Читать книгу Die Hüter der vier Elemente - Das Land der Schatten - Dagmar Winter - Страница 5
DER PLAN
ОглавлениеAaron schlief in dieser Nacht sehr unruhig, genau wie in den Nächten davor. Als er mitten in der Nacht schweißgebadet hochschrak, brauchte er einen Moment, um sich zu orientieren. Er hatte von Kyra geträumt und von seinem sterbenden Vater. Aber diesmal war es anders gewesen. Nicht so real. Mehr wie ein gewöhnlicher Albtraum. Für einen kurzen Moment bereute Aaron, keinen Zugang mehr zu Kyras Erinnerungen zu haben. Vielleicht hätte er so noch mehr erfahren können.
Aber so schnell wie der Gedanke gekommen war, so schnell schüttelte er ihn auch wieder ab. Kyra war tot und er hatte kein Mitleid mit ihr. Sie hatte seinen Vater ermordet! Natürlich war Aaron nach wie vor bewusst, dass sein Vater Kyra zutiefst verletzt hatte und sie auch nicht fair behandelt hatte am Ende, als er sie einfach sitzen gelassen hatte. Und bis gestern hatte er tatsächlich Mitleid für sie empfunden, für das, was sie durch seinen Vater hatte erleiden müssen. Aber so war es leider im Leben. Menschen kamen und gingen. Man konnte rein gar nichts dagegen tun, außer die guten Zeiten mit ihnen bestmöglich zu genießen. Aaron konnte Kyras Gefühle, diese unfassbare Wut, die Verzweiflung bestens nachvollziehen. So war es ihm auch nach dem Tod von Mr. Darnley ergangen. Aber deshalb konnte man doch niemanden töten.
»Stell dir vor, Kyra wäre noch am Leben!«, hatte Jules ihm nach dem Gespräch bei Istariel versucht zu erklären, »Wie würdest du dich fühlen? Würdest du sie hassen? Sie jagen, bekämpfen oder, wenn sich die Gelegenheit bietet töten?«
Aaron hatte lange über Jules Worte nachgedacht. Schließlich hatten sie Kyra gejagt und auch Kratos. Aber hier ging es schließlich um Verteidigung. Das Wohle der Menschen und aller Nimoraner, das Kyra und Kratos bedrohten … oder etwa nicht?
Istariels Antwort zu diesem Thema drängte sich ihm wieder ins Gedächtnis: »Wir befinden uns im Krieg. Und zwar in der Defensive. Niemand hat das Recht, das Leben eines anderen zu nehmen. Aber unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass keine weiteren Leben durch Kratos oder bisher auch Kyra gefährdet werden. Natürlich würden wir, wenn es möglich wäre, eine Gefangennahme einer Tötung vorziehen. Aber wer Kratos kennt, weiß, dass dieser sich niemals gefangen nehmen lassen wird.«
Aaron hatte lange über diese Worte nachgedacht und er fand, dass sie stimmten. Er hätte Kyra niemals aus Rache getötet. Aber dass sie nun durch die Hand von Meister Omir gestorben war, war ein seltsame Fügung des Schicksals gewesen.
Aaron erhob sich vorsichtig und blinzelte zu Moe hinüber. Dieser schnarchte leise vor sich hin. Mit leisen Schritten ging Aaron hinaus ins Gemeinschaftszimmer, das ruhig und dunkel war. Auch die Mädchen schienen noch zu schlafen.
Er ging zum Wasserbecken am anderen Ende des Zimmers, wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser ab und stellte sich dann an das große Fenster, das den Blick über ganz Elfdorf freigab.
Die Lichtung lag im Dunkeln vor ihm. Nur die Glühwürmchen, die sich in den dafür extra mit entsprechendem Lockfutter drapierten Schalen aufhielten, warfen ein fahles Licht über die Baumwipfel. „Eine geniale Idee“ dachte Aaron. Bei künstlichen großen Lichtquellen, würde Elfdorf hier oben in den Baumwipfeln schnell auffallen. Aber so …
Aarons Gedanken ließen noch einmal das letzte Gespräch mit Istariel Revue passieren. Er hatte ihm von seinen Träumen berichtet. Er war zwar ein wenig verwundert gewesen, hatte diesen aber kaum größere Bedeutung beigemessen. Zumindest nicht offensichtlich. Er ging davon aus, dass sich die Träume nach Kyras Tod ohnehin erledigt haben sollten. Aaron musste ihm allerdings versprechen, dass er ihn darüber unterrichten würde, wenn sie doch noch einmal wiederkehren würden.
Diese besonnene Reaktion hatte Aaron ein wenig gewundert. Selbst Meister Omir hatte diese „besondere Verbindung“, wie er sie genannt hatte, als durchaus bemerkenswert bezeichnet. Aber was half das nun? Kyra war tot. Die Träume würden nicht wiederkommen und Aaron war auch ganz froh darüber. Es war doch sehr belastend gewesen, seinen Vater immer und immer wieder sterben zu sehen.
Aaron ließ seine Gedanken weiter schweifen. Istariel hatte ihnen ihm Verlauf des gestrigen Abends von seine Gespräch mit den Königen berichtet. Sie gingen davon aus, dass Kratos von dem Plan wusste. Die Hüter hatten daher angenommen, dass das Vorhaben, nach Gorgon zu ziehen, über den Haufen geworfen würde und eine andere Strategie herangezogen würde. Aber so war es nicht. Königin Tornja war der Meinung, dass genau das Kratos´ Plan war. Er hatte ihnen mit seiner Nachricht gezeigt, dass er von dem Plan wusste. Damit ging er davon aus, dass sie ihn verwerfen würden, schlussfolgerte sie
Die Könige hatten Istariel die Aufgabe erteilt, bis zum morgigen Abend eine Gruppe von maximal vier der mächtigsten Krieger Nimorons zusammen zu stellen. Diese Vier sollten zusammen mit den Hütern am übernächsten Tag noch vor Sonnenaufgang nach Gorgon aufbrechen.
Istariel hatte ihnen berichte, dass er seine Wahl bereits getroffen hatte. Ein Mann des Feld- und Wiesenvolks, zwei Elfen und Arox würden die Hüter begleiten. Ihre Namen kannte Aaron jedoch noch nicht. Aber sie würden es morgen erfahren, wenn alle Krieger sich in Elfstadt versammelten.
Aaron dachte über die Auswahl ihrer Begleiter nach. Besonders viele waren es nicht. Sollten sie einem Heer von Kratos gegenübertreten müssen, wäre sie wohl hoffnungslos verloren. Aber ihre Mission bestand auch nicht darin, laut und aufsehenerregend in Gorgon einzumarschieren und dort den Krieg neu zu entfachen. Sie bestand darin, möglichst ungesehen in das Herz von Gorgon, die Heimat von Kratos, einzudringen und ihn zu vernichten. Um das zu erfüllen brauchte es, nach Aussage der Könige, nicht mehr als die vier Hüter und ihre Begleiter. Außerdem würde eine größere Gruppe schneller Aufsehen erregen. Das war auch der Grund, warum kein Troll sich ihnen anschließen durfte. Sie waren zu groß, zu laut und viel zu leicht zu entdecken. Wassermenschen wären für diese Landmission ebenfalls nicht in Frage gekommen und von den Kobolden hielt Istariel sich lieber fern. Zu hoch war ihre Loyalität gegenüber Kratos nach all diesen Jahren.
Ihre Gefährten durften sie leider nur bis zur Schlucht des Grauens begleiten, was Aaron und acuh die anderen Hüter bedauerten. Schließlich waren sie ihnen stets eine große Hilfe gewesen und einen Drachen oder einen Greifer dabei zu haben, konnte schließlich nicht schaden. Aber Istariel hatte ihnen erklärt, dass natürlich auch der Luftraum der Gorgon vom Rest Nimorons trennte, mit einer mächtigen Barriere geschützt wurde, sodass kein Drache oder Greifer hindurch fliegen konnte.
Deshalb gab es so wenige Greifer in Nimoron, sie lebten hinter der Barriere. Die Drachen, die in den Feuerbergen lebten, bekam man zwar auch nie zu Gesicht, aber sie hatten wenigstens die Wahl und lebten dort unter ihresgleichen.
Zudem mussten sie, so Istariels Worte, möglichst unauffällig sein, was sicherlich bei einer berittenen Gruppe, bei der sich auch noch ein Nilpferd befand, wohl kaum möglich war. Daher würden sie die Grenze nach Gorgon zu Fuß überschreiten. Nur an welcher Stelle, dass wussten sie noch nicht.
Hier wartete Istariel noch auf eine Information aus dem Schloss. Dort wurde in den letzten Stunden ein Gefangener aus Kratos´ Heer befragt, um herauszufinden, wo genau in Gorgon Kratos´ Behausung lag und vor allem, wie sie aussah. Aaron stellte sich vor seinem inneren Auge eine große Festung vor, ein altes Burggemäuer, mächtig und bedrohlich. Er erschauderte bei dem Gedanken daran, Kratos dort gegenübertreten zu müssen.
Aaron drehte sich um, als er hinter sich ein leises Geräusch vernahm. Jules war aus ihrem Zimmer gekommen und räkelte sich.
»Kannst du wieder nicht schlafen?«, fragte sie Aaron und schaute ihn mitfühlend an. Er schüttelte den Kopf. Sein Blick glitt an Jules herunter. Sie war lediglich mit einem T-Shirt bekleidet, das ihre schlanken Beine freigab und ihr krauses Haar stand ungebändigt zu allen Seiten ab.
Wie schön Jules doch war. Als Aaron jedoch bemerkte, dass er sie etwas zu lange betrachtet hatte und Jules dies mit leicht zuckenden Mundwinkeln beobachtete, lief er rot an und wandte sich schnell ab. Er stellte ein wenig Wasser auf die Feuerstelle und fragte, ohne sich umzudrehen: »Möchtest Du auch einen Tee?«
»Gern!«, erwiderte Jules.
Aaron hörte, wie sie hinter ihm barfuß durch den Raum lief und sich an den Tisch setzte. Einen Moment lang sprach niemand ein Wort, bis Jules das Schweigen brach: »Glaubst du wir können das schaffen? Ich meine, ohne die Gefährten, ohne Meister Omir und ohne die Könige?« Aaron atmete erleichtert auf und war froh, dass Jules nichts zu seinem Blick sagte.
»Ich weiß es nicht. Ich mache mir ebenfalls Gedanken deswegen. Ich meine, natürlich sind wir stärker geworden. Aber wird das reichen? Und dann nur so wenige Helfer an unserer Seite. Sind wir stark genug, um gegen Katos zu bestehen?«
»Andererseits«, begann Jules, »habe ich auch keine bessere Idee. Ich habe Istariel gestern nochmal gefragt, wie es zu Hause bei unseren Eltern aussieht. Forx hat ihm berichtet, dass die Brände sich wieder stärker ausbreiten und man nicht weiß, wie lange man all das noch unter Kontrolle halten könne. Zudem sind nun auch noch starke Stürme hinzugekommen, die nicht nur das Feuer weiter anfachen und dabei helfen, dass es sich ausweitet, sondern die auch ganze Bäume entwurzeln und Häuser zerstören.«
»Luft!«, keuchte Aaron.
»Ja, Aaron, Luft! Der Luftstein ist ebenfalls in den falschen Händen. Wahrscheinlich in denen von Kratos. Dann sind es bereits zwei Elemente, die unser´ beider Welten bedrohen. Istariel meinte, dass die beiden Elemente bereits ausreichen, um eine Zerstörung in nicht ausmalbarer Form vorzunehmen. Ich bin nur dankbar, dass Forks unsere Familien beschützt und im Auge behält. Wenn ich mir vorstelle, meinen Eltern würde etwas zustoßen … Aaron, ich …«
Jules Worte brachen ab und gingen in einem Schluchzen unter. Aaron sah überrascht von dem Tee auf, den er gerade in zwei Tassen eingegossen hatte und blickte zu Jules. Sie hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und ihre Schultern bebten.
Aaron stellte die Tassen beiseite und ging zu Jules rüber. Langsam setzte er sich neben sie auf die Bank und legte ihr einen Arm auf die Schulter. Und dann passierte etwas, mit dem Aaron nicht gerechnet hatte. Jules schlang ihre Arme um Aaron, legte ihren Kopf an seine Brust und weinte. Aaron wusste nicht, wie ihm geschah. Jules war für ihn immer eine so starke Persönlichkeit gewesen. So oft hatte er sich neben ihr schwach gefühlt. Und nun, lag sie in seinem Arm und er konnte sie halten. Mit pochendem Herz legte Aaron einen Arm um Jules und mit der anderen Hand streichelte er ihre Haare. Sie dufteten so gut, nach Lilien und Kokos.
Eine ganze Weile saßen sie so da. Ohne dass jemand ein Wort sprach. Dann, ganz langsam, hob Jules den Kopf. Mit einem Arm wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und lächelte Aaron verlegen an.
»Tut mir leid!«, murmelte sie verlegen.
»Nein, das braucht es nicht!«, beteuerte Aaron. »Wir haben hier eine wirklich große Bürde zu tragen und es passieren viele schreckliche Dinge um uns herum. Wenn du da nicht hin und wieder auch einen schwachen Moment hättest, hätte ich dich für einen Troll gehalten.« Aaron grinste Jules neckisch an und diese lächelte zaghaft.
»Danke« murmelte sie.
»Für was?«, antwortete Aaron und zuckte die Schultern.
»Für dein Verständnis!«
Als Aaron, Moe, Jules und Summer im Elfenturm ankamen, warteten dort bereits Istariel, Loén und Arox auf sie. Und ein weiterer Elf, den Aaron nicht kannte. Er hatte auch schneeweiße lange Haare, die er zu einem Zopf zusammengebunden hatte. Seine Augen waren ebenfalls hellblau und seine Haut so hell und makellos, dass man, trotz seines fortgeschrittenen Alters, keine einzige Falte oder Narbe darauf erkennen konnte. Aaron musste neidlos anerkennen, dass diese Elfen wirklich schön waren. Und dieser hier, war im Vergleich zu dem grazilen und schlanken Loén auch noch sehr gut trainiert.
»Ich bin Nabiel«, stellte sich der Elf den Hütern vor und verneigte sich leicht
»Nabiel wird euch zusammen mit Loén und Arox begleiten«, verkündete Istariel und machte eine zufriedene Miene dabei.
»Pah, Loén, die halbe Portion soll uns begleiten? Gab es unter den Elfen nicht noch ein paar mehr, die aussehen wie er?« murrte Moe und zeigte auf Nabiel, der amüsiert einen Mundwinkel nach oben zog.
Istariels Blick ruhte nachdenklich auf Moe, der instinktiv seinen Arm um Summer gelegt hatte. Dann erhellte sich sein Blick, als er verstand.
»Moe, ich denke, dass wir mit Loén eine sehr gute Wahl getroffen haben. Auch wenn er öfters mit seinen jungen Jahren etwas übermütig erscheint, so ist er doch nicht nur einer meiner engsten Vertrauten, sondern auch der schnellste und wendigste aller Elfen. Kraft allein ist nicht immer ausreichend. Aber Kraft, Schnelligkeit, Mut und Cleverness miteinander kombiniert ist eine unschlagbare Waffe, der auch Kratos nichts entgegenzusetzen haben wird.«
Moe grummelte noch etwas vor sich hin, nickte aber schließlich.
»Wo ist der andere Begleiter vom Feld- und Wiesenvolk?« fragte Jules und sah sich um
»Der Plan hat sich ein wenig geändert«, sagte Istariel ruhig und hob beschwichtigend die Hand, als er die verstörten Gesichter der Hüter erblickte.
»Wir wissen nun, wo Kratos in Gorgon lebt!« Mit diesen Worten winkte Istariel die Hüter zu einer Karte herüber, die an der Wand befestigt war und Nimoron zeigte. Er wies auf eine Stelle, die nord-westlich lag.
»Hier, an der Grenze zu den Feuerbergen, werdet ihr die große Schlucht durchqueren und nach Gorgon eindringen. Dort haltet ihr euch etwa zwei Tagesmärsche gen Westen und werdet dann eine alte verlassene Burg vorfinden. Sie wirkt auf den ersten Blick unbewohnt und völlig zerstört. Aber inmitten der Trümmer führt eine erhaltene Steintreppe in die Tiefe. Hier werdet ihr Kratos finden. Dort unten lebt er zusammen mit seinen engsten Vertrauten.«
»Woher sollen wir wissen, dass es die richtige Burgruine ist?« fragte Summer. »So, wie ich mir Gorgon vorstelle, wird es einige davon geben!«
»Das ist richtig«, bestätigte sie Istariel. »Aber es wird nur eine vom Geschlecht der Krähe bewacht. Späher und Fallen, soweit das Auge reicht. Außerdem viel dunkle Magie.
»Sind das alles Informationen von dem Gefangenen aus Kratos Gefolgschaft? Woher wissen wir, dass er die Wahrheit sagt?« fragte Moe skeptisch.
»Glaub´ mir«, mischte sich Loén ein, dem Moes Worte über sich nicht gefallen hatten »die Könige können da äußerst überzeugend sein!«
Moes Augen weiteten sich, als er begriff. Loén grinste zufrieden. »Heißt das, wir reisen jetzt erst einmal zu den Feuerbergen?« wechselte Aaron schnell das Thema.
Istariel nickte »Ihr werdet euch zusammen mit den Gefährten noch vor Sonnenaufgang auf den Weg machen. Loén und Nabiel werden ebenfalls auf Einhörnern reiten. Euer Weg wird euch zunächst zum Feld- und Wiesenvolk führen. Dort sammelt ihr euren letzten Weggefährten ein. Dieser wird bei Moe oder Aaron mitfliegen. Dann geht es am weiter zu den Feuerbergen und von dort werdet ihr die Schlucht betreten!« Aaron nickte. Der Plan stand.
In nur wenigen Stunden würden sie sich auf den Weg machen nach Gorgon und sie würden Kratos gegenübertreten. Vielleicht, wenn alles gut lief, zum allerletzten Mal!
»Also, lasst uns keine Zeit verlieren!«, rief Istariel. »Ruft eure Gefährten, sagt ihnen den Plan, packt eure Proviantbeutel, bereitet euch vor und schlaft noch ein letztes Mal so gut es geht! Morgen beginnt eure Mission! Morgen beginnt der Anfang vom Ende…Möge Nimoron über euch wachen!«