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4. Kapitel – Aufbruch
ОглавлениеSchon von weitem sah er Maret'kar, der an die Hauswand gelehnt da stand, die Arme vor der Brust verschränkt. In seiner Rechten hielt er die Drahtschlinge, die Cridan geflochten hatte. Er wartete, bis der junge T'han T'hau auf wenige Schritte an ihn herangekommen war, dann stieß er sich von der Mauer ab und trat auf ihn zu.
»Das hier habe ich hinter dem Haus gefunden«, sagte er und schwenkte die feine Schlinge in seiner Hand. »Gibt es dafür eine Erklärung?«
Cridan hörte nicht nur an seiner Stimme, dass mühsam unterdrückter Zorn in ihm schwelte, er roch den Ärger auch.
Halb entschuldigend, halb trotzig senkte er den Kopf und antwortete durch zusammengebissene Zähne: »Natürlich gibt es dafür eine Erklärung. Die Frage ist nur, ob du sie hören willst. Und ob sie dich interessiert, nach der hundertsten Schlinge, die ich für dich geflochten habe.«
Der Fausthieb kam blitzschnell und riss Cridan von den Füßen. Mehr überrascht als verletzt berührte er seinen schmerzenden Kiefer, rieb darüber und rappelte sich wieder auf. Noch nie hatte Maret'kar ihn geschlagen. Er hatte ihn getriezt, ja, mit allen möglichen Strafen und Zusatzarbeiten belegt, aber er hatte ihn nie geschlagen.
Jetzt stand der alte T'han T'hau vor ihm, die Augen flammend vor Wut.
»Du bist kein Kind mehr«, fuhr er ihn an. »Also hör auf, dich wie eines zu benehmen! Ich weiß, wo du warst und mit wem du dort warst, aber nichts davon ist eine Rechtfertigung, deine Aufgaben zu vernachlässigen!«
»Aufgaben?« Cridan schnaubte wütend. Er war mindestens ebenso zornig wie Maret'kar. Erst die Enttäuschung durch Inth Silia, jetzt auch noch eine sinnlose Auseinandersetzung mit Skatarhaks altem ficha'thar – er hatte genug!
»Was denn für Aufgaben? Sag mir, Maret'kar, was sind meine Aufgaben? Tausend und abertausend Mal Dinge zu tun, die ich längst kann und die mir lästig sind, nur um dich und deine Rachsucht zu befriedigen? Ich habe dir nie etwas getan! Seit ich hier bin, habe ich immer versucht, dir alles Recht zu machen, und dennoch bist du mit nichts von alledem zufrieden gewesen! Wo ist also der Unterschied, ob ich diese verdammte Schlinge noch dreimal mehr durch die Finger ziehe oder nicht? Sie wird dir doch nicht gut genug sein!«
Irgendwie hatte er erwartet, dass Maret'kar aufbrausen oder ihn vielleicht sogar noch einmal schlagen würde, aber das Gegenteil war der Fall. Der T'han T'hau holte tief Luft, als wollte er etwas sagen, doch dann atmete er langsam wieder aus, schüttelte ganz kurz den Kopf und sah Cridan an.
»Komm mit«, sagte er. Es klang erstaunlich friedfertig. »Wir müssen reden.«
Widerwillig folgte Cridan ihm. Sie gingen wieder ein Stück weit den Hang hinauf, dann jedoch wandte Maret'kar sich nach links und folgte einem der schmalen Pfade bis zu dem Punkt, wo die ersten kleinen Kiefern ihre Wurzeln in den felsigen Boden geschlagen hatten. Dort blieb er stehen, stützte sich mit der Rechten gegen einen der niedrigen Baumstämme und blickte ihn an.
»Ich bin alt, Cridan«, begann er das Gespräch. »Zu alt für einen ficha'thar. Dass ich es noch immer bin, liegt allein daran, dass Skatarhak Geduld hat. Geduld mit mir – und Geduld mit dir. Dennoch bleibt uns nicht ewig Zeit. Du wirst der jüngste ficha'thar aller Zeiten sein, Cridan, ganz gleich, ob er noch ein Jahr wartet oder zwei. Meine Tage an seiner Seite sind vorbei, so oder so, und alles, was ich noch tun kann, ist, seinen nächsten ficha'thar so gut wie möglich auf seinen Platz vorzubereiten. Du irrst dich, wenn du glaubst, ich sei wütend auf dich oder wolle mich für irgend etwas an dir rächen. Wenn ich zornig bin, dann auf mich selbst, auf meinen Körper, der dem Alter so wenig entgegenzusetzen hat.«
Er wandte den Kopf und sah Cridan an. »Und neben dir komme ich mir noch älter vor. Bei allen Göttern, du bist all das, was wir uns jemals erhoffen konnten von einem T'han T'hau! Jung, stark, gutaussehend und klug… Aber du musst noch viel lernen. Dein Leben als ficha'thar an Skatarhaks Seite wird hart werden, hart und voller schwieriger Entscheidungen. Skatarhak ist ein guter König, der beste, den ich bisher erlebt habe, und ich will, dass er, verdammt noch mal, auch den besten ficha'thar bekommt, den es gibt!«
Er stieß hart die Luft zwischen den Zähnen aus, fuhr sich mit der Hand über den Schädel und sprach dann weiter:
»Er ist ein starker und gerechter König, aber er ist auch hart, und er lässt keine Gnade walten. Du wirst es sehen, du wirst es vertreten müssen, und irgendwann wirst du es am eigenen Leib erfahren, glaube mir! Und du bist besser beraten, wenn du dir darüber schon heute im Klaren bist! Was ich tue, tue ich aus einem einzigen Grund: dich auf das vorzubereiten, was auf dich zukommen wird. Und es wird nicht einfach sein, beileibe nicht.«
Die Worte des alten Kriegers verwirrten Cridan, und zögernd blickte er ihn an.
»Aber… Ich dachte immer, du kannst mich nicht leiden.«
Maret'kar lachte, leise und traurig.
»Dann bewahre dir diesen Glauben, Junge«, murmelte er. »Es wird vieles leichter für dich machen.«
»Leichter? Was soll es leichter machen?« fragte Cridan verständnislos.
Der T'han T'hau wischte seine Worte mit einer Handbewegung zur Seite.
»Ich werde mit Skatarhak aufbrechen, sobald er wieder hier eintrifft«, sagte er in verändertem Tonfall. »Und du wirst uns begleiten. Pack also schon mal deine Sachen. Skatarhak will seine Gefolgsleute besuchen, und er wird Recht sprechen, wo es nötig ist. Wir werden für etliche Wochen unterwegs sein. Es wird Zeit, dass du siehst, wie ein ficha'thar arbeitet. Und dann wirst du deine erste Seereise antreten. Es ist mehr als überfällig, dass du zeigst, ob du wirklich etwas gelernt hast.«
Cridan war sprachlos vor Staunen. Sicher, er hatte alles über die Seefahrt gelernt, zumindest theoretisch, aber dass er tatsächlich auf eins der Schiffe gehen und über das Meer segeln sollte, ließ helle Aufregung in ihm emporsteigen.
»Ich rate dir außerdem«, fuhr Maret'kar fort, »dich von deinem Mädchen zu verabschieden. Nutze die heutige Nacht gut. Du wirst sie lange nicht wiedersehen, und wer würde eine T'han T'hau wie Inth Silia nicht vermissen?«
Überrascht sah Cridan ihn an, doch der alte Krieger lächelte nur und zwinkerte ihm ganz kurz zu, bevor er sich umdrehte und über den Hang davon ging.
Eine Weile blieb Cridan noch stehen und dachte über Maret'kars Worte nach, dann folgte er ihm zurück auf den Hof. Wie ihm befohlen worden war, ging er auf sein Zimmer und packte seine Habseligkeiten für die bevorstehende Reise ein.
Es war mehr, als er damals mit hierher gebracht hatte: Neben seinen Kleidungsstücken besaß er jetzt auch ein Schwert, einen Schild, einen kurzen Dolch, ein zweites Paar Stiefel, einen Wasserschlauch und eine gewachste Decke, die, mit einer Fibel vor der Brust verschlossen, auch als Mantel dienen konnte.
Nach kurzem Zögern legte er schließlich noch zwei der feinen Drahtschlingen und einen geflochtenen Lederriemen dazu. Es mochte sein, dass er diese Dinge gebrauchen konnte.
Den Rat von Maret'kar zu befolgen, fiel ihm schwerer, und es dauerte eine Weile, bis er den Mut dazu gefunden hatte.
Er traf Inth Silia in ihrem Zimmer an, wo sie damit beschäftigt war, die Scheide ihres Schwertes mit gefärbten Lederriemen zu umwickeln. Sie hatte wie er gelernt zu kämpfen, doch anders als die meisten T'han T'hau, die er kannte, legte sie auch ausgesprochenen Wert auf das Aussehen ihrer Waffen. Der Griff ihrer Klinge und das Heft waren mit kunstvollen Ziselierungen verziert, und das Muster darauf setzte sich jetzt mit Hilfe der Lederbänder auf der Hülle fort.
Sie sah auf und lächelte, als sie ihn erkannte.
»Komm rein«, forderte sie ihn auf und deutete mit einer flüchtigen Geste auf ihr Bett, »und setz dich.«
Cridan gehorchte und ließ sich vorsichtig auf ihrem Lager nieder. Die Decken und Kissen darauf waren ordentlich gefaltet, und anders als bei ihm, wo überall geflickte Stellen zu sehen waren, weil er nicht genug darauf geachtet hatte, den Stoff nicht über die Kanten seines Panzers zu ziehen, waren die Bezüge makellos.
Er sah ihr eine Weile zu, wie sie geschickt die Schnüre um die Schwertscheide zog, beobachtete ihre schlanken Finger, den bläulichen Glanz ihres Schuppenkleids und betrachtete ihr Gesicht. Je länger er sie ansah, um so stärker spürte er die Hitze in sich aufsteigen. Er würde sie vermissen, jeden Tag und jede Nacht. Was immer sie tat und wie schlecht sie ihn auch behandeln mochte, es würde nichts daran ändern.
Sie schien seine Gedanken zu spüren, denn sie ließ ihre Arbeit sinken und sah ihn an.
»Woran denkst du?« fragte sie, den Blick ihrer goldenen Augen unverwandt auf ihn gerichtet.
»An dich«, erwiderte er wahrheitsgemäß. Es hatte ohnehin keinen Sinn, sie anzulügen. T'han T'hau erkannten Lügen schneller, als man sie ausgesprochen hatte. »Und daran, dass du mir fehlen wirst.«
»Fehlen?« Sie runzelte die Stirn. »Warum sollte ich? Ich gehe nicht weg.«
Er lächelte.
»Du nicht, aber ich. Ich werde mit Skatarhak aufbrechen und für lange Zeit fort sein. Ich werde erst mit ihm und Maret'kar reisen und dann über das Meer segeln. Maret'kar meint, es sei Zeit, mich zu beweisen.«
Dass sich bei diesen Worten ein stolzer Unterton in seine Stimme mischte, konnte er nicht verhindern.
Für einen Augenblick tauchte in ihren Augen Überraschung – und Bedauern? – auf, doch dann lächelte sie zurück.
»Das ist großartig, Cridan! Du wartest doch schon lange darauf, Skatarhak endlich zu zeigen, was in dir steckt. Aber Tiko wird dich vermissen.«
Cridan verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich weiß, dass Tiko mich vermissen wird«, antwortete er langsam. »Er wird mir auch fehlen, denn er ist wie mein Bruder. Aber was ist mit dir?«
»Mit mir?« Sie neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Du sagtest doch schon, dass ich dir fehlen werde.«
Cridan biss die Zähne aufeinander.
»Danach habe ich auch nicht gefragt. Werde ich dir fehlen?«
Silia erwiderte seinen Blick einen Moment schweigend.
»Ja«, sagte sie dann, »du wirst mir fehlen. Wenn auch anders, als du vielleicht glaubst.«
Ihre Worte waren ehrlich gemeint, das spürte er, und so zwang er sich, nicht über ihre genauere Bedeutung nachzudenken.
»Dann komm mit mir für diese Nacht.«
Auf ihrer Stirn bildete sich eine steile Falte. »Wenn es so ist, wie du sagst, wird Skatarhak noch heute Abend zurückkehren! Er wird erwarten, dich hier vorzufinden, ebenso wie mich. Wir können nicht gehen! Er ist der König!«
Cridan schloss für einen Herzschlag lang die Augen. Musste sie alles so kompliziert machen?
»Ich bat dich nicht, mit mir fortzugehen«, sagte er dann, mühsam beherrscht. »Ich bitte dich lediglich darum, mit mir diese Nacht zu verbringen. Wo immer es dir Recht sein mag.«
Ein feines Lächeln glitt über ihre Lippen.
»Lass uns sehen, was Skatarhaks Ankunft für Neuigkeiten bringt«, entgegnete sie. »Aber wenn es sich einrichten lässt…« Sie legte ihre Arbeit zur Seite, stand auf und kam zu ihm. Mit den Fingerspitzen strich sie über seine Stirn, seine Wange und über seinen Hals nach unten bis zu seiner Brust.
»Es ist also soweit«, flüsterte sie. »Du wirst ein echter T'han T'hau.«
Er packte ihre Hände, zog sie zu sich auf das Bett und drückte sie mit seinem Körper auf die Decken.
»Ja«, antwortete er mit rauer Stimme. »Wenn ich zurückkehre, werde ich ein echter T'han T'hau sein. Ein Mann und ein Krieger. Wirst du auf mich warten?«
Das Gefühl, sie unter sich festzuhalten, war unbeschreiblich. Er spürte ihren schlanken, festen Körper, nahm sie mit all seinen Sinnen so überdeutlich wahr, dass es fast schmerzte. Götter, wie gerne würde er jetzt…
»Lass mich sofort los!« Ihre Stimme war voll kaltem Zorn. »Was fällt dir ein?«
Er zuckte erschrocken zurück, augenblicklich verlegen. Sie rutschte von ihm weg, kam auf die Füße und starrte ihn böse an. Dann wurde ihr Gesichtsausdruck etwas weicher.
»Ich werde hier sein, wenn du zurückkehrst«, sagte sie. Ihr Lächeln wirkte etwas gezwungen. »Aber jetzt geh.«
Immer noch betroffen stand Cridan auf und verließ das Zimmer. Ihre Reaktionen verwirrten ihn. In einem Moment war sie voll williger Hingabe, war dem sanften Zug seiner Hände nur zu gern gefolgt und hatte sich von ihm aufs Bett drücken lassen, und im nächsten Augenblick sprühten ihre Augen vor Wut. Und tief in ihnen hatte er noch etwas anderes lesen können, von dem er nicht wusste, ob er es richtig gedeutet hatte – oder ob er das überhaupt wollte. Es hatte verdächtig nach Triumph ausgesehen.
Skatarhak traf tatsächlich noch am selben Abend ein, begleitet von Cer'thrat und Rothmar, neben Maret'kar die wichtigsten Vertrauten des Königs. Da Maret'kar allmählich zu alt wurde, waren sie inzwischen Skatarhaks ständige Begleiter und übernahmen hin und wieder sogar die Aufgaben eines ficha'thar, wie Cridan vom zähneknirschenden Maret'kar erfahren hatte.
Cridan freute sich, Skatarhak zu sehen, und dem König schien es ebenso zu gehen: Er legte ihm beide Hände auf die Schultern und blickte ihn aufmerksam an.
»Bei allen Göttern«, brummte er und lachte, »jedes Mal, wenn ich dich sehe, bist du noch mehr gewachsen. Jetzt kann ich dir schon in die Augen sehen, ohne den Kopf senken zu müssen. Wie groß willst du noch werden?«
»Größer als jeder andere T'han T'hau«, entgegnete Cridan mit unverhohlenem Stolz. »Ich will der größte T'han T'hau aller Zeiten werden.«
Skatarhak grinste. »Dazu gehört mehr als eine beachtliche Körperlänge«, bemerkte er, ließ ihn los und winkte Maret'kar zu sich.
»War er fleißig?«
Maret'kar schnitt eine Grimasse.
»Ich kann über seinen Fleiß nicht klagen«, erwiderte er, »wohl aber über mangelnden Respekt und den Hang zu Widerworten.«
Der König brach in Lachen aus. »Ich sehe, du hast gute Arbeit geleistet, mein Alter. Komm, lass uns etwas essen. Ich bin hungrig, und bevor es morgen weitergeht, brauche ich eine ordentliche Mahlzeit. Und wo ist Ruhara? Sie weiß, dass ich komme, und wollte hier sein.«
Sie aßen alle gemeinsam in der großen Stube. Die ganze Zeit konnte Cridan den Blick nicht von Inth Silia abwenden. Er wusste nicht, was sie gemacht hatte, aber sie wirkte noch schöner als sonst, und ihre Augen leuchteten, wenn sie ihren Vater ansah.
Marud'shat hingegen wirkte zurückgezogen, nachdenklich – nur Tiko war wie immer. Der junge T'han T'hau saß neben Cridan und löcherte ihn mit Fragen zur bevorstehenden Reise: wann sie aufbrechen würden, wie lange er fort sein würde, ob er an ihn denken würde…
Schließlich griff Khal'atra ein.
»Ratiko'khar«, sagte sie streng, »es ist genug! Lass Cridan wenigstens mal zu Atem kommen und ein paar Bissen essen. Ich weiß, ihr seid einander wie Brüder, und du wirst ihn sehr vermissen, aber sei dir gewiss, dass es Cridan genauso gehen wird und dass er zu dir zurückkehren wird, sobald es ihm möglich ist. Und nun reicht es!«
Cridan sah Khal'atra dankbar an, und die Alte zwinkerte ihm zu. Sie, das merkte Cridan plötzlich, würde er neben Silia und Tiko vermutlich am meisten vermissen. Sie war die letzten sechs Jahre immer wie eine zweite Mutter zu ihm gewesen, hatte stets ein offenes Ohr für seine Probleme gehabt und ihn gefördert, wo sie nur konnte.
Er vertraute ihr, mehr noch als er Tiko vertraute. Skatarhaks Sohn war sein Freund und Ziehbruder, aber er war auch noch ein halbes Kind; Khal'atra hingegen war würdevoll, gelassen und so klug, dass er sie manches Mal heimlich als weise bezeichnete. Er würde sich hüten, ihr das jemals zu sagen, denn Khal'atra konnte fürchterlich wütend werden, wenn irgend jemand in ihr auch nur den Verdacht erweckte, sie als alt bezeichnen zu wollen.
»Weise ist etwas für alte Leute«, pflegte sie zu sagen, »und da bin ich noch lange nicht angekommen!«
Tiko schwieg nach Khal'atras Rüge gehorsam, drückte sich aber immer näher an Cridan heran. Schließlich drehte Cridan sich zu ihm, legte ihm eine Hand auf die Schulter und sah ihn ernst an.
»Tiko, deine Großmutter hat Recht. Wir sind Freunde, und ich werde dich nicht vergessen. Aber jetzt musst du aufhören, dich wie ein kleines Kind zu benehmen. Ich werde morgen gehen, und ich will nicht, dass du weinst oder anderen Kinderkram machst. Versprichst du mir das?«
Tiko sah ihn mit großen Augen an. Der Schein der Kerzen auf dem Tisch spiegelte sich in seinen dunklen Pupillen.
»Ich verspreche es«, erwiderte er feierlich und hob die Rechte zur Bekräftigung.
Nach dem Essen schickte Skatarhak alle Frauen und auch Tiko aus dem Raum.
»So«, sagte er und lächelte Cridan zu. »Jetzt sind die Männer unter sich. Was du gelernt hast, Cridan, hat mir Maret'kar schon ausführlich berichtet. Ich bin sehr zufrieden mit dir. Sage du mir, was dir noch fehlt.«
»Erfahrung«, antwortete Cridan prompt. »Skatarhak, ich übe hundert, tausend und abertausend Mal alles, was man nur üben kann, bis es mir zu den Ohren wieder herauskommt – aber ich konnte es noch nie anwenden! Ja, ich kämpfe gegen Maret'kar und gegen jeden anderen, der sich dazu bereit erklärt, aber das sind alles nur Scheinkämpfe! Ich habe noch nie ernsthaft gekämpft. Und es ist die Bestimmung eines T'han T'hau, für sich und seine Sache zu kämpfen! Ich will meine Bestimmung erfüllen, mein König, zu deinem und Gantuighs Ruhm.«
»Zu meinem und Gantuighs Ruhm«, wiederholte Skatarhak langsam. »Und was ist mit deinem Ruhm, Junge?«
»Wenn ich für dich und Gantuigh Ruhm erringe«, erwiderte er selbstbewusst, »wird mein eigener Ruhm dem von selbst folgen.«
»Ah, du bist schlau…« Skatarhak rieb sich das Kinn. »Glaubst du, du wirst ein Problem damit haben, jemanden zu töten?«
»Nein.« Cridan schüttelte entschieden den Kopf. »Ich bereite mich seit Jahren nicht nur darauf vor, den Platz eines ficha'thar einzunehmen, sondern auch darauf, ein Krieger zu sein. Maret'kar war ziemlich gründlich in seiner Ausbildung. Nein, ich habe weder Angst davor, jemanden zu töten, noch habe ich ein Problem damit.«
Skatarhak nickte anerkennend.
»Aus dir spricht ein wahrer T'han T'hau«, meinte er. »Es wird mir eine Freude sein, dir zuzusehen, wie du in Maret'kars Fußstapfen trittst.«
»Verzeih mir, mein König«, sagte Cridan leise, jedoch sehr bestimmt. »Aber ich will in niemandes Fußstapfen treten. Ich will meinen eigenen Weg gehen.«
Er hörte Cer'thrat leise lachen. Skatarhak beugte sich vor und sah ihn scharf an. Dann schlug er ihm ohne Vorwarnung mit dem Handrücken über den Mund.
»Das«, sagte er kühl, »ist dafür, dass du mir widersprochen hast. Und das«, er zog den schmalen Dolch aus seinem Gürtel und legte ihn Cridan in den Schoß, »ist dafür, dass du deine Worte nicht vergisst, T'han T'hau. Hinterlasse deine eigenen Spuren.«
Cridan starrte fassungslos auf den Dolch. Es war eine wertvolle Waffe, mit einem edelsteinbesetzten Griff und schlanker, beidseitig geschliffener Klinge. Seine schmerzende Lippe spürte er kaum.
»Ich danke dir, mein König«, brachte er hervor.
Skatarhak tat die Sache mit einer Handbewegung ab. »Kommen wir zu etwas anderem. Maret'kar erzählte mir, du habest Gefallen an meiner Tochter Inth Silia gefunden.«
Cridan spürte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg. Er senkte den Blick und nickte.
»Nun gut«, fuhr Skatarhak fort. »Sie ist keine Erbin, also gestehe ich ihr eine eigene Wahl zu, was ihren Gefährten anbelangt. Sie weiß, was einen ficha'thar ausmacht und was es bedeutet. Wenn sie dich will, wird sie nicht die schlechteste Entscheidung getroffen haben.«
»Ich weiß nicht, ob sie mich will«, murmelte Cridan. »Aber sie sagte, sie wolle auf mich warten.«
»Das ist mehr als mancher Junge erwarten kann, der auszieht, um ein Mann zu werden«, beschied Skatarhak ihm grinsend. »Nun geh, sieh zu, dass du noch etwas Schlaf findest. Wir brechen im Morgengrauen auf, und ich hoffe, du kannst besser reiten als bei unserer letzten gemeinsamen Reise.«
»Natürlich kann ich das.« Gehorsam sprang Cridan auf die Füße, verneigte sich und verließ rasch den Raum. Beim Hinausgehen kam ihm Marud'shat entgegen, die einen Krug mit Wein und vier Becher in den Händen trug. Sie lächelte ihm im Vorbeigehen kurz zu.
Als er sein Zimmer betrat, war er überrascht, Inth Silia am Tisch sitzen zu sehen. Sie hatte die Beine an den Leib gezogen, die Arme darum geschlungen und das Kinn auf die Knie gestützt. Mit einem Lächeln sah sie ihm entgegen, löste den Griff ihrer Arme und stand auf. Sie war nackt von Kopf bis Fuß.
»Komm her«, sagte sie auffordernd und lehnte sich an den Tisch, die Arme rechts und links aufgestützt. »Aber lass deine Sachen da.«
Schlagartig war sein Mund trocken vor Aufregung. Beim Versuch, sich schnellstmöglich auszuziehen, hätte er sich beinahe in seinen Hosen verheddert.
Gute Güte, schoss es ihm durch den Kopf, weshalb benimmst du dich nur so? Sie ist fast zwei Jahre jünger als du, aber sie wirkt so viel älter – und du verhältst dich wie ein dummer Junge!
Mühsam riss er sich zusammen, zerrte das Hemd von seinen Schultern und ließ es achtlos auf den Boden fallen. Dann trat er zu ihr, umschlang sie mit den Armen und zog sie an sich.
Er spürte, wie sie sich versteifte.
»Du willst jetzt nicht wieder mit diesem albernen Geschmuse anfangen, oder?« fragte sie.
Für einen kurzen Moment presste er die Lippen aufeinander.
»Nein«, erwiderte er dann und bemühte sich um einen gelassenen Tonfall, »aber ich will dich wenigstens einmal richtig im Arm halten, bevor wir es miteinander treiben. Ich mag dich nämlich, weißt du?«
Sie lachte. »Ich mag dich auch, Cridan. Vor allen Dingen mag ich es, dich in mir zu spüren. Das ist das beste daran. Der Rest ist doch Kinderkram.«
»Für mich nicht«, widersprach er, packte ihre Handgelenke und schob sie zum Bett hinüber. Sie wollte sich wehren, ihn zurückstoßen, doch dieses Mal hielt er sie fest. Sie keuchte auf, halb wütend, halb erregt, und als er sie küsste, biss sie ihn in die Unterlippe. Der Schmerz ließ ihn zusammenzucken, aber schon im nächsten Augenblick durchfuhr ihn eine Woge der Lust. Gegen ihren Widerstand drückte er sie nach unten. Als er spürte, dass sie seiner Kraft nicht das geringste entgegenzusetzen vermochte, wurde seine Erregung noch größer.
Einen Herzschlag lang wirkte es, als wollte sie gegen ihn kämpfen, doch dann wurde sie plötzlich weich in seinem Griff.
»Du bist wirklich stark«, sagte sie anerkennend. »Stärker als ich. Also nimm dir, was dir zusteht.«
Sie kamen nicht viel zur Ruhe in dieser Nacht – jedes Mal, wenn Cridan die Erregung zurückkommen fühlte, schlief er mit ihr, wieder und wieder, bis er zu erschöpft dafür war. Silia war wie Wachs in seinen Händen, warm, weich und willig, und was immer ihm in den Kopf kam, sie ließ es ihn machen. Es war nicht im geringsten zu vergleichen mit ihrem ersten Mal, bei dem sie ihn so beschämt hatte.
Als das fahle Licht des Morgengrauens allmählich durch das kleine Fenster drang, schob Cridan die Decke zur Seite, schwang die Beine aus dem Bett und setzte sich auf. Er fühlte sich müde, und dennoch zugleich von einer nie gekannten Kraft erfüllt.
Leise stand er auf, kleidete sich an und warf einen letzten Blick auf Inth Silia. Sie schlief tief und fest, den Kopf in den Armen vergraben, ihr perfekter Körper nur halb von der Decke verborgen. Langsam ging er neben ihr in die Knie, sog ihren wunderbaren Duft ein und küsste sie auf die Wange.
»Ich werde dich sehr vermissen, meine Schöne«, flüsterte er. »Aber ich komme zurück zu dir, und dann können wir ein gemeinsames Leben beginnen.«
Sie seufzte leise im Schlaf, wachte aber nicht auf. Cridan lächelte, küsste sie noch einmal, dann gürtete er das Schwert um, schob den Dolch, den Skatarhak ihm geschenkt hatte, dahinter, griff nach seinem Bündel und verließ den Raum.
Die Männer waren bereits in der Küche und ließen sich von Ruhara und Khal'atra das Frühstück bringen. Cridan setzte sich dazu. Er zwang sich, ebenfalls etwas zu essen, auch wenn er nicht wirklich Hunger hatte: Er war viel zu aufgeregt.
Anschließend verabschiedeten sie sich von den Frauen und gingen auf den Hof. Die Pferde waren bereits gesattelt, und zu seiner Überraschung wartete Tiko neben dem stämmigen Hengst, den Cridan reiten würde. Der junge T'han T'hau sah ihm lächelnd entgegen.
»Ich wollte dir Lebewohl sagen«, erklärte er und drückte ihm die Zügel in die Hand. »Du musst gut auf dich achtgeben und bald wiederkommen. Versprichst du das?«
Cridan lächelte, umarmte ihn und drückte ihn fest an sich.
»Ich verspreche es, mein Bruder und Freund. Wir werden uns bald wiedersehen. Pass auf dich auf und lerne weiterhin so gut. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, wirst auch du schon fast ein Mann sein. Dann können wir gemeinsam auf Abenteuer ausziehen.«
Er ließ ihn los, klopfte dem Pferd auf den Hals und befestigte sein Gepäck hinter dem Sattel, bevor er sich auf den Rücken des Tieres schwang. Wenig später ritten sie vom Hof.