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Ankunft

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Françoise saß in Gedanken versunken im Hubschrauber und schaute nach Osten. Die Sonne kündigte sich mit einem blassen Streifen am Horizont an. Das Meer war wie zu Blei erstarrt. Neben ihr war Cheng eingeschlafen. Sie befanden sich auf dem Weg von der IWAC-Forschungsstation in Zypern auf das Kommandoschiff Malta III. Dieses lag fünf Seemeilen vor der Küste Gazas vor Anker. Dort sollten sie Ted treffen, um über den Stand der Entwicklungsarbeiten und die Vorbereitungen für die Bildungsoffensive im Gazastreifen zu sprechen.

Plötzlich gab es einen lauten Knall. Der Hubschrauber hing einen Augenblick lang unbeweglich in der Luft, bevor er knarzend einen gewaltigen Ruck nach unten machte. Cheng, der sich dabei den Kopf an der Rückenlehne angeschlagen hatte, schaute verwirrt zu Françoise. Ihre Gesichtsfarbe wurde fahl wie das Morgenlicht. Über die knisternden Kopfhörer meldete sich der Pilot in gebrochenem Englisch: »Sorry, eine Fehlzündung im Hauptmotor. Kein Grund zur Panik, alles im Griff. Wir landen in einer halben Stunde auf der Malta III.«

In diesem Moment küsste die Sonne den Horizont und begann, ihr warmes Licht zu verstrahlen, womit auch die Farbe in das Gesicht der adretten Französin zurückkehrte.

»Das hat mich ganz schön erschreckt.«

Cheng nickte und schaute aus dem Fenster: »Das haben wir davon, dass wir mit ausgemusterten russischen Militärhubschraubern fliegen dürfen.«

»Apropos russisch, hast du die Proben von Nowaja Semlja schon erhalten?«

»Ja, die Plaques sind angelegt und die Rekombination ist in Vorbereitung.«

»Ich bin gespannt, wie sich die arktischen Algen im warmen Mittelmeerwasser bewähren. Es wäre zu schön, wenn die neuen Hybrid-Algen die erhoffte katalytische Wirkung entfalten würden.«

»In der Theorie klingt das gut, aber praktisch? Ich traue dem Biotop vor Polis nicht. Allen Wasseranalysen zum Trotz, irgendetwas passt da nicht zusammen.«

»Aber in Zypern gibt es nach wie vor das sauberste Mittelmeerwasser.«

»Vielleicht ist es immer noch zu schmutzig?«

»Oder zu sauber? Wenn ich an die Verhältnisse beim Gazastreifen denke …«

»Dass die Laborbedingungen zu steril sind, ist klar. Wenn wir aber am Schluss jede Anlage genau auf die örtlichen Wasserbedingungen einstellen müssen, werden wir den erforderlichen Quantensprung in der Entsalzung nie erreichen.«

»Nein, viel zu aufwändig.«

»Ich denke die ganze Zeit darüber nach, ob wir einen Denkfehler gemacht haben«, fuhr Cheng fort.

»Die mechanische Entsalzung mit Hilfe von solaren und biologischen Katalysatoren zu verbessern, scheint mir nach wie vor richtig.«

»Ich bin mir nicht so sicher. Wäre es nicht besser, zusätzlich einen biochemischen Prozess in Betracht zu ziehen?«

»Das haben wir oft genug diskutiert. Jede Projektanalyse zeigt, dass ein solcher Ansatz nie zu einer Lowtech-Anlage führt. Es bleibt immer Biotechnologie auf Hightech-Niveau.«

»Wir müssten ein komplett eigenständiges Biotop entwickeln, welches zudem extrem anpassungsfreudig ist. Eine Art Ursuppe zur Wasserreinigung.«

Eine Zeit lang blieb es ruhig in den beiden Kopfhörern.

»Immerhin hat ›Phoenix‹ in den zwei Jahren schon eine durchschnittliche Verbesserung um zehn Prozent gebracht«, fuhr Françoise fort, »das ist für sich schon ein gutes Resultat – mit den entsprechenden wirtschaftlichen Implikationen.«

»Schon, aber ich sehe nur die Grenzen. Schließlich wollen wir eine Revolution herbeiführen, die auch die Industriestaaten nicht mehr ignorieren können.«

»Vielleicht müssen wir doch ernsthaft über einen zweiten Forschungsstrang nachdenken?«

»Ich bin mir ganz sicher, dass wir das müssen. Ich nehme das Thema nächste Woche mit Charles und Thomson am MIT auf.«

Die Malta III war von weit her zu sehen. Das Schiff lag ruhig im blauen Ozean. Dahinter kam der Küstenstreifen der Levante immer näher. Im milden Schein der Morgensonne präsentierte er sich braun und sanft. Man hätte nicht vermutet, dass hier einer der am längsten andauernden und verhängnisvollsten Konflikte der Erde zu Hause war. Etwa drei Seemeilen näher an der Küste lagen verstreut die Schiffe Polaris VII, Stella 2 und Southern Cross I vor Anker. Es war die Versorgungsflotte der IWAC.

»Willkommen an Bord«, schrie ihnen Ted durch das abklingende Brausen der Rotorblätter zu, »ich hoffe, ihr hattet einen angenehmen Flug?«

Françoise und Cheng antworteten einstimmig mit »Ja« und zwinkerten sich zu.

»Der Kaffee wartet«, sagte Ted und führte sie in den Besprechungsraum auf dem Oberdeck. Die Malta war früher ein mittelgroßes Kreuzfahrtschiff gewesen. Dank Charles’ exzellenten Kontakten zu Reedern und zur US-Navy war es für ihn ein Leichtes, Occasionsschiffe für seine Zwecke zu rekrutieren und umzurüsten.

Im Inneren war alles in hellem Grau gehalten, ergänzt mit Smaragdgrün, den Farben des Emblems des International Water Concortium IWAC. Dieses zeigte zwei Delfine, die sich im Sprung über einen Wellenkamm kreuzten, jeder mit einer Phoenixfeder in der Schnauze. Im Besprechungsraum begrüßte sie Teds Assistentin. Nachdem alle mit dem nach griechischer Art gebrauten Kaffee bedient waren, begann die Leiterin der IWAC die Sitzung.

»Der Fortschritt der Pilotanlage in Zypern ist zwar groß, leider sind aber die Hürden in der Kombination herkömmlicher Entsalzungs-Techniken mit biotechnischen Komponenten höher als erhofft. Das wirkt sich momentan noch nicht auf unseren Fahrplan aus, früher oder später könnte das jedoch zur Achillesferse des gesamten Unternehmens werden. Wir werden wohl bereits verworfene alternative Ansätze erneut diskutieren müssen. Das ist aber nicht der Grund für unser Zusammenkommen heute«, endete Françoise mit einem auffordernden Blick zu Ted gewandt.

»Ja – ähm, wir haben hier keine Schwierigkeiten, alles läuft nach Plan.«

Ted schaute erwartungsvoll in die Runde.

»O.K., verschiedene radikale Splittergruppen scheinen nicht gerade überglücklich zu sein. Ich meine, wir füttern die Ärmsten nun schon zwei Jahre durch, geben Medikamente ab und versuchen, die Flüchtlingssiedlungen einigermaßen ordentlich zu halten. Aber die Pistoleros sind ja nicht blöd. Auch wenn sie uns weder den Israelis noch den Weltgutmenschen zuordnen können, merken sie, dass wir ihr Volk stärker durchdringen, als ihnen lieb ist. Vor allem, dass wir die Leute beschäftigen, stößt bei ihnen sauer auf.«

»Zu Recht«, warf Françoise ein, »das ist ja gerade der heikle Punkt.«

»Das meine ich ja. Immer weniger Palästinenser rennen zur Mauer, um drüben nach Arbeit zu suchen. Auch wenn unsere Taglöhner nicht mehr als den notwendigsten Lebensunterhalt verdienen können – das motiviert offensichtlich etliche. Das ist der erfreuliche Teil.«

»Und der unerfreuliche?«

»Wenn wir unseren Informanten Glauben schenken wollen, dauert es nicht mehr lange, bis die Radikalen unsere Aktivitäten ebenfalls ins Visier nehmen. Was dann geschieht, können wir nur erahnen. Zusätzliche Unterstützung dürften sie von gewissen Händlern erhalten, das Schmuggelgeschäft mit Ägypten nimmt rasant ab.«

»Was sollen wir deiner Meinung nach tun?«

»Wir könnten einen Teil ihrer Ausfälle bezahlen.«

»Gut.«

»Gut? Wir sprechen hier von mehrstelligen Millionenbeträgen.«

»Nicht so gut, aber auch O.K.« Françoise verzog keine Miene, als sie ein paar Notizen hinkritzelte.

»Nach zwei Jahren versorgen wir rund dreißig Prozent aller Palästinenser im Gazastreifen mit Nahrungsmitteln, Kleidern und den Medikamenten«, fuhr Ted fort. »Vor allem natürlich in den Flüchtlingslagern. Mit der Feinverteilung und Logistik beschäftigen wir etwa fünf Prozent der Bevölkerung.«

»Das ist ein beachtlicher Erfolg«, merkte Cheng an.

»Ja, wir haben in der Tat offene Türen eingerannt. Die anderen Hilfswerke raufen sich die Haare, denen bricht ihr gesamtes Geschäft weg.«

»Müssen wir Vorsichtsmaßnahmen ergreifen?«

»Dreißig Prozent Versorgung, fünf Prozent Arbeit, Tendenz steigend – wir hoffen, damit den radikalen Gruppierungen und der Ḥamās bereits so viel Wasser abgegraben zu haben, dass ihr Rückhalt in der Bevölkerung für Aktionen gegen uns massiv geschwunden ist. Zudem können sie uns politisch noch immer nicht klar zuordnen.«

»Ted, Meister des nicht-Bekanntheits-orientierten-Marketings«, spottete Françoise.

»Du hast gut lachen«, sagte Ted.

»Nein, im Ernst, du machst einen großartigen Job. Ich weiß, wie schwierig es ist, unser Engagement bedeckt zu halten. Und ich bin überzeugt, dass wir weniger zu befürchten haben, als den Radikalen lieb ist. Von Charles habe ich gestern erfahren, dass er mit Eizenburg und Šarīf über die neuesten Erhebungen der Grenzgänger aus dem Gazastreifen gesprochen hat. Sie sind übereingekommen, die effektiven Zahlen nach wie vor zu verfälschen. Die Abwendung von den israelischen Arbeitgebern muss im Moment noch nicht in die Welt hinausposaunt werden. Offenbar ist es auch Eizenburg noch immer ernst und er lässt den Wegfall durch Palästinenser aus dem Westjordanland kompensieren. Auf der anderen Seite hat Šarīf bis jetzt noch gar nichts erreicht. Fatḥ und Ḥamās sind sich offiziell und inoffiziell keinen Schritt nähergekommen.«

»Das finde ich gar nicht so schlecht«, sagte Ted, »solange sich bezüglich der Ḥamās nichts bewegt, können wir unsere radikalisierten Gegner besser einschätzen.«

»Wir wollen nur hoffen, dass der schwelende Konflikt nicht erneut explodiert wie das letzte Mal, als die Israeli im Gazastreifen einmarschierten.«

Während einer Pause gingen Françoise und Ted an die frische Luft. Sie standen nebeneinander an die Reling gelehnt und schauten in Richtung Land. Ted wollte sich gerade eine Zigarette anzünden, als ihn Françoise in die Seite stupste: »Sieh mal dort unten, liegt da nicht jemand im Boot?«

Tatsächlich. Aus der Entfernung war jedoch nicht auszumachen, wer im Schlauchboot war. Gleich darauf kamen zwei Männer und hievten einen leblosen Körper auf die Gangway, die achtern im Wasser schwamm. Sie verschwanden mit ihm im Inneren des Schiffes. »Ich hoffe, dem Mitarbeiter ist nichts Schlimmes passiert«, sagte Ted zwischen zwei hastigen Zügen an seiner Zigarette, »ich kümmere mich nach der Sitzung darum.«

Zurück im Besprechungsraum fuhr Françoise fort: »Und nun zum Thema Bildung. Wir haben beschlossen, unsere Initiativen vorziehen.«

»Wann? Wer ist wir?«, fragte Ted erstaunt.

»Charles und ich.«

»Sicher, wofür braucht es auch ein Management Board. Oder einen operativen Leiter vor Ort – «

»Ted – «

»Was glaubt ihr eigentlich, was ihr könnt – «

»Ted, bitte, wir – «

»Ich reiße mir hier den Arsch auf, während ihr über alle Köpfe hinweg entscheidet. Wofür braucht ihr mich überhaupt …?« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Niemand will dich übergehen«, erwiderte Françoise bestimmt, »ich weiß deine Arbeit mehr als zu schätzen. Wirklich! Und wenn du mir sagst, dass wir für die Initiative noch nicht bereit sind, dann verschieben wir sie. Aber bitte hör dir zuerst den Plan an.«

Die beiden starrten sich schweigend an.

»O.K.«, lenkte Ted schließlich ein.

»Für die Ausbildung der in zwei Jahren benötigten Facharbeiter in unserer Pilotanlage kooperieren wir mit dem University College of Applied Sciences in Gaza. Damit müssen wir für die erste Phase nicht alle Fachkräfte aus dem Ausland herholen. Falls es in Ordnung ist und wir die Bewilligung erhalten, können wir die ersten Kurse in zwei Monaten starten. Geeignete Studenten rekrutieren wir in erster Linie bei den bereits engagierten Hilfskräften.«

Ted nickte widerwillig.

»Für die allgemeine Grundausbildung arbeiten wir mit ›Lehrer ohne Grenzen‹ zusammen.«

»›Lehrer ohne Grenzen‹«, murmelte Cheng, »das passt.«

»Wie meinst du das?«

»Ich habe mir immer Ausbildungscamps vorgestellt, aber der Ansatz fliegender Schulen ist für die Bildung der breiten Bevölkerung hier besser geeignet.«

»Und es ist und bleibt ein Generationenprojekt. In den nächsten zwei Wochen erarbeitet Ismail mit dir zusammen die Einsatzplanung«, fuhr Françoise zu Ted gewandt fort. »Er ist Arabischlehrer aus Jordanien und designierter Projektleiter bei ›Lehrer ohne Grenzen‹. Der Einsatz in Gaza ist auf fünf Jahre beschränkt.«

Teds Ärger war so schnell verflogen, wie er aufgekommen war, und die weiteren Besprechungen verliefen reibungslos.

Am frühen Nachmittag bestiegen Francoise und Cheng den Hubschrauber in Richtung Cairo International Airport. Gleich nach dem Start bemerkte Françoise, dass das Boot immer noch an der Malta vertäut war. Sie hatte ganz vergessen, Ted nach dem Mann zu fragen. Je höher sie sich in die Luft schraubten, desto deutlicher hoben sich im Osten die Umrisse des Gazastreifens ab. In der Ferne war die Mauer auszumachen, welche sich wie eine Schlange um das nicht annektierte Gebiet wand. Innen war es hoffnungslos dicht, außen mehrheitlich dünn besiedelt.

Auf dem Meer bot sich währendem ein merkwürdiges Bild. Die drei IWAC-Frachtschiffe ankerten in regelmäßigen Abständen vor der Küste. Als ob die großen Checkpoints an der Mauer auf das Meer hinausgespiegelt worden wären. Die Versorgungsflotte war jeden Nachmittag in einen unaufhörlichen Strom von kleinen und kleinsten Booten eingebunden. Wie Ameisenstraßen zogen sich die Linien von den Schiffen zum Strand hin. Nur, dass die Menschen hier nicht zur Kontrolle anstehen mussten. Seit knapp zwei Jahren wurden so über eine halbe Million Palästinenser im Gazastreifen mit dem Wichtigsten versorgt.

Beim Gedanken daran überkam Françoise ein Schauer. Für zehn Jahre hatte die IWAC die Ressourcen dafür bereitgestellt. Bis dann musste die Versorgung dieses Küstenstreifens wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen. Ein ehrgeiziges Ziel.

Das Gaza Projekt

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