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Kapitel 3

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London, 16.Dezember

Raphajelle war endlich angekommen. Sie war bereits tausende Male in diese Einfahrt eingebogen, doch dieses Mal schien sie ihr irgendwie fremd. Sie wusste nicht, ob es daran lag, dass sie eine Weile nicht mehr hier gewesen war, oder ob es daran lag, dass sie tief in sich drin wusste, dass dies hier nun nicht mehr ihre Heimat war.

Still blickte sie die weiße Fassade empor, ohne wirklich etwas zu fokussieren. Ein tiefer Atemzug, und dann betrat sie das Gebäude. Der Flur, der ihr sonst eher freundlich und hell erschienen war, kam ihr heute sehr erdrückend vor. Raphajelle tat sich schwer damit, ein neues Leben zu beginnen, obwohl mit dem anderen eigentlich nichts falsch gewesen war. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um über diese Dinge nachzudenken. Sie musste die restliche Weihnachtsdekoration für Pandora besorgen.

Entschlossen, sich durch ihr Ich-habe-seit-Jahren-nichts-mehr-angefasst Chaos auf dem Dachboden zu kämpfen, stieg sie die Treppen hinauf. Raphajelle war noch nie ein Fan von Dachböden gewesen. Wann immer sie einen betreten hatte – sie sahen stets aus wie die frisch hergerichteten Kulissen eines Horrorstreifens.

Zögerlich schob sie die Tür auf, und betrachtete missbilligend die Staubschichten, an denen sich die verschiedenen Käferfossilien ablesen ließen, die hier seit ihrem Einzug abwechselnd das Regiment übernommen hatten. Weit hinten unter dem Dachfenster, machte sie eine große graue Schachtel ausfindig, in der sie das Weihnachtszeug vermutete.

»Na das ist ja herrlich. Wieso hab‘ ich das Zeug bloß so weit hinten abgestellt?«

Während Raphajelle sich beschwerte, stapfte sie durch die Staublandschaft und war bemüht, bloß nicht zu viel davon einzuatmen. Nachdem sie endlich den Karton erreicht hatte, zog sie an dessen Papplaschen und öffnete ihn.

»Was ist das denn bitte?«, brachte Raphajelle entgeistert hervor. Seit sie in ihr Appartement hier eingezogen war, hatte sie das Schmücken zu Weihnachten stets gemieden. Für wen hätte sie sich auch groß Mühe machen sollen? Zu ihrer Mutter hatte sie ein eher trockenes Verhältnis, und ihre Katze Peaches hatte es herzlich wenig interessiert, ob dort nun ein wackelnder Weihnachtsmann mit lächerlicher Mütze stand oder nicht. Aus diesem Grund hatte sie die Dekoration auch nie benötigt. Wäre dem aber so gewesen, dann hätte sie möglicherweise früher bemerkt, dass sie die falsche Kiste aus ihrem Elternhaus mitgenommen hatte.

Statt Weihnachtsdekoration hatte Raphajelle alte Erinnerungsstücke gefunden, die ihrer Mutter zu gehören schienen. Auf beinahe allen Bildern war sie abgebildet. Alte, verstaubte Rahmen, vollgeschriebene Tagebücher, kleine Reisesouvenirs; das alles waren Dinge aus den jungen Jahren ihrer Mutter Aida. Unter all den Dingen fiel Raphajelle vor allem ein Bild ins Auge. Es lag lose und ohne Schutz in dem Karton.

Vorsichtig nahm sie es heraus, entfernte den Staub und betrachtete es. Ihre Mutter stand neben einer jungen Frau mit schwarzen Haaren und blauen Augen. Sie schien jünger zu sein als Aida und sie hielten sich gegenseitig im Arm. Irgendwie kam ihr dieses Gesicht bekannt vor. Eine bekannte Stimme schoss ihr durch den Kopf, ein Lachen, der Geruch von Kaffee. Sie kannte diese Frau, aber sie wusste nicht, woher. Mittlerweile hatte sie den staubigen Holzboden bereits vergessen und kniete, das Foto in beiden Händen haltend, vor dem grauen Pappkarton. Die Wintersonne schien durch das Dachfenster über ihr und ließ die Vergangenheit in Raphajelles Händen leuchten. Angestrengt versuchte sie sich zu erinnern.

»Laura!«, rief sie laut, »Das ist Großcousine Laura…«

Ihre Mutter Aida war die Cousine von Lauras Mutter Amelia. Sie hatte ihre Großcousine schon seit Jahren nicht mehr gesehen, das letzte Mal als kleines Mädchen! Wie es ihr wohl ging?

Ohne wirklich nachzudenken griff sie erneut in die Kiste und nahm ein kleines rotes Adressbuch heraus. Zögerlich blätterte sie Seite für Seite um, bis sie ihn fand: Den Namen Laura O´Connor . Entweder hatte sie geheiratet, oder ihre Mutter hatte zuerst den falschen Nachnamen aufgeschrieben, denn vor dem Nachnamen O´Connor stand durchgestrichen Pattburg. Wie auch immer sie hieß, hinter dem Namen stand eine Telefonnummer und Raphajelle fragte sich, ob sie immer noch unter dieser Nummer zu erreichen war. Sie nahm das Bild und das Notizbuch an sich, und verließ den Dachboden.

An ihrem Wagen angekommen, nahm sie ihr Handy aus der Manteltasche, wählte eine Nummer und hörte das Freizeichen der Leitung.

»Hallo?«

»Milan? Ich bin´s ... können wir uns in der Stadt treffen?«

»Ist etwas passiert? Geht es dir gut?«

»Ja, ja, alles in Ordnung. Ich möchte mit dir nur mal über etwas sprechen. Du weißt schon ... ohne dass deine ganze Familie Bescheid weiß.«

»Okay, wie du möchtest, Schatz. Ich bin in einer halben Stunde am Wellington Café

»Gut, treffen wir uns da.«

Sie legte auf, atmete tief ein und machte sich dann auf den Weg in die Stadt.

Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte

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