Читать книгу Die Hüter der vier Elemente - Das Land der Schatten - Dagmar Winter - Страница 7
AUFBRUCH ZU
DEN FEUERBERGEN
ОглавлениеDie Sonne stand bereits hoch am Himmel, als sich die Landschaft langsam zu verändern begann. Die endlosen Felder wichen nun karger Stein- und Wüstenlandschaft. Hier wuchsen kaum Bäume und nur vereinzelnd ein paar Sträucher. Auch sah man weit und breit kein Leben -weder Tier noch Nimoraner. Aaron ließ seinen Blick schweifen. Er konnte nachvollziehen, dass hier kaum jemand lebte. Im Gegensatz zum sonst so farbenfrohen und vielfältigen Land, war dieser Teil Nimorons ziemlich trostlos.
Am Horizont zeichneten sich schon die Umrisse der ersten Vulkankrater ab. Je näher sie kamen, desto höher schienen sie in den Himmel zu ragen. Graues, teilweise schwarzes tristes Gestein, das getrocknete Lava vermuten ließ. Der Drache, der mit Moe und Leander auf dem Rücken flog, stieß einen aufgeregten Schrei aus und beschleunigte sein Tempo.
Als sie schließlich den ersten Krater überflogen, dessen Schlund so groß wie ein Fußballfeld war, entdeckte Aaron am Boden einzelne Rinnsale kochender Lava. Diese Vulkane schienen noch aktiv zu sein. Wieder stieß der Drache einen Schrei aus. Aaron überlegte, ob dies wohl aus Freude war, da der Drache wieder in seiner Heimat war.
Als kurz darauf in der Ferne ebenfalls Schreie ertönten, wusste Aaron jedoch, das das nicht der einzige Grund gewesen war. Er hatte seine Familie gerufen. Aaron lief es eiskalt den Rücken hinunter. Natürlich! Die Feuerberge waren das Land der Trolle und Drachen.
Er blickte sich um und kniff die Augen zusammen, um seinen Blick zu schärfen. Zwischen den Vulkanbergen vor ihnen tauchten schwarze Punkte am Himmel auf, die schnell näher kamen und größer wurden.
»Drachen!«, schrie Moe im selben Moment zu ihm herüber und wies mit Zeigefinger und ausgestrecktem Arm auf die größer werdenden Subjekte.
Aaron überkam ein ungutes Gefühl. Sicherlich war Moes Drache ihnen gut zugetan, aber würden es die anderen wilden Drachen auch sein?
»Sie werden uns nichts tun!«, rief Moe zu ihm herüber, als hätte er seine Gedanken gelesen.
»Wenn du das sagst«, antwortete Aaron wenig überzeugt. »Nicht ich – er!«, antwortete Moe und grinste breit, während er seinem Drachen den Hals tätschelte.
Aaron vergaß immer wieder, dass nicht nur er mit seinem Gefährten reden konnte. Erleichtert atmete er auf. Moes Drache würde sie beschützen. Er würde seiner Familie sagen, dass sie ihnen nichts tun sollten.
Zum Glück hatten sich die anderen Begleiter von ihnen für einen Weg am Boden entlang der Grenze, zwischen der Schlucht des Grauens und den Feuerbergen, entschieden.
Neben den für sie unüberwindbaren Vulkanen wären sie wohl auch nicht erfreut gewesen, auf eine Schar von Drachen zu treffen.
Aber Aaron hatte die Feuerberge unbedingt sehen wollen und Leander und Moe war es ähnlich ergangen. Deshalb hatten sie sich für diesen kleinen Umweg entschieden. Schließlich waren sie in der Luft ohnehin ein wenig schneller.
Es dauerte nicht lange und aus den Punkten vor ihnen wurden erkennbare Körper mit Flügeln und Köpfen in unterschiedlichen Farben: blaue, rote und schwarze.
Ein paar Drachen waren noch klein und flogen weiter hinten in der Gruppe. Vorneweg flog ein besonders großer Drache – pechschwarz und schillernd. Sein Kopf war riesig und sein Ausdruck furchteinflößend. Er stieß einen lauten grollenden Schrei aus, als sie etwa noch einen Kilometer entfernt waren.
»Das ist sein Vater!«, rief Moe zu Aaron herüber. »Seine Mutter ist der rote Drache dahinter! Der Rest sind alles Geschwister, Nichten, Neffen, Tanten und Onkel.«
Aaron musste lachen. Er hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, dass auch Drachen eine so große Familie haben könnten, in der sie auch lebten. Er hatte sie gedanklich immer als Einzelgänger eingestuft.
Umso schöner war es zu sehen, wie sich die Tiere nun sichtbar über das Eintreffen des Gefährten freuten und sie umkreisten.
Der große schwarze Drache begutachtete Aaron, Moe und Leander argwöhnisch. Er stieß ein Grollen und Brummen aus, dass Moes Drache erwiderte. Dann war es still, bis der schwarze Drache schließlich ein wesentlich wohlwollenderes Geräusch von sich gab. Es schien seine Zustimmung zu sein, denn kurz darauf flogen alle Drachenkinder im Sturzflug auf sie zu und umkreisten sie freudig. Sie quietschten und ließen kleine Dampfwölkchen aufsteigen. Moes Drache gab ein abgehacktes Gurren von sich, dass einem Lachen ähnelte. Es war ein wunderbares Schauspiel. Und als dann die Mutter auf Moes Gefährten zuflog und ihn mehrfach mit der Schnauze liebevoll anstieß, hatte selbst Aaron mit ein paar Tränen zu kämpfen.
Leander und Moe schien es ähnlich zu ergehen. Leanders Augen waren vor Begeisterung geweitet und man sah ihm an, dass er nicht wusste, wo er zuerst hingucken sollte, nun da sie die vielen Drachenkinder zu begutachten begannen. Aaron wusste, dass dies ein Erlebnis für ihn sein musste, dass er sein Lebtag nicht vergessen würde. In Gedanken sah er ihn mit seiner Frau und Noah am Tisch sitzen und begeistert und wild artikulierend von diesem Moment berichten, während seine Frau und sein Sohn gebannt an seinen Lippen hingen. Aaron gefiel der Gedanke.
Der große schwarze Drache stieß nun erneut ein tiefes Grollen aus, das Moes Drache umgehend erwiderte. »Sie wollen uns bis zur Grenze nach Gorgon begleiten!«, rief Moe Aaron begeistert zu!
»Warum nicht«, rief dieser und hob den Daumen zur Bestätigung hoch »Wir sollten nun aber auch weiterfliegen, sonst sind die anderen noch vor uns da!«
Moe hob ebenfalls den Daumen in die Höhe, woraufhin ein markerschütternder Schrei aus der Kehle von Moes Drachen kam. Die anderen Drachen antworteten und ihre Schrei hallten von den Bergenspitzen wieder. Aaron lief es eiskalt den Rücken herunter. Diese Drachen waren wirklich faszinierende Tiere – angsteinflößend und bewundernswert zugleich. Es war beruhigend zu wissen, dass sie auf ihrer Seite waren.
»Schade, dass du uns nicht nach Gorgon begleiten kannst, Nagual! Dort könntest du auch deine Familie wiedersehen!«, dachte Aaron und spürte, dass er damit einen Nerv bei seinem Gefährten getroffen hatte. Statt einer Antwort fühlte er ein beklemmendes Gefühl. Traurigkeit.
Er streichelte dem Greifer liebevoll über den Hals.
»Wenn wir Kratos besiegen, können wir die Könige bitten, die Barriere nach Gorgon wieder aufzuheben, damit du deine Familie wiedersehen kannst! Ich verspreche dir, mit ihnen zu reden , sobald wir zurückgekehrt sind!«
Dieses Versprechen schien Nagual neuen Mut zu geben. Denn nun stieß auch er einen gellenden Schrei aus und mit ein paar kräftigen Flügelschlägen flog er eine scharfe Kurve gen Westen und nahm direkten Kurs auf die Grenze der Feuerberge zu Gorgon
Es dauerte eine Weile bis die Vulkanlandschaften wieder flacheren steinigen Gebirgen mit hohen Kiefernwäldern wich. Aaron entdeckte viele Tunnel- und Höhleneingänge. Er erinnerte sich daran, dass Istariel ihnen erzählt hatten, dass dort die Trolle lebten. Dass die Behausungen so leicht zu entdecken waren, wunderte Aaron nicht. Er hatte bei der Beerdigung am Gyrionsee einen Troll zu Gesicht bekommen. Er war riesig gewesen, unbeholfen und hatte Aaron ein wenig an einen Steinzeitmenschen oder ein viel zu groß geratenes Baby erinnert.
Allgemein schienen die Trolle jedenfalls nicht die intelligenteste Spezies in Nimoron zu sein. Dennoch waren sie aufgrund ihrer Größe furchteinflößend und besonders kräftig. Nicht nur einmal hatte Kratos daher versucht die Trolle auf seine Seite zu bringen. Aber was das betraf, waren diese zum Glück eigensinnig. Sie stellten sich auf keine Seite und blieben lieber unter sich.
Aaron kniff angestrengt die Augen zusammen und hielt Ausschau, ob er einen Troll entdecken konnte. Und tatsächlich hatte er Glück. Kurz vor einem großen Felsen rechts von ihnen, zog ein etwas kleinerer Troll schnaubend an einer Kette, die in einen Brunnen hing. Da der Troll ein dreckiges Tuch um Unter- und Oberkörper gewickelt hatte und die borstigen einzelnen Haare bis über die seine Schulter hingen, schlussfolgerte Aaron, dass es ein weiblicher Troll sein musste.
Die Trollfrau zog den Eimer, der am Ende der Kette hang, aus dem Brunnen heraus und blickte hinein. Er war leer.
Sie stieß einen wütenden Schrei aus. Dabei kamen ihre lückenhaften, gelben Zähne zum Vorschein. Scheinbar suchte sie dringend nach Wasser. Aaron bekam Mitleid. Hier gab es weit und breit kein Wasser und sicherlich war sie sehr durstig.
Aaron bat Nagual, noch eine Runde zu fliegen. Er verschloss seine Ängste in seinem Seelentresor und konzentrierte sich. Als der Troll sie bemerkte, hob er drohend die Fäuste in die Luft. Scheinbar war er ziemlich schlecht gelaunt und hatte für Eindringlinge nichts übrig. Aaron konzentrierte sich noch stärker, bis die ersten Tropfen vom Himmel fielen, direkt über dem Brunnen, neben dem der Troll stand und verdutzt zu ihnen aufblickte. Der Regen wurde immer stärker und ergoss sich schließlich wie ein Wasserfall in den Brunnen, bis dieser schließlich bis zum Rande gefüllt war. Die Trollfrau starrte mit aufgerissenen Augen auf das Wasser, das nun vor ihr im Brunnen glitzerte. Vorsichtig streckte sie ihre Hand aus und berührte das Wasser, als sei es eine Fata Morgana. Als ihre mächtige, tellergroße Hand in das kühle Nass eintauchte, gab sie ein freudiges Grunzen von sich. Sofort kamen aus einem Versteck ein paar kleinere Trollkinder angerannt und labten sich gierig an der Wasserstelle. Aaron beobachtete das Schauspiel und fühlte ein wohliges Gefühl in der Magengegend, als er die glücklichen Trollkinder beobachetete, die nun dankbar einen Eimer nach dem anderen leerten. Die Trollfrau blickte erneut zum Himmel. Dankbarkeit lag in ihrem Blick! Sie hob ihren Arm in den Himmel und winkte Aaron zu, der lächelnd zurückwinkte.
»Das hast du gut gemacht, Aaron!«, hörte Aaron Leanders Stimme hinter sich »Es ist immer gut, die Trolle auf seiner Seite zu haben!«
Aaron wusste zwar, dass Leander Recht hatte, aber dennoch verspürte er eine Abneigung gegen seine Worte. Er hatte es nicht getan, um die Trolle auf ihre Seite zu bringen, denn so eine „kleine Tat“ würde sie sicherlich nicht umstimmen. Nein, er hatte es getan, weil er das dringende Bedürfnis verspürt hatte, endlich wieder etwas richtig zu machen. Etwas, wofür es sich lohnte, seine Kräfte einzusetzen. Etwas, womit er helfen konnte. Es fühlte sich einfach gut an, nach dem dummen Fehler, der ihm unterlaufen war und er hatte den Wunsch, es wieder gut zu machen.
Aaron blickte den vor Freude quietschenden Trollkindern noch eine Weile hinterher und hing seinen Gedanken nach. Als er sich wieder umwandte, verschwand das selige Gefühl. Scharf sog er die Luft ein. Am Horizont vor ihnen erkannte er die Schlucht des Grauens. Ein tiefer, schwarzer und uneinsichtiger Krater, der schier endlos in die Tiefe zu gehen schien. Und dahinter erblickte er: Gorgon.
Aaron hatte das Gefühl plötzlich von einem Farb- zu einem schwarz-weiß Film zu wechseln. Alles hinter den Grenzen Gorgons war schwarz, grau, dunkel, karg, trist und vor allem bedrohlich. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals und er musste heftig schlucken, um ihn wieder loszuwerden.
Nagual begann kurz darauf mit dem Sinkflug. Moe´s Drache folgte ihm, nachdem er sich mit einem lauten Schrei von seiner Familie, die wieder zurück in Richtung der Feuerberge flog, verabschiedet hatte.
Aaron suchte den Boden unter ihnen ab und entdeckte nun auch ihre Begleiter, die ebenfalls gerade eingetroffen sein mussten. Sie landeten mit ein wenig Abstand zu ihnen auf dem Boden, stiegen ab und begrüßten Arox, Jules, Summer, Loén und Nabiel. Die beiden Elfen wirkten so, als wären sie gerade von einem Wellnessurlaub zurück. Der lange Ritt hatte ihnen sichtlich nichts ausgemacht. Jules, Summer und Arox hingegen wirkten ein wenig erschöpft.
» Lasst uns hier unser Nachtlager aufschlagen und morgen früh dann in die Schlucht hinabsteigen«, sagte Nabiel.
»Hier?«, fragte Moe ein wenig irritiert und blickte sich um. »Hier sitzen wir doch direkt auf dem Präsentierteller, findet ihr nicht?«
»Wir werden abwechselnd Wache halten. Ich denke die wirklichen Gefahren warten in der Schlucht und in Gorgon auf uns. Nicht hier!«, gab Loén trocken zurück und Moe verzog das Gesicht.
»Ich denke, sie haben recht«, fügte Summer schnell hinzu und legte Moe beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Wenn wir abwechselnd Wache halten und die Gefährten in der Nacht bei uns bleiben wird uns niemand angreifen. Wir müssen uns unbedingt ausruhen, bevor wir morgen aufbrechen. Das wird eine beschwerliche Reise, die unsere volle Konzentration fordern wird!«
»Also dann«, mischte Arox sich ein »ich würde gerne mit den Gefährten kurz jagen gehen! Vor Einbruch der Dunkelheit sind wir wieder da!«
»Einverstanden!«, sagte Aaron. »Dann werden Nabiel, Moe, Loén und ich uns um ein Feuer kümmern. Und vielleicht kann Leander den Mädchen helfen das Nachtlager aufzubauen und etwas zu essen zu organisieren.«
Als die Gefährten und Arox einige Zeit später wieder bei ihnen eintrafen, loderte bereits ein großes Feuer, um welches sie ihre Schlafplätze ausgebreitet hatten. Sie hatten sich ausreichend gestärkt und kuschelten sich nun, da die Gefährten sich um sie herum platzierten, in ihren Schlafsäcken ein. Leander übernahm die erste Wache. Loén und Nabiel würden sich später nacheinander ablösen.
Aaron lag auf dem Rücken und blickte in den Nachthimmel, der vollständig mit leuchtenden Sternen bedeckt war.
»Aaron«, hörte er Jules Stimme neben sich flüstern. Er wandte seinen Kopf zu ihr.
»Du bist ja noch wach«, antwortete er leise und lächelte.
»Du doch auch!«, erwiderte sie und lächelte zurück. Dann sprach sie zögerlich weiter: »Aaron, hast du Angst? Ich meine, vor der Schlucht und Gorgon und Kratos …? «
Aaron überlegte einen Moment. Natürlich hatte er Angst. Aber das wollte er vor Jules nicht zeigen. Er wollte stark sein für sie. Also streckte er ihr seine Hand entgegen. Jules ergriff sie und kreuzte ihre Finger mit denen von Aaron. Ein Kribbeln breitete sich in Aarons Bauch aus. Langsam strich er mit dem Daumen über ihren Handrücken.
»Wir werden das schaffen!«, sagte er leise und hoffte, dass es überzeugend klang. Aaron traute sich dabei jedoch nicht, Jules anzusehen und beobachtete weiterhin die Sterne. Sie sollte seine Unsicherheit nicht sehen können.
So lagen sie einige Minuten da, ohne dass jemand etwas sagte. »Wir werden das schaffen!«, wiederholte er nach einigen Minuten nocheinmal, um seinen Worten Sicherheit zu geben.
Als Jules nicht reagierte blickte er langsam zu ihr hinüber. Jules Augen waren geschlossen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig. Sie war eingeschlafen.
Aaron lächelte erleichtert und schlief wenig später auch endlich ein.