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3.3 »Ich hab’ meinen Glauben zum Beruf gemacht« – Religion als Profession

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Neben vielen anderen Themen, die in der supervisorischen Begleitung hauptamtlicher Seelsorger*innen zur Bearbeitung kommen, stellt sich die stets mitlaufende Frage nach der beruflichen und religiösen Identität der Supervisand*innen als ein Querschnittsthema dar, das explizit oder implizit eine zentrale Rolle spielt. Es handelt sich dabei um ein hohes Maß an Identifikation der Betroffenen nicht nur mit ihrem jeweiligen Arbeitsfeld, sondern auch mit der Kirche als Arbeitgeberin und schließlich mit ihrem Glauben an Gott als dem eigentlichen Auftraggeber ihrer Arbeit.

Seelsorger*innen leben ihren Glauben im beruflichen Kontext und stellen sich damit immer auch sehr persönlich mit ihrer eigenen Spiritualität zur Disposition. Damit haben sie – im Unterschied zu nichtkirchlichen Begleiter*innen – die zusätzliche Aufgabe, ihren religiösen Standpunkt zu reflektieren und professionell mit dem umzugehen, was ihnen heilig ist. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die kognitiven und emotionalen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse ihres Erlebens und Handelns in den verschiedenen Bereichen und Rollen. Die Ausübung von Seelsorge erfordert folglich eine Qualifikation, die niemals abgeschlossen sein kann, sondern einen ständigen Lern- und Supervisionsprozess umfasst.

Es ist ein Wagnis – und Seelsorger*innen zeigen gerade darin Mut und Vertrauen – sich mit der ganzen Existenz auf das Unverfügbare einzulassen, das mit einer Gotteserfahrung verbunden ist. Sie berichten, wie sie sich dabei in eine weltweite Gemeinschaft von Menschen eingebunden fühlen, mit denen sie manche Deutungskonzepte, besonders aber die Sprachfähigkeit für existenzielle und spirituelle Erfahrungen teilen.

Viele Seelsorgende empfinden es als großes Privileg, eine Arbeit ausüben zu dürfen, die sie »im Innersten bewegt«, wie es die Teilnehmerin einer Supervisionsgruppe formuliert. Es entlastet sie, sich selbst und ihrem Gegenüber in dieser hochleistungsorientierten Gesellschaft einen lebensförderlichen Gegenentwurf anbieten zu können: gerechtfertigt zu sein allein aus Glauben und ohne irgendeine Vorleistung erbringen zu müssen.

Diese Haltung hat auch und vor allem Auswirkungen auf den Umgang mit eigenen Begrenzungen. Denn bei einer Tätigkeit wie der Seelsorge geht das Risiko, Menschen etwas schuldig zu bleiben, immer mit. Zudem verbindet sich die Unmöglichkeit, Erfolge messen zu können – was theologisch begründet auch gar nicht nötig wäre – gelegentlich mit einem Gefühl des Ungenügens: »In den vielen verschiedenen Rollen, die ich wahrzunehmen habe, bin ich nicht nur als Theologe gefragt, sondern als Bauherr, als Vorgesetzter, als Manager und vor allem auch als Seelsorger. Oft fühle ich mich wie eine eierlegende Wollmilchsau, wie ein Dilettant, der nie genügt.«

Die hohe intrinsische Motivation, die ein solcher Beruf, den viele als Berufung empfinden, mit sich bringt, macht es schwer, nach Feierabend abzuschalten, dienstliche Belange hinter sich zu lassen und die (biblische) Zusage, ohne Leistung gerechtfertigt zu sein, für sich selbst in Anspruch zu nehmen. So stellt sich die Verbindlichkeit, die sich aus einem personalen Gottesbezug bei der Deutung der Auftragsstellung ableitet, möglicherweise noch einmal drängender dar als in einem anderen Beruf, der ebenso mit einer hohen Identifikation und persönlichen Ethik verbunden sein kann. Manche Seelsorger*innen beschreiben dies sogar als Ressource, als Möglichkeit der Kontingenzbewältigung: »Ich persönlich finde es mit dem christlichen Glauben leichter. Denn ich habe dort, wo meine eigene Kraft nicht ausreicht, dort, wo ich mich ohnmächtig fühle, immer noch die Möglichkeit, es meinem Gott in die Hände zu legen und die Antwort auf Fragen offen zu lassen. Fragen, die mich schwer bewegen, kann ich in der Meditation vor meinem Gott ausbreiten.«

Der Umgang mit Grenzerfahrungen führt Seelsorger*innen aber auch in Situationen, wo das nicht gelingt und in denen Vertrauen und Glaubenszuversicht ins Wanken geraten. Das beschreibt eine Supervisandin so: »Dann sehe und fühle ich die Kraftquelle nicht. Dadurch aber, dass ich in meinem Beruf dauernd anderen von der Kraftquelle erzähle, habe ich diese Verkündigung leichter in meinem eigenen Innenohr als vielleicht Menschen, die noch viel weniger außenliegenden Grund und Bestätigung für die Richtigkeit ihrer Ethik kennen.« Besonders angesichts bedrückender menschlicher Situationen oder schwerer Schicksalsschläge ihres Gegenübers geraten Seelsorgende manchmal selbst in Zweifel und verlieren ihre Hoffnung. Indem sie empathisch mittragen, was Menschen zu erleiden haben, stellt sich ihnen wie diesen die Theodizee-Frage immer wieder neu: Wo ist Gott im Leiden, und wie kann Gott zulassen, was hier geschieht? Sie sehen sich herausgefordert und suchen danach, wie ihre Kreuzes- und Auferstehungs-Theologie für ihr eigenes Leben und das ihres Gegenübers zum Tragen kommen kann.

Schließlich ist der Umgang mit eigener und fremder Bedürftigkeit ein weiteres zentrales Thema in der Supervision. Auch hier erzeugen gesellschaftliche Bewertungen und eigene ethische Grundhaltungen häufig einen Kontrast: Während in Gesellschaft und Öffentlichkeit Erfahrungen von Bedürftigkeit als Defizit gedeutet und in aller Regel negativ bewertet werden und deshalb möglichst zu vermeiden sind, bringt aus theologischer und seelsorglicher Perspektive jemand, der seine Bedürftigkeit zeigt, einen wichtigen Teil der eigenen Menschenwürde ins Spiel. Supervisor*innen können Seelsorgende darin unterstützen, mit ihrem Gegenüber in diesem Spannungsfeld menschenfreundliche Haltungen und Handlungen zu entwickeln.

Seelsorger*innen sind mit der Institution Kirche nicht nur über ihr Arbeitsverhältnis, sondern auch auf der weltanschaulichen Ebene verbunden und dem gemeinsamen Auftrag verpflichtet. Diesem verschreiben sie sich mit einem hohen Maß an Loyalität und Commitment. Das führt gelegentlich zu Spannungen und Konflikten, die in der Supervision zur Sprache kommen. So können beispielsweise Loyalitätskonflikte mit den Interessen anderer Institutionen entstehen, wenn verschiedene ethische Prinzipien und Wertmaßstäbe in Kollision geraten (z. B. in Schule, Pflegeheim, Vollzugsanstalt). Seelsorgende stehen hin und wieder auch dienstrechtlich in einem Spannungsverhältnis zu ihrem Arbeitgeber. Supervisor*innen – in erster Linie ihren Supervisand*innen verpflichtet – nehmen bei der Bearbeitung der Gesamtdynamik ebenso die Interessen des Arbeitgebers und anderer beteiligter Instanzen in den Blick.

Nicht selten kommt bei der Supervision mit Seelsorgenden der Glaube ins Spiel, sei es in Form einer christlich-ethischen Fragestellung oder als Erwartung an sich selbst und die eigene Fähigkeit zur Bewältigung einer Situation. Ob die geistliche Haltung der Supervisand*in aber für den Prozess tatsächlich einen Unterschied macht, woraus dieser zu ersehen sein könnte und welche Auswirkungen das hat, bleibt offen. Wenn sich ein Zusammenhang zwischen dem Glauben und der Entstehung und Lösung eines Problems zeigt, liegt es auf der Hand, diesen mit einzubeziehen und auf seine Auswirkungen hin näher anzuschauen.

Es dürfte ein Spezifikum von Supervision für Seelsorgende sein, dass hier das Bedürfnis nach Sinn und Weltdeutung stärker zur Sprache kommt als bei Supervisionen im außerreligiösen Kontext. Auch wenn der spirituelle Aspekt in der Seelsorge nicht systematisch, sondern nur fallweise auftritt, sind »die Themen, die soziale Arbeit generell hat, im Kontext Religion zusätzlich mit Kontingenz durchsetzt (Emlein, 2006, S. 225).« Seelsorge geht an die Grenze des Sag- und Verstehbaren und arbeitet deshalb gerne mit dem Konjunktiv. Werden Aussagen über Transzendentes gewagt, dann mit einem Fragezeichen. Seelsorge zeigt auf eine Möglichkeit – und lässt diese offen. So spielt sie mit Kontingenzen, legt sich ontologisch nicht fest und lädt zu einem »so tun als ob« ein.

Gleichwohl hat in der Seelsorge auch das persönliche Bekenntnis Platz, mit dem Supervisor*innen umgehen und worauf einzugehen sie in der Lage sein müssen. Hier sind sie herausgefordert, ihre eigene Haltung zu reflektieren. Ob diese nun explizit ins Spiel kommt oder nicht, es geht darum, »einen Raum dafür zur Verfügung zu stellen, so dass die Seelsorger*innen ihrerseits den Themen ihres Gegenübers Geltung verschaffen, ohne durch ontologische Festlegungen in einen Streit um die Wahrheit zu geraten« (Schaab, 2019, S. 2).

Im Bewusstsein, dass auch identische Begriffe unterschiedlich gedeutet werden können, suchen Seelsorgende nach einer gemeinsamen geistlichen Gesprächsebene. Es klang schon an, dass der eigene Umgang mit der geistlichen Welt eine innere Bereitschaft bahnt, die Anliegen des Gegenübers in einer entsprechenden Dimension zu verorten. Sie trägt außerdem dazu bei, den eigenen Glauben in eine Sprache zu fassen, die für Menschen mit unterschiedlichen Frömmigkeitsstilen anschlussfähig ist. Auch biblische Texte können bei der Bearbeitung von konkreten Berufssituationen eine Heuristik zur Verfügung stellen und weitere Deutungsebenen anbieten. Wo Sprache in der Seelsorge nicht genügt, bieten sich für die Beschäftigung mit transzendenten Fragen – für die letztlich nur immanente Möglichkeiten zur Verfügung stehen – Rituale an (z. B. Kerze entzünden, Psalmen beten, Lieder singen, Salbung und Segen spenden), deren Wirkungen nicht im Darüber-reden liegen, sondern im Vollziehen erlebbar werden (Nassehi, 2018).

Ein weiteres Supervisionsthema, das mit gesellschaftlichen Veränderungen einhergeht, ist der Bedeutungsverlust von Kirche. Wer sich – wie vermutlich die meisten beruflich tätigen Seelsorger*innen – mit der Kirche und ihrem Auftrag identifiziert, empfindet Gleichgültigkeit und Zurückweisung dessen, was ihm/ihr heilig ist, nicht selten als persönlichen Schmerz. Hier eine von Freiheit geprägte, distanziertere Haltung zu entwickeln, mit der Betreffende frustrationstolerant und handlungsfähig bleiben und kreativ an neuen Wegen der Seelsorge und Verkündigung arbeiten, ohne jedem Trend nachzulaufen oder dem etwas entgegensetzen zu müssen, kann besonders in der Gruppensupervision sehr lebendige Prozesse in Gang setzen.

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