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KRATOS

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Er hielt den Luftstein in seinen Händen und drehte ihn gedankenverloren von links nach rechts. Der weiße Kristall funkelte, selbst hier, soweit unter der Erde, wo es kein Tageslicht gab. Er würde ihm noch stärkere Macht verleihen, jetzt, da er zwei Steine besaß. Letztendlich war es gar nicht so schwer gewesen ihn in seinen Besitz zu bekommen. Einer seiner Späher war auf sein Geheiß Kyra gefolgt, nachdem sie den Luftstein an sich genommen hatte, und hatte ihn ihr dann in einem unbemerkten Moment abgenommen.

Es war richtig gewesen, dem Mädchen nicht zu vertrauen, wenn man ihr den Stein so leicht hatte entwenden können. Und letztlich wusste er auch nicht, was sie den Königen alles über ihn erzählen würde. Schließlich war sie nun ihre Gefangene. Die Könige würden sie mit Sicherheit davon überzeugen, den Mund aufzumachen, da war er sich sicher. Er wusste nur allzu gut, wie überzeugend Königin Tornja sein konnte. Natürlich hatte Kyra ihm imponiert, mit ihrem unbändigen Hass auf alle Nimoraner und die Menschen. Sie hatten ihn ein wenig an sich selbst erinnert und ihre Geschichte hatte seinen Zorn gegen die Menschenwelt und Nimoron nur noch weiter entfacht.

Dennoch hatte er ihr niemals ganz vertraut. Er hatte gelernt niemandem als sich selbst zu trauen, vielleicht noch seinen Geschöpfen, den Spähern, die ihm bedingungslos folgten, seit er sie selbst erschaffen hatte. Aber von den Menschen, die ihm am nächsten gestanden hatten, war er bisher nur enttäuscht worden. Und das würde ihm nie wieder passieren. Das hatte er sich geschworen.

Dennoch war Kyra ihm bei seinem Rachefeldzug von Nutzen gewesen. Es hatte geholfen, jemand an seiner Seite zu haben, der das gleiche Ziel verfolgte. Deshalb hatte er den Nimoranern auch das Ultimatum für Kyras Auslieferung gesetzt. Aber bis heute hatten sie sie nicht wieder freigelassen. Zumindest war sie nicht zu ihm nach Gorgon zurückgekehrt. Er würde sie also angreifen müssen, um Kyra zu befreien. Aber war sie das auch wert?

Er sah sich im Raum um, der nur von Zwergenlichtfackeln erleuchtet war. Kein Fenster, kein Tageslicht – so viele Meter unter der Erde. Hier hatte er sich stets sicher gefühlt. Abgeschottet von all diesen Taugenichtsen. Er ging hinüber zu seinem Thron, den er sich von den Spähern hatte bauen lassen. Er war aus Stein geschlagen und war geformt wie eine Flamme. An den Thron gelehnt lag sein Stab, an dessen Spitze der Feuerstein funkelte.

Je näher er den Luftstein an den Feuerstein hielt, desto stärker fing dieser in seiner Hand an zu vibrieren, als würde er spüren, dass ein zweiter Elementenstein ganz in der Nähe war. Es war beinahe, als würden sie sich anziehen. Aber Kratos wusste, dass er sie noch nicht zusammenführen durfte. Der Zeitpunkt war noch nicht gekommen. Denn die Kraft, die diese Zusammenführung entfesseln würde, wäre gigantisch. Und dafür bedurfte es alle vier Steine. Kratos hatte es einige Jahre selbst miterlebt bei der Frühlingszeremonie. Alle achteinhalb Jahre fand sie in Nimoron statt und war, nach den harten Winterjahren, ein wirkliches Highlight, ein Fest, das tagelang zelebriert wurde. Früher hatte Kratos es geliebt.

Wehmütig dachte er an seine letzte Zeremonie zurück – in dem Jahr, in dem er zum König berufen wurde. Er war mit „ihr“ dort gewesen. Ihr Gesicht erschien vor seinem inneren Auge. Sie stand vor ihm, strich ihm mit ihren Fingern über die Wangen und lächelte ihn verliebt an.

»Pah«, schrie Kratos wutentbrannt auf und wedelte mit den Händen neben seinem Kopf, als könnte er damit die Gedanken verbannen. Er legte den Luftstein beiseite und griff nach seinem Stab mit dem Feuerstein. Unbändige Wut stieg in ihm auf, als ihm der bittere Geschmack des Verrats wieder neu aufstieß. Sie hatte ihn belogen und sitzengelassen – für einen Menschen. Pah! Einen Menschen! Diese unselbstständige Spezies, die es nicht einmal schaffte, den eigenen Planeten vor dem Untergang zu bewahren und ihn stattdessen mit ihrem Egoismus und ihrem Konsumdenken direkt ins Verderben steuerte.

Was für ein schwaches Geschlecht diese Menschen doch waren. Ohne die Nimoraner und die Elemente wären sie bereits Geschichte. Sie wären gestorben. Ausgerottet. Vernichtet. An ihrem eigenen Konsum erstickt. Und obwohl die Könige und die Nimoraner um diese Schwäche der Menschen wussten, halfen sie ihnen immer und immer wieder. Mit Hilfe der Elemente, die sie steuerten, brachten sie in Nimoron und auf der Erde alles wieder ins Reine. Das dies ihre ganze Kraft und Lebenszeit kostete, war ihnen dabei egal. Sie sahen ihre Bestimmung darin, den Menschen zu dienen. Pah!

Dabei sollte es doch umgedreht sein. Die Menschen sollten den Nimoranern dienen – ihnen zu Füßen liegen, denn ohne sie waren sie nichts. Und dann immer wieder dieses Gerücht über eine Symbiose zwischen den Welten, welches die Könige verbreiteten, um ihre Taten zu rechtfertigen. Er konnte das alles nicht mehr hören. Es ging hier viel mehr um das Gesetz der Natur: Die Schwachen sterben aus – die Starken überleben. Die Menschen waren eindeutig das schwache Geschlecht. Sie waren zum Aussterben bestimmt und es würde Nimoron ohne die Menschen viel besser gehen. Und genau das würde Kratos endlich ändern. Er würde Nimoron in eine neue Zukunft führen. Eine Zukunft ohne die Menschen, eine Zukunft, in denen die Nimoraner ihr Leben wieder selbst bestimmen konnten.

Es klopfte an der Tür.

»Wer stört?«, zischte Kratos immer noch vor Wut kochend. Ein Späher schob sein schnabelartiges Gesicht durch den Türspalt, trat dann langsam ein und verbeugte sich tief.

»Sssie issst bald da, mein Gebieter!« zischte der Späher, den Blick immer noch zum Boden gerichtet.

Kratos machte nur eine unwirsche Handbewegung und der Späher zog sich rückwärts langsam aus dem Raum zurück und schloss die Tür hinter sich.

Kratos betrachtete den rot funkelnden Stein in seinem Stab und begann nachdenklich im Raum auf und ab zulaufen.

Sie war da! Ein aufgeregtes Kribbeln breitete sich in Kratos Bauch aus. Sie hatte ihm einen Brief geschrieben und sich angekündigt. Kratos solle sie an einem von ihr benannten Treffpunkt treffen. Sie hätte wichtige Informationen und wolle sich auf seine Seite stellen. Bei jedem anderen Geschöpf Nimorons hätte Kratos sich zu einem solchen Treffen nicht herabgelassen. Wer seine Gunst wollte, der sollte gefälligst zu ihm kommen. Aber bei ihr war das anders. Kein anderes Geschöpf hatte Kratos je so abstoßend gefunden. Sie war ihm nicht geheuer. Daher hatte er entschieden, dass es gut sein könnte, sie auf seiner Seite zu haben. Vielleicht hatte sie wirklich wichtige Informationen. Er musste es einfach versuchen.

Sollte sie ihn allerdings zum Narren halten oder sollten die Informationen von geringer Bedeutung für ihn sein, würde er seine Späher auf sie hetzen. Er hatte sich schon sechs seiner barbarischsten Kreaturen ausgesucht, die ihn begleiten würden. Wo sie auch hinkamen, hinterließen sie ein Blutbad und ein Wüste der Zerstörung.

Aber zunächst einmal würde sie ihre Chance bekommen. Diese eine Chance. Vielleicht wäre Nimoron dann endlich bald unter seiner Herrschaft und diese Burschen, diese Hüter, würden endlich von hier verschwinden und nie wieder auftauchen. Überhaupt würde nie wieder ein Mensch Nimoron betreten, dafür würde er sorgen. Und vor allem würde es nie wieder eine Vereinigung zwischen einem Nimoraner und einem Menschen geben. Denn selbst davor machten die Menschen nicht halt. Kyra und er hatten diese Erfahrung beide schmerzlich machen müssen. Beide waren sie eine Partnerschaft mit einem Menschen eingegangen und beide hatte sie an einen anderen Menschen verloren. Aber wenigsten Kyra hatte sich dafür gebührend gerächt. Sie hatte diesem Mann eine Lektion erteilt. Eine Chance, die Kratos nie bekommen hatte.

Als Kyra ihm davon berichtet hatte, war es wie Balsam auf seine verletze Seele gewesen. Es hatte ihm Genugtuung verschafft. Bei dem Gedanken an den ertrinkenden Robert Darnley, verzog sich sein Mund zu einem bösen Lächeln. Vielleicht sollte er Kyra doch befreien? Und dann würden sie sich zusammen als nächstes den Sohn von diesem Darnley vornehmen. Diesen Aaron. Pah! Wieder so ein Schwächling und Taugenichts.

Er war richtig enttäuscht gewesen, als er ihn das erste Mal zu Gesicht bekommen hatte. Er war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten gewesen. Aber Großes erwarten, brauchte man von diesem Jungen wohl nicht. Genau wie von seinen einfältigen Freunden. Ihre Magie war ein Witz gegen seine, besonders jetzt, wo er zwei Steine in seinem Besitz hatte. Kratos würde es genießen, auch diesem Darnley ein Ende zu bereiten. So wie seiner ganzen Sippe.

Vielleicht könnte er Kyra dafür doch gut gebrauchen?! Sie war ihm bisher schließlich auch von Nutzen gewesen. Die Idee mit der Zaubertrankverwechslung hatte ihm zu tiefst imponiert. König Myros hatte seinen Tod bald gefunden. Es war fast ein wenig zu einfach gewesen – dank Kyra.

Kratos rieb sich nachdenklich über das Kinn. Auch wenn er Kyra nicht vollends vertraute, so drängte sich ihm, je länger er darüber nachdachte, das Gefühl auf, dass sie ihm noch von Nutzen sein konnte.

Abrupt blieb er im Raum stehen – einen entschlossenen Blick in seinem Gesicht. Er hatte eine Entscheidung getroffen. So würde er es machen! Er würde sich zunächst anhören, was sein mysteriöser Besuch ihm zu berichten hatte, und dann würde er Kyra befreien.

Die Hüter der vier Elemente - Das Land der Schatten

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