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Kapitel 1
ОглавлениеLondon, 16. Dezember
Raphajelle saß am Fenster des Westwood-Anwesens. In ihrer Hand hatte sie eine Tasse Zitronentee, deren heißer Dampf von Zeit zu Zeit ihr Gesicht streifte. Draußen fielen dicke weiße Schneeflocken vom Himmel, und legten sich auf jedes Gewächs im Garten des Anwesens. Es schien, als würde er die Geheimnisse verstecken, die ohnehin gut gehütet hinter den Mauern des Grundstücks lagen. Die kleinen Eisblumen, die das Fenster zierten, ließen die Landschaft wie eingerahmt wirken. Auf der Brücke unter ihr, an der zwei sich symmetrisch gegenüberliegende Treppen in den Garten hineinführten, stand Milan und unterhielt sich mit seinem Bruder Maison. Die hellen Schneeflocken waren in seinen schwarzen Haaren deutlich zu erkennen und zum tausendsten Mal stellte Raphajelle fest, wie attraktiv sie ihn fand. Unwillkürlich lächelte Milan in die Unterhaltung hinein und riskierte einen raschen Blick zu ihr nach oben. Ertappt schreckte Raphajelle zurück und fiel rücklinks von der gepolsterten Fensterbank. Milan als Incubus, war in der Lage, ihre Gedanken zu lesen, und wenn es nach ihr ginge, machte er ein bisschen zu oft Gebrauch von dieser Fähigkeit. Während sie hörte, wie Maison und Milan auf der Terrasse in schallendes Gelächter ausgebrochen waren, rappelte sie sich auf und verzog sich schmollend in das nahegelegene Badezimmer.
Gedankenversunken richtete sie ihre langen blonden Locken her, schlüpfte in einen weißen Strickpullover mit Flechtoptik (passend zur schwarzen Jeans) und betrat den langen Korridor im zweiten Stock des Anwesens. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, hörte sie das aufgeregte Tapsen einer Katze. Die kleine Peaches lief, sichtlich erfreut sie zu sehen, auf Raphajelle zu und blieb wenige Zentimeter vor ihr mit einem freudigen Miau stehen.
»Hey meine Kleine«, begrüßte sie das Tier. Als Raphajelle die Katze hochhob, stellte sie erschrocken fest, dass Peaches wieder zugenommen hatte.
»Meine Güte. Ich muss mit Pandora sprechen, sie soll dich nicht immer mit so viel Kram füttern.« Mit diesen Worten begab sich Raphajelle, die Katze noch immer auf dem Arm, nach unten. Bereits vom Flur aus konnte sie Milans Mutter überschwänglich reden hören. Als sie die Küche betrat, fand sie Pandora, die vor drei Kisten stand.
Als diese Raphajelle sah, rief sie: »Kind, wie schön, dass du genau jetzt kommst. Ich brauche mal deine Hilfe.« Ohne ein Wort setzte Raphajelle die Katze ab und begab sich zu ihrer vermeidlichen Schwiegermutter. Ein Blick in die Kisten genügte und sie wusste sofort, weshalb Pandora ihre Hilfe benötigte. Sie waren bis zum Rand voll mit Weihnachtsschmuck. In jeder Form, in jeder Farbe und Größe. Pandora zog eine Christbaumkugel aus der mittleren Schachtel und fuhr dann fort: »Hier, das hier, es hat eine Schlaufe, aber wo hänge ich das hin?«
Raphajelle war längst an solche Fragen gewöhnt. Die Westwoods haben noch nie wirklich Weihnachten gefeiert und machten dieses Jahr nur eine Ausnahme, weil Raphajelle bald hier einziehen würde; und Milan fand, dass es eine gute Idee war. Gelassen antwortete sie also: »Naja, dafür benötigt man normalerweise einen Weihnachtsbaum.«
»Ah ich verstehe«, antwortete Pandora. Raphajelle hatte nicht das Gefühl, dass sie verstand, beließ es aber dabei. Kurz darauf betraten Milan und Maison die Küche.
»Na? Hast du deine Fangirl-Attitüde für heute abgelegt?«, stichelte Maison und bekam daraufhin von seinem Bruder einen Stoß in die Seite. Den gehässigen Kommentar ignorierend, lies sie sich von Milan in den Arm nehmen, der ihr leise ins Ohr flüsterte: »Ich liebe dich.« Ob sie wollte oder nicht, sie musste lächeln. Pandora grinste verschwiegen, während Maison Würglaute von sich gab. Incubus-Dämonen hatten sehr gute Ohren; und Milan konnte noch so leise sein, trotzdem hatte vermutlich sogar sein Vater oben im Büro sein Liebesgeständnis gehört. Um das Thema zu wechseln, wandte Raphajelle sich an Pandora: »Ähm, ich hab‘ noch ein bisschen Schmuck zuhause. Vielleicht könnte ich ihn holen. Dann müsst ihr nicht mehr so viel besorgen.« Sie war sich durchaus darüber im Klaren, dass sie gerade eben in drei Kisten mit Schmuck geblickt hatte, die wegen Überfüllung geschlossen waren. Aber sie hatte seit der Bekanntgabe ihrer Verlobung das Anwesen kaum verlassen. Sie musste in die Machenschaften und Geheimnisse des Klans eingewiesen werden und das nahm einiges an Zeit in Anspruch. Das war auch der Grund weshalb Peaches auf dem Anwesen der Westwoods war. Nach zwei Tagen hatte Milan sie wissend aus Raphajelles Appartement gerettet. Nach einem Blickwechsel zwischen Milan und Pandora antwortete diese schließlich: »Sicher doch, Kind. Lass dir ruhig Zeit, und pass auf dich auf.«