Читать книгу Supervision in der Seelsorge - Dagmar Kreitzscheck - Страница 7
1 Einleitung
ОглавлениеSeelsorge ist ein aus der Antike stammender Begriff. Er findet sich zuerst bei Platon in den Dialogen des Sokrates. Im Laufe der Jahrhunderte lagen und liegen ihm bis heute verschiedene Bedeutungen von Seele und von Sorge zugrunde. Als Begriff ist er nicht geschützt. In Europa gibt es allerdings eine lange Tradition, ihn für die in und von den Kirchen ausgeübte Begegnung und Begleitung von Christenmenschen zu benutzen. Er wird aber zunehmend auch außerhalb der Kirchen gebraucht.
Seelsorge stellt ein komplexes und heterogenes Arbeitsgebiet dar, für das die dort hauptberuflich und ehrenamtlich Tätigen nicht nur eine qualifizierte Ausbildung brauchen, sondern auch die Möglichkeit, sich im Laufe ihrer Berufsjahre weiterzubilden und entsprechend ihrer Arbeitsgebiete Schwerpunkte zu setzen. Supervision für Seelsorgende gibt diesen die Gelegenheit, ihre Erfahrungen zu reflektieren und die Qualität ihrer Arbeit zu sichern. Seelsorge findet in vielen Bereichen face-to-face und im Zweierkontakt, sozusagen im Verborgenen statt. Supervision ist daher nicht nur zu Aus- und Fortbildungszwecken notwendig, sondern vor allem wollen Seelsorgende einen anderen, dritten Blick auf die eigene Arbeit erhalten, etwas zu deren kontrollierter Qualität tun, kurzum sich weiter professionalisieren. Supervision in der Seelsorge ist daher seit den 1970er Jahren in den deutschen Kirchen ein gängiges Format, sei es im Rahmen von pastoralpsychologischen Fortbildungen, wie in diesem Band geschildert, oder im Rahmen von Fallbesprechungen in der Gruppen- oder Einzelsupervision.
Christliche Seelsorge wird im Alltagsgeschehen der Gemeinde ausgeübt oder in nicht gemeindlichen Aufgabenfeldern im Auftrag der Kirche. Seelsorge findet überwiegend in der Gehstruktur statt als aufsuchende Seelsorge, d. h. die Seelsorgenden sind diejenigen, die den Seelsorgekontakt anbahnen. Das gilt für das Arbeitsfeld Gemeinde, in den Arbeitsfeldern Krankenhaus und Altenheim und in der Notfallseelsorge. Daneben gibt es auch Kontakte, die in der Kommstruktur stattfinden, sie sind in der Telefonseelsorge und in den totalen Institutionen (Militär, Gefängnis, Psychiatrie) die Regel, seltener auch in den anderen Arbeitsfeldern, in der Gemeinde z. B. wenn Menschen eine Taufe, Trauung oder Beerdigung wünschen. Schon die Gehstruktur verlangt eine präzise Reflexion dieser Kontaktaufnahme und der Absichten aller Beteiligten. Seelsorge in der Gehstruktur ist ein Angebot, das immer auch abgelehnt werden kann. Sie ist gekennzeichnet durch »prinzipielle Kontraktlosigkeit« (Drechsel, 2015), die sich in einem offenen Angebot zeigt. Es geht darum, sich situationsgebunden auf das einzustellen, was das Gegenüber in der Seelsorge jetzt gerade einbringt, oft in zunächst ungeordneten Settings, d. h. beim Verabschieden an der Kirchentür, am Rande von Veranstaltungen, in der Pause auf dem Schulhof, am Krankenbett im Krankenhaus oder zu Hause, am Gartenzaun oder an der Supermarktkasse.
Christliche Seelsorge ist eine spezifische Form der religiösen Kommunikation. Das bedeutet nicht, dass Seelsorgegespräche immer oder regelmäßig religiöse Inhalte hätten. Das Religiöse wird stattdessen einerseits durch den Kontext bestimmt: In Deutschland wird Seelsorge immer noch weitgehend als typisch kirchliche Form der Kommunikation wahrgenommen und diejenigen, die sie ausüben, sind zumeist von den Kirchen angestellt oder ehrenamtlich tätig. Dadurch repräsentieren die Seelsorgenden ein religiöses Umfeld und/oder einen Transzendenzbezug, sie werden sozusagen als »Gottes Bodenpersonal« wahr- und als solches auch in Anspruch genommen. Andererseits äußert sich das Christlich-Religiöse der Seelsorge in einer Haltung bedingungsloser Zuwendung der Seelsorgenden zu Menschen, die um ihrer selbst willen – als geliebte Kinder Gottes – wahrgenommen und begleitet werden. Im Gegensatz zu missionarischen Aktivitäten bringen Seelsorgende eine funktionale Zweck- und Absichtslosigkeit mit, die es dem Seelsorge-Gegenüber erlaubt, dass er oder sie die eigenen Ziele, Absichten, Bedürfnisse und Inhalte ins Gespräch bringen kann, seien diese nun religiöser Natur oder nicht.
Seelsorgegespräche sind ein niedrigschwelliges Angebot, die meisten sind Einmalgespräche, manche werden zu längerfristigen Begleitungen, oft sind sie Gespräche mit Menschen, zu denen die Seelsorgenden auch sonst am Wohnort Kontakt haben. Sie können problemlos im Alltag angebahnt oder wahrgenommen werden. Seelsorgekontakte sind manchmal Alltagsgespräche, manchmal Trostgespräche in schweren Lebenslagen, manchmal Beratungsgespräche vor Entscheidungen, manchmal unterhaltende Gespräche. Ihre Qualitäten reichen vom Smalltalk bis zum therapeutischen Gespräch. Zu Beginn eines Gesprächs liegt nicht fest, welche Art von Begegnung sich entwickeln wird. Die Lebenssituationen, in denen sie stattfinden, sind vielfältig. So ist es für Seelsorgende wichtig, mit dieser Überkomplexität professionell umgehen zu lernen. Daher spielen in der Supervision Fallbesprechungen und Übungen eine große Rolle, die dazu beitragen, dieser Disparatheit und den Erwartungen der Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenslagen gerecht zu werden. Die emotional beanspruchende Arbeit liegt oft darin, mit dem Unabänderlichen und Unverfügbaren des Lebens umzugehen und Paradoxien und Ambivalenzen aus- und offenzuhalten. Seelsorge hat z. B. nicht die Aufgabe, auf jeden Fall einen Sinn zu suchen, gar ihn zu behaupten, sondern wird auch dem Gefühl und der Wahrnehmung, etwas sei sinnlos, Raum geben, so dass sich Sinn dann vielleicht wiedereinstellen kann. Ähnliches gilt für die Trostperspektive: Trost kann daraus erwachsen, wenn jemand die Verzweiflung wahrnimmt, die Klage hört und damit das subjektive Ausmaß des Elends würdigt. »In Klage und Verzweiflung liegt mehr ehrliche Hoffnung als in der Beteuerung von Sinn und Lebensgewissheit. Die Trauer hält die Treue zum Anderen, zum Besseren, zum Ende des Leidens, den die Affirmation des Daseins längst verraten hat« (Henning Luther, 1998, S. 170).
Seelsorgende haben außerdem nach biblischem Auftrag nicht nur die Aufgabe, mit den »Weinenden zu weinen«, sondern auch, sich mit den »Fröhlichen zu freuen« (Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom 12,15). Daher findet Seelsorge schließlich auch bei Festen und Feiern und zur Begleitung bei großen Lebensübergängen statt.
Insgesamt lässt sich sagen, dass Seelsorge ein niedrigschwelliges Begegnungs- und Beratungsformat religiöser Kommunikation ist, das Menschen die Gelegenheit bietet, sich ihres Lebens in seinen Höhen und Tiefen zu vergewissern.
Die Supervision, die für die Aus- und Fortbildung und die Qualitätssicherung der professionell Tätigen in der Seelsorge sorgt, entspricht im besten Fall diesem breitem Anforderungsprofil und wird damit den verschiedenen oft überraschenden Settings eher gerecht, wenn sie sich dabei supervisorischer Verfahren verschiedener Provenienz bedient, also integrativ arbeitet.
Der vorliegende Band zeigt die historische Entwicklung und derzeitige Praxis einer solchen supervisorischen Arbeit und macht deutlich, was unter pastoralpsychologischer Supervision verstanden werden kann ( Kap. 2). Weiter finden sich spezifische Dynamiken und Themen, die derzeit die supervisorische Arbeit in den pastoralen Arbeitsfeldern bestimmen ( Kap. 3.). Im mittleren Teil des Bandes ( Kap. 4.1) werden die drei verschiedenen Supervisionsansätze dargestellt, in denen die Autor*innen dieses Bandes qualifiziert sind und die sie bei ihrer gemeinsamen Arbeit in der Seelsorgefortbildung integrativ verwenden. Die Unterschiede der Verfahren zeigen sich am deutlichsten in den ihnen zugrunde liegenden anthropologischen Setzungen ( Kap. 4.2).
An die Darstellung der historischen Entwicklung des integrativen Konzepts der Pastoralpsychologischen Fortbildung in Seelsorge (PPFS) in der Evangelischen Landeskirche in Baden ( Kap. 5.2) schließt sich eine exemplarische integrative Fallbearbeitung an, die wiederum aus den drei vorgestellten Perspektiven kommentiert wird ( Kap. 5.3). Das Verständnis von Integration, wie es die Autor*innen verwenden, wird im Abschnitt über die Metatheorie ( Kap. 5.1) und in der Reflexion des integrativen Prozesses der Fallarbeit ( Kap. 5.3.3) deutlich.
Hinweise zur Intersektionellen Diskussion innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie ( Kap. 5.4) und zur Berufsständischen Ethik ( Kap. 5.5) bilden den Abschluss des inhaltlichen Teils. Die Autor*innen beschließen ihren Band mit einem offenen Dialog.
Namentlich sind nur diejenigen ihrer Beiträge gekennzeichnet, in denen die Autor*innen ihre konzeptionell unterschiedlichen Zugänge erläutern. Sie legen Wert auf inklusive Sprache und verwenden in ihren Texten deshalb überwiegend den Genderstern.
Traditionell leben Seelsorge und Supervision besonders vom direkten, analogen Kontakt. Die letzten Wochen der Arbeit an diesem Band fielen zusammen mit den ersten Wochen der Corona Pandemie. Diese fordert zu einer Auseinandersetzung mit und einer Neujustierung von Nähe und Distanz heraus. Wohin sich dieser Prozess entwickeln wird, ist noch offen. Es entstehen jetzt bereits kreative Ideen und neue Formate, die Supervision und Seelsorge verändern.
Der Dank der Autor*innen gilt all denen, von und mit denen sie gelernt haben, den Teilnehmenden der PPPS, besonders denjenigen, die ihre Praxiserfahrungen für die Demonstrationen in diesem Band zur Verfügung gestellt haben und dem Zentrum für Seelsorge der Evangelischen Landeskirche in Baden. Außerdem danken sie namentlich für ihre Unterstützung: Markus Binder, Prof. Dr. Martin Ferel, Dr. Günther Emlein, Sr. Ingeborg-Marie Halbach, Sibylle Ratsch, PD Dr. Heike Springhart, Michael Kreitzscheck, Annette Roser-Koepff, Petra, Lisa und Julia Hasenkamp, Christoph Wenzel und Sabine Kast-Streib.
Den beiden Herausgebern der Reihe Supervision im Dialog, Andreas Hamburger und Wolfgang Mertens, und der Lektorin des Kohlhammer Verlags, Kathrin Kastl, dankt das Autorenteam für die freundliche und kompetente Begleitung und Unterstützung.