaub wäre der Erste gewesen, den wir je gemeinsam verbracht hätten. Wie habe ich nicht sehen können, dass wir uns von dem Paar, das die ganze Zeit zusammen sein wollte, zu dem Paar entwickelt haben, das sich beim Mittagessen im Büro und bei Familienessen bei meinen oder ihren Eltern zusammenfindet?
Die Suite ist zu groß für nur eine Person, aber der Gedanke, zur Rezeption zu gehen und zu erklären, warum ich mein Zimmer wechseln möchte, wäre äußerst unangenehm.
Ich packe meine Sachen aus und nehme eine dringend benötigte Dusche. Dann werfe ich mich aufs Bett und nehme mir vor, meine Sorgen einfach zu verschlafen. Das klappt nicht ganz. Mein Gehirn will einfach nicht herunterfahren. Es kreist weiter um die Gedanken an Pearl, an meine Familie, und überraschenderweise auch an Jake. Er ist bei Weitem nicht der erste Mann, zu dem ich mich hingezogen fühle, aber er ist der erste, seit ich mit Pearl zusammen bin.
Ich entsperre mein Handy und öffne die Kontakte, wo ich während der Fahrt zum Hotel Jakes Daten eingetippt habe. Ich weiß nicht, warum. Es gibt keinen Grund, die Nummer dieses Mannes in meinem Handy zu haben. Es ist ja nicht so, als ob ich ihn einfach so anrufe, um …Was? Rumzuhängen? Essen zu gehen und noch mehr zu trinken?
Er sagte, ich soll ihn anrufen, wenn ich „ein bisschen mutig werde“.
So weit bin ich noch nicht. Mein Magen knurrt und ich merke, dass ich seit Stunden nichts mehr gegessen habe. Ich stehe vom Bett auf, schiebe das Handy in die Tasche meiner Khaki-Shorts und greife nach meiner Schlüsselkarte. Zuerst das Essen, dann der Mut. Vielleicht.
***
Das Restaurant in der Hotellobby ist um diese Uhrzeit ziemlich voll, aber ich schaffe es, einen Platz in einer Ecke an der Bar zu bekommen. Es gibt bereits eine Feiertags-Getränkekarte und im Hintergrund spielt leise weihnachtliche Klaviermusik, gedämpft von den Geräuschen der Menschen, die essen und sich unterhalten. Weihnachten war schon immer mein Lieblingsfeiertag. Normalerweise würde ich mich über all das hier freuen, aber im Moment fühlt es sich einfach ein bisschen unwirklich an.
Ich bestelle mein Essen beim Barkeeper und begnüge mich mit Wasser zum Trinken. Mein Kopf hat mir das Trinkgelage im Flugzeug noch immer nicht verziehen. Ich bin gerade mit meiner Bestellung fertig, als ich Jake entdecke, der auf einen Mann zugeht, der an einem Tisch nahe der Raummitte sitzt. Er hat den langärmeligen Pullover aus dem Flugzeug gegen ein eng anliegendes T-Shirt eingetauscht, das seine unglaublich definierten Arme zeigt. Arme, die sich in einer liebevollen Umarmung um den anderen Mann legen, die für bloße Freundschaft einen Bruchteil zu lang zu sein scheint. Der andere Mann sagt etwas, lächelt dabei strahlend und Jake antwortet ebenso fröhlich. Der Anblick dieses Lächelns lässt in meiner Brust etwas heiß werden. Ich möchte, dass er mich so anlächelt. Was ist das für eine lächerliche Besitzgier, wo wir uns doch nur ein paar Stunden im Flugzeug unterhalten und uns beinahe geküsst haben?
Ob er wohl stattdessen diesen Mann küssen wird?
Es erscheint mir sehr wahrscheinlich, so wie der andere Mann Jake ansieht, als sei er eine Art Engel, der auf die Erde heruntergekommen ist.
Mein Essen kommt, aber ich bin zu abgelenkt, um viel davon zu essen. Immer wieder schiele ich unauffällig in Richtung von Jakes Tisch.
»Ist einer von denen ein Ex oder so etwas?«
Meine Aufmerksamkeit wendet sich dem Kellner hinter der Bar zu. Mein Gesicht wird heiß, ich schüttle den Kopf. Die Blicke waren wohl doch nicht so unauffällig, wie ich dachte. »Nein. Ich habe nur …« Okay, es gibt keine Möglichkeit, es zu erklären, ohne seltsam zu klingen. Im Grunde genommen sind Jake und ich Fremde. »Wir haben uns auf dem Flug hierher unterhalten und er hat mir angeboten, mich zu küssen.«
Der Barkeeper lacht laut auf. »Ach ja? Hat er es angeboten? Als Gefallen?«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich wurde gerade von meiner Freundin abserviert und er dachte, ich müsse …« Wie war noch mal der Ausdruck, den Jake benutzt hat? »Ich müsse sie vergessen, ausgehen und jemanden küssen.«
Der Barkeeper sieht immer noch sehr amüsiert aus. »Also gut, wer von den Jungs ist dieser gute Samariter? Denn so eine dreiste Anmache verdient einen Drink.«
Ich stöhne bei der Erwähnung des Wortes Drink. »Bleib mir mit den Drinks fern. Ich habe immer noch das Gefühl, dass mir jemand mit einer Bratpfanne auf den Kopf geschlagen hat. Und es ist der Typ mit dem weißen T-Shirt.«
»Nett«, sagt der Barkeeper und alle Spekulationen, die ich über seine Sexualität hatte, sind verbannt. »Bitte sag mir, dass du diesen Mann geküsst hast. Lass mich daran teilhaben.«
»Ich habe ihn nicht geküsst. Aber viel hat nicht gefehlt. Und er hat mir seine Nummer gegeben.«
Er macht ein leises, schnurrendes Geräusch. »Hast du sie noch? Wenn du sie nicht nutzen willst, darf ich dann?« Der Schwung seiner Lippen verrät mir, dass er scherzt, aber es lässt noch einen weiteren Funken Besitzgier durch meine Brust zucken.
»Nein«, sage ich. »Ich gebe die Telefonnummer sicher nicht weiter. Das wäre unhöflich.«
»Höflichkeit wird überbewertet, Baby. Aber ich schätze, das bedeutet, dass du die Nummer benutzen willst.«
»Ich weiß es nicht«, platzt es aus mir heraus, weil es die Wahrheit ist. Ich sollte die Nummer nicht nutzen. Aber was hält mich davon ab?
»Wenn du es willst, solltest du es wahrscheinlich tun, bevor er mit dem Blonden abhaut. Der Kerl sendet alle möglichen Flirtsignale aus und ist nicht hässlich.«
Stimmt, ist er nicht. Der Mann, mit dem Jake gerade im Gespräch ist, hat einen schönen gepflegten Bart und ein umwerfendes Lächeln, das ich von hier drüben aus sehen kann. Wenn ich Jake wäre, würde ich nicht nein sagen.
»Ein Wort von dir und ich bringe ihm einen Drink von dem gut aussehenden Herrn an der Bar.«
Ich blicke zurück zum Barkeeper, der mich verschwörerisch anlächelt. Es ist ein ansteckendes Grinsen, eines, bei dem ich nicht anders kann, als es zu erwidern. Die Aufregung kribbelt in meinen Händen und erhitzt mein Gesicht. »In Ordnung. Warum nicht? Ähm. Gin Tonic.«
Der Barkeeper nickt und beugt sich vor, um in das Spirituosenregal zu greifen. »Übrigens, ich bin Marco. Und das ist eine gute Entscheidung. Ich kann es fühlen. Aber falls nicht, ist der heiße T-Shirt-Kerl nicht der Einzige, der zufällige Fremde küsst, um sie abzulenken.«
Ich nicke und lache. »Das werde ich mir merken.« Aber meine Aufmerksamkeit richtet sich bereits wieder auf Jake und die Erinnerung an seinen Atem an meinem Mund.