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1. Kapitel – Der Besuch des Königs

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»Cridan! Wo steckt dieser Junge nur schon wieder? Cridan! Cridan, wo bist du?«

Als der junge T'han T'hau die Stimme seiner Mutter hörte, hob er den Kopf und sah seinen älteren Bruder Guthrag fragend an. Dieser machte eine unwillige Handbewegung.

»Geh schon. Wenn Mutter dich sucht, wird sie ihren Grund haben. Ich mache das hier allein fertig.«

Cridan ließ gehorsam das Messer fallen, mit dem er die Bergziege ausgeweidet hatte, sprang auf die Füße, wischte sich die Hände notdürftig an seiner Hose ab und lief in den Gang hinaus. »Ich bin hier!«

Kakey drehte sich zu ihm um und seufzte erleichtert. »Na endlich! Ich habe dich schon überall gesucht! Komm mit, Skatarhak ist hier. Er will dich sehen. Was hast du nur angestellt?«

»Skatarhak?« wiederholte Cridan ungläubig und fast ein wenig erschrocken, ohne auf ihre letzten Worte zu achten.

»Ja, Skatarhak«, bestätigte seine Mutter unwillig, packte ihn an der Schulter und schob ihn vor sich her. »Ich weiß nicht, was er von dir will.«

Sie blieb stehen, zog ihn herum und sah ihn scharf an. Ihre goldenen Augen blitzen im Licht der Fackeln, und zwischen den grünlichen Schuppen auf ihrer Stirn war eine scharfe Falte entstanden. »Gibt es irgend etwas, von dem du mir oder deinem Vater vielleicht vorher erzählen willst? Vielleicht etwas, was du alleine oder mit deinen Freunden gemacht hast?«

»Ich habe keine Freunde«, erwiderte Cridan unwirsch. »Und ich habe auch nichts gemacht. Was hätte ich denn tun sollen?«

Kakey seufzte erneut. Ihr Blick wurde sanfter, als sie ihm mit der Hand über den Kopf strich.

»Ich weiß, mein Junge. Es tut mir Leid. Ich mache mir nur Sorgen. Außerdem macht es mich nervös, den König an meinem Feuer sitzen zu haben... Lass uns gehen. Je schneller wir es hinter uns haben, desto besser.«

Bis zu den Höhlen, die er mit seinen Eltern und seinem Bruder Guthrag bewohnte, war es ein Stück weit zu gehen, und auf dem ganzen Weg zermarterte Cridan sich das Hirn, was die Aufmerksamkeit des Königs so sehr auf ihn gezogen haben mochte, dass dieser den weiten Weg bis zu ihrer Siedlung in den Bergen auf sich genommen hatte. Ihm fiel beim besten Willen nichts ein, aber das beruhigte ihn kaum, ganz im Gegenteil. Und seine Mutter, eine der stärksten und angesehensten T'han T'hau in ihrer Gruppe, so besorgt zu sehen, machte es auch nicht besser.

»Hier ist er, mein König«, sagte Kakey schließlich und schob ihn an den Schultern in die Wohnhöhle. »Das ist unser Sohn Cridan.«

Der T'han T'hau, der am Feuer gesessen hatte, sah auf und erhob sich. Er war nicht so riesig wie Anthro'kar, Cridans Vater, aber seine Schultern waren fast ebenso breit und muskulös, und die Aura der Macht, die er trotz seines noch jungen Alters ausstrahlte, schien den Raum bis zum Ersticken auszufüllen. Cridan war sich plötzlich des Blutes, das bis zum Ellenbogen an seinen Händen und Armen klebte, sehr bewusst – und wenn ihn die Situation nicht so gefangen genommen hätte, hätte er sich vielleicht dafür geschämt.

Skatarhak musterte Cridan einen Moment schweigend, dann winkte er ihm.

»Komm näher, Junge. Komm ans Feuer, damit ich dich besser sehen kann.«

Langsam gehorchte Cridan, den fremden T'han T'hau dabei nicht aus den Augen lassend. Es gab keinen Zweifel, dass dieser Mann sein König war: Die Gewissheit füllte seine Sinne so überdeutlich, als hätte man es in jede einzelne der schimmernden Schuppen des T'han T'hau eingeritzt.

Wie befohlen trat er in den Lichtkranz des Feuers.

Skatarhak machte einen Schritt auf ihn zu, beugte sich vor und sog tief die Luft ein. Dann ging er einmal um ihn herum. Der Widerschein der Flammen zuckte über sein Schuppenkleid und ließ das dunkle Gold in einem tiefen Rot leuchten.

»Wie alt bist du?«

»Acht«, entgegnete Cridan – nicht ohne sich zu wundern, inwiefern das für den König wichtig sein mochte.

Skatarhak umrundete ihn noch einmal, dann blieb er vor ihm stehen und sah ihn an.

»Du bist verdammt groß für dein Alter, Junge.«

Cridan erwiderte seinen Blick. Die Augen des T'han T'hau waren seltsam – sie glänzten in einem beinahe rötlichen Goldton, und wo in der Iris seiner Eltern und der anderen T'han T'hau, die er kannte, kleine Einsprengsel das Licht brachen, so hatte Skatarhak nichts dergleichen. Die Farbe seiner Augen war überall gleich, als bestünden sie aus massivem Gold. Die Pupille war weit, ihr Oval beinahe zu einem Rund verzogen, um im Halbdunkel der Höhle besser sehen zu können, und doch... Die Augen erinnerten Cridan an einen Raubvogel, und genauso war auch ihr Blick: scharf, berechnend und mit nur milder Neugier gepaart.

Gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, dass der König etwas gesagt hatte, und er antwortete hastig:

»Da komme ich wohl nach meinem Vater.«

Skatarhak warf einen Blick auf Anthro'kar, der in seiner ganzen beeindruckenden Körpergröße mit verschränkten Armen in der Höhle stand, und zum ersten Mal glitt ein Lächeln über seine Züge. »Wie wahr.«

Er ließ sich wieder auf dem Schemel nieder, den Kakey ihm hingestellt hatte, und griff nach dem Becher mit verdünntem Wein, der daneben auf dem Boden stand.

»Ihr werdet euch fragen, was mich hierher führt«, sagte er nach einer Weile, in der er Cridan schweigend gemustert hatte. »Eigentlich wollte ich einen alten Freund besuchen, der mir etwas versprach. Doch sitze ich jetzt hier – und die Antwort auf die Frage, warum das so ist, bist du.« Er deutete mit der rechten Hand auf Cridan.

»Ich?« Der Junge hob verwirrt die Brauen. »Aber… Ich habe nichts getan!«

Der T'han T'hau lachte leise. »Ich bin auch nicht hier wegen etwas, was du getan hast, sondern wegen dessen, was du bist.«

Jetzt verstand Cridan gar nichts mehr. »Was ich bin? Was bin ich denn?«

Skatarhak beugte sich vor und winkte ihn ein wenig dichter zu sich heran.

»Du, Junge, bist mein ficha'thar.«

Anthro'kar keuchte auf, und Kakey schlug erschrocken die Hände vor den Mund.

»Was ist ein ficha'thar?« fragte Cridan mit gerunzelter Stirn. Er meinte, das Wort schon einmal gehört zu haben, wusste aber nicht, was es bedeutete.

Skatarhak lächelte erneut, und dieses Mal erreichte das Lächeln seine Augen, ließ sie für einen Sekundenbruchteil freundlich aufblitzen. »Das wirst du früh genug erfahren. Pack deine Sachen. Du kommst mit mir.«

Anthro'kar räusperte sich.

»Verzeih mir meinen Einwand, Skatarhak, aber der Junge… Er ist noch ein Kind.«

Skatarhak wandte den Kopf und sah den riesigen T'han T'hau an, der ihn um mehr als einen Kopf überragte. Trotzdem war es, als müsste dieser zu Skatarhak aufschauen.

»In der Tat, Anthro'kar, das ist er. Aber hast du ihm in die Augen gesehen? Wirklich in die Augen gesehen? Er ist…«

»Ich weiß, was er ist«, unterbrach Anthro'kar ihn heftig. »Verdammt, Skatarhak, er ist mein Sohn! Und er ist zu jung dafür!«

Skatarhaks Gesichtszüge verhärteten sich. »Meinst du, ich wollte ihn jetzt und auf der Stelle zu meinem ficha'thar machen? Dafür ist er zu jung, wie du schon sagst. Aber ich will ihn. Ich habe gesehen, wie er seine Beute verteidigt hat, wie er T'han T'hau, die wesentlich größer und älter waren als er, alleine durch seinen Blick eingeschüchtert hat. Ich will diesen Jungen, Anthro'kar!«

»Die haben nur Angst vor mir, weil ich einen von ihnen verprügelt habe«, sagte Cridan abfällig. »Und weil sie wissen, dass ich es noch einmal tun würde. Ich habe keine Angst vor ihnen.«

Skatarhak wandte sich wieder ihm zu. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln. »Dann sag mir, Cridan, wovor du Angst hast.«

Für einen Herzschlag lang wollte Cridan antworten, dass er sich vor nichts fürchtete, doch dann hielt er inne. Skatarhak legte keinen Wert auf falsche Tapferkeit, das spürte er instinktiv, und er war vermutlich besser beraten, über seine Antwort nachzudenken.

Er überlegte eine Weile und sagte dann leise: »Ich habe keine Angst vor Dingen, die mir begegnen könnten, seien es T'han T'hau oder was auch immer.«

Der König brachte sein Gesicht so nah heran, dass sich ihre Nasen fast berührten. Cridan spürte seinen warmen Atem auf der Haut und blickte direkt in die unheimlichen goldenen Augen. Skatarhaks Geruch war überwältigend, ein geheimnisvolles Versprechen von Macht, Stärke und Gefahr.

»Du hast nicht einmal Angst vor mir?« fragte er mit dunkler Stimme. Die Reißzähne hinter seinen Lippen glitzerten im Feuerschein.

Cridan wich seinem Blick nicht aus. »Nein.«

Skatarhak verharrte einen Moment in seiner Haltung, dann richtete er sich wieder auf und sah auf Cridan hinab. Und in diesem Augenblick wusste Cridan, wovor er sich fürchtete:

»Ich habe höchstens Angst davor, zu versagen.«

Kakey stieß einen klagenden Seufzer aus, und Anthro'kar schloss ganz kurz die Augen. Dann hob er den Kopf, blickte Skatarhak an und nickte.

»Es sei, wie du befiehlst, mein König. Cridan wird mit dir gehen.«

Cridan sah erschrocken von ihm zu seiner Mutter, zu Skatarhak und wieder zu Anthro'kar. »Aber… Warum denn, Vater?«

Anthro'kar atmete tief ein.

»Weißt du«, sagte er leise, »Skatarhak hat Recht. Du bist anders als wir, anders auch als all die Jungen, die du kennst. Du hast keine Freunde unter ihnen, weil sie es spüren: Dein Platz ist nicht hier. Skatarhak sieht es, und ich sehe es. Jeder sieht es. Es steht in deinen Augen, Cridan, und wenn du in dich hinein hörst, steht es auch in deinem Herzen. Geh mit Skatarhak, mein Sohn, und du wirst deinen Platz in der Welt finden.«

Es war nicht viel, was Cridan zusammenpacken musste. Ein T'han T'hau besaß nicht viele Wertsachen, und bis auf etwas Kleidung nahm er nur das Messer mit, das sein Bruder Guthrag ihm geschenkt hatte. So war er nach kurzer Zeit reisefertig und trat mit seinem kleinen Bündel zurück in die Haupthöhle.

Hier warteten inzwischen nicht nur Kakey und Anthro'kar mit dem König, sondern auch sein Bruder. Guthrag sah ihm entgegen, und in seinen Zügen glaubte Cridan für einen Moment nicht nur Stolz, sondern auch so etwas wie Neid zu lesen. Doch der Augenblick verging rasch.

Seine Mutter umarmte ihn fest, und sein Vater Anthro'kar legte ihm beide Hände auf die Schultern.

»Bleibe der, der du bist«, sagte er. »Wenn du diesen Rat beherzigst, wirst du uns weiterhin mit dem gleichen Stolz erfüllen wie in den letzten acht Jahren. Geh mit Skatarhak, und geh mit unserem Segen. Du wirst sehen, dass dich an seiner Seite eine große Zukunft erwartet.«

Guthrag drückte ihm die Hand und murmelte einen Abschiedsgruß, dann brachte Anthro'kar seinen König und seinen Sohn durch die langen Gänge hinaus ans Tageslicht.

Cridan blinzelte in der Mittagssonne. Es dauerte einen Moment, bis sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, dann sah er überrascht, dass Skatarhak offensichtlich nicht beabsichtigte, den Weg weiter zu Fuß zurückzulegen: Zwei stämmige Pferde mit kurzen, dicken Hälsen und der Farbe von hellem Sand warteten auf sie.

»Kannst du reiten?« fragte Skatarhak und drehte sich zu ihm um.

Cridan schüttelte wortlos den Kopf.

Der König lächelte. »Dann wirst du es lernen. Nimm das kleinere Pferd. Es hat ein freundliches Wesen und ist unseresgleichen schon lange gewöhnt. Es wird dir keinen Ärger machen.«

Cridan nickte gehorsam und griff nach den Zügeln des Tieres. Es schnaubte und schüttelte den langen Kopf, und für einen Moment zögerte er. Er sah zu Skatarhak hinüber, um zu beobachten, wie dieser sich mit einem kräftigen Schwung auf den Rücken des Pferdes zog.

Sein Pferd hatte große, dunkle Augen, die in der Tat freundlich wirkten, stellte Cridan nach einem weiteren Blick fest, und der Rücken war auch nicht so hoch wie zunächst befürchtet. Wie er es bei Skatarhak gesehen hatte, setzte er den linken Fuß in den Steigbügel, griff mit der Hand nach dem Sattelhorn und zog sich in die Höhe. Es war nicht so leicht, wie es ausgesehen hatte: Es kostete Cridan einige Mühe, das Bein über den Sattel zu schwingen, ohne gleich wieder hinunterzufallen, aber schließlich hatte er es geschafft und saß auf dem Pferd.

»Nimm die Zügel so«, Skatarhak zeigte es ihm, »und drücke die Schenkel zusammen, wenn du willst, dass das Pferd vorwärts geht. Ein leichter Zug an beiden Zügeln genügt, um es stehenbleiben zu lassen. Zupfe rechts oder links am Zügel, und das Pferd wird nach rechts oder links gehen. Sei dankbar, dass es dich trägt, und gehe nicht roh mit ihm um.«

Cridan nickte. Er wusste nicht, ob er alles behalten oder gar in die Tat umsetzen können würde, doch das war fürs erste auch gar nicht nötig: Als Skatarhak sein Pferd herumzog und es antreten ließ, folgte Cridans Reittier ihm auch ohne sein Zutun.

Eine Weile ritten sie schweigend hintereinander her, während sie dem schmalen Pfad zwischen den Berggipfeln hindurch folgten, der sie ins Tal bringen würde. Dann jedoch drehte Skatarhak sich zu Cridan um.

»Du bist so still, Junge. Ich könnte mir vorstellen, du hast viele Fragen. Und doch schweigst du?«

Er fing seinen Blick auf und lachte. »Ich werde dich schon nicht fressen. Wer keine Fragen stellt, wird auch keine Antworten bekommen. Nur zu, keine Scheu!«

Einen Augenblick zögerte der Junge noch, doch dann sah er den König an und fragte: »Wohin reiten wir?«

Skatarhak lächelte. »Kennst du Gantuigh?«

Cridan musste den Kopf schütteln. Natürlich, er wusste, Gantuigh war die Insel, auf der sie lebten, und einige Dörfer und Städte kannte er vom Namen her, aber er war noch nie wirklich aus den Bergen herausgekommen.

»Gantuigh ist groß«, fuhr Skatarhak fort. »L'hunival, ihre Hauptstadt, liegt in der Mitte des Gebirgsmassivs, das sich auf ihrem Rücken erhebt. Im Norden liegen außer euren Bergen einige Hafenstädte, aber auch die weiten Einöden mit den Dünen von Rantan. In ihren westlichen Ausläufern beginnt eine kleine Kette von Bergen, deren Gipfel steiler und schroffer sind als die deines Gebirges. Dort lebe ich mit meiner Familie – oder zumindest einem Teil davon.«

Er grinste. »Es wird dir gefallen. Inth Silia und Marud'shat, meine beiden Töchter, sind zwei Jahre jünger als du, und Ratiko'khar, einer meiner Söhne, drei Jahre. Ihr werdet euch sicher gut verstehen. Und wenn nicht, gehe ich davon aus, dass ich damit nicht belästigt werde. Du wirst mit uns leben und meine Mutter wird sich um dich ebenso gut kümmern wie um meine eigenen Kinder. Aber dein unbedingter Gehorsam wird alleine mir gelten. Du bist etwas Besonderes, Cridan, und wie etwas Besonderes werde ich dich auch behandeln. Du wirst einmal sehr mächtig sein – mächtig und angesehen. Alles, was du dafür tun musst, ist mir treu zu sein. Das klingt leicht im ersten Moment, aber du wirst sehen, dass auch schwere Entscheidungen auf dich zukommen werden. Ich erwarte Treue von dir – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Im Gegenzug wirst du der wichtigste Mann an meiner Seite sein. Zwischen uns wird es keine Geheimnisse geben, nur gegenseitiges Vertrauen. Das ist die wahre Macht eines ficha'thar. Meinst du, du kannst das?«

Cridan wich seinem Blick nicht aus. Erwartungsvolles Erstaunen und langsam dämmernde Erkenntnis, welcher Weg auf ihn wartete, raubten ihm beinahe den Atem.

»Das kann ich«, erwiderte er und wiederholte dann die Worte des uralten Treueschwurs, wie er sie von seinem Vater gelernt hatte: »Ich lege mein Leben in deine Hände. Dein Wort soll das meine sein. Du bist mein König, und ich folge dir, wohin auch immer du gehst.«

Skatarhak sah ihn scharf an. »Das ist ein großer Schwur, Junge, den du da ablegst. Und doch – wenn ich dich so ansehe, glaube ich, dass du weißt, was er bedeutet.«

Sie machten erst in der Abenddämmerung Rast an einem kleinen Bach. Skatarhak holte zwei Decken, Brot und etwas Speck aus seinen Satteltaschen. Er schickte Cridan zum Holzsammeln, während er das Lager vorbereitete, und wenig später brannte ein kleines Feuer zwischen ihnen, das gemütliche Wärme verbreitete und über dessen knisternder Glut sie den Speck rösteten.

»Reist du eigentlich immer ohne Leibwächter?« fragte Cridan neugierig, nachdem sie eine Weile stumm gegessen hatten. »Ich meine… Du bist der König! Solltest du nicht Leibwachen haben?«

Skatarhak lächelte. »Meine Leibwache ist nur ein Statussymbol, nichts weiter. Ich brauche keine Leibwächter. Die T'han T'hau haben mir Gefolgschaft geschworen. Ich bin ihr König. Und die Menschen…« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Die Menschen fürchten uns, Cridan. Sie haben uns erschaffen, aber sie fürchten uns. Kein Mensch würde es wagen, mir zu nahe zu kommen.«

»Die Menschen haben uns… erschaffen? Wie meinst du das?«

Der T'han T'hau wischte sich mit dem Handrücken das Fett vom Kinn. »Wir stammen von den Menschen ab, wusstest du das nicht?«

Als Cridan den Kopf schüttelte, sprach er weiter: »Vor vielen Jahrhunderten, vielleicht auch Jahrtausenden, wer weiß das schon so genau, gab es uns noch nicht. Es gab nur die Menschen auf Gantuigh, aber sie waren schwach. Sie ließen sich von Fremden unterjochen, ließen sich Frau und Kind, Hab und Gut stehlen, ließen sich schlagen, plündern und töten. Sie waren ebensolche Opfer, wie sie es auch heute noch sind.« Er verzog abfällig den Mund.

»Du sagst es«, wandte Cridan verwirrt ein, »sie sind schwach! Wie sollen wir von ihnen abstammen? Ich… Wir T'han T'hau sind ein starkes Volk, stolz und mutig. Wir würden uns niemals einem anderen als unseresgleichen unterwerfen!«

Skatarhak nickte mit wohlwollendem Verständnis. »So ist es, Junge, so ist es. Die Menschen damals beschlossen, sich zu schützen. Sie wählten die besten jungen Männer und Frauen aus, um an ihrer Statt zu kämpfen und sie zu verteidigen, und um ihre Blutlinien zu verbinden. Aus diesen Bündnissen gingen starke und mutige Kinder hervor, die sie wiederum mit den stärksten und mutigsten ihrer Krieger verheirateten. Generation um Generation wurde stärker, kräftiger, mutiger und besser als die vorhergehende. Sie nannten sich die T'han T'hau. Du weißt, was es bedeutet?«

»Natürlich«, murmelte Cridan. »Es bezeichnet die besten Krieger.«

Skatarhak nickte erneut. »Richtig. Und aus diesen besten Kriegern des Menschenvolkes wuchs ein neues Volk heran – wir, die T'han T'hau. Unsere Stärke erlaubt den Menschen, schwach zu sein. Wir sind ihr Schutz, und doch fürchten sie uns. Viele unser Privilegien beruhen auf dieser Furcht. Und deshalb sind wir gut beraten, sie weiterhin aufrecht zu halten. Die Schwäche der Menschen ist unsere Stärke. Je schwächer sie sind, desto besser. Stell dir vor, sie würden so stark wie wir. Sie bräuchten uns nicht mehr, und weil sie uns noch immer fürchteten, würden sie mit Gewissheit versuchen, uns zu vernichten. Nein«, er schüttelte den Kopf, »es ist gut so, wie es ist. Gantuighs Stärke sind wir, Cridan, und wir werden es bleiben, solange noch ein Hauch von Leben in mir ist, um es zu verteidigen. Gantuigh gehört uns. Es ist unsere Heimat, unsere Mutter, und wir allein sind zu ihrem Schutz geschaffen.«

In dieser Nacht lag Cridan lange wach und dachte über die Worte seines Königs nach. Was er gesagt hatte, leuchtete ihm ein: Es musste ein starkes Volk geben, um Gantuigh zu schützen, und wenn die Menschen das nicht sein konnten, dann war es gut, dass es die T'han T'hau gab. Skatarhak würde sein Leben für Gantuigh geben, das hatte er gespürt, und alleine das war genug, ihm zu folgen.

Mit jedem Tag, den sie unterwegs waren, erfuhr Cridan mehr über sein eigenes Volk, über seine Geschichte und auch über Skatarhak. Er lernte, dass die T'han T'hau Gantuigh nicht nur gegen Angriffe von außen verteidigten, sondern die Stärke der Insel auch regelmäßig in Kämpfen gegen die Reiche auf der anderen Seite des Meeres bewiesen. Es war notwendig, den Menschen dort, die ebenso kriegerisch und mutig waren wie sie selbst, zu zeigen, dass die T'han T'hau bereit standen, jeglichen Versuch eines Angriffs sofort zu zerschlagen, und dass sie es mühelos konnten. Wenn die fremden Völker nicht regelmäßig daran erinnert wurden, wie stark die T'han T'hau waren, würden sie ihrerseits angreifen und Gantuigh überfallen, die Küsten der Insel plündern und jeden töten, den sie finden konnten. Auf diesen Fahrten durften die jungen Männer der T'han T'hau nicht nur ihr Können unter Beweis stellen, sondern auch Ruhm und Ehre in Gantuighs Namen erringen.

Skatarhak selbst war der einzige Erbe seines Vaters gewesen, des mächtigen Thrindau'kho, und als dieser im Alter von weit über sechzig Jahren einem Wundfieber erlegen war, hatte Skatarhak die Verantwortung übernommen, das Volk der T'han T'hau anzuführen. Das war jetzt vier Jahre her.

Thrindau'khos ehemaliger ficha'thar, Maret'kar, hatte seinen Platz an Skatarhaks Seite einge­nommen, aber er war nicht mehr der Jüngste. Es gab zwar viele T'han T'hau, die sich bereits Hoffnungen auf den Posten machten, doch bisher hatte Skatarhak sich geweigert, darüber auch nur nachzudenken. Er wollte niemand anderen als Maret'kar an seiner Seite wissen.

Dann aber hatte er von Cridan gehört: Ein T'han T'hau, den Skatarhak noch aus seiner Kindheit kannte, hatte ihm von dem Jungen erzählt, der in den Bergen aufwuchs und in dessen Blick bereits im Alter von acht Jahren eine große Zukunft geschrieben stand. Skatarhak hatte sich neugierig auf den Weg gemacht, wohlweislich ohne die übliche Begleitung durch Maret'kar. Er hatte den Worten seines alten Freundes nur wenig Glauben geschenkt – bis er Cridan gesehen und ihm gegenüber gestanden hatte.

»Du tust vermutlich gut daran, dich von Maret'kar ein wenig fernzuhalten«, hatte Skatarhak Cridan schließlich nahegelegt. »Er ist zwar schon über fünfzig, aber er kann den Gedanken nicht leiden, dass ihn eines Tages jemand ersetzen könnte. Und er kann ziemlich ungemütlich werden. Also, geh ihm aus dem Weg, wenn du nicht gerade mit ihm zu tun haben musst, und stell' dich ansonsten gut mit ihm.«

Cridan hatte es vorgezogen, das Thema zu wechseln, und hatte Skatarhak statt dessen nach seinen Kindern gefragt, nach Ratiko'khar und den Zwillingstöchtern Marud'shat und Inth Silia. Dabei hatte er erfahren, dass die drei längst nicht die einzigen Nachkommen Skatarhaks waren. Der König war zwar erst kaum zwanzig Jahre alt, doch hatte er schon eine ganze Handvoll Kinder. Seinen ersten Sohn hatte er bereits vor etlichen Jahren gezeugt.

»Mein Vater hat mich mitgenommen zu unserem Waffenschmied«, erzählte er. »Das war vor meiner ersten Fahrt übers Meer. Er wollte mir zeigen, wo man die besten Waffen und die schönsten Frauen findet. Und bei allen Göttern, die Frauen dort sind ebenso entzückend wie die Waffen scharf! Er ließ mir die freie Wahl unter ihnen, und ich nahm mir die Frau des Waffenschmieds. Ich weiß noch bis heute, wie der arme Kerl getobt und gedroht hat, und wie sie mich ansah… Aber es half weder ihm noch ihr: Ich hatte meine Wahl getroffen. Und ich besorgte es ihr gründlich. Den Ausdruck in ihren Augen werde ich nie vergessen. Sie hasste mich für die Lust, die ich ihr bereitete, denn glaube mir, zum Schluss hat sie es ebenso genossen wie ich. Sie gebar einen Sohn von meinem Blut. Ich habe ihn einmal gesehen, kurz nach dem Tod meines Vaters, und ich muss sagen, er war ein hübsches kleines Ding, mit pechschwarzen Augen.«

Skatarhak grinste. »Von da an pflanzte ich meinen Samen ein, wo immer ich nur konnte. Inth Silia und Marud'shat waren die nächsten Kinder, und mit ihrer Mutter – eine sagenhafte Frau, du wirst sie ja kennenlernen – zeugte ich später auch Ratiko'khar. Aber dazwischen und danach gab es viele Frauen und viele Kinder und wird sie immer geben. Wenn ich irgendwann sterbe, werden sie über mich sagen, dass ich alleine das Volk der T'han T'hau an seiner Zahl verdoppeln wollte.« Er lachte lauthals.

Cridan musste ebenfalls lachen. Er fand Skatarhak faszinierend – beeindruckend als König und T'han T'hau, freundschaftlich und geduldig im Umgang, und ebenso amüsant wie fesselnd in seinen Erzählungen. Es würde ihm leicht fallen, seinen Treueschwur in die Tat umzusetzen. Um ehrlich zu sein, brannte Cridan darauf, diesem erstaunlichen Mann zu beweisen, dass er das Vertrauen wert war, was er in ihn zu setzen schien.

Dämonentreue

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