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LILLY
Salzburg, eine Woche später
Оглавление»Die Salzburger Festspiele, der gesellschaftliche Höhepunkt des Jahres, wurden heute Vormittag mit einem großen Festakt in der Felsenreitschule eröffnet. Beherrschendes Thema neben der Kunst: der Klimaschutz!«
Kunst und Klimaschutz. Die moderne Version von k. und k., dachte ich, während ich dem ZIB-Live-Einstieg meines Kollegen lauschte, der in meiner Nähe stand und wie alle anderen gespannt der großen Premiere entgegenfieberte, die in 15 Minuten beginnen würde. Mein Blick glitt über die versammelte Menge aufgedonnerter Menschen, während meine Gedanken zu ebendiesem Festakt ein paar Stunden zuvor abschweiften.
Ich hatte seitlich im Saal gesessen, hatte während der Reden in die wohlwollend lächelnden, undurchdringlichen oder schläfrigen Gesichter des Publikums geschaut und mich gefragt, wie viele von ihnen wirklich dazu bereit wären, auf ihre fette Karosse zu verzichten und stattdessen freudestrahlend einen Baum zu umarmen.
Wie immer fand ich das ganze Brimborium amüsant, mehr aber auch nicht. Für meinen Geschmack waren hier zu viel imperiale Macht, dicke Bankkonten und Botox versammelt. Das Wetteifern ums Gesehenwerden ergab allerdings immer gute Fernsehbilder, genauso wie all die Bussi-Bussis in ihren teuren Roben, die raffiniert so vieles verbargen: Wohlstandsfett, Anorexie und Gesinnungen aller Art.
Das Durchschnittsalter des Publikums gab auch Anlass zur Sorge. Von der heute viel zitierten Jugend war hier kaum etwas zu sehen. Ihr waren wohl eigener Aktionismus und die Straße als Bühne lieber als zur Schau gestellte Künstlichkeit.
Mein langes rotes Kleid schnürte mich ein und nahm mir die Luft zum Atmen, aber dank meiner bequemen Tanzschuhe war wenigstens an den Füßen Ruhe. Heute würde es noch lange kein Entkommen in bequeme Jeans und Sneakers geben. Denn während mein kunstsinniger Kollege Elias für die kulturellen Belange zuständig war, durfte ich mich um den »gesellschaftlichen« Teil kümmern, sprich diverse Empfänge der Hauptsponsoren abklappern und natürlich von dem Davor und Danach dieser Premiere, einmal mehr eine Mozart-Oper, berichten.
Nach dem vormittäglichen Festakt war ich am Mittag zum Empfang des neuen Hauptsponsors der Festspiele ins direkt an der Salzach gelegene Hotel Sacher Salzburg marschiert, über den mit Tausenden Schlössern verzierten Makartsteg.
Der Hauptsponsor war interessant, aber man hatte mir strikt verboten, über das Tuschelthema derzeit zu sprechen: darüber, dass die Festspiele mit Freuden dessen steuerschonend in der Schweiz geparktes Geld annahmen, ohne sich weiter an seiner Geschichte zu stören: Der Milliardenkonzern hatte in der NS-Zeit jede Menge jüdisches Raubgut transportiert.
Ich schüttelte die finsteren Überlegungen ab und kehrte zu den aufgeregten Premierengästen zurück. Es waren jedes Jahr dieselben Gesichter. Gäbe es nicht die neuen Kleider, könnte ich genauso gut das Material aus dem Vorjahr nehmen. »Stell dir vor«, fragte ich meinen heutigen Kameramann Marco, der gerade sein Zeug zusammenpackte, »Mozart würde heute leben. Was, glaubst du, würde ihm zu all dem einfallen?«
Der grinste. Er war jung und interessierte sich für Gaming-Computer und Deutschrap. Sein Smoking hing an ihm herunter wie ein Zelt. »Na, der würde wahrscheinlich das Geld dieser Säcke nehmen und mit einer Klima-Symphonie auf Welttournee gehen. ›C02 fan tutte‹ oder so, per Schiff natürlich und in lauter ausverkauften Stadien!«
Jetzt grinste auch ich.
Da fiel mein Blick auf einen attraktiven Mann mit grauem Haar. Groß, schlank, gebräunt, perfekt geschnittener Smoking. »Ach, da schau her«, murmelte ich erfreut, »schon wieder du!«
Das jugendlich wirkende Gesicht, das so ansprechend mit den grauen Haaren kontrastierte, gehörte keinem Geringeren als meinem Gin-Tonic-Mann aus dem Wiener Rathaus von letzter Woche! Mit einem Mal wurde der Abend interessant. Das war aber auch ein gestanden schönes Mannsbild! Sein Alter? Schwer zu schätzen. Vielleicht Ende 40? Mr. Grey schien allein da zu sein.
Leider ertönte gerade die Glocke zum Beginn der Premiere, und da sich die Menge daraufhin geschlossen in Bewegung setzte, verlor ich ihn aus den Augen. Mit ein wenig Glück würde ich ihn nachher auf der Premierenfeier wieder treffen und mehr erfahren. Hier kam man schnell unverbindlich ins Gespräch.
Schon lange nicht mehr hatte ich jemanden auf den ersten Blick so attraktiv gefunden.
Allerdings: Auch bei Georg hatte ich nur ein paar Sekunden gebraucht, um ihm zu verfallen.
Mit schauerlichen Folgen.